Probleme im Umgang mit Prozenten[1]

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Vorbemerkungen

In der Zeitschrift „Mathematik in der Schule“, der einzigen theoretischen und praktischen Zeitschrift zum Mathematikunterricht in der DDR, war es nicht üblich, polemische Auseinandersetzungen zu einzelnen Themen zwischen Autoren zu publizieren. Eine Auseinandersetzung zum Prozentbegriff zwischen einem Lehrer (Naumann 1987) und unserem Jubilar Werner Walsch im Heft 7/8 (1987) war nach meiner Erinnerung einer der wenigen Fälle eines solchen Ereignisses. Im Kern ging es dabei um die Berechtigung der Schreibweise p % mit der Bedeutung p % = p/100, die Naumann zur Vereinfachung des Lösens von Prozentaufgaben auch unter dem Aspekt des Einsatzes eines Taschenrechners mit einer Prozenttaste vorgeschlagen hatte. Kollege Walsch wies diesen Vorschlag als fachlich fehlerhaft und didaktisch nicht sinnvoll vehement zurück, was mir damals völlig einleuchtend erschien.

Als ich in den neunziger Jahren die Möglichkeit erhielt, eine neue Lehrbuchreihe herauszugeben, habe ich für die Konzeption des Kapitels zur Prozentrechnung sowie für alle anderen auch etwa 25 Lehrbuchreihen gesichtet und mit Erstaunen festgestellt, dass in fast allen Büchern die von Werner Walsch kritisierte Schreibweise verwendet wird. Weiterhin wurde mir bewusst, wie kompliziert und vielschichtig das Thema Prozentrechnung ist. In diesem Beitrag möchte ich einige meiner dabei entstandenen Gedanken und Vorschläge auch zu der umstrittenen Schreibweise vorstellen. Wie zu allen anderen Themen auch sind viele Überlegungen als Standpunkte und Hinweise bereits im Lehrermaterial zur Lehrbuchreihe enthalten.

Die Prozentrechnung – ein Thema mit vielen Extrema

Das Thema Prozentrechnung ist in vielerlei Hinsicht extremal. Die folgenden Thesen können aus Umfangsgründen nur durch wenige Beispiele belegt werden.

Es gibt extrem viele mathematische Modelle zur Prozentrechnung sowie unterschiedliche Auffassungen zum Prozentbegriff.

Obwohl es sich bei der Prozentrechnung um ein anscheinend sehr einfaches Gebiet der elementaren Schulmathematik handelt, kann man unterschiedliche mathematische Modelle dafür angeben. Berger (1989) hat fünf verschiedene Modelle der Prozentrechnung zusammengestellt. Damit sind auch jeweils unterschiedliche Interpretationen des Prozentbegriffs verbunden.

Man findet in Lehrbüchern und in Schülerlösungen extrem viele Lösungsmethoden.

Bei einer selbst durchgeführten Analyse von 10 Schullehrbüchern für die Jahrgangsstufe 7 (6 Gymnasialbücher und 4 Realschulbücher) habe ich 14 unterschiedliche Darstellungen zum Lösen von Aufgaben zur Berechnung von Prozentwerten, 20 zur Berechnung von Prozentsätzen und 13 zur Berechnung von Grundwerten gefunden.

Entsprechend vielfältig sind auch die Lösungsmethoden von Schülern[2]. So ermittelte Seeger (1990) 12 unterschiedliche Strategien, die Schüler in einer empirischen Untersuchung anwandten. Bei einer eigenen Untersuchung an Berufsschulen ermittelten wir beim Lösen von vier Prozentaufgaben jeweils 12 bis 15 verschiedene Methoden. Auf das Problem der Lösungsmethoden kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden.

Die Prozentrechnung hat mit die größte Relevanz für Alltag und Beruf.

Es gibt mit die größten Klagen über das fehlende Können der Schulabsolventen.

Im Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife der Bundesagentur für Arbeit vom März 2009 zählt die Prozentrechnung zu den 9 angegebenen mathematischen Grundkenntnissen. Auf einer Tagung der IHK Braunschweig am 8. September 2009 zu Mängeln bei elementaren Mathematikkenntnissen von Schulabsolventen berichtete ein Berufsschullehrer, dass beim Eingangstest nur 30 % der Lehrlinge Dreisatz- und Prozentaufgaben richtig lösen konnten (Welt am Sonntag, 11.10.2009, S. 64). 

Bei meiner Analyse der 10 Schullehrbücher zeigte sich, dass sogar Lehrbuchautoren Probleme mit der Prozentrechnung haben. In zwei Lehrbüchern für das Gymnasium traten fachliche Fehler in Musterlösungen auf. Die Fehler waren mit dem Prozentzeichen und der Zahl 100 verbunden.

Aufgrund der extrem hohen Bedeutung der Prozentrechnung für Alltag und Beruf muss man auch entsprechend hohe Forderungen an das zu erreichende Abschlussniveau des Mathematikunterrichts stellen. Im Rahmen unserer Arbeiten im Land zum sicheren Wissen und Können von Schulabsolventen[3], die wir zusammen mit Lehrerinnen und Lehrern durchführen und deren Ergebnisse im Internet unter www.mathe-mv.de veröffentlicht werden, haben wir u. a. folgende Forderungen aufgestellt (Hoffmann u. a. 2009, S. 47):

  1. Die Schüler haben vielfältigen Kenntnisse und Vorstellungen zum Prozentbegriff.
  2. Die Schüler können mithilfe bequemer Prozentsätze Prozentaufgaben im Kopf lösen.
  3. Die Schüler können Prozentaufgaben mit einem Taschenrechner ohne schriftliche Notizen und ohne Verwendung von Fachbegriffen oder Formeln lösen.

Mathematische Fehler und Irrtümer in der Presse beruhen in der Mehrzahl der Fälle auf einem fehlerhaften Umgang mit Prozentangaben.

Herget hat dazu in vielen Zeitschriftenbeiträgen sowie in einem Buch mit Scholz (1998) eine Fülle von Beispielen zusammengetragen. Damit ergeben sich zwar sehr gute Möglichkeiten, den Unterricht in der Prozentrechnung aktuell und interessant zu gestalten (Scholz 2003), die Schüler können aus diesen Fehlern mehr lernen als durch das Lösen vieler Standardaufgaben. Die Fülle und Tragweite der Fehler in den Medien stimmt allerdings bedenklich. Die Entwicklung eines inhaltlichen Verständnisses zum Prozentbegriff sowie auch eines sicheren Könnens im Lösen von einfachen Prozentaufgaben scheint eines der größten Defizite der mathematischen Allgemeinbildung in unserer Gesellschaft zu sein.

Es gibt zu Problemen der Behandlung der Prozentrechnung extrem wenig Literatur.

Eine Sichtung von Lehrbüchern zur Didaktik beziehungsweise Methodik des Mathematikunterrichts, angefangen in den zwanziger Jahren, ergab sehr wenige Beiträge zu Thema Prozentrechnung. Eine Recherche in der Datenbank matheduc zum Stichwort „Prozentrechnung“, die immerhin einen Zeitraum von etwa 40 Jahren erfasst, lieferte zwar eine Liste von 506 Einträgen, von denen aber nur sehr wenige (etwa 30) didaktische Probleme behandeln. Die einzige Monographie zur Prozentrechnung ist die Dissertation von Berger, die 1989 in einer wenig ansprechenden äußeren Form veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich um ein sehr umfassendes Werk, das die vorhandene Literatur (auch aus den USA und der DDR) sehr gründlich und gewissenhaft aufarbeitet, zahlreiche neue Gedanken entwickelt und Ergebnisse umfangreicher empirischer Untersuchungen enthält. Diese Arbeit wird aber offensichtlich von der Didaktik kaum zur Kenntnis genommen, ich habe in den wenigen späteren Arbeiten keinen Verweis auf die Arbeit von Berger gefunden.

Angesichts einer wachsenden Zahl von Monographien zur Didaktik des Mathematikunterrichts und Tausenden von Zeitschriftenartikeln sowie den zahlreichen theoretischen und praktischen Problemen verwundert dieser Mangel an wissenschaftlichen Beiträgen doch sehr. Ein Grund könnte darin liegen, dass dieses Thema häufig nur mit dem Mathematikunterricht an der Hauptschule verbunden wird. Etliche der gesichteten Artikel sind in speziellen Zeitschriften für Hauptschulen veröffentlicht worden. Blum u. a. (2004) stützen sich bei ihrer stoffdidaktischen Analyse zu Grundvorstellungen zum Prozentbegriff auf die Arbeit von Oehl „Der Rechenunterricht in der Hauptschule“ aus dem Jahre 1965.

Die mit der Prozentrechnung verbundenen Probleme werden von vielen Autoren offensichtlich als gering eingeschätzt. Jordan u. a (2004) stellen als stoffdidaktisches Fundament zur Auswertung von Aufgaben zur Prozentrechnung bei PISA 2000 lediglich fest, dass man nach Griesel (1981) Prozente als spezielle Größen auffassen kann, bei denen Prozente wie eine Einheit erscheinen und sich deshalb die Überlegungen zur Proportionalität entsprechend auf die Prozentrechnung übertragen lassen. Selbst bei der Analyse von Lösungsstrategien werden z. T. keine speziellen für Prozentaufgaben betrachtet (Kleine, Jordan 2007).

Zu Aspekten des Prozentbegriffs

Grundlagen der Aspektbetrachtung

Die Grundlagen der folgenden Aspektbetrachtungen können nur sehr kurz dargelegt werden.

Unter einem Begriff wird eine komplexe Gesamtheit von Gedanken zu einem Wort verstanden. Im neurophysiologischen Sinne ist ein Begriff ein komplexes neuronales Aktivitätsmuster, das durch das Modell eines semantischen Netzes näherungsweise erfasst werden kann. Die Aneignung eines Begriffes besteht also in der Ausbildung neuronaler Aktivitätsmuster bzw. modellhaft von semantischen Netzen. Die einzelnen Gedanken bzw. Verbindungen im semantischen Netz werden als Aspekte des Begriffs bezeichnet.

Die Aspekte ergeben sich aus stoffdidaktischen und semantischen Analysen. Sie sind zunächst normativ, bei der Konzipierung von Unterrichtsprozessen zur Ausbildung des betreffenden semantischen Netzes muss an die vorhandene Struktur von Gedanken angeknüpft werden.

Diese Betrachtungsweise unterscheidet sich prinzipiell von der fachlich dominierenden Sicht auf Begriffe als Objekte von Definitionen. Definitionen sind Bestandteile von Theorien, ihr Anliegen ist es nicht, alle Gedanken zum Begriff zu beschreiben. Zu einem semantischen Netz kann auch die Kenntnis einer Definition gehören.

Ein semantisches Netz enthält oft Aspekte, die sich logisch ausschließen. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis von inhaltlichen und formalen Aspekten. Als ein Beispiel sei der Begriff „Gleichung“ angeführt. Beide Seiten einer Gleichung sind formal gleichberechtigt, und diese Sichtweise wird auch zum formalen Lösen benötigt. Inhaltlich haben die rechte und die linke Seite oft eine unterschiedliche Bedeutung (z. B. 3 + 4 = 7, A = a·b, y = x +1), was ebenfalls erfasst werden muss.

Das Konzept der Grundvorstellungen, wie es z. B. in Blum u. a. 2004 dargestellt ist, hat Bezüge zur Aspektbetrachtung. Im Unterschied dazu hier wird nicht nur der Kern der Vorstellungen erfasst, und auch formale Aspekte werden nicht ausgeklammert. Es geht um die Gesamtheit aller Gedanken unabhängig von ihrem inhaltlichen oder fachwis­sen­schaft­lichen Status.

Zur Verwendung des Prozentbegriffs

Man kann drei verschiedene Sachsituationen unterscheiden, in denen der Prozentbegriff verwendet wird:

  1. Es wird der Anteil oder ein Vielfaches einer Bezugsgröße betrachtet (prozentualer Anteil, Quote, Rate).
  2. Es werden Vergleiche von Anteilen vorgenommen, die sich auf verschiedene Bezugsgrößen beziehen.
  3. Es werden Veränderungen einer Bezugsgröße betrachtet (Steigerung, Senkung um … auf …, prozentuale Veränderung, Wachstumsrate).

Das Wort „Prozent“ hat bei Aussagen bzw. Aufgabenstellungen in diesen Sachsituationen zwei inhaltlich unterschiedliche Bedeutungen:

  • Es beinhaltet eine Aufforderung zum Rechnen (Rechenvorschrift, Prozentoperator) und ist dabei meist mit dem Wort „von“ verbunden (z. B. 10 % von 180 €),
  • Es stellt die Angabe eines Rechenergebnisses bzw. die Beschreibung einer Situation (Prozentangabe) unter Angabe einer Bezugsgröße dar (z. B. 20 % der Schüler).

Die Bedeutungen stehen in enger Beziehung zueinander. Welcher Aspekt dominiert, wird oft erst aus dem Kontext klar. Der Aspekt A steht in engem Zusammenhang mit der Berechnung von Prozentwerten und Grundwerten und der Aspekt B mit der Ermittlung von Prozentsätzen. Bei der Angabe statistischer Daten (prozentuale Häufigkeiten) wird oft von der Prozentschreibweise im Sinne des Aspektes B Gebrauch gemacht.

Zur Angabe einer Bezugsgröße

Eine Zahl mit einem Prozentzeichen für sich (z. B. nur „1 %“ ohne weitere Zusätze und Kontexte) ist von bestimmten Ausnahmen abgesehen inhaltlich ohne Sinn, da nicht erkenntlich wird, ob es sich um eine Rechenvorschrift handelt bzw. worauf sich diese Prozentangabe bezieht. Zur vollständigen Angabe einer Rechenvorschrift gehört die Angabe der Größe, von welcher der prozentuale Anteil bestimmt werden soll (Prozentwertberechnung) bzw. gegeben ist (Grundwertberechnung). Handelt es sich um eine Prozentangabe, muss zumindest aus dem Kontext hervorgehen, auf welche Größenangabe (Grundwert) sich die Prozentangabe bezieht.

Ausnahmen stellen die Angabe von Wahrscheinlichkeiten und Wirkungsgraden in Prozent dar. Handelt es sich um eine Wahrscheinlichkeitsangabe, so liegt eine Transformation des Intervalls [0; 1] auf das Intervall [0; 100] vor. Man nutzt die Prozentschreibweise, um sich die Größe der Wahrscheinlichkeiten besser vorstellen zu können. Aus mathematischer Sicht ist diese Schreibweise nicht korrekt, da Wahrscheinlichkeiten als Zahlen zwischen 0 und 1 definiert sind. Man kann allerdings auch die Wahrscheinlichkeitsangabe auf einen „Grundwert“, nämlich die Sicherheit (100%ige Sicherheit) beziehen.

Die Angabe von Wirkungsgraden kann in ähnlicher Weise betrachtet werden.

Dem Standpunkt von Walsch (1987), der sich konsequent gegen eine Prozentangabe ohne gleichzeitige Angabe eine Bezugsgröße ausspricht, ist also unter diesem Aspekt zuzustimmen.

Prozente und Verhältnisse von Größen

Hinter einer einzelnen Prozentangabe steht stets ein Verhältnis zweier Größen der gleichen Art bzw. zweier Zahlen. Dieselbe Prozentangabe kann in den Dimensionen völlig unterschiedliche absolute Zahlen verbergen, z. B. kann „50 % der Schüler“ sowohl 2 von 4 Schülern als auch 3746 von 7492 Schülern bedeuten. Eine Prozentangabe ist also eine spezielle Form eines Verhältnisses.

Der Verhältnisaspekt betrifft jedoch nur Prozentangaben; in der Verwendung von „Prozent“ als Rechenvorschrift tritt er nicht auf, da jeweils eine der beiden Größen gegeben ist.

Die „Von-Hundert“-Auffassung des Prozentbegriffs

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Prozentrechnung an deutschen Schulen als „Von-Hundert“-Rechnung gelehrt (Berger 1998, S. 44). Die damit verbundenen Rechenmethoden haben sich als wenig geeignet erwiesen, so dass im Laufe der Zeit ein Übergang zur Hundertstelrechnung erfolgte.

Damit ist aber auch die „Von-Hundert“-Auffassung einer Prozentangabe fast völlig aus den Lehrbüchern verschwunden. Im Mathematiklehrbuch der DDR, in der Ausgabe von 1970, die bis 1984 verwendet wurde, erfolgt die Einführung des Prozentbegriffs noch über die „Vergleichszahl“ 100, d. h. über die Sprechweise „pro Hundert“, die ja auch im Wort „Prozent“ enthalten ist. Mit dieser Auffassung wird zugleich der Verhältnischarakter einer Prozentangabe deutlich. 

In der bereits erwähnten Lehrbuchanalyse trat die „Von-Hundert“-Auffassung nur in einem Fall auf, in der von mir herausgegebenen Reihe. Ich sehe die „Von-Hundert“-Auffassung als eine geeignete Möglichkeit zur Interpretation von Prozentangaben mit ganzzahligen Prozentzahlen an. Der Prozentbegriff sollte deshalb auch mit der Bedeutung von 1 % als „einer von hundert“ verbunden werden. Damit wird eine an­schau­liche Vorstellung für die Angabe „1 %“ aufgebaut, die inhaltlich richtig orientiert. Sie ist oft, aber auch nicht immer verwendbar, wie die Schüler mit folgender Aufgabe selbst entdecken können (Sill 2005, S. 12):

Prozentangaben kannst du dir oft besser vorstellen, wenn du die Formulierung „von Hundert“ verwendest. In welchen Fällen ist dies sinnvoll?

  1. 20 % der Bälle sind grün.
  2. 56 % der Wähler stimmten mit Ja.
  3. 25 % der Menschen sind Chinesen.
  4. Der Preis wurde um 20 % gesenkt.

Zu den Bezeichnungen Prozentsatz, Prozentzahl und der Schreibweise „p %“

Bei einer Prozentangabe der Form „p % von G“ wird in der Literatur die Bezeichnung „Prozentsatz“ sowohl für p als auch für „p %“ verwendet. In den Lehrbüchern der DDR sowie in den meisten mathematischen Nachschlagewerken (auch bei Wikipedia) findet man die erste Auffassung, während in Schullehrbüchern bis auf sehr wenige Ausnahmen „p %“ als Prozentsatz bezeichnet wird. Die Zahl p wird oft Prozentzahl oder Prozentpunkt genannt. Diese Bezeichnungen werden auch im All­tag verwendet, etwa bei Aussagen zur Veränderung von Prozentsätzen: „Die Partei hat ihr Ergebnis um einen Prozentpunkt verbessert.“

Im Alltag und im Bankwesen wird das Wort „Zinssatz“ einheitlich für Angaben aus Zahl und Prozentzeichen verwendet: „Der Zinssatz beträgt 4 %.“ Gelegentlich wird die Zahl p als Zinsfuß bezeichnet. Bei der Angabe eines Zinssatzes wird in der Regel keine Bezugsgröße angegeben, da aus dem Kontext (Finanzwesen) ersichtlich ist, dass es um ein bestimmtes Ausgangskapital geht.

Im Interesse einer Übereinstimmung der Sprechweisen sollten im Mathematikunterricht die Bezeichnungen Prozentsatz und Zinssatz wie im täglichen Leben verwendet und auch von dem Prozentsatz „4 %“ und nicht „4“ gesprochen werden.

Dies führt unweigerlich zu der allgemeinen Schreibweise „p %“ für den Prozentsatz. Diese Notation entspricht nicht den Konventionen im Umgang mit Termen, da „%“ kein selbstständiges mathematisches Zeichen und auch keine Einheit ist.

Diese Schreibweise widerspricht zudem dem Bezugsgrößen-Aspekt, da jetzt Angaben mit einem Prozentzeichen ohne Bezugsgröße notwendig werden. In dem DDR-Lehrbuch von 1985, das unter der Leitung von Werner Walsch entwickelt wurde, treten diese Probleme nicht auf, da konsequent nur Zahlen als Prozentsätze angegeben und Prozentangaben immer mit einer Bezugsgröße verbunden werden.

Solche Widersprüche von bestimmten Sprech- und Schreibweisen zur formalen und auch inhaltlichen Exaktheit sind zwar nachteilig, aber in vielen Fällen nicht vermeidbar. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus dem Mathematikunterricht wie die Bezeichnung einer Strecke und ihrer Länge mit dem gleichen Symbol oder das Mitführen von Einheiten in einer Rechnung. Deshalb können solche widersprüchlichen Aspekte durchaus Bestandteil des gleichen semantischen Netzes sein, wenn dazu auch die Kenntnis einer Unterscheidung der Aspekte gehört, die im Bedarfsfall bewusst gemacht werden kann. Ein Schüler sollte also wissen, dass zu einer Prozentangabe immer die Angabe einer Bezugsgröße gehört, diese aber in bestimmten Fällen auch weggelassen wird.

In diesem Sinne ist also den Auffassungen von Naumann (1987) zuzustimmen.

Auf die Bezeichnung „Prozentsatz“, die im Alltag kaum vorkommt, kann im Rahmen des sicheren Wissens und Könnens verzichtet werden. Alle Prozentaufgaben lassen sich auch ohne diesen Begriff formulieren. Für unsere Vorschläge zum Lösen dieser Aufgaben, die hier aus Umfangsgründen nicht vorgestellt werden können, ist dieser Begriff ebenfalls nicht erforderlich.

Prozentangaben und Dezimalbrüche

Mit der diskutierten Problematik zum Wort Prozentsatz ist die Gleichsetzung von Prozentsatz, Hunderterbruch und Dezimalbruch verbunden, die man in fast allen Lehrbüchern findet. Auch in der didaktischen Literatur wird dieser Ansatz als besonders günstig und einfach hervorgehoben (Appell 2004). Dadurch wäre es möglich, die Prozentrechnung als Teilgebiet der Bruchrechnung anzusehen.

Diese Gleichsetzung, die dem grundlegenden Bezugsgrößen-Aspekt widerspricht, führt bei konsequenter Anwendung zu unsinnigen Rechnungen wie etwa 2,5 – 0,3 = 220 % oder 78 % + 52 % = 1,3 (Walsch 1987, S. 510). Ihre weite Verbreitung sehe ich als einen Grund für viele Fehler im Umgang mit Prozenten an.

Für das formale Rechnen mit bzw. das Berechnen von Prozent­angaben ist die formale Gleichsetzung von Prozentsatz und Dezimalbruch aber durchaus von Vorteil. Damit werden Verfahren ermöglicht, die ohne Begriffe und Formeln auskommen.

Diese Gleichsetzung sollte deshalb ebenfalls zum semantischen Netz gehören, unter Beachtung der im vorherigen Punkt durchgeführten Betrachtungen. Bei der Erklärung des Prozentbegriffes und bei den ersten Übungen zum Prozentbegriff sollte diese Gleichsetzung allerdings noch vermieden werden, um die Ausbildung der Vorstellungen zum Bezugsgrößen-Aspekt nicht zu behindern. Es ist ausreichend, die Gleichsetzung erst bei der Behandlung der Grundaufgaben der Prozentrechnung zu verwenden und dabei auf die inhaltliche Problematik hinzuweisen.

Zur Interpretation von Prozentangaben

Aufgrund des häufigen Auftretens von Prozentangaben im Alltag und ihrer oft fehlerhaften Interpretation sollten die Schüler mit den folgenden Möglichkeiten der Interpretation von Prozentangaben vertraut gemacht werden, die sich teilweise bereits aus den Aspekten des Prozentbegriffs ergeben. Einige Interpretationen sind allerdings nur unter bestimmten Bedingungen möglich.

Bedingung

p % von G sind

Beispiel: 5 % der Wähler

p % = r, r ∈ R+ 

–  das r-fache von G

das 0,05-fache der (Anzahl der) Wähler

p ∈ R

–  p Hundertstel von G

 5/100 der Wähler

p ∈ R , p < 100

–  p von Hundert

5 von 100 Wählern

p % = 1/n , n ∈ N+

–  ein n-tel von G

 1/20 der Wähler

–  einer von n

einer von 20 Wählern

–  jeder n-te

jeder 20. Wähler

In einer Untersuchung zum Können von Lehrlingen und Schülern an Fachgymnasien haben wir u. a. auch das Können im Anwenden einiger dieser Interpretationsmöglichkeiten überprüft. Die Untersuchung fand im Februar 2004 an der Beruflichen Schule sowie einem Fachgymnasium des Landkreises Güstrow statt. Es wurden 68 Lehrlinge technischer Berufsrichtungen (Informationselektroniker, Industriemechaniker, Kraftfahrzeugmechatroniker) des 2. und des 3. Lehrjahres (BG Technik), 20 Schüler einer 11. Klasse am Fachgymnasium Technik (FGy Technik), 54 Lehrlinge wirtschaftlicher Berufsrichtungen (Wirtschaftsassistent, Verwaltungsfachangestellter) (BG Wirtschaft) und 23 Schüler einer 11. Klasse am Fachgymnasium Wirtschaft (FGy Wirtschaft) befragt.

Die Lehrkräfte wurden instruiert, die Lehrlinge bzw. die Schüler nicht auf die Befragung vorzubereiten, Unregelmäßigkeiten sowie die Zeit zur Bearbeitung der Fragen zu notieren und zu warten, bis alle Schüler den Fragebogen ausgefüllt haben. Die Schüler wurden auf dem Fragebogen zunächst über die Bedeutung und das Anliegen der Befragung informiert.

Die entsprechende Frage zur Interpretation einer Prozentangabe lautete:

Was bedeutet folgende Formulierung „5 % der Bürger“? (Es können mehrere Felder angekreuzt werden.)

Die Antwortmöglichkeiten und die prozentualen Häufigkeiten der richtigen Antworten enthält die folgende Tabelle. Die Probanden mussten erkennen, dass die Antworten (1) bis (3) fehlerhaft sind, dort also kein Kreuz zu setzen ist, und dass die Antworten (4) bis (7) zutreffen, also anzukreuzen sind.

 

Antworten

FGy Technik

BG Technik

FGy Wirtschaft

BG Wirtschaft

(1)     

5 von 10 Bürgern

95

99

96

93

(2)     

jeder 5. Bürger

100

81

78

74

(3)     

 1/5 der Bürger

100

93

78

63

(4)     

jeder 20. Bürger

55

44

57

39

(5)     

 1/20 der Bürger

55

60

30

37

(6)     

das 0,05-fache der Anzahl der Bürger

40

49

9

43

(7)     

einer von 20 Bürgern

40

51

30

33

 

Mittelwert

69

68

54

54

Tabelle 1: Anteil der richtigen Antworten, Angaben in Prozent

Während bei den vier zu lösenden Prozentaufgaben von den Teil­neh­mern insgesamt eine Erfüllungsquote von etwa 80 % erreicht wurde, zeigten sich bei der Interpretation von Prozentangaben viele Defizite, insbesondere in den wirtschaftlichen Berufsrichtungen. Von den 88 Teilnehmern aus den technischen Berufsrichtungen gaben 71 (81 %) und von den 77 Teilnehmern aus den wirtschaftlichen Berufsrichtungen nur 48 (62 %) vier und mehr richtige Antworten.

Literatur

Appell, Christina (2004): Prozentrechnen: Formel, Dreisatz, Brüche und Operatoren. – In: Der Mathematikunterricht, Jg. 50, H. 6, S. 23-32

Berger, Roland (1989): Prozent- und Zinsrechnen in der Hauptschule. Pädag. Hoch­schule, Dissertation, Freiburg (Breisgau), 1989. – Regensburg: Roderer

Blum, Werner u. a. (2004): Grundvorstellungen als aufgabenanalytisches und diagnostisches Instrument bei PISA. In: Neubrand, Michael (Hrsg.): Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. – Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 145–157

Griesel, Heinz (1981): Der quasikardinale Aspekt in der Bruchrechnung. – In: Der Mathematikunterricht, Jg. 27, S. 87–95

Herget, Wilfried; Scholz, Dietmar (2006): Die etwas andere Aufgabe – aus der Zeitung. Mathematik-Aufgaben Sek I. 4. Aufl. – Seelze: Kallmeyer

Hoffmann, Sabine u. a. (September 2009): Sicheres Wissen und Können im Rechnen mit Zahlen und Größen. Sekundarstufe I. Herausgegeben von Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern

Jordan, Alexander u. a. (2004): Mathematische Fähigkeiten bei Aufgaben zur Proportionalität und Prozentrechnung – Analysen und ausgewählte Ergebnisse. – In: Neubrand, Michael (Hrsg.): Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. 1. Aufl. – Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 159–173

Kleine, Michael; Jordan, Alexander (2007): Lösungsstrategien von Schülerinnen und Schülern in Proportionalität und Prozentrechnung – eine korrespondenzanalytische Betrachtung. – In: Journal für Mathematik-Didaktik, Jg. 28, H. 3/4, S. 209–223

Naumann, Jürgen (1987): Besseres inhaltliches Verständnis der Schüler für die Prozentrechnung schaffen! – In: Mathematik in der Schule, Jg. 25, H. 7/8, S. 501–508

Scholz, Dietmar (2003): Prozentrechnung in Klasse 7. In: Henn, Hans-Wolfgang; Maaß, Katja (Hrsg.): Materialien für einen realitätsbezogenen Mathematikunterricht. – Hildesheim: Franzbecker, S. 16–34

Seeger, Falk (1990): Visualisierungen, Schülerkonzepte und Aufgabenbearbeitung. Empirische Analysen von Aufgaben zur Prozentrechnung, Algebra und linearen Gleichungen. – In: Bromme, Rainer; Seeger, Falk; Steinbring, Heinz (Hrsg.): Aufgaben als Anforderungen an Lehrer und Schüler. – Köln: Aulis-Verl. Deubner, S. 31–149

Sill, Hans-Dieter (Hrsg.) (2005): Mathematik. Lehrbuch für die Klasse 7. Sachsen-Anhalt Gymnasium. 2. überarb. u. erw. Aufl. – Berlin: Duden Paetec

Walsch, Werner (1987): Ist G = W : p % . Einige Bemerkungen zum Beitrag „Besseres inhaltliches Verständnis der Schüler für die Prozentrechnung schaffen!“. – In: Mathematik in der Schule, Jg. 25, H. 7/8, S. 509–512

[1] Auszug aus Sill, Hans-Dieter (2010): Probleme im Umgang mit Prozenten. In: Wilfried Herget (Hg.): Mathematische Kompetenzen entwickeln und erfassen. Festschrift für Werner Walsch zum 80. Geburtstag. Hildesheim: Franzbecker, S. 137–149.

[2] Bei Personenangaben sind mit der maskulinen Form stets beide Geschlechter gemeint.

[3]  Ein Schüler weiß/kann etwas sicher, wenn er unvorbereitet von 3 Aufgaben mindesten 2 richtig löst.

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