Hans-Dieter Sill, 24.04.2023
Zitate und Gedanken zu Heinrichs (1983 [1. Aufl. 1974]): Die Logik der ‚Phänomenologie des Geistes‘
Inhalt
Ausgewählte Inhalte mit Kommentaren
Zur Zitierweise
Alle Texte mit linkem Einzug außer den Aufzählungen sind Zitate. Alle Seitenangaben bei den Zitaten ohne weiteren Quellennachweis beziehen sich auf Heinrichs (1974).
Es werden folgende Siglen für die Werke Hegels verwendet, die sich alle auf einen Band der Theorie Werkausgabe (Hegel 1970) beziehen, wobei teilweise als Zusatz noch die Bandnummer erfolgt.
- Diff: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie
- PhG: Phänomenologie des Geistes
- WL: Wissenschaft der Logik
- GPhR: Grundlinien der Philosophie des Rechts
- Enz: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
- VPhG: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
- VRel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion
- VGPh: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
- JLM: Jenaer Logik und Metaphysik, in (Hegel 1971)
Generelles zur Publikation
Der Autor will eine sogenannte logische Analyse der Phänomenologie vornehmen, indem er die von Hegel angeblich nachdrücklich betonte ‚Kongruenz‘ von Logik und Phänomenologie nachweist, ohne die es „weder eine adäquate Werkanalyse und Interpretation der Phänomenologie noch eine systematische Auswertung dieses vielleicht bedeutendsten Werkes des ‚Deutschen Idealismus‘ geben“ (S. XI) könne. Damit sieht er die Ergebnisse seiner Arbeit als notwendige Grundlage für jegliche Interpretation der Phänomenologie. Das ist ein großer Anspruch.
Die Darstellung ist durch ein häufiges Aufwerfen von Fragen charakterisiert, die nicht immer nachvollziehbar sind aber zum Teil auf Probleme des englischen Textes hinweisen.
Die Arbeit hat eine Reihe enger Beziehungen zu theologischen Auffassungen und Publikationen. So beruft sich Heinrichs bei dem Begriff „Sinn“ auf den Theologen Paul Tillich (S. 8). Er beruft sich an vielen Stellen auf Arbeiten der Theologen Falk Wagner (1971), Ferdinand Ulrich (1970), Gerhart Schmidt (1960), Thomas Haering (1934), Lorenz B. Puntel (1981 [1. Aufl. 1971]), Jörg Splett (1965). Die Phänomenologie wird vom Autor als eine Art „Reise des Geistes zu Gott“ aufgefasst. Seine grundlegende Dreiecksstruktur der Phänomenologie erinnert an die christliche Trinitätsauffassung.
Heinrichs setzt sich in der Arbeit mit zahlreichen Publikationen zur Phänomenologie auseinander, die er oft kritisch diskutiert. Die Diskussionen finden allerdings meist im Rahmen seiner zahlreichen Fußnoten statt, bei denen er am Ende auf die Zahl von 337 kommt.
Nach Google Scholar wurde die Arbeit bisher nicht zitiert.
Ausgewählte Inhalte mit Kommentaren
Entscheidend wurde die Einsicht, dass jede verantwortbare und ernstzunehmende systematische Auseinandersetzung mit Hegels frühem Hauptwerk erst einmal die Frage zu beantworten hat, in welcher Weise der phänomenologische Gedankengang von der „Logik hinter dem Bewusstsein“ (578) organisiert wird und um welches Stadium der Ausarbeitung der Hegelschen Logik es sich dabei handelt. Die Tatsache dieser spekulativ-logischen ‚Organisation‘ der phänomenologischen Gestalten wird von Hegel aufs deutlichste hervorgehoben. Das Wie blieb bisher – trotz einiger zu besprechen der Versuche – fast vollkommen ungeklärt. Ohne Klärung dieser Frage wird es aber weder eine adäquate Werkanalyse und Interpretation der Phänomenologie noch eine systematische Auswertung dieses vielleicht bedeutendsten Werkes des ‚Deutschen Idealismus‘ geben können. … Es wird sich erweisen, wie bodenlos es ist, den Systematiker und Logiker Hegel vom Verfasser der Phänomenologie als einem ‚lebendigen Philosophen‘ trennen zu wollen (S. XI).
Kann vielleicht auch die von Hegel nachdrücklich betonte ‚Kongruenz‘ von Logik und Phänomenologie auch einen Zugang zu Logik selbst bieten? … Das Hinüber- und Herübergehen von der Logik zur Phänomenologie wird die Möglichkeit bieten, „die reinen Begriffe der Wissenschaft in dieser Form von Gestalten des Bewusstseins zu erkennen“ (PhG, S. 589) und damit nicht nur die Logizität der phänomenologischen Gestalten, sondern zum Teil auch umgekehrt den Sinn der logischen Momente in und aus ihrer Konkretion als Bewusstsein zu erfassen (S. XII-XIII).
Die reinen Bewegungen der logischen Wesenheiten findet in Gestalten des Bewusstseins ihre „Realität“ und ihr „Dasein“: „Die reinen Begriffe der Wissenschaft in dieser Form von Gestalten des Bewusstseins zu erkennen, macht die Seite ihrer Realität aus, …“ (PhG, S. 589). Bewusstseinsgestalt lässt sich somit geradezu definieren als die Wirklichkeit, die ein logisches Moment im Vollzug des Bewusstseins findet (S. 61).
Gedanken:
Ohne weitere Begründung geht der Autor wie selbstverständlich davon aus, dass Hegel eine Kongruenz seiner Schriften Phänomenologie mit Wissenschaft der Logik intendiert hat und die „spekulativ-logischen ‚Organisation‘ der phänomenologischen Gestalten … aufs deutlichste hervorgehoben“ hat. Die angegebene Quelle S. 578 ist weder in der Phänomenologie noch in Wl I und WL II enthalten. Der Verweis auf das Zitat von Seite 589 der Phänomenologie ist eine Fehlinterpretation, wie ich bereits in dem Exzerpt zu (Fulda 1984 [1. Aufl. 1966]) nachgewiesen habe. Mit „Wissenschaft“ meint Hegel an dieser Stelle nicht die Wissenschaft der Logik sondern eine beliebige Wissenschaft, die den „Gestalten des Bewusstseins“ entspricht. Bereits aus den wenigen Beispielen, die Hegel in der Phänomenologie verwendet wie Baum, Haus oder Papier ist erkennbar, dass dies keine Begriffe der Wissenschaft der Logik sind. Das Grundanliegen des Autors ist also von vornherein ein Holzweg.
„Absolutes“ besagt zunächst so viel wie die ihrer Momente (Subjekt – Objekt etc.) umgreifende Einheit von ‚Sinn‘, die gerade für einen kritischen Anfang unhintergehbar, ‚losgelöst‘ von irgendwelchem Äußeren … und in diesem Sinne absolut ist. Das Äußere, von dem sich die Sinneinheit des Absoluten einerseits abzulösen scheint, gehört andererseits selbst als Moment in diese Sinneinheit. Der Philosophie kann es allein um dieses Ganze von Sinn gehen. … Philosophie ist Auslegung des Absoluten oder Sinn-Hermeneutik. Auch wenn Hegel diese Worte nicht gebraucht, so dürfte sein Vorhaben eine Auslegung des Absoluten auf eine derartige Formel wie Sinnhermeneutik zu bringen sein (S. 8-9).
Gedanken:
Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Begriffe bzw. ihr Inhalt „Sinn“ und „Sinn-Hermeneutik“, die der Autor sie auf verwendet, eine zentrale Rolle bei Hegel spielen. Hegel verwendet das Wort „Sinn“ im alltagssprachlichen Sinne in der Phänomenologie 27-mal, ohne es zu thematisieren.
Bedeutet das Sich-Einlassen der Wissenschaft auf das erscheinende Wissen um ihrer intersubjektiven Ausführung willen nicht eine Kompromittierung der Wissenschaft? Das Eingehen auf diesen Gedanken führt Hegel zu einer zweiten Bestimmung der Idee des Werkes: „Weil nun diese Darstellung nur das erscheinende Wissen zum Gegenstande hat, so scheint sie selbst nicht die freie, in ihrer eigentümlichen Gestalt sich bewegende Wissenschaft zu sein, sondern sie kann von diesem Standpunkte aus als der Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt, genommen werden, oder als der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch ihre Natur ihr vorgesteckter Stationen, durchwandert, daß sie sich zum Geiste läutere, indem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist“ (PhG, S. 72).
Die Herablassung der Wissenschaft zum erscheinenden Wissen wird dadurch gerechtfertigt, dass es einen Weg des natürlichen Bewusstseins zum Geist gebe, der in sich vollständig und dadurch wissenschaftlich sein könne. … So wie Hegel sich nicht auf eine feststehende Größe von natürlichem Bewusstsein bezieht, sondern auf die jeweilige unorganische Natürlichkeit …, so stellt auch nicht etwa der Leser das natürliche Bewusstsein dar, das seinen Weg bis zur vollständigen Erfahrung des Absoluten zu gehen hat. Wenn man die Phänomenologie des Geistes als eine Art von itinerarium mentis in Deum [lat. die Reise des Geistes zu Gott] für den Leser verstehen will, so kann dies nur im Sinne eines Nachvollzuges des Bewusstseinsweges richtig sein. Die „Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins“ ist zwar auch der im Lesen gegangene Weg des zeitgenössischen Bewusstseins im Sinne eines Repräsentanten zeitgenössischer philosophischer Bildung, will jedoch als solcher ‚kurzer‘ Weg des Lesers zum Standpunkt der Wissenschaft zugleich Nachvollzug des ‚langen‘ geschichtlichen Weges des je natürlichen Bewusstseins durch alle seine Stationen sein. Daraus ergibt sich eine wesentliche Konsequenz für die hermeneutische Struktur des Werkes, die bisher nicht beachtet wurde: wenn das natürliche Bewusstsein nicht identisch ist mit dem Bewusstsein des Lesers bzw. erst gegen Ende des Buches den Standpunkt des Lesers selbst erreicht haben wird, wenn aber andererseits auch der Leser ein noch vorläufiges, in Bezug auf die Hegelsche Wissenschaft vorwissenschaftliches Bewusstsein repräsentiert, dann sind grundsätzlich drei Bewusstseinsinstanzen und -standpunkte zu unterscheiden:
- der Standpunkt des Autors (Standpunkt der Wissenschaft)
- der Standpunkt des Lesers (des zeitgenössischen philosophischen Bewusstseins)
- der Standpunkt des jeweiligen natürlichen Bewusstseins.
Ziel des Buches ist das Zusammenfallen dieser drei Standpunkte. … Die Unterscheidung der drei Bewusstseinsinstanzen vom wissenschaftlichen (wie wir sehen werden: logischen) Bewusstsein des Autos, von philosophisch gebildetem Bewusstsein des Lesers (wir werden nur dieses ‚phänomenologisches Bewusstsein‘ nennen) und jeweils natürlichem Bewusstsein wird sich als sehr wichtig für eine methodische und logische Analyse erweisen (S. 12-13).
Gedanken:
Die Ausführung des Autors belegen erneut ein grundlegendes Fehlverständnis, indem er die von Hegel genannte „Wissenschaft“ als „Wissenschaft der Logik“ interpretiert. Aus dem angeführten Zitat von Hegel geht eindeutig hervor, dass sich die Phänomenologie mit dem erscheinenden Wissen einer Wissenschaft beschäftigt und dabei geht es wie das gesamte Werk zeigt, eindeutig nicht um die Begriffe der Wissenschaft der Logik.
Mit dieser Fehlinterpretation hängt dann wohl auch die nicht begründete Auffassung von den drei Bewusstseinsinstanzen zusammen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Autor den Standpunkt der Wissenschaft der Logik einnimmt, genauso wenig, dass ein Leser der Phänomenologie, der „ein noch vorläufiges, in Bezug auf die Hegelsche Wissenschaft vorwissenschaftliches Bewusstsein repräsentiert“ zu diesem Standpunkt geführt werden soll. Während die ersten beiden Standpunkte sich auf das Denken von Personen beziehen, bleibt beim dritten Standpunkt unklar, wer der Träger dieses Bewusstseins sein soll.
Mit dieser fragwürdigen Ausgangslage und seltsamen Dreiteilung, die die methodologische Grundlage für die Analyse des Werkes darstellen, werden auch alle weiteren Ausführungen fragwürdig. Es sollen deshalb auch nur noch einige ausgewählte Textstellen analysiert werden, um die Sinnlosigkeit dieses Ansatzes und weitere Probleme der Interpretation deutlich zu machen.
Von dieser ‚Dreieckstruktur‘ des Werkes lässt sich nun auch das Wort vom „sich vollbringenden Skeptizismus“ (PhG. S. 72) deuten. Der Weg des natürlichen Bewusstseins könne als „der Weg des Zweifels angesehen werden, oder eigentlich als der Weg der Verzweiflung“ (PhG, S. 72). … Wer hat diese Einsicht, wer zweifelt, wer verzweifelt? Die bewusste Einsicht in die Unwahrheit des jeweils vermeintlichen Wissens hat der Autor vom Standpunkt der Wissenschaft, und er teilt sie uns (den Lesern) mit, soweit wir sie nicht schon von uns aus haben. Jedoch, der Autor zweifelt und verzweifelt nicht, auch nicht am „natürlichen Bewusstsein“. Denn Zweifel ist ein Ungewissheit setzender Erkenntnisakt, und von Ungewissheit über die bloß vorläufige Wahrheit des je erscheinenden Wissens wird die Wissenschaft nicht mehr befallen. … Die Rolle des Zweiflers kommt eigentlich dem phänomenologischen Bewusstsein des Lesers zu. Er vollbringt den Skeptizismus, den die Wissenschaft schon hinter sich hat, während das natürliche Bewusstsein zu ihm nicht fähig ist (mit Ausnahme der Gestalt, die „Skeptizismus“ heißt, die sich aber nicht positiv zu vollbringen vermag). Der Leser muss den Skeptizismus durchführen, um den Boden der Wissenschaft zu erlangen. (S. 14-15)
Gedanken:
Mit „vollbringendem Skeptizismus“ bezeichnet Hegel die „bewusste Einsicht in die Unwahrheit des erscheinenden Wissens, dem dasjenige das Reellste ist, was in Wahrheit vielmehr nur der nicht realisierte Begriff ist“ (PhG, S. 72). Die bewusste Einsicht bezieht sich auf den erkennenden Wissenschaftler, der in seinem Erkenntnisprozess die Gestalten des Bewusstseins durchläuft und jeweils ihre Unwahrheit im Sinne ihrer Unvollkommenheit erkennt. In dem Text von Heinrichs wird dieser klare Sachverhalt durch seinen konstruierten Bezug auf drei Bewusstseinsinstanzen in unklaren und widersprüchlichen Formulierungen verdeckt. Was soll es bedeuten, dass der Autor, also Hegel, die „bewusste Einsicht in die Unwahrheit des jeweils vermeintlichen Wissens“ hat, die er dem Leser der Phänomenologie mitteilt? Was soll es bedeuten, dass der Leser die Rolle des Zweiflers übernimmt und den Skeptizismus vollbringt? Der Skeptizismus ist zudem keine Gestalt des Bewusstseins im Sinne von Hegel. Es geht in der Phänomenologie doch nicht darum, dass der Leser des Buches ein Erkenntnisprozess durchführt und zu einem wissenschaftlichen Ergebnis gelangt, sondern dass dieser Erkenntnisprozess in seinen wesentlichen Zügen allgemein dargestellt wird.
Das natürliche Bewusstsein stellt die jeweils reflektierte Bewusstseinsstufe dar, der Leser die jeweilige Stufe des reflektierenden Bewusstseins, der Autor aber die zu ihrem Ende gelangte Reflexion – den spekulativen Standpunkt. … Der spekulativ-logische Standpunkt ist durch die Reflexion vermittelt. Die Phänomenologie will gerade die Darstellung dieser Vermittlung sein. Dadurch ist sie die Darstellung des Reflexionsganges in seinen wesentlichen Stufen. Dass das Reflexionsprinzip eine kaum zu überschätzende Bedeutung für das Werk hat, konnte wegen Hegels Betonung des „reinen Zusehens“ und der für den Gang des Werkes geforderten phänomenologischen d. h. zusehenden Einstellung weithin übersehen werden. … Die am Ende geltende Identität aller drei Bewusstseinsinstanzen liegt schon am Anfang dem ganzen Werk zugrunde als die Identität von Bewusstsein überhaupt. Nur so ist die Unverfänglichkeit unseres Zusehens gewährleistet. Hegel hat diese methodische Prämisse nicht genügend zum Ausdruck gebracht. Die aufgeworfene hermeneutische Problematik findet allein im Reflexionsgedanken ihre grundsätzliche Lösung (S. 24-25).
Gedanken:
Die Formulierung des „Zusehens“ wird sehr oft von Heinrichs verwendet. In der Phänomenologie kommt das Wort „zusehen“ nur viermal vor, zweimal davon im Sinne des Zusehens bei einem Erkenntnisprozess (PhG, S. 75), worauf sich Heinrichs bezieht. Hegel diskutiert an dieser Stelle das Problem des Maßstabes, der an das „erscheinende Wissen“, also den aktuellen Erkenntnisstand, in der jeweiligen Phase des Erkenntnisprozesses anzulegen ist. Hegel vertritt dabei den Standpunkt, dass dieser Maßstab nicht von außen (von „uns“ wie er formuliert) gesetzt werden braucht, sondern im Bewusstsein selber vorhanden ist. Damit meint er die bisherigen Kenntnisse des Menschen, mit denen dieser den neuen Erkenntnisgegenstand beurteilt. Man braucht also an diesem Erkenntnisprozess nicht von außen einzugreifen, sondern im übertragenen Sinne nur „zusehen“. Es bleibt unverständlich, aus welchen Gründen Heinrichs aus dieser einfachen Tatsache einen derartigen Aufwand an Betrachtungen betreibt.
Im Zitat ist ebenfalls erkennbar, dass Heinrichs der Begriff der Reflexion in inflationärer und in unspezifischer Weise verwendet. Hegel spricht bei Reflexion in der Regel von „Reflexion in sich“, während es bei Heinrichs um Reflexionen zwischen verschiedenen Personen und einem ominösen „natürlichen Bewusstsein“ geht. Heinrichs ordnet das von ihm apostrophierte natürliche, phänomenologische und spekulative Bewusstsein verschiedenen Reflexionsebenen zu (S. 54).
Heinrichs versteht unter dem Begriff der bestimmten Negation eine doppelte Negation bzw. eine Negation der Negation (S. 35-36). Damit verwendet er diesen Begriff anders als Hegel, obwohl Heinrichs ein entsprechendes Zitat aus der WL I angibt, in dem Hegel diesen Begriff erläutert.
Worin besteht nun der Unterschied zwischen dem spekulativen und dem phänomenologischen Begreifen der Bewusstseinserfahrungen? Das letztere erkennt, wie wir wissen, den Zusammenhang zwischen den Bewusstseinserfahrungen als denjenigen der bestimmten Negation durch Reflexion. Eben dadurch werden ihm die Vorstellung des Bewusstseins (die der Phänomenologe zunächst einmal als Vorstellungen erfasst) zu Gedanken. Doch er kann sie auf das Fürsichsein des Bewusstseins beziehen und dadurch auch verstehen, dass die höheren, jeweils neuen Inhalte durch die Negation von Seiten des reflektierenden Bewusstseins angereichert sind. Wir bemerkten schon früher, dass das phänomenologische Bewusstsein die bestimmte Negation nicht selbst durchführt, sondern nur zusieht. Das Bewusstsein führt sie durch, weiß allerdings nicht um den Zusammenhang. Das spekulative Bewusstsein stellt … die Synthese beider dar: Es vollzieht die bestimmte, doppelte Negation, indem es ihr zusieht. Daher begreift es das nur erst Gegebene. (S. 68-69).
Gedanken:
Die Wortkombinationen „spekulatives Begreifen“ und „spekulatives Bewusstsein“ treten bei Hegel in der Phänomenologie nicht auf, werden aber von Heinrichs sehr oft verwendet, ohne dass er ausreichend erklärt, was er darunter versteht. In dem wir oft verworrenen Text bleiben viele Fragen offen. Was soll es bedeuten, dass Vorstellungen zu Gedanken werden? Welches Bewusstsein führt die bestimmte Negation durch? Was bedeutet es, dass das spekulative Bewusstsein die Synthese herstellt, indem es die bestimmte doppelte Negation vollzieht in dem es ihr zusieht?
Die Logik der „einfachen Beziehung“ in der JLM stimmt in den Umrissen mit der später so genannten Seinslogik überein. Dass diese ihrerseits mit dem ersten Kapitel der Phänomenologie über die sinnliche Gewissheit zu tun hat, ist zu offensichtlich, als dass darüber ganz im allgemeinen eine Uneinigkeit zwischen bisherigen Versuchen bestünde (auch wenn W. Purpus [(Purpus 1905)] von vornherein wesenslogische Kategorien mit ins Spiel bringt) (S. 107).
Dass es sich bei dem angegebenen einführenden Abschnitt zur sinnlichen Gewissheit um die Dialektik von Sein und Nichts handelt, ist schnell erwiesen. … Die Ausdrücke „Nichtseiendes“ oder „Negatives“ überhaupt fallen zwar erst später (PhG, S. 84, Abs 96), doch es ist kaum zweifelhaft, dass das Zugleich von Fülle und Abstraktheit des Seins bereits hier die dialektische Selbigkeit von Sein und Nichts beinhaltet. Freilich sagt Hegel nicht, die sinnliche Gewissheit enthalte ein Nichts an Erkenntnis. Die radikale Selbigkeit von Sein und Nichts ihren reinen Gedanken nach lässt sich an der sinnlichen Gewissheit gar nicht zeigen – weil sie es immer schon mit bestimmten Bestimmtheiten zu tun hat, mit dem reinen Sein in seine Vielheit (S. 116-117).
Gedanken:
Für seine Behauptung auf Seite 107 für den „offensichtlichen“ Zusammenhang von Seinslogik und sinnlicher Gewissheit gibt Heinrichs keine Quellen an.
Dass es sich bei der sinnlichen Gewissheit um die Dialektik von Sein und Nichts handelt, erscheint fragwürdig, zumal Heinrichs selber angibt, dass die „Selbigkeit von Sein und Nichts ihren reinen Gedanken nach … sich an der sinnlichen Gewissheit gar nicht zeigen“ lässt. Auch wird nicht klar, wie in der gleichzeitigen Fülle und Abstraktheit des Seins die dialektische Selbigkeit von Sein und Nichts enthalten ist.
Ein Nutzen für das Verständnis der Grundidee der sinnlichen Gewissheit ist aus diesen Beziehungen zu logischen Kategorien nicht erkennbar.
Heinrichs beschäftigt sich ausführlich mit dem Religionskapitel, das für ihn eine „Schlüsselstellung in der Gesamtarchitektur der Phänomenologie“ hat (S. 461). Dabei verwendet er zahlreiche Begriffe, Formulierungen und Schlussweisen aus der christlichen Theologie, die sich bei Hegel so nicht oder in anderer Bedeutung finden lassen.
In dieser Menschwerdung des göttlichen Wesens als eines selbsthaften Wesens besteht für Hegel der „einfache Inhalt der absoluten Religion“. (S. 527)
Gedanken:
Heinrichs hat nur einen Teil des Zitats wiedergegeben, es lautet vollständig: „Diese Menschwerdung des göttlichen Wesens, oder daß es wesentlich und unmittelbar die Gestalt des Selbstbewußtseins hat, ist der einfache Inhalt der absoluten Religion. In ihr wird das Wesen als Geist gewußt, oder sie ist sein Bewußtsein über sich, Geist zu sein“ (PhG, S. 552). Für Hegel ist die „Menschwerdung des göttlichen Wesens“ nicht etwas Übersinnliches, sondern er verbindet seine Überlegungen zu Religion mit seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen.
Die gegenseitige Entäußerung des absoluten und des wirklichen (empirischen) Selbst im Glauben beinhaltet, dass der menschgewordene Gott „eine wirkliche Mutter, aber einen ansichseienden Vater hat“ (PhG, S. 550): die wirkliche Mutter ist das empirische Selbstbewusstsein, der Ansichsein der Vater das Selbstbewusstsein des Geistes als solchen oder das absolute Selbstbewusstsein. … Durch die geschichtliche Einmaligkeit und Unmittelbarkeit der Inkarnation wird (zunächst) die Unverfügbarkeit der göttlichen Selbstentäußerung gewährleistet. Nur so bleibt die Inkarnation kein bloßer Gedanke des sehenden unglücklichen Bewusstseins, mit dem dieses spielen könnte, sondern „es ist wirklich an dem“ (PhG, S. 551): das Bewusstsein ergreift diesen Gedanken erst in allem Ernst und aller Tragweite, in dem es anerkennt, dass dieser Mensch göttlich sei. Daher gilt auch nicht etwa bloß das wirkliche Selbstbewusstsein dieses Menschen als göttlich …, sondern gerade auch die leibliche Unmittelbarkeit (527 f).
Gedanken:
Auch in diesem Fall ignoriert Heinrichs wieder wesentliche Teile des Textes und deutet die Auszüge in seinem theologischen Sinne. Hegel schreibt: „Es kann daher von diesem Geiste, der die Form der Substanz verlassen und in der Gestalt des Selbstbewußtseins in das Dasein tritt, gesagt werden – wenn man sich der aus der natürlichen Zeugung hergenommenen Verhältnisse bedienen will -, daß er eine wirkliche Mutter, aber einen ansichseienden Vater hat; denn die Wirklichkeit oder das Selbstbewußtsein und das Ansich als die Substanz sind seine beiden Momente, durch deren gegenseitige Entäußerung, jedes zum anderen werdend, er als diese ihre Einheit ins Dasein tritt“ (PhG, S. 550). Und weiter: „Das unmittelbare Ansich des Geistes, der sich die Gestalt des Selbstbewußtseins gibt, heißt nichts anderes, als daß der wirkliche Weltgeist zu diesem Wissen von sich gelangt ist; dann erst tritt dies Wissen auch in sein Bewußtsein und als Wahrheit ein. Wie jenes geschehen, hat sich schon oben ergeben.
Dies, daß der absolute Geist sich die Gestalt des Selbstbewußtseins an sich und damit auch für sein Bewußtsein gegeben, erscheint nun so, daß es der Glaube der Welt ist, daß der Geist als ein Selbstbewußtsein, d. h. als ein wirklicher Mensch da ist, daß er für die unmittelbare Gewißheit ist, daß das glaubende Bewußtsein diese Göttlichkeit sieht und fühlt und hört. So ist es nicht Einbildung, sondern es ist wirklich an dem. Das Bewußtsein geht dann nicht aus seinem Innern von dem Gedanken aus und schließt in sich den Gedanken des Gottes mit dem Dasein zusammen, sondern es geht von dem unmittelbaren gegenwärtigen Dasein aus und erkennt den Gott in ihm“ (PhG, S. 551). Hegel verwendet an keiner Stelle der Phänomenologie den theologischen Begriff Inkarnation. Aus dem Zitat wird die pantheistische Haltung Hegels deutlich erkennbar, Gott ist in dem unmittelbaren gegenwärtigen Dasein enthalten. Diese religiöse Grundauffassung verknüpft er mit seinen Ausführungen zur Entwicklung des Selbstbewusstseins und spekulativen Wissens eines Menschen, wie es auch an den folgenden Stellen deutlich wird: „Dies – seinem Begriffe nach das Offenbare zu sein – ist also die wahre Gestalt des Geistes, und diese seine Gestalt, der Begriff, ist ebenso allein sein Wesen und Substanz. Er wird gewußt als Selbstbewußtsein und ist diesem unmittelbar offenbar, denn er ist dieses selbst; die göttliche Natur ist dasselbe, was die menschliche ist, und diese Einheit ist es, die angeschaut wird“ (PhG, S. 553). „Gott ist allein im reinen spekulativen Wissen erreichbar und ist nur in ihm und ist nur es selbst, denn er ist der Geist, und dieses spekulative Wissen ist das Wissen der offenbaren Religion“ (PhG, S. 554). Die Deutung von Heinrichs wird dem Text von Hegel erkennbar nicht gerecht. Mit „offenbare Religion“ meint Hegel offensichtlich nicht das Christentum wie Heinrichs es deutet. Das Christentum entspricht eher dem, was Hegel „Kunstreligion“ genannt hat.
Mit seinen folgenden Ausführungen überschreitet Heinrichs deutlich die Grenzen einer sachgerechten Interpretation des Hegelschen Textes. Der Begriff Trinität und die angegebenen Schlüsse sind bei Hegel nicht zu finden, was auch an den fehlenden Quellenangaben erkennbar ist.
(a) Schluss der immanenten Trinität: (A – B – E: „Reich des Vaters“)
Im „Element des reinen Denkens vorgestellt“ schließt sich der Vater als das „Sich selbst gleiche ewige Wesen das aber nicht [!] diese abstrakte Bedeutung des Wesens, sondern die Bedeutung des absoluten Geistes hat“ (PhG, S. 558) im Erzeugen des Wortes als seines Andersseins (B) zum Fürsichsein, Selbst oder Begriff (E) zusammen (S. 454).
(b) Schluss der wirklichen Entäußerung (A – E – B: „Reich des Sohnes“)
Der in sich trinitarische, aber noch dem Moment der Allgemeinheit oder dem abstrakten Denken angehörige Gott (A) schließt sich in der Erschaffung der wirklichen Andersheit der Welt, die fürsichseiende Natur zur böse werdenden Einzelheit (E) wird, durch die Annahme und Überwindung dieser Einzelheit im Erlöser (E) zur konkreten, geistig auferstandenen Gott-Menschlichkeit (B) zusammen (S. 455).
(c) Schluss des Selbstbewusstseins der Gemeinde (B – A – E: „Reich des Geistes“)
dieser Schluss geht aus von der vergöttlichen menschlichen Natur Christi (B), der im Geiste auferstanden und nun identisch mit dem allgemeinen Selbstbewusstsein der Gemeinde (A) ist, in welchem wiederum der Einzelne (E) seine eigene Identität hat (S. 457).
Zusammenfassende Einschätzung
Aufgrund fehlerhafter Interpretationen und seltsamer Konstrukte des Autos leistet das Buch keinen substantiellen Beitrag zur Interpretation der Phänomenologie bzw. zur Grundlegung einer Interpretation. Aufgrund des erkennbaren Einflusses theologischer Einstellungen und Auffassungen des Autors könnte vermutet werden, dass diese Elemente seines Denkgebäudes Einfluss auf seine wissenschaftliche Arbeit genommen haben. In diesem Fall kann in Anlehnung an ein geflügeltes Wort davon gesprochen werden, dass beim Autor die Religion das Denken vernebelt hat.
Literaturverzeichnis
Fulda, Hans Friedrich (1984 [1. Aufl. 1966]): Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In: Hans-Georg Gadamer (Hg.): Hegel-Tage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes, 1964. 2. Aufl. Bonn: Bouvier (Hegel-Studien Beiheft, 3), S. 75–101.
Haering, Theodor Lorenz (1934): Die Entstehungsgeschichte der Phänomenologie des Geistes. In: Internationaler Hegelbund (Hg.): Verhandlungen der dritten Hegelkongresses vom 19, bis 23. April 1933 in Rom. Rom, 19. bis 23. April 1933. Tübingen: J.C.B. Mohr (P. Siebeck), S. 118–138.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1970): Werke in zwanzig Bänden. 1. bis 10. Tausend. 20 Bd. mit Registerband. Hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Theorie Werkausgabe).
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1971): Jenaer Systementwürfe II. Unverändertes eBook der 1. Aufl. von 1971. Hg. v. Rolf P. Horstmann und Johann H. Trede. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Gesammelte Werke / Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 7).
Heinrichs, Johannes (1983 [1. Aufl. 1974]): Die Logik der ‚Phänomenologie des Geistes‘. Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1974. 2. Aufl. Bonn: Bouvier-Verl. (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik, 89).
Puntel, Lorenz B. (1981 [1. Aufl. 1971]): Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G. W. F. Hegels. 2., unveränd. Aufl. Bonn: Bouvier (Hegel-Studien Beihefte, 10).
Purpus, Wilhelm (1905): Die Dialektik der sinnlichen Gewissheit bei Hegel dargestellt in ihrem Zusammenhang mit der Logik und der antiken Dialektik. Beilage zum Jahresbericht des Königlichen Alten Gymnasiums in Nürnberg über das Schuljahr 1904/05. Königliches Altes Gymnasium. Nürnberg.
Schmidt, Gerhart (1960): Hegel in Nürnberg. Untersuchungen zum Problem der philosophischen Propädeutik. Tübingen: Niemeyer (Forschungen zur Pädagogik und Anthropologie, 3).
Splett, Jörg (1965): Die Trinitätslehre GWF Hegels.
Ulrich, Ferdinand (1970): Begriff und Glaube. Über Hegels Denkweg ins“ absolute Wissen. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie Und Theologie 17 (a).
Wagner, Falk (1971): Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel. Gütersloh: Mohn.