Hans-Dieter Sill, 24.05.2024

Analysen zur Verwendung der Wörter „Sein“ und „Nichts“ in der Alltagssprache

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Inhalt

Vorbemerkungen

Literaturanalysen

DWDS

Wiktionary

DUW

Auswertungen

Allgemeine Einschätzungen

Bedeutungen von „Sein“ und „Seiendes“ in der Alltagssprache

Analyse der Bedeutungen

Auswertung von Kollokationen

Zusammenfassung

Bedeutungen von „nichts“, „Nichts“ und „Nichtsein“ in der Alltagssprache

Analyse der Bedeutungen

Analyse von Kollokationen

Zusammenfassung

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Zu Ermittlung der Bedeutungen der Wörter im Alltag wird das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (www.dwds.de/) verwendet (DWDS). Um einen Eindruck von der Häufigkeit der Verwendung des Wortes im Alltag zu bekommen wird für die Jahre 2015-2019 bzw. 2016-2020 die Häufigkeit pro 1 Million Token (Frequenz) im DWDS- Zeitungskorpus angegeben. Weiterhin werden Kollokationen mit anderen Wörtern angeben. Als Assoziationsmaß wird logDice verwendet. Es werden die Kollokationen mit den 5 höchsten logDice-Werten und ihre Frequenzen (in Klammern) angegeben.

Als weitere Quellen werden die Internetenzyklopädie Wiktionary (https://de.wiktionary.org/wiki/Wiktionary:Hauptseite) (Wiktionary) sowie das

Deutsche Universalwörterbuch (Kunkel 2023) (DUW) herangezogen. 

Ich bedanke mich bei Frau Dr. Petra Ewald, Professorin für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Rostock für die fachliche Beratung.

Literaturanalysen

DWDS

Sein

Frequenz: 15 531,5

Kollokationen:  Nichtsein (12.6, 2615), Leichtigkeit (10.3, 1841), Schein (10.3, 935), Haben (10.0, 212), Soll (9.5, 249), Seiend (9.0, 169), Werden (8.9, 249), Nichts (8.5, 437)

Bedeutungen:

das Existieren, die Existenz

Beispiele:

das menschliche Sein (= Dasein, Leben)

Die Bewohnbarkeit eines Himmelskörpers ist eine Episode in seinem kosmischen Sein [ Th. Mann11,303]

Schlaf ist eine Weise des Seins, wie auch das Wachen und Wirken eine Weise des Seins ist. Schlaf ist Leben [ Tageszeitung1965]

Philosophie Kategorie in zahlreichen philosophischen Strömungen

Beispiel:

eine materialistische, idealistische Auslegung des Begriffs des Seins

selten, Marxismus: das materiell Existierende, die Materie, die objektive Realität   als indifferent zur Grundfrage der Philosophie stehender Begriff ohne den Charakter einer Kategorie

die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse, Komplex der objektiven, unabhängig vom Bewusstsein existierenden Faktoren und Verhältnisse, in denen die Menschen handeln

Beispiele:

die Gesetze der Veränderung des gesellschaftlichen Seins

die Produktionsverhältnisse als wichtigster Bestandteil des gesellschaftlichen Seins

sein (Verb)

Frequenz: 15 529,0

Bedeutungen:

  1. wirklich existieren

    [umgangssprachlich] ⟨etw. ist⟩ etw. gibt es, etw. ist vorhanden

    [landschaftlich] ⟨Waren sind (nicht)⟩

Weitere 10 Bedeutungen

Seiendes

Frequenz: 0,14

Kollokationen, Bedeutung: kein Wortprofil, kein Eintrag

Nichts (Substantiv)

Frequenz: 311,9

Kollokationen: Alle (11.9, 23), unmöglich (10.4, 19), Sein (8.5, 12), Niemand (8.3, 16), tauchen (8.2 , 295), auftauchen (8.1, 267), gähnend (7.6, 40)

Bedeutung:

  1. Abwesenheit jeglicher physikalischer Existenzform

das blanke, schiere, pure, bodenlose Nichts

  1. a) [Philosophie] absolutes Nichtsein; Gegensatz zum Sein und zum Seienden

Beispiele:

Nach dem Nichts zu fragen, bedeutet, so zu tun, als sei es etwas, dabei ist es genau das Gegenteil, die Verneinung der Allheit des Seienden. [Neue Zürcher Zeitung, 01.06.2008]

  1. b) als leer gedachter Raum (des Alls):

Beispiele:

Türen sind zu groß oder zu eng oder führen nirgendwohin, so wie manche Treppen ins Nichts führen. [Der Spiegel, 03.08.2011 (online)]

Wie aus dem Nichts taucht ein Zivilfahnder auf […]: […] [Die Zeit, 24.02.2015]

  1. [übertrieben] kaum vorhandene Substanz:

Beispiele:

Bei der mehrstündigen, umfangreichen Zeugenvernehmung schmolzen die Verwürfe [sic!, Vorwürfe] gegen den jungen Afrikaner aus Guinea zu einem Nichts zusammen. [Neue Westfälische, 28.10.2020]

  1. [abwertend] Mensch, der keinerlei Achtung genießt, den keiner respektiert, der keine soziale Stellung hat o. Ä.:

Beispiele:

Das Auto hatte in Patricks Kopf Platz genommen, so sehr, dass kein anderer Gedanke mehr hineinpasste. Ohne Auto bist du ein Nichts in Marzahn. [Berliner Zeitung, 30.04.2005]

Bei der Rückkehr seiner Frau kochte er noch immer [vor Wut]: »Vergiß nicht, du bist ein Nichts. Du bist nur durch mich etwas.« [Der Spiegel, 17.11.1986]

nichts (Indefinitpronomen)

Frequenz: 305,9

Kollokationen: keine angegeben

Bedeutung:

stellt eine Sache in Abrede: nicht etwas, kein Ding

  1. a) Grammatik: in substantivischer Verwendung

Beispiele:

»was hast du gesehen?« »Nichts!«

alles oder nichts!

er hat nichts gehört, gesagt, geahnt, getan, gegessen

umgangssprachlich: er will von ihm nichts wissen (= er lehnt ihn ab)

salopp: er kannte da nichts (= er ließ sich davon nicht abhalten)

sie hat ihn beleidigt, aber er macht sich [Dativ] nichts daraus (= nimmt es nicht ernst)

umgangssprachlich: ich finde nichts dabei (= ich habe dabei keine Bedenken)

das macht nichts!

daraus wird nichts! (= das kommt nicht zustande!)

umgangssprachlich: ihn kann so leicht nichts erschüttern

umgangssprachlich: auf ihn lasse ich nichts kommen

mit ihr hat man nichts (weiter) als Ärger

wenn es weiter nichts ist …

nichts als die Wahrheit sagen

nichts ist verkehrter, als wegzulaufen

salopp: nichts wie nach Hause!

salopp: nichts wie weg!

Grammatik: in verstärkter Verneinung

Beispiele:

gar nichts, ganz und gar nichts

umgangssprachlich: rein nichts wissen

mit Präposition

Grammatik: in Verbindung mit »für«

Beispiele:

umgangssprachlich für nichts und wieder nichts hat er sich abgemüht (= umsonst hat er sich abgemüht)

umgangssprachlich: für nichts ist nichts

Grammatik: in Verbindung mit »in«

Beispiel: sie ähnelt in nichts einem Star, gleicht ihr in nichts

Grammatik: in Verbindung mit »mit«

Beispiel:

er ist mit nichts zufrieden, ist mit nichts angekommen

Grammatik: in Verbindung mit »um«

Beispiel: viel Lärm um nichts

Grammatik: in Verbindung mit »von«

Beispiel:

Sprichwörtlich: von nichts kommt nichts

Grammatik: in Verbindung mit »vor«

Beispiel:

vor nichts zurückschrecken

Grammatik: in Verbindung mit »zu«

Beispiel:

er hat es zu nichts gebracht

⟨nichts zu + Infinitiv

Beispiele:

ich habe nichts zu lesen

wir haben nichts zu essen, trinken

umgangssprachlich: bei dem hat er nichts zu lachen

abgeblasst

Beispiele:

Umgangssprachlich: mir nichts, dir nichts war er weg (= plötzlich war er weg)

nichts für ungut! (= nehmen Sie es mir nicht übel!)

  1. b) Grammatik: attributiv, vor substantivischem Adjektiv

Beispiele:

er ahnte nichts Böses

es gab nichts Neues

er lernte dort nichts Rechtes

ihn erwartete nichts Gutes

nichts Lebendes war weit und breit zu sehen

Nichtsein

Frequenz: 0,2

Bedeutung: gehoben ⟨Sein oder Nichtsein (= Leben oder Tod)⟩

Beispiele: ein Kampf um Sein oder Nichtsein, Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage

Nichtseiendes:

kein Eintrag

Wiktionary

Sein:

Bedeutungen:

    Philosophie, Ontologie: das Tatsächlich-vorhanden-Sein, Dasein, teilweise auch: Existenz

Herkunft:

    Substantivierung des Verbs sein

Sinnverwandte Wörter:

    Existenz, Dasein, Seiendes, Esse

Gegenwörter:

    Nichtsein

Beispiele:

    Eine zentrale Aussage des Parmenides, der – um ihn von Heraklit abzugrenzen – als der Philosoph des Seins gilt, lautet: Das Sein ist.

Seiendes:

Bedeutungen:

Philosophie: mit unbestimmtem Artikel: etwas (Einzelnes), das ist; mit bestimmtem Artikel meist: alles, was ist; die Gesamtheit des Existierenden

Herkunft:

    Substantivierung des Partizipialadjektivs seiend, dies zu dem Verb sein; vergleiche Sein, Seiendheit

Sinnverwandte Wörter:

   Sein, Seiendheit

Gegenwörter:

    Nichtseiendes

Beispiele:

Das Sein und das Seiende stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander.

Die Erkenntnistheorie sichert die Wahrheitsbefähigung unseres Geistes, der das Seiende erfassen kann.

nichts (Indefinitpronomen)

Bedeutungen:

    [1] Abwesenheit von allem

Gegenwörter:

    [1] alles, etwas

Beispiele:

    [1] Wir haben nichts zu verlieren.

Redewendungen:

    [1] alles oder nichts

    [1] aus nichts wird nichts

    [1] das macht nichts

    [1] mir nichts, dir nichts

    [1] nichts da!

    [1] nichts für jemanden sein

    [1] nichts für ungut

    [1] macht nichts

    [1] null Komma nichts

    [1] viel Lärm um nichts

    [1] von nichts kommt nichts

Charakteristische Wortkombinationen:

    [1] nichts als

Nichts (Substantiv)

Bedeutungen:

    [1] Ort, an dem nichts existiert, Raum, der leer ist

    [2] abstrakt, philosophisch: Gegenteil von Sein

    [3] abwertend, von einer Person: jemand ohne Rang und Ansehen

Herkunft:

    Substantivierung von nichts durch Konversion

Synonyme:

    [1] Leere, Nirvana

    [3] Niemand, Null, Paria, Underdog, der letzte Mensch

Gegenwörter:

    [1] Universum, Welt

Beispiele:

    [1] Es verschwand im Nichts.

    [1] Alle Vorwürfe lösten sich in einem Nichts auf.

    [1] Das Auto auf der Gegenfahrbahn tauchte wie aus dem Nichts auf.

    [1] „Grenfeld öffnete die Augen und sah Magnusson ins Nichts starren.“ (Robert Baur: Blutmai. Roman. Gmeiner, Meßkirch 2018, Seite 28)

    [1] „Ich raste gegen Nichts und Niemand.“[3]

    [2] Entweder wir sind da, oder wir sind ein Nichts.

    [2] Das Nichts ist für den Menschen schwer zu ertragen.

    [2] „Ich sah, daß sie selbst einen Hut trug; es war eher eine kleine Kappe, ein schwarzes Nichts, das schief in ihrem Haar saß.“ (Erich Maria Remarque: Das gelobte Land. Roman (Fragment). Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998, Seite 59. Grundlage des Textes: Manuskript 1970)

    [3] Hier sind Sie ein Nichts, Herr Baron!

Nichtsein

Bedeutung: kein Eintrag

Nichtseiendes

kein Eintrag

DUW

sein

  1. da sein; bestehen; existieren: alles, was einmal war, heute ist oder einmal sein wird; in diesem Bach sind (gibt es) viele Fische; die Königin ist nicht mehr (geh.; ist gestorben); das war einmal (gehört der Vergangenheit an, besteht nicht mehr); ist [irgend]etwas? (ugs.; gibt es etw. Besonderes, einen Grund zur Beunruhigung?); sind (gibt es) noch Fragen? Redewendung: was nicht ist, kann noch werden (das kann immer noch in der Zukunft Wirklichkeit werden); 〈subst.:〉 das menschliche Sein (Leben, Dasein); Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage (hier geht es um eine ganz wichtige Entscheidung; hierbei handelt es sich um eine existenzielle Frage; nach der Übersetzung der Stelle im Drama ≫Hamlet≪ [III, 1] von W. Shakespeare [1564–1616]: To be or not to be, that is the question). (S. 1629)

Sein

[Substantiv zu sein 4.] (Philos.): das Existieren des ideell und materiell Vorhandenen; die Wirklichkeit, soweit sie dem Daseienden zukommt: das Sein und das Seiende; die Lehre vom Sein (S. 1629)

Seiendes (Philos.)

etw., wovon ausgesagt wird, dass es ist; etw., was ist. (S. 1628)

nichts (Indefinitpronomen)

  1. a) bringt die vollständige Abwesenheit, das absolute Nichtvorhandensein von etwas zum Ausdruck; nicht das Mindeste, Geringste; in keiner Weise etwas: nichts sagen; nichts hören können; alles oder nichts; nichts wollen; (verstärkt:) überhaupt nichts; absolut nichts; ein nichts ahnender Besucher; nichts von alledem; Redewendung: von nichts kommt nichts.; * nichts da! (ugs.; das kommt nicht infrage!); für nichts und wieder nichts (ohne irgendeine Wirkung, irgendeinen Erfolg; umsonst, vergeblich); b) kein Ding, keine Sache: es gibt nichts Neues; nichts dergleichen; nichts weiter. (S. 1291)

Nichts, das; -, -e:

  1. 〈o.Pl.〉 a) (Philos.) absolutes Nichtsein; Gegensatz zum Sein u. zum Seienden: das reine Nichts; b) als leer gedachter Raum [des Alls]: sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht (man hatte sie nicht kommen sehen). 2. 〈o.Pl.〉 verschwindend geringe Menge, Anzahl (von etw. Bestimmtem): * vor dem Nichts stehen (plötzlich, durch einen bestimmten Umstand mittellos geworden sein, allen Besitz verloren haben); ein Nichts an/von etw. sein (in seiner Ausführung, Form, Gestalt o. Ä. sehr klein, unscheinbar sein: sie trug ein Nichts von einem Bikini). 3. (abwertend) Mensch, der keinerlei Achtung geniest, den keiner respektiert, der keine soziale Stellung hat o.Ä. (S. 1291)

Nichtsein, das

das Nichtexistieren, Nichtvorhandensein. (S. 1291)

Auswertungen

Allgemeine Einschätzungen

Häufigkeiten im DWDS

Wort

Sein

sein

Seiendes

Nichts

nichts

Nichtsein

Frequenz

15531,5

15529,0

0,14

311,9

305,9

0,2

Das Substantiv „Sein“ hat nach dem DWDS die mit Abstand größte Häufigkeit alle bisher untersuchten Wörter. Kein Wort kommt auch nur annähernd in den Bereich einer Frequenz von über 15.000. Eine Ursache könnte allerdings ein Fehler im Programm des DWDS sein. Die Häufigkeit des Verbes „sein“ entspricht fast genau der Häufigkeit des Substantivs „Sein“ und auch die zeitlichen Entwicklungen (Verlaufskurven) der Häufigkeit beider Wörter sind fast identisch. Weiterhin gibt es Kollokationen mit dem Wort „Sein“, die nicht den angegebenen Bedeutungen des Wortes ansprechen, so die Wörter exportieren, bestellen, verkaufen oder Bedarf. Die angegebenen Beispiele zu den Kollokationen beziehen sich alle auf Verbindungen mit dem Wort „Waren“ aus der Ökonomie.

Nach dem Wort „Sein“ hat das Wort „Nichts“ mit einer Frequenz von 312 die zweitgrößte Häufigkeit der bisher untersuchten Wörter. Eine Analyse der Kollokationen ergab allerdings auch in diesem Fall Auffälligkeiten, die die Häufigkeit fragwürdig erscheinen lassen. In mehreren Fällen tritt in den Beispielen das Indefinitpronomen „nichts“ in substantivierter Form auf, so in den Kollokationen mit „unmöglich“ („Nichts ist unmöglich), mit „niemand“ („Keine Angst vor Nichts und Niemand“) und „Lärm um“ („Viel Lärm um Nichts“). Weiterhin entspricht die Häufigkeit des Indefinitpronomens „nichts“ mit einer Frequenz von 306 fast genau der Häufigkeit des Substantivs „Nichts“ und auch die zeitlichen Entwicklungen (Verlaufskurven) der Häufigkeit beider Wörter sind fast identisch.

Bedeutungen von „Sein“ und „Seiendes“ in der Alltagssprache

Analyse der Bedeutungen

Die Hauptbedeutung des Wortes „Sein“ ist „das Existieren“ (DWDS), „das Tatsächlich-vorhanden-Sein“ (Wiktionary), „das Existieren des ideell und materiell Vorhandenen“ (DUW) Dies korreliert in hohem Maße mit der Bedeutung des eingeführten Begriffs „Existierendes“ im interpretierten Sinne.

Bezüge gibt es auch zur alltagssprachlichen Verwendung des Wortes „Seiendes“, das nach Wiktionary „mit unbestimmtem Artikel: etwas (Einzelnes), das ist; mit bestimmtem Artikel meist: alles, was ist; die Gesamtheit des Existierenden“ bedeutet und nach dem DUW etwas ist, wovon ausgesagt wird, dass es ist. Im DWDS sind zum Wort „Seiendes“, das nur eine sehr geringe Frequenz von 0,1 hat, keine Bedeutungen und Kollokationen angegeben.

Auswertung von Kollokationen

Im Folgenden sollen Kollokationen zum Wort „Sein“ mit einem hohen LogDice-Wert analysiert werden, um die Verwendungen in der Alltagssprache genauer zu untersuchen und Verbindungen zu möglichen Interpretationen der axiomatisch bestimmten Begriffe Existierendes und Nichtexistierendes herzustellen.

Nichtsein, Leichtigkeit, Schein, Haben, Soll (9.5, 249), Seiend (9.0, 169), Werden (8.9, 249), Nichts

Nichtsein (12.6, 2615)

Das Wort „Nichtsein“ hat mit 12,6 den mit Abstand höchsten LogDice-Wert der Kollokationen, d. h., es tritt im Sprachgebrauch in sehr enger Verbindung mit dem Wort „Sein“ auf. Eine Analyse der im DWDS angegebenen 20 Beispiele für Kollokationen mit Nichtsein ergab folgende hauptsächliche Verwendungsaspekte.

Sein und Nichtsein als Allegorie für Leben und Tod

Bei dem berühmten Zitat von Shakespeare im Hamlet (To be, or not to be, that is the question, 3. Aufzug, 1. Szene) geht es um die Frage von Leben und Tod eines Menschen, in diesem Fall um den möglichen Selbstmord von Hamlet, Prinz von Dänemark.

Auch im Film Sein oder Nichtsein von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1942 geht es um Leben und Tod von polnischen Schauspielern in der Nazizeit, die durch Verhaftung und Ermordung bedroht sind.

Die Autoren Jörg Vögele und Katherina Heinrichs beschäftigen sich in ihrem Buch Sein oder Nichtsein mit dem Thema „Suizid“ sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch aus künstlerischer Sicht.

Im Hamlet von Shakespeare nimmt der Protagonist wieder Abstand von seinen Selbstmordabsichten. Er bringt den Tod mit dem Schlaf in Beziehung, bei dem es zu Träumen kommen kann, die aus dem langen Leben des Menschen ein Unglück machen, denn wer ertrüge der Zeiten Hohn und Spott. Diese Gedanken an ein Leben nach dem Tod werden in dem Film Hinter dem Horizont (Originaltitel: What Dreams May Come) aus dem Jahr 1998 thematisiert. Die Protagonisten Chris und Annie finden sich nach dem Tod im Himmel bzw. als Selbstmörderin in der höllenähnlichen Unterwelt wieder, kommen dann doch zueinander und beschließen, erneut geboren zu werden, was ihnen dann auch gelingt.

In dieser Bedeutung von Sein und Nichtsein geht es um die biologische Existenz eines Menschen; nicht um den Menschen als Gesamtheit von Eigenschaften.

Sein und Nichtsein als Allegorie für Weiterbestehen oder Zugrundegehen eines politischen Systems oder der beruflichen Existenz eines Menschen

Mit den Formulierungen „Für die Ampel geht es um Sein oder Nichtsein, …“ (FAZ, 29.11.2023) oder „Für sie geht es bei Landtagswahlen inzwischen routinemäßig um Sein oder Nichtsein.“ (Die Liberalen sind so frei. Süddeutsche Zeitung, 13.10.2023) wird zum Ausdruck gebracht, dass infrage steht, ob die betreffende politische Organisation weiter bestehen bzw. eine bestimmte Hürde für das weitere Wirken in einem politischen Gremium nehmen kann. „Alles was recht ist – Sein oder Nichtsein“ ist der letzte Teil einer Fernsehfilm-Reihe, in dem die berufliche Existenz eines Gerichtspräsidenten zur Disposition steht, wenn das unrechtmäßige Erwerben seines Doktortitels öffentlich wird.

Sein oder Nichtsein bezeichnen hier die Existenz bzw. Nichtexistenz eines bestimmten Zustandes in der Gesellschaft oder im beruflichen Leben eines Menschen in seiner Gesamtheit, ohne die konkrete Struktur des Zustandes in den Blick zu nehmen.

Leichtigkeit (10.3, 1841)

Das Wort „Leichtigkeit“ hat überraschend ebenfalls einen hohen LogDice-Wert.  Bei allen 20 im DWDS angegebenen Beispielen geht es um den Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ des tschechischen Schriftsteller Milan Kundera. Es ist zu vermuten, dass der Name dieses international bedeutsamen Kunstwerkes die entscheidende Quelle für die enge Verbindung der Wörter „Leichtigkeit“ und „Sein“ ist. Gegenstand des Romans ist eine bewegende Liebesgeschichte, die sich in teilweise extremen Spannungsverhältnissen persönlicher Eigenschaften, gesellschaftlicher Bedingungen und Handlungsstränge bewegt. Dazu gehören die extreme Anzahl sexueller Affären des Mannes und die unerschütterliche Zuneigung der Frau, eine extrem tiefe Liebe der beiden zueinander, die Flucht und die Rückkehr in die Tschechoslowakei im Umfeld der 68er Ereignisse und ebenso die Leichtigkeit und Tragik des Lebens, die in einem glücklichen Zusammenleben und gemeinsamen Unfalltod münden. Das Wort „Sein“ im Titel des Romans steht für das Leben der beiden Liebenden miteinander als auch ihr Leben in verschiedenen Gesellschaften.

Schein (10.3, 935)

„Sein und Schein“ (auch „Schein und Sein“) ist ein geflügeltes Wort, das in vielen Zusammenhängen verwendet wird, um den Unterschied zwischen dem, wie es in Wirklichkeit ist und dem, wie dargestellt wird, zum Ausdruck zu bringen. Die Redewendung (Phrasem) wird verwendet

Sein bezeichnet dabei

  • ein noch nicht von einem Designer gestaltetes Objekt,
  • die, teilweise unbekannten Eigenschaften eines Menschen,
  • die realen Leistungen, das tatsächliche Können eines Menschen,
  • Tatsachen, Fakten und wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse,
  • die tatsächliche Bausubstanz oder architektonische Bedeutung eines Baudenkmals.

Mit „Sein“ wird also auch in diesem Fall eine große Palette unterschiedlicher Objekte bezeichnet, angefangen von einem einzelnen gegenständlichen Objekt wie einem Denkmal bis zu einem komplexen System von Objekten wie den Eigenschaften eines Menschen. In jedem Fall wird aber die Bedeutung von „Sein“ durch den Kontext ausreichend deutlich.

Alle diese Verwendungen können als Interpretation das Axiomensystem zum Existierenden aufgefasst werden. Ein noch nicht von einer Designfirma gestaltetes Objekt, wie der Klosterkomplex Würzburg (https://www.seinundschein.de/p/klosterkomplex-wuerzburg/) entsteht und vergeht. So ist der Klosterkomplex in seiner noch nicht designten Form in einem langen historischen Prozess ständiger Veränderung entstanden. Mit der Installation entsprechender Gestaltungselemente ist diese ursprüngliche Form des Klosterkomplexes vergangen und es ist eine neue äußere Form entstanden.

Auch in diesem Fall führt die Anwendung der neuen Betrachtungsweise zu einer Prozesssicht, es wird das Entstehen und Vergehen von Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen, von wissenschaftlichen Erkenntnissen und von Baudenkmälern in den Blick genommen.

Das Beispiel der künstlerischen Gestaltung eines Klosterkomplexes weist zwei Besonderheiten auf. Das Entstehen eines Existierenden ist in diesem Fall ein langer historischer Prozess. Mit dem Vergehen des Existierenden ist zugleich, und diesmal in historisch kurzer Zeit, ein neues Existierendes, der designte Komplex, entstanden. Das Nicht-mehr-Existierende ist ein Moment des neuen Existierenden und in diesem Fall ein wesentliches Moment.

Das Axiomensystem zum Existierenden lässt sich aber auch auf das anwenden, was in den Beispielen als Schein bezeichnet wird. Das sind

  • das von einer Designfirma gestaltete Objekt,
  • die vorgetäuschten Eigenschaften eines Menschen,
  • vorgetäuschte Leistungen Fähigkeiten eines Menschen,
  • Irrtümer und Lügen,
  • der vorgetäuschte Zustand und architektonische Wert eines Baudenkmals.

Im ersten Beispiel ist das Wort „Schein“ positiv belegt, dass alte Gemäuer erscheint in einem neuen Licht und in neuer Schönheit. In den übrigen Beispielen ist der Schein negativ konnotiert. Aber auch Täuschung und Lügen sind mögliche Interpretationen für Existierendes. Man kann untersuchen, wie diese und zu welchen Zwecken entstanden sind und wie sie überwunden werden können.

Haben (10.0, 212)

Bei allen 20 Beispielen geht es um die Wortkombination „Sein und Haben“. 11 Beispiele beziehen sich auf den Film „Sein und Haben“ des französischen Regisseur Nicolas Philibert. Die Bedeutungen von „Sein“ und „Haben“ im Titel der Dokumentation aus dem Jahr 2002 wird aus den Rezensionen zu diesem Film nicht deutlich. In der Dokumentation geht es um den Alltag in einer Grundschule der Gemeinde Saint-Étienne-sur-Usson mit knapp über 200 Einwohnern. Die Schule hat eine kleine altersgemischte Klasse mit Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren und einen engagierten Lehrer, der Geduld und Respekt für die Kinder zeigt.

Möglicherweise lehnt sich der Film von Philibert an das Buch des französischen katholischen Philosophen Gabriel Marcel „Sein und Haben“ (1954) an. Nach Bollnow (1954) geht es Marcel um das Verhältnis des „reinen“ menschlichen Seins zu dem, was der Mensch „in irgendeiner Weise ‚haben‘ kann, ihm letztlich aber äußerlich sei und er sich davon auch wieder trennen könne oder müsse“ (Bollnow 1954, S. 93). Marcel sieht in seinem „Entwurf einer Phänomenologie des Habens“ (Marcel 1954, S. 165–188) Sein und Haben als eine dialektisches Verhältnis an. Je enger und lebhafter der Mensch mit etwas verbunden ist, wie der Hof eines Bauern oder die Violine eines Musikers, umso mehr „strebt das Haben nicht mehr danach, sich zu vernichten, sondern sich zu sublimieren, sich ins Sein zu verwandeln“ (Marcel 1954, 177/178). Das menschliche Sein in diesem Sinne steht so für die Gesamtheit der Eigenschaften eines Menschen, wobei es weniger um Äußerlichkeiten des Menschen wie Haarfarbe und Körpergröße geht, sondern um seine Einstellungen, Fähigkeiten oder Kenntnisse. „Haben“ bezeichnet seinen persönlichen Besitz bzw. sein Eigentum.

Erich Fromm beschreibt in seinem gesellschaftskritischen Buch „Haben oder Sein“ von 1976 die damalige westliche Gesellschaft unter dem Aspekt der beiden „Existenzweisen“ oder „Geisteshaltungen“ Haben und Sein. Aus seiner Sicht wird diese Gesellschaft zunehmend vom Streben nach Besitz, vom fassadenhaften, markt- und konsumorientierten „Haben“ dominiert. Dem stellt er die Geisteshaltung des seelischen „Seins“ gegenüber, eine Haltung, in der Besitztümer keine Rolle spielen. Er illustriert anhand einiger Beispiele die Unterschiede zwischen der Existenzweise des Habens und des Seins, darunter Alltagserfahrungen wie Lernen, Erinnern, Sprechen, Autorität ausüben, Wissen, Glauben oder Lieben. Im Fall von Wissen sagt Fromm etwa, dass bei einer Existenzweise des Habens es nur darum gehe, sich möglichst viel Wissen einzuverleiben, etwa um eine Prüfung zu bestehen, während es bei der Existenzweise des Seins um ein produktives Zuhören und echtes Interesse am Thema gehe. Beim Lieben wiederum kontrastiert Fromm die Haltung, über den Partner als Eigentum zu verfügen, mit einer echten Liebe (nach https://de.wikipedia.org/wiki/Haben_oder_Sein).

„Sein“ ist für Fromm also eine bestimmte Haltung, die mit einer entsprechenden Lebensweise verbunden ist. „Haben“ bezeichnet nicht den Besitz eines Menschen, sondern sein Streben nach Besitz. Bereits im Titel seines Buches ist erkennbar, dass er diese beiden Strebungen als Alternativen ansieht und weniger den Fokus auf ihre wechselseitigen Beziehungen legt. So spielen etwa bei der Aneignung von Wissen in einem Lernprozess sowohl das Erkenntnismotiv als auch das Leistungsmotiv eine sich ergänzende Rolle.

Für Marcel und Fromm haben die Wörter „Haben“ und „Sein“ also jeweils eine unterschiedliche Bedeutung. Alle vier Bedeutungen lassen sich als mögliche Interpretationen des axiomatischen Begriffs des Existierenden auffassen. In drei der vier Fälle geht es um eine einzelne bzw. einen Komplex von Eigenschaften des Menschen. Eigenschaften eines Menschen entstehen im Laufe seiner Ontogenese, insbesondere im Kinder- und Jugendalter. Wesentliche Einflussfaktoren sind dabei die Erbanlagen und die Umweltbedingungen, wie die familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Eigenschaften vergehen mit dem Tod des Menschen.

Die Interpretation des Existierenden als Besitz bzw. Eigentum eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen weist einige Besonderheiten auf. Bei den Vorgängen des Vergehens und Entstehens von Eigentum müssen jeweils zwei Teilvorgänge unterschieden werden. Zum einen entsteht und vergeht Eigentum eines Menschen durch seine eigenen Tätigkeiten. Dazu zählt seine Erwerbstätigkeit als selbstständige oder unselbstständige Arbeit, seine Ausgaben für den eigenen Bedarf oder für Familienmitglieder, Beiträge für Parteien oder Vereine, Geschenke und anderes. Zu Beginn seines Lebens ist dieser Teil seines Eigentums noch nicht vorhanden und am Ende des Lebens geht er in das Eigentum seiner Erben über. Der zweite Vorgang bezieht sich auf das Erbe des Menschen etwa in Form von Kapital- oder Betriebsvermögen. Dieses Eigentum entsteht zum Zeitpunkt der Überschreibung des entsprechenden Vermögens als Erbfall oder vorgezogenes Erbe von den Erblassern. Bis zum Tod des Menschen kann dieser Teil des Eigentums etwa durch wirtschaftliche Aktivitäten weiter vergrößert oder auch vermindert werden. Nach dem Tod des Menschen oder zu einem früheren Zeitpunkt wird dieser Teil des Vermögens weiter vererbt. Das Vermögen bleibt bei den Vorgängen des Vergehens und gleichzeitigen Entstehens in gleicher Höhe erhalten, es verändert sich lediglich der Besitzer des Vermögens. Damit handelt es sich vor und nach dem Erbfall um zwei unterschiedliche Formen des Existierenden, wenn auch der Wert des Vermögens der gleiche geblieben ist. Dadurch entsteht ein historischer Vorgang der ständigen Wiederkehr von Vergehen und Entstehen von Eigentum. Um die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade in der Produktion zu beurteilen, müssen diese zyklischen Wiederholungen in den Besitzverhältnissen einer Familie oder Dynastie von den Anfängen an untersucht werden.

Nichts (8.5, 437)

Von den 20 angegebenen Beispielen für Kollokationen von Sein und Nichts beziehen sich 19 auf ihre Verwendung in der Philosophie, insbesondere in Arbeiten von Hegel, Heidegger und Sartre.

Zusammenfassung

Das Wort „Sein“ hat in der Alltagssprache eine Vielzahl von Bedeutungen, die in dem jeweiligen Kontext aber klar bestimmt sind. In der Mehrzahl der Fälle geht es um das persönliche oder gesellschaftliche Leben.

Als Gegenbegriff zum „Sein“ wird in der Alltagssprache das Wort „Nichtsein“ verwendet.

Bedeutungen von „nichts“, „Nichts“ und „Nichtsein“ in der Alltagssprache

Analyse der Bedeutungen

Ebenso wie „das Sein“ und „sein“ gemeinsame Seme haben, gilt dies auch für „das Nichts“ und „nichts“. Beide Substantive sind durch Substantivierung aus dem Verb bzw. dem Indefinitpronomen durch Konversion entstanden.

Es sollen zuerst die Bedeutungen des Indefinitpronomens „nichts“ betrachtet werden, das durch Derivation aus dem Adverb bzw. der Negationspartikel „nicht“ abgeleitet ist. In den Lexika findet man folgende Bedeutungsangaben:

  • stellt eine Sache in Abrede: nicht etwas, kein Ding (DWDS)
  • Abwesenheit von allem (Wiktionary)
  • a) bringt die vollständige Abwesenheit, das absolute Nicht-vorhanden-Sein von etwas zum Ausdruck; nicht das Mindeste, Geringste; Redewendung: nichts da! (das kommt nicht infrage)
    b) kein Ding, keine Sache (DUW)

In allen drei Quellen wird übereinstimmend nur eine Bedeutung von „nichts“ angegeben, die mit der vollständigen Abwesenheit bzw. dem absolute Nicht-vorhanden-Sein oder In-Abrede-Stellen beschrieben wird.  Bei anderen Formulierungen und Beschreibungen werden die Negationspartikel „nicht“ und das Indefinitpronomen „kein“ (nicht ein) verwendet.

„Nichts“ hat also enge semantische Beziehungen zur Negation. Der Aspekt der Negation ist bei fast allen der zahlreichen Verwendungen des Wortes „nichts“ in der Alltagssprache erkennbar.

Es gibt zahlreiche Phraseme mit dem Wort, die sicher eine der Ursachen für seine sehr große Frequenz sind. Dazu gehören (Beispiele aus DWDS für substantivische Verwendung):

  • er kannte da nichts (= er ließ sich davon nicht abhalten)
  • sie hat ihn beleidigt, aber er macht sich [Dativ] nichts daraus (= nimmt es nicht ernst)
  • umgangssprachlich: ich finde nichts dabei (= ich habe dabei keine Bedenken)
  • daraus wird nichts! (= das kommt nicht zustande!)
  • für nichts und wieder nichts hat er sich abgemüht (= umsonst hat er sich abgemüht)
  • er ist mit nichts zufrieden, ist mit nichts angekommen
  • viel Lärm um nichts (viel Gerede, Aufregung, Aufwand o. Ä. wegen einer unbedeutenden, harmlosen Angelegenheit, Situation)
  • von nichts kommt nichts (Erfolg kommt nicht von alleine, nach William Shakespeare in König Lear „Nothing can come of nothing“)
  • mir nichts, dir nichts war er weg (= plötzlich war er weg)

Es ist erkennbar, dass das Indefinitpronomen nichts in der Alltagssprache in sehr unterschiedlichen aber stets verständlichen Formulierungen vorkommt.

Für das Substantiv Nichts werden in den Quellen folgende Bedeutungen angegeben:

DWDS:

  1. Abwesenheit jeglicher physikalischer Existenzform
  2. a) [Philosophie] absolutes Nichtsein; Gegensatz zum Sein und zum Seienden
  3. b) als leer gedachter Raum (des Alls):
  4. [übertrieben] kaum vorhandene Substanz:
  5. [abwertend] Mensch, der keinerlei Achtung genießt, den keiner respektiert, der keine soziale Stellung hat o. Ä.

Wiktionary:

  1. Ort, an dem nichts existiert, Raum, der leer ist
  2. abstrakt, philosophisch: Gegenteil von Sein
  3. abwertend, von einer Person: jemand ohne Rang und Ansehen

DUW:

  1. a) (Philosophie) absolutes Nichtsein; Gegensatz zum Sein und zum Seienden
    b) als lehrgedachter Raum [des Alls]
  2. verschwindend geringe Menge, Anzahl (von etwas Bestimmtem); in seiner Ausführung, Form, Gestalt o. ä. sehr klein, unscheinbar o. ä. sein
  3. (abwertend) Mensch, der keinerlei Achtung genießt, den keiner respektiert, der keine soziale Stellung hat o. ä.

Erstaunlicherweise stimmen die Eintragungen im DWDS und DUW in Vielem überein. Im DWDS ist zur ersten Bedeutung noch eine gemeinsame Überschrift (Abwesenheit jeglicher physikalischer Existenzform) zu den Unterpunkten a) und b) enthalten. Eine Grundlage der Entwicklung des DWDS war die 2002 erfolgte Digitalisierung des Wörterbuchs der deutschen Gegenwartssprache, das von der Deutschen Akademie der Wissenschaften (später: Akademie der Wissenschaften der DDR) zwischen 1952 und 1977 erarbeitet wurde. Das DUW ist in 1. Aufl. 1983 erschienen und von Mitarbeitern der Duden Redaktion erarbeitet worden.

Die in allen drei Quellen angegebene erste Bedeutung entspricht der Bedeutung des Indefinitpronomens nichts, die vollständige Abwesenheit jeglicher Sachen oder Dinge. Im DWDS ist diese Abwesenheit auf physikalische Existenzformen eingeengt. Dies ist nicht sinnvoll, da es auch um mentale Objekte gehen kann, wie die folgenden Analysen der Beispiele zeigen. Besser wäre es, von der vollständigen Abwesenheit von Objekten zu sprechen.

Im DWDS und DUW wird als Beschreibung der Bedeutung in der Philosophie das absolute Nichtsein angegeben. Das DWDS gibt als Bedeutung von Nichtsein lediglich an, dass es um einen gehobenen Ausdruck geht und sich auf „Sein oder Nichtsein (= Leben oder Tod)“ bezieht. Als Beispiel wird auch lediglich das entsprechende Zitat im Hamlet von Shakespeare genannt. Mit einer Frequenz von 0,2 kommt das Wort in der Alltagssprache äußerst selten vor. Im DUW wird Nichtsein erklärt mit „das Nichtexistieren, Nichtvorhandensein“, eine im Vergleich mit dem DWDS wesentlich allgemeinere Beschreibung.

Die jeweils zweite Bedeutung im DWDS und DUW entspricht nicht der vollständigen Abwesenheit eines Objektes, sondern einer sehr geringen Quantität eines Objektes. Diese Bedeutung fehlt im Lexikon Wiktionary. Als ein Beispiel für die Bedeutung “Gegenteil von Sein“ wird aber das Zitat angegeben: „Ich sah, daß sie selbst einen Hut trug; es war eher eine kleine Kappe, ein schwarzes Nichts, das schief in ihrem Haar saß.“ (Erich Maria Remarque: Das gelobte Land.) In diesem Beispiel geht es nicht um das Gegenteil von Sein, sondern um die Bedeutung von Nichts als etwas verschwindend Geringes.

Die dritte, in allen drei Quellen angegebene Bedeutung in Bezug auf Eigenschaften eines Menschen hat ebenfalls nichts mit der vollständigen Abwesenheit von Objekten zu tun.

Insgesamt kann man die bei der Substantivierung von nichts übertragene Bedeutung als Hauptbedeutung des Substantivs Nichts ansehen. Die beiden letzten Bedeutungen können eher als umgangssprachliche Verwendungen des Wortes Nichts verstanden werden.

Im Folgenden soll eine Reihe von den in den Quellen genannten Beispielen zum Wort Nichts betrachtet werden.

Zur Hauptbedeutung:

  • Wie aus dem Nichts taucht ein Zivilfahnder auf. (DWDS)
  • Es verschwand im Nichts. (Wiktionary)
  • Alle Vorwürfe lösten sich in einem Nichts auf. (Wiktionary)
  • „Grenfeld öffnete die Augen und sah Magnusson ins Nichts starren.“ (Robert Baur: Blutmai) (Wiktionary)
  • Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht (man hatte sie nicht kommen sehen) (DUW)

In allen Beispielen ist die Bedeutung von Nichts als absolute Abwesenheit eines Objektes nicht erkennbar. In dem Phrasem „auftauchen aus dem Nichts“ geht es nicht um einen leeren Raum, sondern es wird mit dem Phrasem zum Ausdruck gebracht, dass eine Person völlig unerwartet und überraschend erschienen ist. Es geht also um die Eigenschaft des Vorgangs des Erscheinens einer Person. Gleiches gilt für das Verschwinden im Nichts, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass eine Person sich plötzlich und unerwartet zu einem unbekannten Ort entfernt. Mit dem Starren ins Nichts wird ein verlorener Blick ausgedrückt. Wenn Vorwürfe sich in Nichts auflösen ist gemeint, dass sie gegenstandslos geworden sind. Im letzten Fall könnte man von der vollständigen Abwesenheit einer Sache, den Vorwürfen, sprechen.

Zur Bedeutung als verschwindend geringe Menge

  • Bei der mehrstündigen, umfangreichen Zeugenvernehmung schmolzen die Vorwürfe gegen den jungen Afrikaner aus Guinea zu einem Nichts zusammen. (DWDS)
  • Vor 50 Jahren stand das Land [Korea] vor dem Nichts. (DWDS)
  • vor dem Nichts stehen (plötzlich durch einen bestimmten Umstand mittellos geworden sein) (DUW)
  • sie trug ein Nichts von einem Bikini (DUW)

In allen Beispielen bedeutet Nichts nicht die vollständige Abwesenheit eines Objektes., Was insbesondere im letzten Beispiel deutlich wird.

Zur Bedeutung als wertende Aussage über einen Menschen

  • Ohne Auto bist du ein Nichts in Marzahn. (DWDS)
  • Hier sind Sie ein Nichts, Herr Baron! (Wiktionary)

Auch in diesen Fällen geht es nicht um die vollständige Abwesenheit von Objekten.

Analyse von Kollokationen

Eine Analyse von Beispielen für Kollokationen mit dem Wort Nichts im DWDS ergab eine Reihe von Problemen, z. B. zur Unterscheidung von Indefinitpronomen und seiner Substantivierung.

Alle (11.9, 23)

Wenn Deutschland heute gegen Italien antritt, geht es also für die Fans um „alles“ und um „nichts“ – um das Nichts des Weiterkommens und um das Alles der Anerkennung (Der Tagesspiegel, 04.07.2006).

Es geht um das Spiel Deutschland gegen Italien im Halbfinale der Weltmeisterschaft 2006, das Deutschland in der letzten Minute der Verlängerung verlor und damit auch im fünften WM-Vergleich mit Italien ohne Sieg blieb. Die Formulierung des Journalisten soll offensichtlich bedeuten, dass für die Fans das Weiterkommen ohne Bedeutung ist und es vor allem um einen Sieg gegen Italien geht. Das Wort „nichts“ wird also hier im Sinne von „ohne Bedeutung“ verwendet, was angesichts der tatsächlichen Bedeutung des Halbfinales als letzter Schritt zum Finale ohnehin fragwürdig ist. Mit der Substantivierung im Artikel ändert sich die intendierte Bedeutung nicht.

Unmöglich (10.4, 19)

Alle 18 Beispiele beziehen sich auf den Film „Junior – Nichts ist unmöglich“, in dem ein Mann schwanger wird. Das Wort „nichts“ ist in diesem Fall ein Indefinitpronomen, auch wenn es großgeschrieben wird. Das Sprichwort „Nichts ist unmöglich.“ bedeutet „Alles ist möglich.“ Und geht schon auf die Bibel zurück: „Für Gott ist nichts unmöglich“ (Lukas 1:37, Gute Nachricht Bibel).

Niemand (8.3, 16)

Drei Beispiele beziehen sich auf die Komödie „Keine Angst vor Nichts und Niemand“ und zwei Beispiele auf den Film „Ein Flattern zwischen Nichts und Niemand“. Auch in diesen Fällen handelt es sich um Indefinitpronomen, die grammatisch korrekt kleingeschrieben werden müssten. Die Pronomen bedeuten in dem Titel der Komödie, dass es keine Sache und keine Person gibt, vor der man Angst haben soll. Mögliche Substantivierungen wären „ein Nichts“ oder „ein Niemand“ und würden sich in beiden Fällen auf einen Menschen beziehen, was dem Sinn des Titels nicht entspricht.

Gähnend (7.6, 40)

„Holmes Firma Theranos war ein potemkinsches Dorf, hinter der Fassade verbarg sich ein gähnendes Nichts“ (Sturz einer Heldin. Frankfurter Rundschau, 29.06.2018).

In dem Artikel geht es um die US-Bürgerin Elizabeth Anne Holmes, die 2022wegen Betrug zu 11 14 Jahren Haft verurteilt wurde. Sie war Geschäftsführerin des inzwischen insolventen und liquidierten Blutlaborunternehmens Theranos. Bis zur Aufdeckung des Betrugs galt sie als erste weibliche Selfmade-Milliardärin der Welt. Der Autor des Beitrages verwendet das Phrasem „potemkinsches Dorf“, nach einer Anekdote aus der Zeit der russischen Zarin Katharina der Großen, wo entlang einer Wegstrecke beim Besuch der Zarin Dörfer aus bemalten Kulissen aufgestellt worden seien. Mit dem Phrasem wird heute nicht nur die Abwesenheit von Objekten hinter einer „Fassade“ bezeichnet, sondern auch das Verbergen eines schlechten Zustandes hinter einer „glänzenden Fassade“. Dies betrifft auch den in dem Beitrag beschriebenen Fall, mit Nichts wird also nicht die Abwesenheit jeglicher Objekte, sondern die Abwesenheit von Objekten in einer vorgetäuschten Form bezeichnet. Dies entspricht nicht der in den Quellen angegebenen Hauptbedeutung von Nichts als vollständige Abwesenheit, sondern die Abwesenheit von Objekten in einer bestimmten Form. Dies könnte man als Bedeutung von Nichts im übertragenen Sinne verstehen. Eine Verallgemeinerung ist nicht sinnvoll, da man dann zum Beispiel analog von einem Schüler sagen könnte, dass seine Kenntnisse ein Nichts sind, wenn sie nicht vollständig das beinhalten, was man erwartet.

„In der Prüfung ist im Kopf plötzlich nur noch ein gähnendes, schwarzes Nichts“ (Mascha Dinter, dpa: Schluss mit Prüfungsangst. Frankfurter Rundschau, 01.09.2012).

Das Substantiv Nichts bedeutet in diesem Fall tatsächlich die vollständige Abwesenheit von Objekten, nämlich abrufbaren Kenntnissen im Kopf eines Menschen. Es geht in diesem Fall nicht um die Abwesenheit physikalischer Existenzformen wie es im DWDS als Hauptbedeutung angegeben wird, sondern um die Abwesenheit mentaler Objekte.

Lärm um (9.2, 575)

Alle 20 Beispiele beziehen sich auf die Komödie „Viel Lärm um Nichts“ (Much adoe about Nothing), von William Shakespeare, bei der es um zahlreiche Verwirrungen, Verwechslungen und Intrigen um liebende Menschen mit einem glücklichen Ende geht. Das Wort „nichts“ ist ein Indefinitpronomen und müsste grammatisch korrekt klein geschrieben werden. Es geht nicht um das Nichts oder ein Nichts, sondern um eine letztlich belanglose Sache.

Das Axiomensystem zum Existierenden lässt sich auch auf die Hauptbedeutung des Wortes Nichts als vollständige Abwesenheit von Objekten anwenden. Als ein Beispiel sei das „Auflösen von Vorwürfen in einem Nichts“ betrachtet. Das Existierende ist in diesem Fall die vollständige Abwesenheit von Vorwürfen. Das Existierende entsteht, indem die vorhandenen Vorwürfe gegen eine Person oder Sache in Diskussionen oder Gerichtsverfahren entkräftet werden und sich so als gegenstandslos erweisen. Das Noch-nicht-Existierende sind in diesem Fall also die Vorwürfe. Das Vergehen des Existierenden bedeutet, dass der Zustand der vollständigen Abwesenheit aufgehoben wird, das also erneut Vorwürfe erhoben werden. Wenn der Prozess des Vergehens nicht stattfindet, besteht der Zustand der Abwesenheit eine unendliche Zeit.

Das zweite Beispiel sei das „gähnende, schwarze Nichts“ im Kopf eines Prüflings. Das Existierende ist in diesem Fall die vollständige Abwesenheit von bestimmten abrufbereiten Kenntnissen oder anderen mentalen Zuständen. Noch-nicht-Existierendes sind die vorhandenen Kenntnisse vor dem vollständigen Vergessen und Nicht-mehr-Existierendes nach dem Zustand des vollständigen Vergessens. Beim Noch-nicht-Existierende und Nicht-mehr-Existierenden handelt es sich in diesem Fall also um fast identische Objekte. Das „gähnende Nichts“ könnte auch nur eine teilweise Abwesenheit von Kenntnis bedeuten, womit das Wort Nichts analog zum Beispiel mit der US-Bürgerin Elizabeth Anne Holmes wieder im erweiterten Sinne verwendet wird.

Zusammenfassung

Das Wort Nichts wird in der Alltagssprache in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Es scheint allerdings recht wenige Beispiele zu geben, in denen das Wort in der in den Quellen angegebenen Hauptbedeutung einer vollständigen Abwesenheit von Objekten verwendet wird.

Zusammenfassung

Die Wörter „Sein“ und „Nichts“ besitzen in der Alltagssprache unterschiedliche, aber jeweils explorierbare Bedeutungen, die keinen oder nur einen geringen metaphysischen Charakter haben, wie oft in der Philosophie und Theologie. Es gibt zahlreiche Bezüge zu den hier verwendeten Begriffen Existierendes und Nichtexistierendes.

Literaturverzeichnis

Bollnow, Otto Friedrich (1954): Besprechungsaufsatz. Gabriel Marcel: Sein und Haben. In: Antares – Französische Hefte für Kunst, Literatur und Wissenschaft 2 (7), S. 92–95.

Kunkel, Melanie (Hg.) (2023): Duden Deutsches Universalwörterbuch. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Bibliographisches Institut. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Dudenverlag.

Marcel, Gebriel (Hg.) (1954): Sein und Haben. Übersetzung und Nachwort Ernst Behler. Paderborn: Ferdinand Schöningh.