Zitate und Gedanken zu Pirmin Stekeler (2020a): Hegels Wissenschaft der Logik, Band 1

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Generelles zur Publikation

Ausgewählte Inhalte mit Kommentaren

Literaturverzeichnis

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Alle Texte mit linkem Einzug außer den Aufzählungen sind Zitate. Alle Seitenangaben bei den Zitaten ohne weiteren Quellennachweis beziehen sich auf (Stekeler 2020a)

Es werden folgende Siglen für die Werke Hegels verwendet, die sich alle auf einen Band der Theorie Werkausgabe (Hegel 1970) beziehen, bei WL erfolgt als Zusatz noch die Bandnummer. 

PhG:      Phänomenologie des Geistes

WL:        Wissenschaft der Logik

Generelles zur Publikation

Das Buch ist der erste Band einer dreibändigen Ausgabe zur Kommentierung der Wissenschaft der Logik (Stekeler 2020b, 2022). Die drei Bücher sind mit einem Gesamtumfang von 3500 Seiten eine überarbeitete und wesentlich ergänzte Fassung des Buches Hegels Analytische Philosophie (Stekeler 1992), das einen Umfang von 446 Seiten hat. In den drei Büchern ist der gesamte Text von Hegels Wissenschaft der Logik enthalten, der in der Suhrkamp Ausgabe einen Umfang von 1030 Seiten hat.

Im Personenregister finden sich mit Ausnahme einer Nennung von Walter Jaeschke keine deutschen Hegelforscher wie Andreas Arndt, Dieter Henrich, Rolf Peter Horstmann, Michael Quante u. a., so dass z. B. die folgenden Monographien und Sammelwerke zu Hegels Wissenschaft der Logik von Stekeler nicht explizit berücksichtigt werden: (Quante und Mooren 2018), (Rohs 2016), (Henrich 1986), (Arndt und Iber 2000), (Arndt et al. 2006), (Arndt und Kruck 2016), (Cho 2006), (Hüllen 2006). Daneben bleiben zahlreiche Beiträge in anderen Publikationen außerhalb der Betrachtungen. Von einem so groß angelegten Werk ist eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen deutschsprachigen Literatur zu erwarten.

Es werden sehr häufig Mathematiker, Vertreter der analytischen Philosophie, des deutschen Idealismus und des antiken Griechenlands referiert. Es fällt dabei auf, dass von den griechischen Philosophen Aristoteles nicht erwähnt wird, dafür sehr oft Platon und Parmenides. Allerdings trat in den etwa 300 von mir gesichteten Seiten dreimal der Name Aristoteles auf.

Es gibt zu folgenden Personen dreimal oder öfter eine Seitenangabe (in Klammern die Anzahl ohne Berücksichtigung von folgenden Seiten):

Achill (4), Agrippa (6), Anaximander (10), Archimedes (4), Barrow (5), Berkeley (8), Bolzano (5), Brahma (4), Brandom (4), Cantor (16), Carnap (13), Cauchy (6), Cavalieri (4), Dedekind (7), Descartes (36), Einstein (7), Euklid (10), Euler (7), Fichte (23), Frege (51), Galilei (12), Heidegger (21), Heraklit (26), Hilbert (5), Hobbes (6), Hume (38), Jacobi (5), Kant (90), Kepler (21), Kripke (4), Lagrange (17), Le Sage (5), Leibniz (53), Locke (6), Malebranche (5), Marx (5), Münchhausen (4), Napoleon (5), Newton (38), Nietzsche (6), Parmenides (39), Platon (71), Plotin (5), Popper (4), Protagoras (4), Quine (15), Russell (24), Ryle (4), Schelling (10), Sellars (4), Sokrates (15), Spinoza (38), Theseus (5), Weierstraß (8), Wittgenstein (32), Wolff (4).

Von den genannten 56 Personen sind alleine 21 Mathematiker bzw. Physiker, die teilweise auch Beiträge zur Philosophie geleistet haben.

Stekeler beschäftigt sich häufig mit theologischen Fragen. Während in WL I das Wort „Gott“ und seine Wortformen nur 41-mal auftritt, kommt es auf den Seiten 33-37 des Buches von Stekeler insgesamt 27-mal vor. Auch das Wort „Glauben“ ist sehr oft im Text zu finden, während es bei Hegel nur fünfmal auftritt. Im Sachregister sind für das Stichwort „Theologie“ insgesamt 20 Seiten angegeben.

Ein weiteres typisches Merkmal des Buches, das mit dem dominanten Bezug auf die von Mathematikern entwickelte analytische Sprachphilosophie verbunden ist, ist die häufige Verwendung von Mittel und Methoden der Prädikatenlogik (Quantorenlogik) zur Darstellung und Exploration philosophischer Sachverhalte.

Man kann also insgesamt feststellen, dass diese umfangreiche Publikation zu Hegels Wissenschaft der Logik in mehreren Beziehungen wenig ausgewogene Betrachtungsweisen enthält und wesentliche Teile der deutschsprachigen Hegel-Literatur ignoriert.

Das Buch wurde nach Google-Scholar bisher 10-mal zitiert.

Ausgewählte Inhalte mit Kommentaren

Die für Hegel typische Antwort auf alle diese Ausweitungen endliche Perspektiven ist in einem berühmten Kernsatz zusammengefasst. Das Wahre ist das Ganze. Diese Formel besagt sinngemäß, dass nicht der theoretische Grund die empirische Existenz trägt, dass auch nicht Axiome als erste Sätze Theoreme begründen, sondern die Axiome nur dichte Artikulationen der aus ihnen erhältlichen Theoreme sind, sodass in Wahrheit die Theoreme die Wahl der Axiome begründen. (S. 45)

Gedanken:

  • Die gesamte Tragweite des Kernsatzes von Hegel wird mit diesen Ausführungen nicht erfasst. Die negative Bestimmung, dass nicht der theoretische Grund die empirische Existenz trägt, ist zumindest seltsam, da es umgekehrt auch nicht gilt und es hier um eine Diskussion des Verhältnisses von Theorie und Praxis ginge.
  • In typisch analytischer Denkweise wird der Inhalt der grundlegenden Aussage von Hegel auf das Verhältnis von Axiomen und Theoremen reduziert, was von Hegel nur an einer Stelle in der WL II ausgeführt wurde. Das Wort Axiom und seine Wortformen treten in der WL I nur einmal und in der WL II nur elfmal auf. Man kann die Philosophie nicht aus der Sicht des Verhältnisses von Axiomen und Theoremen erklären.

Wir haben schon die Gründe genannt, warum heutige Leser sich darüber verwundern oder gar aufregen, dass Hegel in seine logischen Überlegungen die Totalitätswörter „Sein“ oder „Werden“ immer auch in Verbindung gesetzt hat zu anderen derartigen Titelwörtern wie „Substanz“ oder „Gott“. Dabei ist Hegel aber erstens nicht allein, sondern führt nur eine bekannte Tradition fort, in die auch Leibniz und Spinoza einzuordnen sind. Und er tut es mit Recht, weil in religiösen Praxen und theologischer Rede immer wesentlich auch die Haltungen der Menschen zu ihrer Gesamtlage in der Welt explizit gemacht sind. Zweitens bemerkt Hegel den grundsätzlichen Mangel aller logischen Analysen, welche auf eine spekulative Reflexion im Umgang mit derartigen Ganzheitsbegriffen verzichten. Indem sie sich nämlich immer nur in endlichen, d. h. als schon definiert unterstellten Gegenstands- oder Redebereichen herumtreiben, können Sie die Voraussetzungen nicht mehr bedenken, die sie machen, wenn sie diese Bereiche als konstituiert unterstellen (S. 63).

Gedanken:

  • Hinter diesen Ausführungen von Stekeler stehen seine religiösen Grundüberzeugungen. Er hält eine Verbindung von philosophischen Begriffen und Betrachtungen mit theologischen Begriffen und religiösen Praxen für notwendig. Dazu führt er zwei Begründungen an. Zum einen ist er der Meinung, dass nur auf dieser Weise „Haltungen der Menschen zu ihrer Gesamtlage in der Welt“ explizit gemacht werden können. Die Sicht auf nicht theologisch fundierte philosophische Schriften zeigt, dass dies auch dort erfolgt. Zum anderen hält er es für notwendig, dass man den Ursprung der existierenden Realität hinterfragt. Dies läuft auf Probleme der Schöpfung hinaus. Solche Betrachtungen sind, wie die entsprechende Literatur zeigt, für das Verständnis und das Handeln in der gegenwärtigen Welt nicht erforderlich.

Es gibt keine positiv-wahren Aussagen über das Sein, die ganze Welt, die ganze Natur oder Gott. Alle Totalitätsaussagen sind vielmehr immer irgendwie unendlich falsch. Ironischerweise stimmt Hegel in dieser Diagnose mit seinen Kritikern überein. Man denke an Beispiele wie: „Das Sein ist ewig“. Der Satz ist falsch, da alles Seiende in der Welt endlich, sein Sein ein zeitlicher Prozess, ein Werden ist. „Das Nichts gibt es nicht“. Der Satz ist falsch, da der nominalisierte Ausdruck „das Nichts“ nur auf den Quantor „nichts“ reflektiert und dieses Wort sich wie das Wort „alles“ immer nur auf einen begrenzten Variablenbereich bezieht, … (S. 64).

Gedanken:

  • Wieder wird der Begriff „Gott“ in einer Reihe mit anderen philosophischen Begriffen genannt.
  • Die kühne Aussage, dass alle Totalitätsaussagen falsch sind, lässt sich mit dem danach folgenden Beispiel widerlegen. Stekeler begründet, dass der Satz „Das Sein ist ewig.“ falsch ist. Daraus würde folgen, dass die Negation des Satzes „Das Sein ist nicht ewig.“ als Totalitätsaussage richtig wäre. Nun ist allerdings die Negation ebenfalls falsch, wenn unter Sein alles verstanden wird, was existiert. Dazu gehören auch Zusammenhänge in der Realität, wie sie etwa durch das Fallgesetz beschrieben werden. Diese Zusammenhänge sind durchaus ewig, d. h. unabhängig von der Existenz eines Menschen oder einer Erde.
  • Auch der zweite Satz ließe sich durch eine Negation eine wahre Aussage umformen. Zur Diskussion des zweiten Satzes müsste zunächst der Begriff „nichts“ expliziert werden. Stekelers Betrachtungen bewegen sich auf der Ebene der Prädikatenlogik. Selbst bei einem begrenzten Variablenbereich wäre zu klären, was in Bezug auf diesen als nichts bezeichnet wird.

Im Folgenden gebe ich eine Aneinanderreihung mehrerer Zitate an, die sich über viele Seiten erstrecken und sich mit den Begriffen Sein, Nichts, Werden und Dasein beschäftigen. Die Intensionen von Stekeler werden erst in der Gesamtsicht auf diese Ausführungen deutlich, bei denen es viele Wiederholungen gleicher Gedanken gibt.

Der formale Widerspruch aus der Doppelbelegung des Wortes „Sein“ als Oberbegriff für alles, was so oder so, dieses oder jenes ist, und alles, was nicht so oder so, dieses oder jenes ist, wird in einem gewissen Sinn aufgehoben, indem wir das innerweltliche Sein von nicht bloß abstrakten Gegenständen im Obertitel durch das Werden, also das Anfangen und Enden aller empirisch-innerweltlichen Dinge, ersetzen. Aus dem abstrakten Kontrast von Sein und Nichts wird dadurch der reale Kontrast zwischen zeitlichem Dasein und Nicht-Dasein. Die Analyse des Daseins führt zur Differenzierung des Ansichseins als Bestimmung der Gattung G (oder auch eine Art von G) ‚von etwas‘, wie wir sagen, und des Fürsichseins als der Bestimmung der Identitätsbedingungen von Einzelgegenständen in G (S. 223).

Die Grob-Einteilung der Logik Hegels ist daher wie folgt zu begreifen: In der sogenannten Logik des Seins oder der Seinslogik geht es um die Kontraste Sein und Nichtsein, Sein und Werden, also auch Dasein und Noch-nicht- oder Nicht-mehr-Sein bzw. das zeitlose oder besser zeitallgemeine Ansichsein (S. 234).

Sein und Nichts, Sein und Nichtsein sind nur nicht dasselbe, wenn wir mit dem „nicht“ einen Unterschied artikulieren können, also etwa sagen können „X gibt es“, „Y gibt es nicht“, „X existiert“, „Y existiert nicht“, oder dann auch „N ist ein P“, „M ist kein P“. In Bezug auf die reale Welt kommt hinzu, dass wir den Kontrast brauchen zwischen „N ist noch nicht da“, „jetzt ist M da“, „nun ist K nicht mehr da“. Mit anderen Worten, der Begriff des Seins verweist von selbst auf die weiteren Kategorien des Nichtseins, Noch-nicht-Seins, Nicht-mehr-Seins, also auf das Werden und das Dasein. Dieser Verweis bedeutet gerade, dass das Sein nur Moment ist im Kontrast zwischen Sein und Nichtsein, dann im Kontrast zwischen Sein und Schein, Sein und Wesen etc. Wie auch Heidegger in seinen Metaphysik-Vorlesungen ausführt, sind Sein und Nichtsein also keine kontextfreien Kategorien, sondern logische Form-Momente unseres Unterscheidens in der Welt (S. 241).

Der folgende Kommentar von Stekeler bezieht sich auf folgenden Text aus der WL I: „Die Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seins und des Nichtseins – oder, in reflektierterer Form, der Einheit des Unterschieden- und des Nichtunterschiedenseins – oder der Identität der Identität und Nichtidentität“ (WL I, S. 74).

Es gibt weitverbreitete Mystifizierungen der hegelschen Redeweise von einer ‚Identität der Identität und Nichtidentität‘ oder des ‚Unterschieden- und Nicht-unterschieden-Seins‘. Mein Vorschlag lautet, die Formel als Artikulation der Einsicht zu lesen, dass jeder Gegenstand und jede Einheit … nur dadurch bestimmt sein kann, dass eine Gleichheit zwischen unterschiedlichen Gegebenheiten desselben definiert ist. Eine Gleichheit aber ist eine Negation einer immer möglichen Unterscheidung, also eine Ununterschiedenheit, die sich ergibt aus der Möglichkeit, auf Unterscheidungen zu verzichten (S. 267).

Nicht nur ‚das absolute Wahre‘ in einem Gesamtblick auf ‚die ganze Welt‘ sub specie aeternitatis [lat. unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit] oder mit dem Auge eines Gottes ist also eine Identität von Identität und Nichtidentität. Die zunächst kryptische Formel gilt neben der Welt im Ganzen auch für jeden Gegenstand in der Welt. Sie betrifft dessen Sein und Einheit. Sie besagt auf leicht merkbare Weise, dass in jeder Rede von einem Gegenstand verschiedene Präsentationen oder Repräsentationen als gleichwertige Bezugnahmen auf dasselbe, eben den Gegenstand, bestimmt und bekannt sind oder unterstellt werden (müssen). Was als dasselbe zählt, auf das wir uns daher auf vielfältige Weise beziehen (können) ist aber gar nicht unabhängig von dem bestimmbar, was wir als äquivalente Bezugnahmen anerkennen (würden) (S. 268).

Hegel selbst erklärt, dass ein Anfang mit dem leeren Wort „Gott“ auf ein und dasselbe hinausläuft wie ein Beginn mit den Wörtern „Anfang“ oder „Sein“. Das ist auch deswegen so, weil Gott als der Anfang und das Ende der Welt, ihr Alpha und Omega gefasst wird – wobei hier die Welt durchaus auch als das gegenwärtige Weltall zu verstehen ist mit seinem Anfang und seinem Ende (S. 278).

Man soll sich hier noch nichts inhaltlich klar Bestimmtes vorstellen. Es ist auch keine Definition dessen zu erwarten, was das reine Sein ‚ist‘. Dennoch sollten wir auf die Besonderheiten des Sinnes von derartigen ‚ist-Sätzen‘ achten, etwa der Art, dass das Sein die ganze immanente Welt sei oder dass das Sein dasselbe sei wie Gott. Besonders problematisch und zugleich wichtig sind Sätze, die sagen, dass das reine Sein bestimmungslos sein müsse, gerade weil es in seiner Reinheit und unterstellten Unmittelbarkeit rein, abstrakt, an sich zu betrachten sei und sich insofern von dem ebenfalls völlig bestimmungslosen Nichts oder Nichtsein gar nicht unterscheide. Es finden sich daher nur erst einige Erläuterungen zu den Wörtern „Sein“ (auch „ist“) und „rein“, wobei das letztere einerseits dasselbe bedeutet wie „abstrakt“ und „formal“, andererseits aber auch „ohne alle weitere Bestimmung“. Ganz generell bedeutet die Rede von einem reinen Gegenstand, dass man über die Form des Gegenstandes, Themas oder Bereichs spricht. Das reine Sein wird also so zur allgemeinen Form des Seins (S. 289).

Hegel kann sich in seiner Zeit noch nicht so ausdrücken, wie wir es inzwischen gewohnt sind, nämlich unter Benutzung von Konventionen, mit denen wir signalisieren, ob wir gerade über Ausdrücke wie „das Sein“ sprechen und dabei etwa doppelte Anführungszeichen setzen oder im Gebrauch zugleich auch auf die ‚Bedeutungen‘ und ‚Begriffe‘ verweisen und dabei sozusagen im Vorbeigehen einfache Anführung benutzen, die als solche nicht bloß die Ausdrucksweise sondern einen zu bedenkenden Inhalt mit spitzen Fingern und leiser Distanz hervorheben (S. 290).

Wir können allerdings unterscheiden zwischen etwas anschauen oder nichts anschauen oder etwas denken und nichts denken. In diesem Sinne hat es Sinn und Bedeutung zu sagen: „Er schaute nichts an“ oder „Er dachte nichts“. Die Nominalisierung des Wörtchens „nichts“ im Ausdruck „das Nichts“ verweist also auf keinen Gegenstand mit Namen „das Nichts“, wie moderne Leser regelmäßig meinen … Das Nichts nennt nur die Form der Verwendung des Wortes „nichts“. Jede Interpretation von Hegels Logik, die das Gesagte nicht so auf syntaktische und semantische Gebrauchsformen der Ausdrücke bezieht, geht schon im Ansatz an Hegels Überlegungen vorbei. Nicht sinnvoll ist es allerdings zu meinen oder zu sagen, es gäbe ein Nichts oder das Nichts. Hegel hat zwar selbst einige Mühe, das zu artikulieren. Aber bei geduldiger Lektüre sagt er ganz explizit, dass „Nichts“ entweder bloß auf die Aussageformen „nichts ist X“ verweist (und dabei auf eine begrenzten Bereich Bezug nimmt, der definiert, worauf sich hier gerade die Variable „etwas“ bezieht), oder nur Titel sein kann für ein leeres Denken, qua bloßes Reden ohne bestimmten Sinngehalt, oder ein leeres Anschauen, ohne jede bestimmte Differenzierung des Angeschauten (S. 292).

Die Unterscheidung zwischen Sein (als all das was den Ausdrucksformen ‚ist‘, ‚ist da‘ oder ‚ist so‘ entspricht) und Nichtsein (der Form ‚ist nicht‘) findet nicht in einem reinen Sein statt, das wegen seiner Reinheit sich nicht von einem leeren Nichts unterscheiden lässt, sondern im Werden, in einer Welt der sich ändernden Bestimmungen, in der alles, was irgendwie bestimmt ist, immer nur bestimmt ist für eine endliche Zeit und in Bezug auf eine bestimmte, endliche Perspektive. … „Werden“ ist also der wahre Titel für die Unterscheidung zwischen einem endlichen bestimmten Sein und einem endlichen bestimmten Nichtsein (S. 294).

Sein im Werden aber ist das Dasein. Es bezieht sich auf die eingeklammerte Zeit der Präsenz, in welcher etwas da ist, wobei man nicht nur an dingliche Gegenstände zu denken hat, sondern auch an so einfache Sachen wie den gegenwärtigen Regen, … Es gibt daher schon für semantische ‚Einwortsätze‘ die Zeitlichkeit des ‚Es regnet., ‚Es regnet gerade nicht‘, ‚Es wird wieder regnen‘. Mit ihrer Äußerung drücken wir ein Bestehen oder Nichtbestehen ein Sein oder ein Nichtsein aus, und zwar in empirischer Bezugnahme auf ein Dasein, eine zunächst präsentische Situation (S. 295).

Die Entgegensetzung von Etwas und Nichts setzt normalerweise schon eine Bestimmung des zugehörigen Etwas als eines Gegenstandes eines bestimmten Typs oder einer bestimmten Art oder Gattung G voraus. … Das Wort „nichts“ negiert hier also ähnlich wie „niemand“ ein bestimmtes „es gibt“, drückt also eine negierte Existenzquantifikation in einem schon wohlkonstituierten (halb-)sortalen Gegenstandsbereich G aus. In genau diesem Sinne ist es ein bestimmtes Nichts. … Die (zumeist implizite) Bestimmung des Nichts besteht in der Angabe des relevanten Gegenstandsbereiches G der Sachen, über welchen quantifiziert wird.

Was es heißt, „das Nichts in seiner unbestimmten Einfachheit zu nehmen“, ist zunächst unklar. Es bedeutet aber, erstens, dass man nur die gerade analysierte Form zu betrachten hat, zweitens, dass man die Angabe der Bestimmung des Bereiches nicht weglassen kann (S. 297).

Gedanken:

  • Die Ausführungen werden von einer syntaktischen Denkweise dominiert. So unterscheidet Stekeler zwischen einem Ausdruck, den er auch Titel oder Titelwort nennt und in doppelte Anführungszeichen setzt, und Bedeutungen oder Begriffen, die er mit einfachen Anführungszeichen versieht. Ein Ausdruck oder Titel im Sinne von Stekeler ist aus linguistischer Sicht ein Lexem. Ein Begriff beinhaltet die Existenz eines Begriffswortes, also eines Lexems, und ein System von Bedeutungen. Der Sinn dieser formalen Unterscheidung zwischen einem Begriffswort bzw. Titel und einem Begriff wird in den Ausführungen nicht deutlich. Ein Titelwort ohne ein gleichzeitig angegebenes System von Momenten ist ein leerer Begriff. Mit der Zuordnung eines Prädikates zu dem Titel ist recht wenig getan. Diese formale Betrachtung der Struktur der Sprache scheint aber das Wesen der analytischen Sprachphilosophie zu sein, die Stekeler dominant verwendet
  • Stekeler versucht, die Aussagen Hegels zu erläutern, dass die Begriffe „Sein“ und „Nichts“ keine Bestimmungen haben und in diesem Sinne ein und dasselbe sind. Dabei wiederholt er im Wesentlichen nur Hegels Worte, ohne auf mögliche Gründe für die Betrachtungsweise einzugehen.
  • Zugleich sagt er aber auch mit Bezug auf Heidegger, dass Sein und Nichtsein „keine kontextfreien Kategorien sind, sondern logische Form-Momente unseres Unterscheidens in der Welt“ (S. 241), wozu er auch entsprechende Beispiele bringt. Auf den Unterschied in der Verwendung der Begriffe Sein und Nichts und die Hintergründe geht er nicht explizit ein..
  • Er wiederholt mehrfach den Gedanken, dass das Verhältnis von Sein und Nichts durch die Betrachtung zeitlicher Veränderungen, also durch das Werden, eine inhaltliche Bedeutung erhält. Der Begriff des Seins verweist nach seinen Worten „von selbst auf die weiteren Kategorien des Nichtseins, Noch-nicht-Seins, Nicht-mehr-Seins, also auf das Werden und das Dasein“ (S. 241). Deshalb ist „Werden“ „also der wahre Titel für die Unterscheidung zwischen einem endlichen bestimmten Sein und einem endlichen bestimmten Nichtsein (S. 294)“. Werden ist für ihn eine „Welt der sich ändernden Bestimmungen, in der alles, was irgendwie bestimmt ist, immer nur bestimmt ist für eine endliche Zeit und in Bezug auf eine bestimmte, endliche Perspektive“ (S. 294). Diese Interpretation des Werdens steht im Gegensatz zu der Bedeutung dieses Begriffs bei Hegel (WL I, S. 83). Hegel geht es an dieser Stelle um den Übergang des bestimmungslosen Sein und Nichts ineinander, den er als Werden bezeichnet. Er bleibt zunächst auf der rein abstrakten Ebene. Man kann auf dieser Ebene das Werden nicht mit einem endlich bestimmten Sein oder Nichtsein in Verbindung bringen. Erst mit dem Begriff „Dasein“ (WL I, S. 115 ff.) ändert sich die Bedeutung der Begriffe Sein und Nichts, so ist Dasein bestimmtes Sein.
  • Stekeler erfasst mit seinen rein syntaktischen Betrachtungen nicht den tieferen Sinn von Hegels Ausführungen zum bestimmungslosen Sein, Nichts und Werden. Es geht Hegel um eine Unterscheidung zwischen dem Unreflektierten als den Gegenständen der Erkenntnis und den Ergebnissen der Reflexion, die er als bestimmt oder vermittelt bezeichnet.
  • Dieses Anliegen wird in dem wiedergegebenen Zitat aus der WL I, S. 74 deutlich. Als noch nicht reflektierten Anfang der Philosophie bezeichnet er den „Begriff der Einheit des Seins und Nichtseins“. Eine reflektierte Form dieser Einheit ist die Einheit „des Unterschieden- und des Nichtunterschiedenseins“. Diese Einheit kann nach seinen Worten auch als „Identität der Identität und Nichtidentität“ bezeichnet werden. Man kann also diese kryptische Formulierung nicht für sich interpretieren ohne den Bezug zu dem vorherigen Text herzustellen. Das Unterschiedensein ist eine Reflexion des Seins und das Nichtunterschiedenensein ist eine Reflexion des Nichts. Die Unterscheidbarkeit von Objekten in der Realität, also im Dasein, ist eine Voraussetzung für die Feststellung von Gleichheit, also Identität, als wesentliches Merkmal des Existierenden. Das Noch-nicht-Existierende ist nicht unterscheidbar, weil es noch keine konkreten Objekte gibt.
  • Stekeler erfasst diesen Grundgedanken von Hegel nicht. Er stellt lediglich heraus, dass eine Gleichheit die Unterschiedenheit voraussetzt. Dies bezieht er sowohl auf Gegenstände als generell auf jede Einheit, ohne diese Unterschiede zu diskutieren. Da es die Möglichkeiten gibt, auf Unterscheidungen zu verzichten, fasst er dies als die Ununterschiedenheit auf, die eine Negation der Gleichheit ist. Das ist eine sehr formale und eigenartige Interpretation der Ununterschiedenheit. Der Bezug zum Nichtsein wird dabei nicht hergestellt.
  • In Bezug auf einen Gegenstand heißt es für ihn, dass bei „einem Gegenstand verschiedene Präsentationen oder Repräsentationen als gleichwertige Bezugnahmen“ (S. 268) auf den Gegenstand bestimmt werden müssen. Mit dieser seltsamen Redeweise will er offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass ein Objekt durch ein System von Gedanken bestimmt sein muss. Der Gedanke Hegels von der Ununterschiedenheit tritt dabei nicht mehr auf.
  • Obwohl Stekeler die Kategorien Noch-nicht-Sein und Nicht-mehr-Sein an mehreren Stellen diskutiert, geht er dann doch an vielen anderen Stellen von dieser Betrachtungsweise wieder ab und betrachtet das Nichts oder Nichtsein losgelöst vom Werden. Damit ignoriert er den grundlegenden Gedanken von Hegel, dass die Kategorien Sein, Nichts und Werden eine Einheit bilden.
  • So gibt er an, dass mit dem Wort „nicht“ ein Unterschied zum Ausdruck gebracht werden kann, etwa in dem Beispiel „X gibt es“, „Y gibt es nicht“ (S. 241). Mit dieser Beziehung zur Negation wird das Wesen des Begriffs „Nichts“ im Sinne von Hegel nicht erfasst. Dies betrifft auch seine Beispiele zum „etwas anschauen oder nichts anschauen oder etwas denken oder nichts denken“ (S. 292). Er ist der Meinung, dass man bei „geduldiger Lektüre Hegels“ herausfinden kann, dass „das ‚Nichts‘ entweder bloß auf die Aussageformen ‚nichts ist X‘ verweist (und dabei auf eine begrenzten Bereich Bezug nimmt, der definiert, worauf sich hier gerade die Variable ‚etwas‘ bezieht), oder nur Titel sein kann für ein leeres Denken, qua bloßes Reden ohne bestimmten Sinngehalt, oder ein leeres Anschauen, ohne jede bestimmte Differenzierung des Angeschauten“ (S. 292). Wenn man also zum Beispiel als Gegenstandsbereich für X die Lehrkräfte einer Grundschule verwendet, und als Gegenstandsbereich für „etwas“ die Kinder an dieser Schule so würde die Aussage „nichts ist X“ bedeuten, dass kein Kind Lehrkraft an der Schule ist, was nichts mit dem Begriff „das Nichts“ von Hegel zu tun hat. Auch nicht sehen oder nichts denken sind keine Beispiele der das Verhältnis von Sein und Nichts. Stekeler behauptet dann sogar, dass man „schon im Ansatz an Hegels Überlegungen vorbeigeht“, wenn man „das Gesagte nicht so auf syntaktische und semantische Gebrauchsformen der Ausdrücke bezieht“ (S. 292). Stekeler weist zutreffend darauf hin, dass es nicht sinnvoll ist zu sagen, es gäbe ein Nichts oder das
  • Eine Konsequenz aus diesen vielen Problemen nichtzutreffenden Bezügen zu Hegels Begriff „das Nichts“ sollte sein, auf diesen Begriff zu verzichten und dafür den Begriff „das Nichtexistierende“ zu verwenden.
  • In vielen Stellen stellt Stekeler immer wieder Bezüge zu theologischen Begriffen und Betrachtungen her. Er geht sogar so weit festzustellen, dass Gott als der Anfang und das Ende der Welt aufgefasst werden kann.
  • Unklar bleiben seine Ausführungen zu dem Begriff „rein“. Nach seiner Auffassung bedeutet „die Rede von einem reinen Gegenstand, dass man über die Form des Gegenstandes, Themas oder Bereichs spricht. Das reine Sein wird also zur allgemeinen Form des Seins (S. 299). Bei Hegel in der WL ist dieser Bezug nicht zu finden. Nur an einer Stelle in der WL I spricht Hegel von der Form des Seins: „Das Nichtsein so in das Sein aufgenommen, daß das konkrete Ganze in der Form des Seins, der Unmittelbarkeit ist, macht die Bestimmtheit als solche aus“ (S. 116). Hegel verwendet die Begriffe „rein“ und „Form“ in de WL in verschiedenen Bedeutungen.
  • Stekelers Ausführungen auf der Seite 297 (die beiden letzten Zitate) beziehen sich auf die Anmerkung 1 von Hegel zu Sein, Nichts und Werden im ersten Kapitel. Hegel fasst hier diese Begriffe als bestimmungslos, als Grundlage der Reflexionen auf. Es geht also an dieser Stelle noch nicht um Gegenstandsbereiche oder Negationen, wie Stekeler es darstellt. Entsprechend ist auch seine Interpretation von Hegels Formulierung, „das Nichts in seiner unbestimmten Einfachheit zu nehmen“ (WL I, S. 84), nicht zutreffend. Stekeler hat den grundlegenden Unterschied von Reflektiertem und Nichtreflektierten nicht erfasst, den Hegel, allerdings in umständlicher Form, herausgearbeitet hat.
  • Die vielen Fehlinterpretationen von Stekeler zum Text von Hegel können aus meiner Sicht auf seine dominante sprachanalytische Denkweise und wohl auch auf sein Verhaften in einem System theologischer Begriffe und Vorstellungen zurückgeführt werden.

Literaturverzeichnis

Arndt, Andreas; Iber, Christian (2000): Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven. Berlin: Akad.- Verl. (Akademie Philosophie 1-2010). Online verfügbar unter http://www.oldenbourg-link.com/doi/book/10.1524/9783050047010.

Arndt, Andreas; Iber, Christian; Kruck, Günter (Hg.) (2006): Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Berlin: Akademie (Hegel-Forschungen).

Arndt, Andreas; Kruck, Günter (Hg.) (2016): Hegels Lehre Vom Wesen. Unter Mitarbeit von Günter Kruck. Berlin/Boston: De Gruyter Inc (Hegel-Jahrbuch Sonderband Ser, v.8). Online verfügbar unter https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=4459615.

Cho, Chong-Hwa (2006): Der Begriff der Reflexion bei Hegel. In Bezug auf die Wesenslogik in Hegels Wissenschaft der Logik. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin. Institut für Philosophie. Online verfügbar unter https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/16222/cho.pdf?sequence=1&isAllowed=y.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1970): Werke in zwanzig Bänden. 1. bis 10. Tausend. 20 Bd. mit Registerband. Hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Theorie Werkausgabe).

Henrich, Dieter (Hg.) (1986): Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion. Symposion des Instituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaft der Sowjetunion und der Internationalen Hegelvereinigung. Moskau, Oktober 1980. 1. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta (Veröffentlichungen der Internationalen Hegel-Vereinigung, 16).

Hüllen, Larissa (2006): Herkunft und Bedeutung der Reflexionsbestimmungen in Hegels Wesenslogik. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Online verfügbar unter https://hdl.handle.net/20.500.11811/2474.

Quante, Michael; Mooren, Nadine (Hg.) (2018): Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Hegel-Studien Beiheft, 67).

Rohs, Peter (2016): Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der hegelschen Wissenschaft der Logik. Print-on-Demand-Nachdruck der 3., durchges. Aufl. von 1982. Hamburg: Meiner, F (Hegel-Studien, Beihefte, 06). Online verfügbar unter https://meiner.de.

Stekeler, Pirmin (1992): Hegels analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung. Paderborn: Schöningh.

Stekeler, Pirmin (2020a): Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: Die objektive Logik, Die Lehre vom Sein, Qualitative Kontraste, Mengen und Maße. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Philosophische Bibliothek, Band 690).

Stekeler, Pirmin (2020b): Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 2: Die objektive Logik. Die Lehre vom Wesen. 1. Auflage. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Philosophische Bibliothek, Band 691).

Stekeler, Pirmin (2022): Hegels Wissenschaft der Logik. Ein dialogischer Kommentar. Band 3: Die subjektive Logik. Die Lehre vom Begriff. Urteil, Schluss und Erklärun. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Philosophische Bibliothek).