Hans-Dieter Sill, 03.01.2021

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Gedanken aus Creydt (2019): Was kommt nach dem Kapitalismus?

Meinhard Creydt hat sich schon seit vielen Jahren mit dem Problem einer nachkapitalistischen Gesellschaftsordnung befasst. Er geht davon aus, dass diese Ordnung nicht einfach eine Weiterführung, Bewahrung von Merkmalen oder Transformation der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sein kann, sondern eine neue Qualität von Eigenschaften haben muss. Dies sind Eigenschaften, die gegenwärtig oft kaum vorstellbar sind, da man in den Begriffen und Gepflogenheiten der aktuellen Ordnung befangen ist. Allein die Forderung, die aktuelle Ordnung zu überwinden ist in keiner Weise hinreichend. Er vergleicht die Situation mit dem Übergang von der Zeit der Jäger und Sammler zur Zeit der Ackerbauer und Viehzüchter oder vom Feudalismus zum Kapitalismus. Auch hier war es für Jäger und Sammler nicht denkbar, wie sie als Ackerbauer und Viehzüchter leben werden. Auch der Feudalismus wurde nicht abgeschafft, weil sich die Feudalherren nicht freundlich zu ihren Leibeigenen verhalten haben. In beiden Fällen erfolgten die Übergänge aufgrund objektiver Gegebenheiten, die sich insbesondere aus den Produktionsverhältnissen herleiten.

Auch heute muss zunächst die Frage beantwortet werden, ob die objektiven Bedingungen für eine Veränderung der Produktionsverhältnisse gegeben sind. Es gibt eine große Anzahl von Literatur, die belegt, dass sowohl die Probleme in den entwickelten Ländern als erst recht im übrigen Teil der Welt eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordern.

Die nächste Frage ist, ob sich die notwendigen Veränderungen objektiv d. h. ohne direktes bewusstes Zutun von Menschen umsetzen werden. Auch der Kapitalismus ist ohne, dass ein theoretisches Konzept für diese Ordnung vorher entwickelt wurde, spontan in Umsetzung der Gesetze des Marktes entstanden.

Eine wesentliche Bedingung für die Entwicklung des Kapitalismus in der abendländischen Welt war aber, dass eine extensive Ausbeutung von Ressourcen möglich war. Ohne die Ausbeutung der Kolonien insbesondere auch die Versklavung von Menschen wäre eine derartige Entwicklung des Kapitalismus nicht möglich gewesen.

Heute ist eine grundlegend neue objektive Situation entstanden. Eine neue Gesellschaftsordnung kann sich nicht auf einer erneuten extensiven Erweiterung von Ressourcen gründen, sondern es ist im Gegenteil eine wesentliche Einschränkung in den entwickelten Ländern notwendig, im Interesse der übrigen Menschheit und der noch verbliebenen Natur. Damit ist eine neue Situation entstanden, die in sich von den bisherigen Bedingungen der Entstehung neuer Ordnungen grundlegend unterscheidet.

Der Kapitalismus ist von Natur aus nicht in der Lage, seine ständige Erweiterung des Warenangebotes einzuschränken und schon gar nicht einen Rückbau des Wohlstandes zu organisieren.

Die spontane Durchsetzung der objektiven Bedingungen für die Entwicklung von Produktivkräften würden dazu führen, dass es zu einem ökologischen und menschlichen Kollaps kommt. Die Klimakatastrophe und die Völkerwanderungen sind ein Zeichen der beginnenden Katastrophen.

Die Aufgabe der Philosophie besteht also darin, zum einen die Entwicklungen aus objektiver Sicht zu analysieren und entsprechende Prognosen zu formulieren. Dies wäre der deskriptive Charakter philosophische Arbeiten. Auf der anderen Seite muss sie aber auch konstruktiv Konzepte für eine neue Gesellschaftsordnung entwickeln und diese propagieren.

Eine neue Gesellschaft braucht ein neues Leitbild. Man kann die gegenwärtige Gesellschaft nicht ausgehend von den Idealen dieser Gesellschaft zum Beispiel Freiheit und Gleichheit, kritisieren und die neue Gesellschaft als Realisierung dieser Leitideen ansehen. Dann wäre ein neues Leitbild nicht erforderlich. Eine neue Gesellschaftsformation lässt sich nicht denken oder grundlegende Veränderung der Selbst- und Weltsicht.

Das zentrale Merkmal einer neuen Gesellschaft ist für ihn ein Bewusstsein vom guten Leben. Dies führt zu der Einsicht, dass der Kapitalismus auch und gerade in seinen Stärken (zum Beispiel Wirtschaftswachstum, hohes Bruttosozialprodukt) schwach ist.

Er gibt zahlreiche Merkmale einer nachkapitalistischen Gesellschaft an. Dazu gehört zum Beispiel eine deliberative Demokratie, die sich von der repräsentativen Demokratie unterscheidet.

Ein zentrales Merkmal ist weiterhin die Sozialität. Der Reproduktionsprozess des gesamten Gemeinwesens ist als komplexer Prozess des einander Entwickeln zu verstehen zu gestalten.

Weiterhin sieht er ein wesentliches Merkmal in der Veränderung der Arbeit. Dabei sollen den Fähigkeiten und Interessen der Werktätigen ein viel höheres Gewicht gegeben werden.

Er sieht folgende Aufgaben, die eine nachkapitalistische Gesellschaft zu lösen hat.

  1. Verringerung des Stellenwertes von Märkten
  2. Verselbstständigung ökonomischer Prozesse gegen die Menschen überwinden dazu ist das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung
  3. Verringerung unattraktive Arbeit
  4. Abrüstung der Wirtschaft durch Verringerung des Ausmaßes von instrumenteller Arbeit und einen höheren Stellenwert frontfreien Aktivitäten und Versorgungstätigkeiten
  5. Eindämmung der instrumentellen Rationalität, Abkehr vom Prinzip der Wirtschaftlichkeit als oberster Maxime
  6. gesellschaftliche Überwindung problematischer Gebrauchswerte und Bedürfnisse
  7. Überwindung des Privatinteresses d. h. Verringerung der der Orientierung an partikularen Vorteilen auf Kosten anderer bzw. der Umwelt

 

Weitere Werke von Creydt: (Creydt 2016a), (Creydt 2016b), (Creydt 2017)

Literaturverzeichnis

Creydt, Meinhard (2016a): 46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft. Erfahrungen, Analysen, Vorschläge. 1. Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Creydt, Meinhard (2016b): Wie der Kapitalismus unnötig werden kann. 2., korrigierte Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Creydt, Meinhard (2017): Die Armut des kapitalistischen Reichtums und das gute Leben. Ökonomie, Lebensweise und Nachhaltigkeit. München: oekom Verlag. Online verfügbar unter https://www.content-select.com/index.php?id=bib%5Fview&ean=9783962384234.

Creydt, Meinhard (2019): Was kommt nach dem Kapitalismus? Hg. v. „Helle Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Berlin (Philosophische Gespräche, 57).

 

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