Hans-Dieter Sill, 03.11.2022

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Das Kapitel zur „sinnliche Gewißheit“ in Hegels Phänomenologie in verständlicher Sprache

Inhalt

Generelle Bemerkungen

Zum Anliegen des Beitrages

Ausgewählte Ergebnisse der Begriffsanalysen und Konsequenzen für eine Übertragung des Textes von Hegel

Neuformulierung des Textes von Hegel

Gedanken zur Anwendung von Hegels Überlegungen im Alltag und in der Wissenschaft

Literaturverzeichnis

Generelle Bemerkungen

Zum Anliegen des Beitrages

L. Bruno Puntel hat 1971 in seiner Habilitationsschrift (Puntel 1981 [1. Aufl. 1971]) nach einer Darstellung der Hegelrezeptionen seit 1835 eingeschätzt, dass die Tendenz der Hegelforschung folgende drei Merkmale besitzt: „Erstens weist sie eine betont kritische Einstellung zur ganzen Geschichte der Hegel-Interpretation auf; zweitens hält sie es für unumgänglich und wagt es auch, die Problematik der großen Zusammenhänge des systematischen Denkens bzw. der systematischen Werke Hegels erneut und auf geklärter Basis aufzurollen; drittens entwickelt sie ein Interpretationsverfahren, für welches die genaue Analyse des Hegelschen Textes die grundlegende Regel und die wichtigste Aufgabe darstellt: diese Tendenz versucht, Hegel zu ‚buchstabieren‘“ (Puntel 1981 [1. Aufl. 1971], S. 19).

Danach sind zahlreiche, zum Teil sehr umfangreiche Kommentare und Artikel zu Hegels Texten, insbesondere zur Phänomenologie erschienen. In diesem Beitrag soll am Beispiel des Kapitels in Hegels Phänomenologie „Die sinnliche Gewissheit oder das Diese und das Meinen“ eine neue Form des „Buchstabieren“ eines Hegelschen Textes vorgestellt werden. Die Idee besteht darin, den Text von Hegel in eine verständliche Sprache zu übertragen, wobei angestrebt wird, den Sinn des Textes nicht zu verändern. Als Grundlage dieser Übertragung habe ich ein „Wörterbuch“ philosophischer Begriffe zusammengestellt. Ich habe zahlreiche philosophische Begriffe auf ihre unterschiedlichen Bedeutungen in der Alltagssprache, der Philosophie, insbesondere bei Hegel, und teilweise auch in anderen Wissenschaften untersucht und eine Auswahl von Begriffen vorgenommen, die in der Alltagssprache verständlich sind und die möglichst wenige und abgrenzbare Bedeutungen in der Philosophie haben. Die Analysen sind auf den Seiten https://philosophie-neu.de/allgemeines/ und https://philosophie-neu.de/elementare-termini/ enthalten.

Ein Grundgedanke der Begriffsanalysen ist die Unterscheidung der mentalen und nichtmentalen Bedeutung der Begriffe. Dabei wird die neue ontologische Kategorie des äußerten Mentalen herangezogen. Diese Kategorie und Beispiele ihrer Verwendung werden in den Texten „Das entäußerte Mentale“ (https://philosophie-neu.de/termini/elementare-termini/das-entaeusserte-mentale-die-dritte-kategorie-des-existierenden/) und „Beispiele zur Verwendung des entäußerten Mentalen“ (https://philosophie-neu.de/termini/beispiele-zur-verwendung-des-entaeusserten-mentalen/) erläutert. Mit dieser Unterscheidung werden aus meiner Sicht viele Formulierungen von Hegel verständlicher, indem sie in diese beiden Sichtweisen eingeordnet werden.

Fulda und Henrich sprechen in ihrem Essay von 1973 zur Wirkungsgeschichte der Phänomenologie als bis dahin kaum bearbeitetes Problem die Bezüge zu Einzelwissenschaften an. „Ohne Zweifel reflektiert sich hierin ein Mangel, mit dem das Werk von 1807 selbst behaftet war. Es war Hegel nicht sehr überzeugend gelungen, die Idee einer ‚Darstellung des erscheinenden Wissens‘ an der kritischen Behandlung exemplarischer Forschungsergebnisse der Einzelwissenschaften zu bewähren“ (Fulda und Henrich 1998, S. 32). Auch in den bisher von mir gesichteten Publikationen zur sinnlichen Gewissheit in der Phänomenologie habe ich keine Überlegungen zur Anwendung der Gedanken von Hegel auf Probleme im Alltag oder in anderen Wissenschaften gefunden (vgl. „Probleme der sinnlichen Gewissheit“). Im letzten Abschnitt sollen einige Vorschläge zur möglichen Anwendung von Hegels Ausführungen unterbreitet werden.

Ausgewählte Ergebnisse der Begriffsanalysen und Konsequenzen für eine Übertragung des Textes von Hegel

Einige der Ergebnisse der Begriff Analysen sollen im Folgenden zusammengestellt werden.

  • Bei den Begriffen „Wort“, „Terminus“ und „Begriff“ wird unterschieden, ob sie im mentalen Sinne (i.m.S.) oder im entäußerten Sinne (i.e.S.) verwendet. Dies wird durch die entsprechenden Zusätze kenntlich gemacht.
  • Auch bei dem Begriff „Wissen“ werden beide Bedeutungen unterschieden. Für Wissen i.m.S. wird auch der Begriff „Kenntnisse“ verwendet oder es wird von dem Wissen des/eines Menschen gesprochen, um den subjektiven Charakter des Wissens im mentalen Sinne zum Ausdruck zu bringen.
  • Mit „Objekt“ wird ein beliebiges Element des Existierenden bezeichnet. Objekte können Zustände oder Vorgänge sein. Es gibt mentale und nichtmentale Objekte. Zu den mentalen Objekten gehören Inhalte des semantischen und episodischen Gedächtnisses, Gefühle, Einstellungen, Charaktereigenschaften, Motive, Fähigkeiten, Träume und Wahrnehmungen. Zu den mentalen Objekten gehören auch Vorstellungen zu nichtmentalen, nicht oder noch nicht existierenden Objekten wie Göttern, anthropomorphen Figuren oder künftigen Gesellschaftsordnungen.
    Nichtmentale Objekte sind alles Existierende außer mentalen Zuständen und Vorgängen. Dazu gehören alle physikalischen Körper, physiologische Zustände und Vorgänge beim Menschen und der Mensch selbst in seiner biologischen Natur. Ein für erkenntnistheoretische Überlegungen wichtiger Spezialfall ist das entäußerte Mentale.
  • Für die Entstehung mentaler Objekte durch äußere Einflüsse wird der Begriff „Verinnerlichung“ gewählt. Die ebenfalls in der Literatur vorkommenden Bezeichnungen „Reflexion“ oder „Wider-spiegelung“ sind weniger geeignet, da damit eine mechanistische Vorstellung verbunden werden kann und der Prozesscharakter weniger deutlich zum Ausdruck kommt. Auf den Vorgang der Verinnerlichung haben die konkreten mentalen Zustände und Prozessqualitäten des betreffenden Menschen Einfluss. Das Ergebnis der Verinnerlichung hat immer einen individuellen Charakter.
  • In dem mentalen Vorgang der Erkenntnistätigkeit eines Menschen spielen drei unterschiedliche Arten von mentalen Objekten eine Rolle. Dies sind zum einen die eigenen Gedanken, Vorstellungen, Verlaufsqualitäten des Denkens und andere auf den jeweiligen Menschen direkt zurückführbare Objekte, zum anderen die verinnerlichten Elemente des entäußerten Mentalen und drittens die verinnerlichten Kenntnisse und Vorstellungen zu weiteren nichtmentalen Objekten.
  • Ein besonderes Problem ist der Umgang mit dem Begriff „Bewusstsein“, der bei Hegel eine zentrale Rolle spielt. Er wird im Alltag, in der Philosophie, Psychologie und den Neurowissenschaften in unterschiedlicher Weise verwendet. Der Philosophie als der für die Begriffsbildung zuständigen Wissenschaft ist es bisher nicht gelungen, begriffliche Grundlagen zu schaffen, die dann in den anderen Wissenschaften, die sich durchaus auf die Philosophie beziehen, verwendbar sind.
    Daraus sollte insgesamt die Schlussfolgerung gezogen werden, sich auf einen Kern gemeinsame Bedeutung zu beschränken, die übrigen Bedeutungen mit anderen Worten zu beschreiben und insgesamt das Wort sparsam zu verwenden. Ein wesentliches Kriterium für die Auswahl von Bedeutungen sollte die Notwendigkeit oder zumindest die Sinnhaftigkeit in angewandten Disziplinen der Psychologie und den Neurowissenschaften sein. Dies führt zu folgenden Verwendungsvorschlägen.
    • Die Formulierung „bei Bewusstsein sein“ wird in der Alltagssprache verwendet und ist in der Psychologie und den Neurowissenschaften gebräuchlich. Das Wort „Bewusstsein“ wird hier im Sinne von „wach sein“ verwendet. Dies hat wenig mit der Formulierung „sich bewusst sein, das …“ zu tun, obwohl dies teilweise so gesehen wird.
    • Die alltagssprachliche Bedeutung von „bewusst“ und „Bewusstsein“ im Sinne von „um etwas wissend“ ist auch in der Psychologie und den Neurowissenschaften in vielen Fällen zentraler Bestandteil der verwendeten Bedeutung der Wörter. In den Neurowissenschaften geht es dabei insbesondere um einen aktuellen mentalen Zustand oder Prozess, zu dem dann neuronale Korrelate gesucht werden. Bei dem dabei verwendeten Terminus „Bewusstsein“ geht es entsprechend nicht um ein habituelles System psychischer Dispositionen.
    • In der Philosophie kann anstelle von Bewusstsein in den meisten Fällen von mentalen Zuständen und Vorgängen gesprochen werden.

An einem Beispiel aus der Vorrede der Phänomenologie soll die Möglichkeit der sinnerhaltenden Umformulierung eines Textes von Hegel mit der eingeschränkten Bedeutung des Wortes „gewusst“ und „Bewusstsein“ verdeutlicht werden.

„Denn das Bewußtsein ist einerseits Bewußtsein des Gegenstandes, andererseits Bewußtsein seiner selbst; Bewußtsein dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtsein seines Wissens davon. Indem beide für dasselbe sind, ist es selbst ihre Vergleichung; es wird für dasselbe, ob sein Wissen von dem Gegenstande diesem entspricht oder nicht. … Allein gerade darin, daß es überhaupt von einem Gegenstande weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, daß ihm etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein ist. Auf dieser Unterscheidung, welche vorhanden ist, beruht die Prüfung. Entspricht sich in dieser Vergleichung beides nicht, so scheint das Bewußtsein sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstande gemäß zu machen; aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst, denn das vorhandene Wissen war wesentlich ein Wissen von dem Gegenstande; mit dem Wissen wird auch er ein anderer, denn er gehörte wesentlich diesem Wissen an“ (Hegel 1970, S. 77–78).

Hegel betrachtet das Problem der Bestimmung der Wahrheit des Wissens, also der Kenntnisse eines Menschen und fragt nach dem Maßstab für diese Überprüfung, die er als Vergleichung bezeichnet. Das Zitat kann in folgender Weise umformuliert werden: „Im Gedächtnis eines Menschen ist zum einen das Ergebnis der Verinnerlichung eines Untersuchungsgegenstandes enthalten. Dabei kann es sich um entäußertes Mentales, wie etwa eine philosophische Theorie, oder ein anderes nichtmentales Objekt, wie eine bestimmte Pflanze, handeln. Weiterhin enthält das Gedächtnis die Kenntnisse und Vorstellungen zum Wesen des Gegenstandes und der Mensch ist sich dieser Kenntnisse und Vorstellungen bewusst. Der Mensch kann nun auf der Grundlage der Gesamtheit seiner Kenntnisse durch entsprechende Überlegungen überprüfen, ob seine Auffassungen vom Wesen des Gegenstandes seiner Verinnerlichung entsprechen. Ist das nicht der Fall, muss er seine Auffassungen zum Wesen des Gegenstandes ändern. Damit ändert sich auch die Verinnerlichung des Gegenstandes, die als ein Moment sein Wesen enthält.“ Diese Überlegungen von Hegel setzen voraus, dass das Ergebnis der Verinnerlichung die wesentlichen Momente des Gegenstandes enthält. Dies wird in den meisten Fällen einer wissenschaftlichen Forschung nicht der Fall sein. Der Gegenstand als nichtmentales Objekt muss immer wieder erneut untersucht werden, um das System der Verinnerlichung anzureichern oder zu korrigieren. So besteht die gedankliche Auseinandersetzung mit einer philosophischen Theorie darin, diese immer wieder erneut zu befragen und mit anderen Theorien zu vergleichen. Aber der Grundgedanke Hegels, dass der eigentliche Erkenntnisprozess sich auf der mentalen Ebene im Wechselverhältnis der angegebenen Momente des Gedanklichen vollzieht, erfasst das wesentliche Moment der Erkenntnisgewinnung.

Neuformulierung des Textes von Hegel

Im Folgenden wird der originale Text von Hegel in der Fassung (Hegel 1970, S. 82–92) abschnittsweise zitiert und die eigenen Formulierungen zu jedem Abschnitt im Anschluss an diesen angegeben. Der Text von Hegel ist in einer anderen  Schriftart formatiert.

Bei den eigenen Formulierungen wird in Ergänzung zu Hegels Text herausgestellt, ob es um Begriffe und Betrachtungen im mentalen Sinne oder im nichtmentalen Sinne, insbesondere im Sinne des entäußerten Mentalen geht. Für Hegel war dies offensichtlich klar, er hatte in der Vorrede deutlich darauf hingewiesen, dass es ihm nicht um die Wissenschaft, also das entäußerte Mentalen geht, sondern er das „erscheinende Wissen“, also die Entwicklung der Kenntnis und Vorstellung eines Menschen in seinem Kopf oder in der Seele, wie es nennt, behandelt: „Weil nun diese Darstellung nur das erscheinende Wissen zum Gegenstand hat, so scheint sie selbst nicht die freie, in ihrer eigentümlichen Gestalt sich bewegende Wissenschaft zu sein, sondern sie kann von diesem Standpunkte aus als der Weg des natürlichen Bewusstseins das zum wahren Wissen dringt, genommen werden, oder als der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch ihre Natur ihr vorgestreckter Stationen, durchwandert, dass sie sich zum Geist läutere, indem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis dessen gelangt, was sie an sich selber ist“ (Hegel 1970, S. 72).

Am Ende seines Werkes kommt Hegel noch einmal auf diesen Gedanken zurück. „Es ist dies jedoch nicht das Wissen als reines Begreifen des Gegenstandes, von dem die Rede ist, sondern dies Wissen soll nur in seinem Werden oder in seinen Momenten nach der Seite aufgezeigt werden, die dem Bewußtsein als solchem angehört, und die Momente des eigentlichen Begriffes oder reinen Wissens in der Form von Gestaltungen des Bewußtseins“ (Hegel 1970, S. 576). „Indem also der Geist den Begriff gewonnen, entfaltet er das Dasein und Bewegung in diesem Äther seines Lebens und ist Wissenschaft. Die Momente seiner Bewegung stellen sich in ihr nicht mehr als bestimmte Gestalten des Bewußtseins dar, sondern, indem der Unterschied desselben in das Selbst zurückgegangen, als bestimmte Begriffe und als die organische, in sich selbst gegründete Bewegung derselben. Wenn in der Phänomenologie des Geistes jedes Moment der Unterschied des Wissens und der Wahrheit und die Bewegung ist, in welcher er sich aufhebt, so enthält dagegen die Wissenschaft diesen Unterschied und dessen Aufheben nicht, sondern indem das Moment die Form des Begriffs hat, vereinigt es die gegenständliche Form der Wahrheit und des wissenden Selbsts in unmittelbarer Einheit“ (Hegel 1970, S. 589).

Durch diese Unterscheidung der zwei Bereiche, zwischen denen Hegel sich ständig hin und her bewegt, werden seine Texte aus meiner Sicht viel verständlicher.

Die sinnliche Gewißheit oder das Diese und das Meinen

Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist. Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern und von dem Auffassen das Begreifen abzuhalten.

Der Terminus „sinnliche Gewissheit“ ist im mentalen Sinne zu verstehen, d. h. es geht um einen mentalen Zustand in einem konkreten Menschen.

Das Wort „Wissen“ verwendet Hegel ebenfalls im mentalen Sinne. Es sind die Kenntnisse, die in dem betrachteten Prozess der Verinnerlichung bei einem einzelnen Menschen entstehen oder wie Hegel sagt aufgenommen oder aufgefasst werden. Dabei soll in dieser Phase der Erkenntnisgewinnung noch keine weitere mentale Verarbeitung, die Hegel als Begreifen bezeichnet, erfolgen.

Der konkrete Inhalt der sinnlichen Gewißheit läßt sie unmittelbar als die reichste Erkenntnis, ja als eine Erkenntnis von unendlichem Reichtum erscheinen, für welchen ebensowohl, wenn wir im Raume und in der Zeit, als worin er sich ausbreitet, hinaus-, als wenn wir uns ein Stück aus dieser Fülle nehmen und durch Teilung in dasselbe hineingehen, keine Grenze zu finden ist. Sie erscheint außerdem als die wahrhafteste; denn sie hat von dem Gegenstande noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich. Diese Gewißheit aber gibt in der Tat sich selbst für die abstrakteste und ärmste Wahrheit aus. Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist; und ihre Wahrheit enthält allein das Sein der Sache; das Bewußtsein seinerseits ist in dieser Gewißheit nur als reines Ich; oder Ich bin darin nur als reiner Dieser und der Gegenstand ebenso nur als reines Dieses. Ich, dieser, bin dieser Sache nicht darum gewiß, weil Ich als Bewußtsein hierbei mich entwickelte und mannigfaltig den Gedanken bewegte. Auch nicht darum, weil die Sache, deren ich gewiß bin, nach einer Menge unterschiedener Beschaffenheiten eine reiche Beziehung an ihr selbst oder ein vielfaches Verhalten zu anderen wäre. Beides geht die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit nichts an; weder Ich noch die Sache hat darin die Bedeutung einer mannigfaltigen Vermittlung, Ich nicht die Bedeutung eines mannigfaltigen Vorstellens oder Denkens, noch die Sache die Bedeutung mannigfaltiger Beschaffenheiten, sondern die Sache ist; und sie ist, nur weil sie ist; sie ist, dies ist dem sinnlichen Wissen das Wesentliche, und dieses reine Sein oder diese einfache Unmittelbarkeit macht ihre Wahrheit aus. Ebenso ist die Gewißheit als Beziehung unmittelbare reine Beziehung; das Bewußtsein ist Ich, weiter nichts, ein reiner Dieser; der Einzelne weiß reines Dieses oder das Einzelne.

Bei dem Gegenstand der Verinnerlichung handelt es sich um ein nichtmentales Objekt. Aus der Bemerkung, dass sich dieses Objekt in Raum und Zeit ausbreitet, kann geschlussfolgert werden, dass es sich nicht um entäußertes Mentales handelt. Dafür sprechen auch die dann später von Hegel gewählten Beispiele Baum, Haus, Tag oder Nacht. Anstelle von „Objekt“ spricht Hegel meist von „Gegenstand“. Auch in den folgenden Übertragungen wird zum leichteren Vergleich mit dem Originaltext meist das Wort „Gegenstand“ verwendet.

Den mentalen Zustand, der bei dieser Verinnerlichung eines nichtmentalen Objektes entsteht, erscheint dem betreffenden Menschen als die „reichste“ und „wahrhafteste“ Erkenntnis, da von dem Gegenstand der Untersuchung noch nichts weggelassen ist. Diese Erkenntnis ist aber auch zugleich die „abstrakteste und ärmste Wahrheit“, da lediglich die Existenz des Gegenstandes festgestellt wird. Es werden weder die „unterschiedlichen Beschaffenheiten einer reichen Beziehung“ an dem Gegenstand oder sein „vielfaches Verhalten zu anderen“ betrachtet. Der Mensch (das Ich bei Hegel) hat nicht die „Bedeutung eines mannigfaltigen Vorstellens oder Denkens“, d. h. erneut, dass keine gedankliche Verarbeitung erfolgt, bei der die bisherigen Vorstellungen des Menschen einbezogen werden.

Mit „Bewusstsein“ bezeichnet Hegel in diesem Zusammenhang das „sich-bewusst-sein“ des eigenen Erkenntniszustandes.

An dem reinen Sein aber, welches das Wesen dieser Gewißheit ausmacht und welches sie als ihre Wahrheit aussagt, spielt, wenn wir zusehen, noch vieles andere beiher. Eine wirkliche sinnliche Gewißheit ist nicht nur diese reine Unmittelbarkeit, sondern ein Beispiel derselben. Unter den unzähligen dabei vorkommenden Unterschieden finden wir allenthalben die Hauptverschiedenheit, daß nämlich in ihr sogleich aus dem reinen Sein die beiden schon genannten Diesen, ein Dieser als Ich und ein Dieses als Gegenstand, herausfallen. Reflektieren wir über diesen Unterschied, so ergibt sich, daß weder das eine noch das andere nur unmittelbar, in der sinnlichen Gewißheit ist, sondern zugleich als vermittelt; Ich habe die Gewißheit durch ein Anderes, nämlich die Sache; und diese ist ebenso in der Gewißheit durch ein Anderes, nämlich durch Ich.

Das Wesen dieses Zustandes ist das „reine Sein“, also die unmittelbare Existenz des Objektes. Andererseits ist diese unmittelbare Existenz auch nur ein Beispiel für vieles.

Hegel stellt dann fest, dass in dem mentalen Zustand der sinnlichen Gewissheit eines Gegenstandes zwei Dinge miteinander vermittelt werden, der Mensch (das ich) als das erkennende Objekt und der Gegenstand, die Sache.

Diesen Unterschied des Wesens und des Beispiels, der Unmittelbarkeit und der Vermittlung, machen nicht nur wir, sondern wir finden ihn an der sinnlichen Gewißheit selbst, und in der Form, wie er an ihr ist, nicht wie wir ihn soeben bestimmten, ist er aufzunehmen. Es ist in ihr eines als das einfache unmittelbar Seiende oder als das Wesen gesetzt, der Gegenstand, das andere aber als das Unwesentliche und Vermittelte, welches darin nicht an sich, sondern durch ein Anderes ist, Ich, ein Wissen, das den Gegenstand nur darum weiß, weil er ist, und das sein oder auch nicht sein kann. Der Gegenstand aber ist, das Wahre und das Wesen; er ist, gleichgültig dagegen, ob er gewußt wird oder nicht; er bleibt, wenn er auch nicht gewußt wird; das Wissen aber ist nicht, wenn nicht der Gegenstand ist.

Die Existenz des Gegenstandes ist das Wahre, das Wesen, unabhängig davon, ob der Mensch von ihm weiß oder nicht. Die Kenntnis des Menschen von dem Gegenstand ist das Unwesentliche. Er weiß nur etwas von dem Gegenstand, weil der Gegenstand existiert. Er weiß nichts von ihm, wenn der Gegenstand nicht existiert.

Der Gegenstand ist also zu betrachten, ob er in der Tat, in der sinnlichen Gewißheit selbst, als solches Wesen ist, für welches er von ihr ausgegeben wird; ob dieser sein Begriff, Wesen zu sein, dem entspricht, wie er in ihr vorhanden ist. Wir haben zu dem Ende nicht über ihn zu reflektieren und nachzudenken, was er in Wahrheit sein möchte, sondern ihn nur zu betrachten, wie ihn die sinnliche Gewißheit an ihr hat. Sie ist also selbst zu fragen: Was ist das Diese? Nehmen wir es in der gedoppelten Gestalt seines Seins, als das Jetzt und als das Hier, so wird die Dialektik, die es an ihm hat, eine so verständliche Form erhalten, als es selbst ist. Auf die Frage: was ist das Jetzt? antworten wir also zum Beispiel: das Jetzt ist die Nacht. Um die Wahrheit dieser sinnlichen Ge wißheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, daß wir sie aufbewahren. Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist.

Das Jetzt, welches Nacht ist, wird aufbewahrt, d. h. es wird behandelt als das, für was es ausgegeben wird, als ein Seiendes; es erweist sich aber vielmehr als ein Nichtseiendes. Das Jetzt selbst erhält sich wohl, aber als ein solches, das nicht Nacht ist; ebenso erhält es sich gegen den Tag, der es jetzt ist, als ein solches, das auch nicht Tag ist, oder als ein Negatives überhaupt. Dieses sich erhaltende Jetzt ist daher nicht ein unmittelbares, sondern ein vermitteltes; denn es ist als ein bleibendes und sich erhaltendes dadurch bestimmt, daß anderes, nämlich der Tag und die Nacht, nicht ist. Dabei ist es eben noch so einfach als zuvor, Jetzt, und in dieser Einfachheit gleichgültig gegen das, was noch bei ihm herspielt; sowenig die Nacht und der Tag sein Sein ist, ebensowohl ist es auch Tag und Nacht; es ist durch dies sein Anderssein gar nicht affiziert. Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder Dieses noch Jenes, ein Nichtdieses, und ebenso gleichgültig, auch Dieses wie Jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; das Allgemeine ist also in der Tat das Wahre der sinnlichen Gewißheit.

Hegel untersucht jetzt, welche Kenntnisse der Mensch diese Situation eigentlich von dem Gegenstand hat. Dabei soll es sich nur selbst befragen und nicht darüber nachzudenken, was der Gegenstand in Wirklichkeit sein könnte.

Er betrachtet als Beispiel deiktische Aussagen zu zeitlichen Bestimmungen wie Tag und Nacht, wie „Jetzt ist die Nacht“. Diese sinnliche Wahrnehmung ist an die Zeit ihrer Wahrnehmung gebunden. Am nächsten Mittag ist die Aussage falsch, oder wie Hegel sagt, sie ist „schal“ geworden. Etwas was auch dieses oder jenes sein kann, nennt er ein Allgemeines und stellt fest, dass das Wahre der Kenntnisse auf dem Niveau der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung (der sinnlichen Gewissheit) das Allgemeine ist.

Als ein Allgemeines sprechen wir auch das Sinnliche aus; was wir sagen, ist: Dieses, d. h. das allgemeine Diese, oder: es ist; d. h. das Sein überhaupt. Wir stellen uns dabei freilich nicht das allgemeine Diese oder das Sein überhaupt vor, aber wir sprechen das Allgemeine aus; oder wir sprechen schlechthin nicht, wie wir es in dieser sinnlichen Gewißheit meinen. Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das Wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meinung; und da das Allgemeine das Wahre der sinnlichen Gewißheit ist und die Sprache nur dieses Wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, daß wir ein sinnliches Sein, das wir meinen, je sagen können.

Es wird derselbe Fall sein mit der anderen Form des Dieses, mit dem Hier. Das Hier ist z. B. der Baum. Ich wende mich um, so ist diese Wahrheit verschwunden und hat sich in die entgegengesetzte verkehrt: Das Hier ist nicht ein Baum, sondern vielmehr ein Haus. Das Hier selbst verschwindet nicht; sondern es ist bleibend im Verschwinden des Hauses, Baumes usf. und gleichgültig, Haus, Baum zu sein. Das Dieses zeigt sich also wieder als vermittelte Einfachheit oder als Allgemeinheit.

Hegel betrachtet jetzt den Fall, dass der Mensch Aussagen über das verinnerlichte Objekt trifft. Diese Entäußerungen seiner Kenntnisse können auch nur ein Allgemeines sein. Der Mensch sagt zum Beispiel Dieses ist ein Baum. Dabei stellt er sich aber nicht einen Baum als allgemeinen Begriff vor, sondern er denkt an einen konkreten, etwa der, der vor ihm steht. Man kann also auf dem Niveau der sinnlichen Gewissheit nicht das sagen, was man eigentlich meint da die Sprache des Menschen nur das ausdrücken kann, was Inhalt seiner sinnlichen Gewissheit, also seiner aktuellen Kenntnisse zu dem nichtmentalen Objekt ist.

Er betrachtet dann in gleicher Weise Aussagen mit dem deiktischen Ausdruck „hier“ am Beispiel der Aussage Das Hier ist der Baum. Dreht sich der Mensch um, ist das aktuelle Hier verschwunden und etwa ein Haus geworden, obwohl das ursprüngliche Hier geblieben ist. Auch diese Art von Aussagen zeigt sich als Allgemeinheit.

Dieser sinnlichen Gewißheit, indem sie an ihr selbst das Allgemeine als die Wahrheit ihres Gegenstandes erweist, bleibt also das reine Sein als ihr Wesen, aber nicht als Unmittelbares, sondern [als] ein solches, dem die Negation und Vermittlung wesentlich ist, hiermit nicht als das, was wir unter dem Sein meinen, sondern das Sein mit der Bestimmung, daß es die Abstraktion oder das rein Allgemeine ist; und unsere Meinung, für welche das Wahre der sinnlichen Gewißheit nicht das Allgemeine ist, bleibt allein diesem leeren oder gleichgültigen Jetzt und Hier gegenüber noch übrig.

Hegel drückt die bisherigen Darlegungen zusammenfassend aus, indem er feststellt, dass damit das Objekt (das reine Sein) das Wesen der sinnlichen Gewissheit ist, allerdings nicht das Objekt, was der Mensch eigentlich meint, sondern nur das Objekt mit der „Bestimmung, dass es die Abstraktion oder das rein Allgemeine ist.“

Vergleichen wir das Verhältnis, in welchem das Wissen und der Gegenstand zuerst auftrat, mit dem Verhältnisse derselben, wie sie in diesem Resultate zu stehen kommen, so hat es sich umgekehrt. Der Gegenstand, der das Wesentliche sein sollte, ist nun das Unwesentliche der sinnlichen Gewißheit; denn das Allgemeine, zu dem er geworden ist, ist nicht mehr ein solches, wie er für sie wesentlich sein sollte, sondern sie ist jetzt in dem Entgegengesetzten, nämlich in dem Wissen, das vorher das Unwesentliche war, vorhanden. Ihre Wahrheit ist in dem Gegenstande als meinem Gegenstande oder im Meinen; er ist, weil Ich von ihm weiß. Die sinnliche Gewißheit ist also zwar aus dem Gegenstande vertrieben, aber dadurch noch nicht aufgehoben, sondern nur in das Ich zurückgedrängt; es ist zu sehen, was uns die Erfahrung über diese ihre Realität zeigt.

Im Vergleich mit dem bisherigen Verhältnis der Kenntnisse des Menschen und dem Objekt, bei dem das Objekt das Wesentliche ist (s. S. 70, Z. 6-20), ist nun das Objekt das Unwesentliche der sinnlichen Gewissheit. Der Zustand der sinnlichen Gewissheit wird jetzt wesentlich durch die Kenntnisse des Menschen (das Ich) bestimmt.

Die Kraft ihrer Wahrheit liegt also nun im Ich, in der Unmittelbarkeit meines Sehens, Hörens usf.; das Verschwinden des einzelnen Jetzt und Hier, das wir meinen, wird dadurch abgehalten, daß Ich sie festhalte. Das Jetzt ist Tag, weil Ich ihn sehe; das Hier ein Baum, eben darum. Die sinnliche Gewißheit erfährt aber in diesem Verhältnisse dieselbe Dialektik an ihr als in dem vorigen. Ich, dieser, sehe den Baum und behaupte den Baum als das Hier; ein anderer Ich sieht aber das Haus und behauptet, das Hier sei nicht ein Baum, sondern vielmehr ein Haus. Beide Wahrheiten haben dieselbe Beglaubigung, nämlich die Unmittelbarkeit des Sehens und die Sicherheit und Versicherung beider über ihr Wissen; die eine verschwindet aber in der anderen.

Wenn man die „Kraft ihrer [der sinnlichen Gewissheit] Wahrheit“ in dem Menschen sucht, ergibt sich auch Unvereinbares. So kann ein Mensch auf der Grundlage seiner sinnlichen Wahrnehmungen feststellen, dass das Jetzt ein Tag ist oder, dass das Hier ein Baum ist, aber ein anderer Mensch sieht ein Haus und kann behaupten, dass das Hier ein Haus ist. „Beide Wahrheiten haben dieselbe Beglaubigung, nämlich die Unmittelbarkeit des Sehens, und die Sicherheit und Versicherung beider über Ihr Wissen; die eine verschwindet aber in der anderen.“

Was darin nicht verschwindet, ist Ich, als Allgemeines, dessen Sehen weder ein Sehen des Baums noch dieses Hauses, sondern ein einfaches Sehen ist, das, durch die Negation dieses Hauses usf. vermittelt, darin ebenso einfach und gleichgültig gegen das, was noch beiherspielt, gegen das Haus, den Baum ist. Ich ist nur allgemeines, wie Jetzt, Hier oder Dieses überhaupt; ich meine wohl einen einzelnen Ich, aber sowenig ich das, was ich bei Jetzt, Hier meine, sagen kann, sowenig bei Ich. Indem ich sage: dieses Hier, Jetzt oder ein Einzelnes, sage ich: alle Diese, alle Hier, Jetzt, Einzelne; ebenso, indem ich sage: Ich, dieser einzelne Ich sage ich überhaupt: alle Ich; jeder ist das, was ich sage: Ich, dieser einzelne Ich. Wenn der Wissenschaft diese Forderung als ihr Probierstein, auf dem sie schlechthin nicht aushalten könnte, vorgelegt wird, ein sogenanntes dieses Ding oder einen diesen Menschen zu deduzieren, konstruieren, a priori zu finden, oder wie man dies ausdrücken will, so ist billig, daß die Forderung sage, welches dieses Ding oder welchen diesen Ich sie meine; aber dies zu sagen ist unmöglich.

Genauso wie Jetzt, Hier oder Dieses ist auch das Ich (der Mensch) ein Allgemeines. Wenn man sagt, dieses Hier, Jetzt oder ein einzelnes, sagt man eigentlich alle Diese, alle Hier, Jetzt, Einzelne; ebenso in dem ich sage Ich, dieser einzelne Ich, sage ich überhaupt alle Ich. Es ist unmöglich, „dieses Ding oder diesen Menschen zu reduzieren, konstruieren, a priori zu finden …“

Die sinnliche Gewißheit erfährt also, daß ihr Wesen weder in dem Gegenstande noch in dem Ich und die Unmittelbarkeit weder eine Unmittelbarkeit des einen noch des anderen ist; denn an beiden ist das, was Ich meine, vielmehr ein Unwesentliches, und der Gegenstand und Ich sind Allgemeine, in welchen dasjenige Jetzt und Hier und Ich, das ich meine, nicht bestehen bleibt oder ist. Wir kommen hierdurch dahin, das Ganze der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr Wesen zu setzen, nicht mehr nur ein Moment derselben, wie in den beiden Fällen geschehen ist, worin zuerst der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand, dann Ich ihre Realität sein sollte. Es ist also nur die ganze sinnliche Gewißheit selbst, welche an ihr als Unmittelbarkeit festhält und hierdurch alle Entgegensetzung, die im vorherigen stattfand, aus sich ausschließt.

Ergebnis der bisherigen Überlegungen ist, dass das Wesen der sinnlichen Gewissheit weder in dem Gegenstande noch in dem Ich zu finden ist. Deshalb soll jetzt das „Ganze der sinnlichen Gewissheit selbst“ als ihr Wesen gesetzt werden, „nicht mehr nur ein Moment derselben.“

Diese reine Unmittelbarkeit geht also das Anderssein des Hier als Baums, welches in ein Hier, das Nichtbaum ist, das Anderssein des Jetzt als Tages, das in ein Jetzt, das Nacht ist, übergeht, oder ein anderes Ich, dem etwas anderes Gegenstand ist, nichts mehr an. Ihre Wahrheit erhält sich als sich selbst gleichbleibende Beziehung, die zwischen dem Ich und dem Gegenstande keinen Unterschied der Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit macht und in die daher auch überhaupt kein Unterschied eindringen kann. Ich, dieser, behaupte also das Hier als Baum und wende mich nicht um, so daß mir das Hier zu einem Nichtbaum würde; ich nehme auch keine Notiz davon, daß ein anderer Ich das Hier als Nichtbaum sieht oder daß Ich selbst ein anderes Mal das Hier als Nichtbaum, das Jetzt als Nichttag nehme, sondern Ich bin reines Anschauen; Ich für mich bleibe dabei: das Jetzt ist Tag, oder auch dabei: das Hier ist Baum, vergleiche auch nicht das Hier und Jetzt selbst miteinander, sondern Ich halte an einer unmittelbaren Beziehung fest: das Jetzt ist Tag.

Da hiermit diese Gewißheit nicht mehr herzutreten will, wenn wir sie auf ein Jetzt, das Nacht ist, oder auf einen Ich, dem es Nacht ist, aufmerksam machen, so treten wir zu ihr hinzu und lassen uns das Jetzt zeigen, das behauptet wird. Zeigen müssen wir es uns lassen, denn die Wahrheit dieser unmittelbaren Beziehung ist die Wahrheit dieses Ich, der sich auf ein Jetzt oder ein Hier einschränkt. Würden wir nachher diese Wahrheit vornehmen oder entfernt davon stehen, so hätte sie gar keine Bedeutung; denn wir höben die Unmittelbarkeit auf, die ihr wesentlich ist. Wir müssen daher in denselben Punkt der Zeit oder des Raums eintreten, sie uns zeigen, d. h. uns zu demselben diesen Ich, welches das gewiß Wissende ist, machen lassen. Sehen wir also, wie das Unmittelbare beschaffen ist, das uns aufgezeigt wird.

Es wird also zwischen dem Ich und dem Gegenstand kein Unterschied in Bezug auf Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit gemacht. Ich behaupte, das Hier ist ein Baum und „wende mich nicht um“. „Ich nehme auch keine Notiz davon, dass ein anderer Ich das Hier als Nichtbaum sieht.“ Ich „vergleiche auch nicht das Hier und das Jetzt selbst miteinander, sondern halte an einer unmittelbaren Beziehung fest: das Jetzt ist Tag.“

Um die Wahrheit dieser unmittelbaren Beziehung für einen Außenstehenden zu zeigen, muss dieser in „denselben Punkt der Zeit oder des Raumes eintreten“ und sich zu „demselben diesen Ich … machen lassen.“

Es wird das Jetzt gezeigt, dieses Jetzt. Jetzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Jetzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, daß das Jetzt eben dieses ist, indem es ist, schon nicht mehr zu sein. Das Jetzt, wie es uns gezeigt wird, ist es ein gewesenes, und dies ist seine Wahrheit; es hat nicht die Wahrheit des Seins. Es ist also doch dies wahr, daß es gewesen ist. Aber was gewesen ist, ist in der Tat kein Wesen; es ist nicht, und um das Sein war es zu tun.

Wir sehen also in diesem Aufzeigen nur eine Bewegung und folgenden Verlauf derselben: 1. Ich zeige das Jetzt auf, es ist als das Wahre behauptet; ich zeige es aber als Gewesenes oder als ein Aufgehobenes, hebe die erste Wahrheit auf, und 2. Jetzt behaupte ich als die zweite Wahrheit, daß es gewesen. aufgehoben ist. 3. Aber das Gewesene ist nicht; ich hebe das Gewesen- oder Aufgehobensein, die zweite Wahrheit auf, negiere damit die Negation des Jetzt und kehre so zur ersten Behauptung zurück, daß Jetzt ist. Das Jetzt und das Aufzeigen des Jetzt ist also so beschaffen, daß weder das Jetzt noch das Aufzeigen des Jetzt ein unmittelbares Einfaches ist, sondern eine Bewegung, welche verschiedene Momente an ihr hat; es wird Dieses gesetzt, es wird aber vielmehr ein Anderes gesetzt, oder das Diese wird aufgehoben: und dieses Anderssein oder Aufheben des ersten wird selbst wieder aufgehoben und so zu dem ersten zurückgekehrt. Aber dieses in sich reflektierte erste ist nicht ganz genau dasselbe, was es zuerst, nämlich ein Unmittelbares, war; sondern es ist eben ein in sich Reflektiertes oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist: ein Jetzt, welches absolut viele Jetzt ist; und dies ist das wahrhafte Jetzt, das Jetzt als einfacher Tag, das viele Jetzt in sich hat, Stunden; ein solches Jetzt, eine Stunde, ist ebenso viele Minuten und diese Jetzt gleichfalls viele Jetzt usf. – Das Aufzeigen ist also selbst die Bewegung, welche es ausspricht, was das Jetzt in Wahrheit ist, nämlich ein Resultat oder eine Vielheit von Jetzt zusammengefaßt; und das Aufzeigen ist das Erfahren, daß Jetzt Allgemeines ist.

Wenn das Jetzt gezeigt wird, hat es bereits aufgehört zu existieren. „Das Jetzt, wie es uns gezeigt wird, ist ein gewesenes; und dies ist seine Wahrheit …“ Was gewesen ist, ist kein Wesen.

Das Aufzeigen der sinnlichen Gewissheit ist in diesem Fall eine Bewegung, die folgenden Ablauf zeigt: 1) Ich zeige das Jetzt auf und behaupte es ist die Wahrheit. Ich zeige es aber als ein gewesenes oder ein aufgehobenes auf und hebe damit die erste Wahrheit auf. 2) Als die zweite Wahrheit behaupte ich, dass das Jetzt gewesen, aufgehoben ist. 3) Da das Gewesene nicht mehr existiert, muss ich die zweite Wahrheit aufheben und komme somit zur ersten Wahrheit zurück.

„Aber dieses in sich reflektierte Erste ist nicht ganz genau dasselbe, was es zuerst, nämlich ein Unmittelbares war; sondern es ist eben ein in sich Reflektiertes oder Einfaches.“ Im anders sein (der ersten Wahrheit) bleibt es, was es in der zweiten Wahrheit war, „ein Jetzt, welches absolut viele Jetzt ist; und dies ist das wahrhafte Jetzt.“  So hat ein Tag viele Stunden und eine Stunde viele Minuten. „Das Aufzeigen ist also selbst die Bewegung, welche es ausspricht, was das Jetzt in Wahrheit ist; nämlich ein Resultat, oder eine Vielheit von Jetzt zusammengefasst; und das Aufzeigen ist das Erfahren, dass Jetzt Allgemeines ist.“

Das aufgezeigte Hier, das ich festhalte, ist ebenso ein dieses Hier, das in der Tat nicht dieses Hier, sondern ein Vorn und Hinten, ein Oben und Unten, ein Rechts und Links ist. Das Oben ist selbst ebenso dieses vielfache Anderssein in oben, unten usf. Das Hier, welches aufgezeigt werden sollte, verschwindet in anderen Hier, aber diese verschwinden ebenso; das Aufgezeigte, Festgehaltene und Bleibende ist ein negatives Dieses, das nur so ist, indem die Hier, wie sie sollen, genommen werden, aber darin sich aufheben; es ist eine einfache Komplexion vieler Hier. Das Hier, das gemeint wird, wäre der Punkt; er ist aber nicht; sondern indem er als seiend aufgezeigt wird, zeigt sich das Aufzeigen, nicht unmittelbares Wissen, sondern eine Bewegung von dem gemeinten Hier aus durch viele Hier in das allgemeine Hier zu sein, welches, wie der Tag eine einfache Vielheit der Jetzt, so eine einfache Vielheit der Hier ist.

Hegel führt jetzt die gleichen Betrachtungen für ein aufgezeigtes Hier durch, „dass in der Tat nicht dieses Hier ist, sondern ein Vorn und Hinten, ein Oben und Unten, ein Rechts und Links.“ Im Aufzeigen eines Hier zeigt sich „nicht unmittelbares Wissen, sondern eine Bewegung, von dem gemeinten Hier aus durch viele Hier, in das allgemeine Hier…“

Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist. Das natürliche Bewußtsein geht deswegen auch zu diesem Resultate, was an ihr das Wahre ist, immer selbst fort und macht die Erfahrung darüber, aber vergißt es nur ebenso immer wieder und fängt die Bewegung von vorne an. Es ist daher zu verwundern, wenn gegen diese Erfahrung als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung und gar als Resultat des Skeptizismus aufgestellt wird, die Realität oder das Sein von äußeren Dingen als diesen oder sinnlichen habe absolute Wahrheit für das Bewußtsein; eine solche Behauptung weiß zugleich nicht, was sie spricht, weiß nicht, daß sie das Gegenteil von dem sagt, was sie sagen will. Die Wahrheit des sinnlichen Diesen für das Bewußtsein soll allgemeine Erfahrung sein; vielmehr ist das Gegenteil allgemeine Erfahrung; jedes Bewußtsein hebt eine solche Wahrheit, wie z. B. das Hier ist ein Baum oder das Jetzt ist Mittag, selbst wieder auf und spricht das Gegenteil aus: das Hier ist nicht ein Baum, sondern ein Haus; und was in dieser die erste aufhebenden Behauptung wieder eine ebensolche Behauptung eines sinnlichen Diesen ist, hebt es sofort ebenso auf; und [es] wird in aller sinnlichen Gewißheit in Wahrheit nur dies erfahren, was wir gesehen haben, das Dieses nämlich als ein Allgemeines, das Gegenteil dessen, was jene Behauptung allgemeine Erfahrung zu sein versichert. – Bei dieser Berufung auf die allgemeine Erfahrung kann es erlaubt sein, die Rücksicht auf das Praktische zu antizipieren. In dieser Rücksicht kann denjenigen, welche jene Wahrheit und Gewißheit der Realität der sinnlichen Gegenstände behaupten, gesagt werden, daß sie in die unterste Schule der Weisheit, nämlich in die alten Eleusinischen Mysterien der Ceres und des Bacchus zurückzuweisen sind und das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines erst zu lernen haben; denn der in diese Geheimnisse Eingeweihte gelangt nicht nur zum Zweifel an dem Sein der sinnlichen Dinge, sondern zur Verzweiflung an ihm und vollbringt in ihnen teils selbst ihre Nichtigkeit, teils sieht er sie vollbringen. Auch die Tiere sind nicht von dieser Weisheit ausgeschlossen, sondern erweisen sich vielmehr, am tiefsten in sie eingeweiht zu sein; denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden stehen, sondern verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen Gewißheit ihrer Nichtigkeit langen sie ohne weiteres zu und zehren sie auf; und die ganze Natur feiert wie sie diese offenbaren Mysterien, welche es lehren, was die Wahrheit der sinnlichen Dinge ist.

Die Dialektik der sinnlichen Gewissheit ist also die Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung. Hegel drückt seine Verwunderung darüber aus, wenn als philosophische Behauptung oder gar „als Resultat des Skeptizismus“ gesagt wird, „die Realität oder das Sein von äußeren Dingen als diesen oder sinnlichen habe absolute Wahrheit für das Bewusstsein; eine solche Behauptung weiß zugleich nicht, was sie spricht, weiß nicht, dass sie das Gegenteil von dem sagt, was sie sagen will.“ Jede konkrete Aussage wie „das Hier ist ein Baum oder das Jetzt ist Mittag“ wird sofort wieder aufgehoben, erfahren wird, „das Dieses nämlich als ein Allgemeines, das Gegenteil dessen was jene Behauptung allgemeine Erfahrung zu sein versichert“.

Um einen Bezug zum praktischen herzustellen, verweist Hegel diejenigen, welche „jene Wahrheit und Gewissheit der Realität der sinnlichen Realität“ behaupten auf die unterste Schule der Weisheit zurück, „auf der sie das Essen des Brotes und das Trinken des Weines erst zu lernen haben“ und bezieht sich auf Kulte im antiken Rom zu den Göttern des Ackerbaus und des Weins. Stellt sogar einen Vergleich mit Tieren an, die am tiefsten in diese Weisheit eingeweiht seien, „denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden entstehen, sondern verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen Gewissheit ihrer Nichtigkeit langen sie ohne weiteres zu und zehren sie auf.“

Die, welche solche Behauptung aufstellen, sagen aber, gemäß vorhergehenden Bemerkungen, auch selbst unmittelbar das Gegenteil dessen, was sie meinen, – eine Erscheinung, die vielleicht am fähigsten ist, zum Nachdenken über die Natur der sinnlichen Gewißheit zu bringen. Sie sprechen von dem Dasein äußerer Gegenstände, welche, noch genauer, als wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge, deren jedes seines absolut gleichen nicht mehr hat, bestimmt werden können; dies Dasein habe absolute Gewißheit und Wahrheit. Sie meinen dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe oder vielmehr geschrieben habe; aber was sie meinen, sagen sie nicht. Wenn sie wirklich dieses Stück Papier, das sie meinen, sagen wollten, und sie wollten sagen, so ist dies unmöglich, weil das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewußtsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist. Unter dem wirklichen Versuche, es zu sagen, würde es daher vermodern; die seine Beschreibung angefangen, könnten sie nicht vollenden, sondern müßten sie anderen überlassen, welche von einem Dinge zu sprechen, das nicht ist, zuletzt selbst eingestehen würden. Sie meinen also wohl dieses Stück Papier, das hier ein ganz anderes als das obige ist; aber sie sprechen wirkliche Dinge, äußere oder sinnliche Gegenstände, absolut einzelne Wesen usf., d. h. sie sagen von ihnen nur das Allgemeine; daher, was das Unaussprechliche genannt wird, nichts anderes ist als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeinte. – Wird von etwas weiter nichts gesagt, als daß es ein wirkliches Ding, ein äußerer Gegenstand ist, so ist es nur als das Allerallgemeinste und damit vielmehr seine Gleichheit mit allem als die Unterschiedenheit ausgesprochen. Sage ich: ein einzelnes Ding, so sage ich es vielmehr ebenso als ganz Allgemeines, denn alle sind ein einzelnes Ding; und gleichfalls dieses Ding ist alles, was man will. Genauer bezeichnet, als dieses Stück Papier, so ist alles und jedes Papier ein dieses Stück Papier, und ich habe nur immer das Allgemeine gesagt. Will ich aber dem Sprechen, welches die göttliche Natur hat, die Meinung unmittelbar zu verkehren, zu etwas anderem zu machen und so sie gar nicht zum Worte kommen zu lassen, dadurch nachhelfen, daß ich dies Stück Papier aufzeige, so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit in der Tat ist: ich zeige es auf als ein Hier, das ein Hier anderer Hier oder an ihm selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, d. h. ein Allgemeines ist; ich nehme so es auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein Unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr.

Eine Erscheinung, die vielleicht am fähigsten ist, über die Natur der sinnlichen Gewissheit nachzudenken, ist die Untersuchung sprachlicher Äußerungen zur sinnlichen Gewissheit. Dabei wird dann von den Menschen das Gegenteil gesagt von dem, was sie eigentlich meinen. „Sie sprechen von dem Dasein äußerer Gegenstände, welche, noch genauer, als wirkliche, absolut einzelne, ganz persönliche, individuelle Dinge, deren jedes seines absolut gleichen nicht mehr hat, bestimmt werden können; dies Dasein habe absolute Gewissheit und Wahrheit.“ Hegel erläutert dies am Beispiel eines konkreten Stückes Papier, auf dem er gerade schreibt. Wenn jemand dieses Papier meint und es sprachlich zum Ausdruck bringen will, so ist dies unmöglich, „weil das sinnliche Diese, dass gemeint wird, der Sprache … unerreichbar ist. Wenn jemand mit einer Beschreibung anfängt könnte er sie nicht vollenden, sondern müsste dies anderen überlassen, was nie zu Ende gehen würde, sodass das Papier bei diesem Versuch „vermodern“ würde, weil es einfach zu lange dauert. Man kann nur das Allgemeine von wirklichen Dingen aussprechen. „Wird von etwas weiter nichts gesagt, als dass es ein wirkliches Ding, ein äußerer Gegenstand ist, so ist es nur als das Allerallgemeinste … ausgesprochen.“ Man spricht auch nur allgemeines aus, wenn man sagt ein einzelnes Ding oder dieses Ding oder dieses Stück Papier. Jedes Papier ist ein dieses Stück Papier.

Wenn man das Gemeinte ohne Verwendung der Sprache ausdrücken will und ohne Worte zu verlieren auf das konkrete Stück Papier zeigt, macht man die Erfahrung, „was die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit in der Tat ist: ich zeige es auf als ein Hier, dass ein Hier anderer Hier oder an dem selbst einfaches Zusammen vieler Hier, d. h. ein Allgemeines ist; …  und statt ein Unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr.“

Gedanken zur Anwendung von Hegels Überlegungen im Alltag und in der Wissenschaft

Der Begriff „sinnliche Gewissheit“ bei Hegel beinhaltet zwei Momente, die persönliche Sicherheit, dass meine Kenntnisse und Vorstellungen zu einem Problem richtig sind und zum anderen, dass diese mentalen Objekte durch Verinnerlichung sinnlicher Wahrnehmungen entstanden sind. Die persönliche Sicherheit ist eine Wahrscheinlichkeitsaussage über einen unbekannten Zustand in der Welt, wenn ich mir gewiss bin, dass ich recht habe, ist für mich die Wahrscheinlichkeit sehr groß, es gibt aber auch eine bestimmte kleine Wahrscheinlichkeit, dass ich mich irre. Sinnliche Wahrnehmungen beinhalten alle Möglichkeiten der Sinneseindrücke eines Menschen. Auf den Vorgang der Verinnerlichung haben individuelle Faktoren wie Konzentration Aufmerksamkeit, Fähigkeiten zur geistigen Verarbeitung der Informationen und bisherige Kenntnis und Vorstellungen zu dem Problem Einfluss. Nichtmentale Objekte, die verinnerlicht werden, können sowohl physikalische Gegenstände, Eigenschaften von Menschen, politische Situationen oder entäußertes Mentales in Form von Kommunikation, Vorträgen oder Literatur sein.

Mit dieser Explikation kann der Begriff der sinnlichen Gewissheit durchaus als philosophische Kategorie angesehen werden.

Hegel hat die sinnliche Gewissheit eines Menschen problematisiert, ihre Grenzen aufgezeigt und Argumente gegen die persönliche Sicherheit angegeben.

Aus Sicht der Gewinnung wissenschaftlicher Kenntnisse, sein eigentliches Anliegen, ist dieses Niveau der Erkenntnis zu überwinden. Es ist aber für einen Wissenschaftler durchaus eine notwendige Phase sein Erkenntnisgewinnung, wenn man die infrage kommenden nichtmentalen Objekte auf ungelöste Fragen in Theorie und Praxis reduziert. Die Erfassung eines Problems ist immer der erste Schritt eines wissenschaftlichen Erkenntnisvorgangs. Ich muss mir sicher sein, dass ein Problem existiert, das einer wissenschaftlichen Bearbeitung bedarf. Diese Sicherheit gewinne ich vor allem durch meine Sinneseindrücke von realen Zuständen und Vorgängen.

Im Denken eines Nichtwissenschaftlers und auch im Denken eines Wissenschaftlers in einem Bereich, der nicht seiner Wissenschaft entspricht, umfasst der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit alle Objekte der Realität. Der Zustand der sinnlichen Gewissheit mentaler Objekte eines Menschen ist in diesen Fällen oft kein Zwischenstadium, sondern Endresultat der individuellen Erkenntnisgewinnung. Die Kenntnisse und ersten Eindrücke, die man von den Eigenschaften eines anderen Menschen, einer Partei, der politischen Lage in einem Land oder auch von Theorien bekommt, werden als gewiss angesehen. Die Überlegungen von Hegel zur Infragestellung der sinnlichen Gewissheit können durchaus in solchen Fällen bei einer Diskussion mit den betreffenden Menschen angewendet werden. Man muss zunächst davon ausgehen, dass die Menschen fest davon überzeugt sind, dass ihre Ansichten stimmen, da sie ja auf eigenen Wahrnehmungen beruhen und damit die die „reichste“ und „wahrhafteste“ Erkenntnis sind. Eine Problematisierung dieser Ansichten ist also schwierig, nach Hegel könnten folgende Ansätze versucht werden:

  • Man könnte darstellen, dass das konkrete Objekt, von dem ausgehend die Gewissheit gewonnen wurde, genauso gut auch ein anderes sein könnte. Wenn etwa von konkreten Handlungen eines Menschen auf seinen Charakter geschlossen wird, so könnte man andere Handlung dieses Menschen präsentieren, aus denen sich ganz andere Schlussfolgerungen für den Charakter geben.
  • Man könnte darstellen, dass andere Menschen zu ganz anderen Einschätzungen über das Objekt gekommen sind. Wenn jemand etwa die Politik einer Partei negativ einschätzt, könnte man ihm Einschätzungen anderer Person präsentieren, die die Partei ganz anders einschätzen.
  • Man könnte herausstellen, dass sich die gewonnenen Einsichten auf etwas Vergangenes beziehen, dass in dieser Form nicht mehr existiert. So sind die Handlungen eines Menschen, aus denen man auf seinen Charakter geschlossen hat, bereits Geschichte. Der Mensch kann sich in der Zeit von diesen Handlungen bis zum heutigen Zeitpunkt durchaus verändert haben. Dies betrifft auch Einschätzungen zur Situation in gesellschaftlichen Bereichen, wie der Umwelt- oder Energiepolitik.
  • Man könnte herausstellen, dass die in den Einschätzungen über das jeweilige Objekt verwendeten Begriffe einen allgemeinen Charakter haben, obwohl sich die „Gewissheiten“ nur auf Einzelfälle beziehen. Wenn eine erfahrene Mathematiklehrkraft feststellt, dass ihre Schülerinnen und Schüler immer Schwierigkeiten haben, die Prozentrechnung zu verstehen, so können folgende Fragen aufgeworfen werden:
    • Was heißt „Schülerinnen und Schüler“? Welche Fähigkeiten Fertigkeiten und Kenntnisse haben diese und auf welchem Niveau? Welche Kenntnisse und Vorstellung besaßen sie zur Prozentrechnung vor ihre Behandlung im Unterricht? Wie wurde der Unterrichtsprozess zur Behandlung der Prozentrechnung gestaltet?
    • Was heißt „Prozentrechnung“? Um welches formale und inhaltliche Verständnis des Prozentbegriffs geht es? Welche Aufgaben zur Prozentrechnung sollen gelöst werden?
    • Was heißt „verstehen“? Was sollen die Schüler über ihre Vorstellungen zum Prozentbegriff sagen können? Wie sicher sollen sie welche Aufgaben der Prozentrechnung lösen können?

Literaturverzeichnis

Fulda, Hans Friedrich; Henrich, Dieter (1998): Vorwort. In: Hans Friedrich Fulda und Dieter Henrich (Hg.): Materialien zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“. 8. Aufl., [1. Aufl 1973]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 9), S. 7–41.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1970): Phänomenologie des Geistes. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd. 3. 1. bis 10. Tausend. Hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Theorie Werkausgabe).

Puntel, Lorenz B. (1981 [1. Aufl. 1971]): Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G. W. F. Hegels. 2., unveränd. Aufl. Bonn: Bouvier (Hegel-Studien Beihefte, 10).