Hans-Dieter Sill, 05.08.2024

Analysen zum Wort „Ereignis“

PDF-Datei

Inhalt

Vorbemerkungen

Literaturanalysen

Wörterbücher, Lexika zur Alltagssprache

Philosophische und theologische Lexika

Auswertungen und Schlussfolgerungen zur Verwendung des Wortes

Ereignis in der Alltagssprache

Ereignis in der philosophischen und theologischen Literatur

Vorschlag zur Verwendung des Begriffs „Ereignis“ in der Philosophie

Literaturverzeichnis

 

Vorbemerkungen

Zu Ermittlung der Bedeutungen der Wörter im Alltag wird das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (www.dwds.de/) verwendet (DWDS). Um einen Eindruck von der Häufigkeit der Verwendung des Wortes im Alltag zu bekommen wird für die Jahre 2016-2020 die Häufigkeit pro 1 Million Token (Frequenz) im DWDS- Zeitungskorpus sowie Kollokationen mit anderen Wörtern angegeben.

Als weitere Quellen zu Bedeutung von Wörtern werden herangezogen

Um einen ersten Überblick zu den Verwendungen der Wörter, ihrer Geschichte und Bezüge zu anderen Inhalten in der Philosophie zu gewinnen, werden die Einträge in der Internetenzyklopädie Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite) verwendet (Wiki).

Um die Bedeutungen der Wörter in der Philosophie genauer zu analysieren, werden die folgenden Wörterbücher und Enzyklopädien verwendet. Sie liegen auch in elektronischer Form vor, wodurch eine Suche nach den Wörtern im gesamten Text möglich ist.

  1. Ritter u. a. (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 17.144 Sp. (8.572 S.) (HWPh)
  2. Prechtl und Burkard (2008): Metzler Lexikon Philosophie, 705 S. (MLPh)
  3. Sandkühler (2010): Enzyklopädie Philosophie, 3.209 S. (EPh)

Mit den jeweiligen Suchfunktionen wird im Volltext nach den betreffenden Wörtern gesucht und es wird die Anzahl der jeweiligen Ergebnisse absolut und (in Klammern) pro 100 Seiten angegeben.

Weiterhin werden folgende theologische Wörterbücher verwendet, um die Bedeutungen der Wörter in der Theologie zu ermitteln.

  • Kasper (1993-2001): Lexikon für Theologie und Kirche (LTK)
  • Betz u. a. (2007): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, (RGG4)

Weitere Informationen zu den Wortanalysen und Auswahlkriterien sind auf der Seite „Zu den Wortanalysen und Auswahlkriterien“ enthalten.

Literaturanalysen

Wörterbücher, Lexika zur Alltagssprache

DWDS

Frequenz: 43,1

Kollokationen: historisch (8.0, 3382), gesellschaftlich (7.1, 1338), tragisch (7.0, 897), schrecklich (6.8, 772), aktuell (6.7, 12829)

Bedeutungen:

das, was sich ereignet (hat) oder ereignen wird, Geschehnis, Begebenheit

eine bedeutsame, denkwürdige Begebenheit

Beispiele:

  • der Besuch des ausländischen Staatsoberhauptes, der Klavierabend des berühmten Pianisten war für die Hauptstadt ein Ereignis
  • ein gesellschaftliches Ereignis war das internationale Tanzturnier unter Beteiligung europäischer Spitzenpaare

Wiktionary

  1. meist bedeutsames – Geschehen oder Erlebnis
  2. Mathematik: Teil einer Menge von Ergebnissen eines Zufallsexperiments, dem eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden kann

Beispiele:

  • Wer den Zusammenbruch von 1933 begreifen will, muß die Ereignisse der Jahre 1918 und 1919 in Deutschland kennen
  • Das war das sonderbarste Ereignis der Weltgeschichte.

DUW

Ereignis: besonderer, nicht alltäglicher Vorgang, Vorfall; Geschehnis: ein trauriges, bedeutendes, historisches Ereignis; die Duplizität der Ereignisse; das Konzert war ein Ereignis (etwas ganz Besonderes) für unsere Stadt; R große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus; * ein freudiges Ereignis (verhüll.; die Geburt eines Kindes).

Wiki

Ereignis steht für:

  • Ereignis, ein Geschehnis – verschiedene Bedeutungen
  • Ereignis (Wahrscheinlichkeitstheorie), Zufallsereignis
  • Ereignis (Programmierung), Softwaretechnik
  • Ereignis (UML), Element in der Unified Modeling Language

Ein Ereignis ist im allgemeinen Sinn eine Situation, die durch Dynamik oder Veränderung gekennzeichnet ist. Das Gegenteil eines Ereignisses ist ein „Zustand“: eine Situation ohne Veränderung oder Dynamik. Eine klassische Definition ist, dass ein Ereignis darin besteht, dass ein Übergang von einem Zustand in einen anderen Zustand stattfindet.

In der modernen Philosophie wird zumeist in zwei verschiedenen Kontexten von „Ereignis“ gesprochen:

  • Zum ersten im Kontext der Kontinentalphilosophie bei Existentialisten und Phänomenologen, darunter z. B. Martin Heidegger und diverse französische Philosophen, ebenso im Poststrukturalismus. In dieser Verwendung meint Ereignis, Ereignishaftigkeit u. ä. einen singulären und instantanen Akt, der für Sein, Handeln, Moral oder Erkennen konstitutiv ist. In Alain Badious Werk ist Ereignis der Schlüsselbegriff. Ereignis wird hier begriffen als das Unberechenbare, Unvorhersehbare, dasjenige, was sich in keiner Weise einer bereits bestehenden Ordnung einfügen oder sich aus ihr ableiten lässt. Es ist kein Element der Menge von Elementen, die eine gegebene Situation ausmachen; es ist nicht benennbar, nicht präsentierbar. Es ist eine Singularität, die die jeweilige Situation und alle darauffolgenden in ihrer Bedeutung grundsätzlich ändert.
  • In einem zweiten Kontext, der systematischen Ontologie, wie sie vor allem im Anschluss an Klassiker der analytischen Ontologie betrieben wird, ist damit ein Objekt gemeint, das sich nicht wie ein Gegenstand, sondern wie ein Prozess verhält. Ereignisse in diesem Sinne werden meist nicht als instantan, sondern als zeitlich ausgedehnt verstanden.

Die philosophische Konzeption von Ereignissen als eigener Sorte von Entitäten in der Welt, insbesondere nach Donald Davidson, hat einen starken Einfluss auf linguistische Darstellungen der Semantik von Verben genommen, und führte zum Entstehen der sog. Ereignissemantik.

Philosophische und theologische Lexika

HWPh

991 (11,6) Treffer, im Stichwort „Ereignis“ (Autor: Dieter Sinn) sind u.a. folgende Gedanken enthalten:

  • Zum philosophischen Leitwort wird Ereignis dann besonders beim späteren HEIDEGGER. Etymologisch bedeutet Ereignis hier kein Geschehen oder Vorkommnis, sondern ein einzigartiges An- und Zueignen, das Sichübergeben des ins Ereignis zurückgedachten «Seins» an das Denken. Bd. 2, S. 609

Weitere Zitate

  • Echte Bedürfnisse und Quasi-Bedürfnisse sind bei ihm zwar auf einen Gegenstand oder ein Ereignis fixiert, er vermeidet es jedoch, aus der Tatsache der Fixierung ein System von Bedürfnissen nach den angestrebten Gegenständen oder Ereignissen zu entwerfen. Bd. 1, S. 768
  • Unter Begriffsbildung wird der psychologische Vorgang verstanden, der zur Kategorisierung von Objekten oder Ereignissen führt. Bd. 1, S. 787
  • Erklären bezeichnet: 1. die Explikation, d.h. die rationale Rekonstruktion, oder die Definition von Begriffen oder wissenschaftlichen Ausdrücken. Hierbei handelt es sich nicht um wissenschaftliche Erklärungen von Ereignissen oder Gesetzen, sondern um die «Erklärung» der Verwendung von Ausdrücken – also um eine ganz andere, semantische Art der «Erklärung». Diese sollte deshalb mit anderen Ausdrücken benannt werden: z.B. Explikation, Definition, Exposition, Erläuterung. Bd. 2, S. 693
  • Allerdings besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Erklärung von Gesetzen und solcher von singulären Ereignissen; er sollte nicht durch eine pauschale gleiche Terminologie verdeckt werden. Im ersteren Falle handelt es sich genauer um die bloß logische Spezialisierung von Gesetzen und Theorien, ohne daß singuläre Anfangsbedingungen einen einzigen Anwendungsfall auszeichneten. Bd. 2, S. 693
  • Der Strukturalismus anerkennt zwar die Geschichte neben Ethnographie, Philologie, Biographie als wichtige Materiallieferantin, aber er bestreitet, daß die Methoden der Historie zur Erklärung geschichtlicher Erscheinungen ausreichen. Denn es gibt keine isolierbaren Ereignisse, und jede «historische Tatsache … löst sich in eine Vielzahl psychischer und individueller Bewegungen auf». Bd. 3, S. 393
  • Kausalität, phänomenale, ist die unmittelbare Erfahrung, daß ein Ereignis einen Einfluß auf ein anderes Ereignis ausübt. Bd. 4, S. 801
  • Gelangt der Mythos von Ereignissen zu Strukturen, während die Wissenschaft ausgehend von Strukturen Ereignisse hervorbringt, dann hält Kunst zwischen Ereignis und Struktur eine Mittelstellung, sie steht «immer auf halbem Weg zwischen Schema und Anekdote», sofern das Ereignishafte nicht auf die abstrakte Struktur reduzierbar ist. Bd. 4, S. 1433
  • Während es zum Wesen des Ereignisses gehört, daß es «passiert», d.h. übergeht in andere Ereignisse, muß das Objekt als das «selbstidentische», im Fluß der Ereignisse «permanente» Element angesehen werden, das zwar wegen seiner Beziehung zum Ereignis («abgeleiteterweise») in Raum und Zeit ist – in Raum und Zeit zu sein, ist «eine fundamentale Eigentümlichkeit der Ereignisse» –, im eigentlichen Sinne jedoch «ohne Zeit und Raum ist». Bd. 6, S. 1050
  • Einmal gehören die Reize in die Klasse der Ereignisse, die Reaktionen auslösen, im anderen Fall sind Reize Klassen von Ereignissen, die durch die Reaktionen erzeugt werden. Bd. 4, S. 1433
  • LUHMANN zufolge sind Strukturen temporalisierte und systeminterne Formen der Limitierung von Anschlußereignissen, die im System reproduziert werden. Durch seine Selbstregulierung gewinnt das System Sensibilität für Bestimmtes bei gleichzeitiger Steigerung der Indifferenz gegenüber anderen Ereignissen. Die Möglichkeit von Struktur-Bildungen hängt dieser Konzeption nach von den reflexiven Mechanismen von Selektivitätsverstärkungen ab, mit deren Hilfe es, trotz turbulenter Ereignisse, die Anschlußfähigkeit der Reproduktion von Elementen eines Systems aufrechtzuerhalten gilt. Bd. 10, S. 331-332

MLPh

272 (38,6) Treffer, im Stichwort „Ereignis“ (Autoren: Anne Reichold, Jeff Owen Prudhomme, S. 146) sind u.a. folgende Gedanken enthalten

  • Ereignis, raumzeitlich bestimmter Vorgang, der in Kausalrelationen zu anderen Ereignissen steht.
  • (1) In der Physik ein Raum-Zeit-Punkt im Minkowski-Raum; in der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung Bezeichnung für eine Teilmenge aller möglichen Ausfälle eines Zufallsexperiments.
  • (2) In der analytischen Handlungstheorie und Philosophie des Geistes wird Ereignis im Zusammenhang mit der Dichotomie von physikalischen und mentalen Ereignissen diskutiert (Leib-Seele- Problem). Das Unterscheidungskriterium liegt auf der semantischen Ebene: Physikalische Ereignisse sind physikalisch beschreibbar, mentale Ereignisse werden als intentional beschriebene Akte im Sinne Brentanos aufgefasst und stehen in der mittelalterlichen Tradition der Intentio als Geistesakt (Ockham). Auf ontologischer Ebene argumentieren die meisten Autoren der analytischen Philosophie für einen Physikalismus, demzufolge alle Ereignisse physikalisch sind (Monismus). Ereignisse werden abgegrenzt von materiellen Gegenständen und Personen. Als spezifische Identitätsbedingungen für Ereignisse werden genannt: kausale Ereignisindividuation, d. h. Identität von Ereignissen mit identischen Ursachen und Wirkungen (Davidson); raumzeitliche Ereignisindividuation (Quine, Stoecker, später: Davidson); Ereignis als Sachverhalte (Chisholm); Ereignis als Eigenschaftsexemplifikationen (Kim).
  • (3) Den genannten Bedeutungen diametral entgegengesetzt, bezeichnet Ereignis als Grundbegriff der Spätphilosophie Heideggers das nicht lokalisierbare, nicht objektivierbare Wesen des Seins.

Weitere Zitate

  • (1) Wenn X eine Handlung B (»ein Tor erzielen«) dadurch verursacht, dass er eine Handlung A (»den Ball schießen «) vollzieht, dann ist das durch B beschriebene Ereignis b keine Basishandlung (Die durch A und B beschriebenen Ereignisse a und b sind zwei verschiedene Ereignisse). (2) Wenn X eine Handlung D (»grüßen«) dadurch vollzieht, dass er eine Handlung C (»den Arm bewegen«) ausführt, dann wird das Ereignis unter der Beschreibung D nicht als Basishandlung beschrieben (wobei C und D Beschreibungen eines einzigen Ereignisses sind). Während durch (1) aus der Menge aller Handlungsereignisse die Teilmenge der Basishandlungen gebildet wird, kann durch (2) diejenige Beschreibung ermittelt werden, die das fragliche Ereignis als Basishandlung kennzeichnet. Basishandlungen sind dann alle Handlungen, für die weder (1) noch (2) gilt. S. 60
  • In empirisch-wissenschaftlicher Hinsicht sind mit Bedingungen entweder die ein Geschehen oder Ereignis erklärenden Ursachen (i.S. des Ursache-Wirkungs- Verhältnisses) gemeint oder die Randbedingungen als notwendige, jedoch nicht verursachenden Voraussetzungen für ein Ereignis. Zur näheren Charakterisierung des Bedingungsverhältnisses bietet sich die Differenzierung in (a) notwendige, (b) hinreichende und (c) notwendige und hinreichende Bedingungen an: (a) ohne ein Ereignis A tritt ein Ereignis B nicht ein, d.h. das Ereignis A ist notwendige Voraussetzung von B – das bedeutet nicht gleichzeitig, dass bei gegebenem Ereignis A auch das Ereignis B eintreten muss. (b) Ein Ereignis A stellt dann eine hinreichende Bedingung dar, wenn bei ihrem Gegebensein mit Notwendigkeit auch das Ereignis B eintritt. S. 64
  • Denn der Historiker hat keine Naturereignisse zum Gegenstand, sondern soll menschliches Handeln erklären, d.h. ein historisches Ereignis in Termini von Absichten und Plänen beschreiben. S. 157
  • Erlebnis, allgemein sowohl ein Geschehnis oder Ereignis, durch das jemand stark und nachhaltig beeindruckt wurde, … S. 158
  • Kosmische Evolution und biologische Evolution sind jedoch prinzipiell verschiedene Prozesse, denen nur gemeinsam ist, dass sie eine Folge von Ereignissen beschreiben, die eine Richtungskomponente aufzuweisen scheinen. S. 172
  • Die kausale Handlungserklärung zerlegt die Beschreibung eines intentionalen Aktes in drei Teile: eine Beschreibung des bloßen Verhaltens, d.h. der Körperbewegung, die ein Ergebnis ergibt; eine mentale Beschreibung der Annahmen und Wünsche; eine Feststellung des Inhalts, dass die Körperbewegung durch das mental Beschriebene (d.i. die Wünsche) verursacht wird. Dadurch wird zur Erklärung des Ereignisses »Körperbewegung« ein weiteres Ereignis, das sich gleichsam im Inneren des Handelnden zuträgt, festgestellt. S. 231
  • Handlungsursache, Zustände und Ereignisse, die das Stattfinden einer Handlung (Körperbewegung) kausal erklären. S. 233
  • Hinzu kommt noch das sogenannte Kausalprinzip, dem zufolge jedes Ereignis eine Ursache hat. – Der Standardauffassung von Kausalität zufolge stehen Ereignisse (»e1 verursacht e2«) in der Kausalrelation, wobei die Wirkung nicht zeitlich vor der Ursache existieren darf (Sukzessionsbedingung). Darüber hinaus sind nur solche beobachtbaren Ereignisabfolgen Kausalrelationen, bei denen die Wirkung regelmäßig und mit Notwendigkeit auf die Ursache folgt. Die Notwendigkeitsbedingung zeigt an, dass Kausalrelationen unter Kausalgesetze fallen müssen (Ereignisse vom Typ E1 verursachen Ereignisse vom Typ E2 unter der Voraussetzung bestimmter Rahmenbedingungen). Die Einschränkung auf theoretisch bestimmbare Rahmenbedingungen. S. 290
  • Konsequenzen bezeichnen technisch subjektiv bewertete Ereignisse, die durch eine Handlung hervorgebracht werden, so dass sich Konsequenzen als Zustände von Personen beschreiben lassen. Dabei kann die Beziehung zwischen Handlung und Ereignis kausal oder konventionell sein. S. 308
  • Kontiguität, bedeutet das unmittelbare Nebeneinander zweier Gegenstände oder Ereignisse in Raum und Zeit, ohne dass ein Prinzip (z.B. ein kausales) der Verbindung angenommen wird. S. 311
  • Die sprachanalytische Philosophie fasst das Objekt zumeist als das im Fluss raum-zeitlicher Ereignisse mit sich selbst Identische und konzentriert sich weithin auf die Frage, welchen Arten von Objekten Existenz zuzusprechen ist. Dabei ist besonders die Existenz sog. abstrakter Oblekte umstritten. S. 423
  • Raum-Zeit-Kontinuum, bezeichnet in der modernen Physik die stetige Mannigfaltigkeit von Raum-Zeit-Punkten, d. h. von Ereignissen, die durch Raum- und Zeitkoordinaten charakterisiert werden. Die Rede vom Kontinuum ist dabei so zu verstehen, dass es zu jedem Ereignis E1 beliebige weitere Ereignisse gibt, deren Koordinaten sich von E1 beliebig wenig unterscheiden. Die Raum-Zeit lässt sich dabei im Unterschied zur Newton’schen Physik ausschließlich aus den Kausalbeziehungen zwischen den Ereignissen ableiten. S. 508
  • Schaden, Ereignis, das den Interessen einer Person zuwiderläuft und das aus diesem Grund von einer Gruppe oder der Gesellschaft negativ bewertet wird. S. 538
  • Verursachung, mentale. Bei der Untersuchung der Möglichkeit mentaler Verursachung geht es um die Frage, ob mentale Ereignisse Ursachen sein können. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: (1) Verursachung innerhalb des Mentalen und (2) mentale Ereignisse als Ursachen von physikalischen Ereignissen. S. 659
  • Zufall bezeichnet im Allgemeinen ontologischen Sinne diejenigen Ereignisse, die sich weder als gesetzmäßige Folge eines objektiven Kausalzusammenhangs noch als intendiertes Folgeereignis subjektiv-rationaler Planung erklären lassen … S. 701

EPh

608 (18,9) Treffer, im Stichwort „Ereignis“ (Autor: Daniel Martin Feige) sind u.a. folgende Gedanken enthalten

  • Ein Ereignis … ist etwas, das geschieht. Eine übergreifende Definition existiert nicht. In einer Reihe von Einzelwissenschaften (etwa den Geschichtswissenschaften oder der Physik) ist die Klärung des Begriffs selbst eine zentrale wissenschaftliche Aufgabe. S. 559
  • Philosophisch relevant ist der Begriff des Ereignisses v.a. in drei theoretischen Kontexten: (i) als ein Begriff der analytischen Ontologie. Er kennzeichnet hier Entitäten, die zumeist von materiellen Gegenständen, Sachverhalten und Eigenschaften unterschieden werden. … In der analytischen Ontologie wird der Begriff des Ereignisses damit in einem weiten Sinne dahin gehend gebraucht, dass er eine große Klasse von Entitäten umfasst. Der Tod des Aristoteles, die Schlacht von Waterloo, die Rede von Churchill aus dem Jahre 1940 sind auf ontologischer Ebene genauso Ereignis wie die Bewegung eines Armes, das Feuern von Neuronen und jede kleinste Zuckung der Materie auf der Ebene physikalischer Prozesse. S. 559
  • Philosophisch relevant ist der Begriff des Ereignisses (ii) bei Heidegger und Bergson und im Gefolge dieser Autoren im französischen Poststrukturalismus. Das Ereignis kennzeichnet für diese Autoren Phänomene, für die charakteristisch ist, dass sie die historische Zeit unterbrechen und symbolische Ordnungen aufbrechen. … Damit wird der Ereignisbegriff von diesen Autoren in einem engen Sinne verwendet und nicht mehr zu dem Zweck gebraucht, eine ontologische Kategorie unter anderen zu bestimmen. S. 559
  • Schließlich hat sich der Begriff des Ereignisses (iii) im Kontext der sprachphilosophischen und kulturtheoretischen Debatten um den Begriff der Performativität und ausgehend von diesen Debatten auch in der gegenwärtigen Ästhetik als Grundbegriff etabliert. S. 559
  • Zwar lässt sich historisch ein Verständnis von Ereignis als Bestandteil des Inventars der Welt bei verschiedenen Philosophen (z.B. Leibniz) feststellen, doch hat sich der Begriff des Ereignisses als philosophischer Grundbegriff erst im ausgehenden 19. Jh. (v.a. seit Bergson) und im 20. Jh. (in der analytischen Ontologie) etabliert. … Es hat sich dabei keine einheitliche oder vorherrschende Lehrmeinung herauskristallisiert, sondern die Frage nach dem ontologischen Status von Ereignissen und des Verhältnisses von Ereignissen zu anderen ontologischen Kategorien sind Gegenstand anhaltender Diskussionen. S. 559b
  • Die meisten Autoren unterscheiden Ereignisse von Sachverhalten anhand des Kriteriums, dass Ereignisse im Gegensatz zu Sachverhalten raumzeitlich lokalisierbar sind und es sich bei ihnen um konkrete Entitäten handelt. Sachverhalte werden demgegenüber als abstrakte Entitäten und als nicht zeitlich verfasst begriffen S. 560
  • Ähnlich wie beim Verhältnis von Ereignissen zu Sachverhalten werden Ereignisse von Eigenschaften unterschieden. Gemeinhin werden Eigenschaften anders als Ereignisse als Universalien betrachtet; verschiedene Gegenstände können zur gleichen Zeit dieselbe Eigenschaft aufweisen. S. 560b
  • Anders als bei Sachverhalten und Eigenschaften handelt es sich bei materiellen Gegenständen um Individuen und konkrete Entitäten, die in Raum und Zeit lokalisierbar sind. Damit sind sie Ereignissen ähnlicher, zumindest wenn diese anders als etwa bei Chisholm auch als konkrete und raumzeitlich lokalisierbare Individuen verstanden werden. Quine hat aus dieser Nähe von Ereignis und materiellem Gegenstand die Konsequenz gezogen, Ereignisse und materielle Gegenstände nicht in distinkten ontologischen Kategorien anzusiedeln, sondern sie in einer allgemeineren Kategorie zusammenzufassen. Ein Ereignis ist nach Quine konstituiert durch eine Totalität dessen, was einen bestimmten raumzeitlichen Ort belegt. S. 561
  • Davidsons eigener Vorschlag eines Identitätskriteriums für Ereignis besagt, dass zwei Ereignisse dann identisch sind, wenn sie dieselbe kausale Rolle einnehmen, d.h. in ihren Ursachen und Wirkungen übereinstimmen. S. 561
  • Obwohl Ereignisse in Raum und Zeit lokalisierbar sind, weisen sie ein anderes Verhältnis zu Raum und Zeit auf als materielle Gegenstände: Ereignisse haben anders als materielle Gegenstände keine Form und Farbe, da sie nicht aus Materie bestehen. S. 561b

Weitere Zitate

  • Mithin wird der Idee eine entsprechende Vielfalt von Bedeutungen zugeschrieben, da sie entweder als mentales Ereignis oder als Akt, als Subjekt des Aktes bzw. des Vermögens oder als dessen Objekt angenommen wird. S. 1051b
  • Ein Ereignis u verursacht ein Ereignis w genau dann, wenn gilt: (i) die Ereignisse u und w finden statt, (ii) u findet (etwas) früher als w statt, und (iii) immer, wenn ein u- artiges Ereignis stattfindet, folgt das Auftreten eines w- artigen Ereignisses. S. 1223b
  • Das Kausalprinzip besagt, dass die Kausalität universal ist, d.h., dass jedes Ereignis eine Ursache hat. S. 1224
  • Ein bestimmtes Ereignis ist erklärt, wenn sein Auftreten aus dem Auftreten eines anderen bestimmten Ereignisses mit Hilfe einer oder mehrerer Gesetzesaussagen abgeleitet werden kann. S. 3042
  • In erster Näherung kann man Zufall als ein Ereignis auffassen, das sich weder als regelmäßige Folge eines gesetzmäßigen Zusammenhangs noch als intendiertes Ergebnis rationaler Planung erklären lässt. S. 3113u

LTK

  • Als Ereignis wird all das bezeichnet, was an einem bestimmten Ort während einer bestimmten Zeitspanne geschieht (Bd. 3, S. 751).
  • In monistischen Ontologien bilden Ereignisse die Grundkategorie, auf die alle sonstigen Entitäten zurückführbar sein müssen (Whitehead, Quine). Da sie sich in der Zeit erstrecken, bestehen sie aus zeitlichen Teilen oder Phasen, von denen immer nur die jeweils aktuellen existieren (Bd. 3, S. 752).

RGG4

Ereignis, umgangssprachlich ähnlich wie „Vorkommnis“ oder „Geschehen“, ist in der Ontologie eine Bezeichnung für prozessuale Entitäten im Kontrast zu Dingen oder Substanzen. Die Frage, ob Ereignisse nur unter der Voraussetzung von Dingen möglich sind oder Dinge sich in Ereignissen konstituieren, sodass Ereignisse ihnen gegenüber primär sind, ist umstritten. Der prominenteste Vertreter einer Ereignisontologie und die in der modernen Philosophie ist A. N. Whitehead (S. 1399).

Auswertungen und Schlussfolgerungen zur Verwendung des Wortes

Ereignis in der Alltagssprache

In der Alltagssprache kommt das Wort „Ereignis“ mit einer Frequenz von 43 und damit häufig vor, häufiger als das Wort „Vorgang“ aber nur halb so häufig wie das Wort „Prozess“. Es steht für etwas was sich ereignet hat, was geschehen oder erlebt wurde.

In den Wörterbüchern gibt es neben Hinweisen auf Bedeutungen in anderen Wissenschaften folgende Erklärungen zum Wort „Ereignis“:

  • das, was sich ereignet (hat) oder ereignen wird, Geschehnis, Begebenheit, eine bedeutsame, denkwürdige Begebenheit (DWDS)
  • meist bedeutsames – Geschehen oder Erlebnis (Wiktionary)
  • besonderer, nicht alltäglicher Vorgang, Vorfall; Geschehnis (DUW)

Übereinstimmend werden in den Wörterbüchern zwei Momente des Wortes genannt:

(1) Es ist etwas was sich ereignet, geschieht, sich begibt, vorgefallen ist oder erlebt wird.

(2) Es ist etwas Denkwürdiges, Bedeutsames oder Besonderes.

Als Beispiele werden angegeben: der Besuch eines ausländischen Staatsoberhauptes, ein Klavierabend mit einer berühmten Pianistin, ein internationales Tanzturnier mit europäischen Spitzenpaaren.

Aus den Erklärungen und den Beispielen ist erkennbar, dass es meist um ein zeitliches Geschehen, also um einen Vorgang geht. Aber auch der Sieg in einem sportlichen Wettkampf oder die überraschende Zensur in einer Mathearbeit kann als Ereignis bezeichnet werden. In diesen Fällen geht es um Resultate von Vorgängen, also um Zustände.

Die Bezeichnung „Ereignis“ ist in der Alltagssprache stets mit einer Wertung verbunden, die immer an bestimmte Personen gebunden und damit relativ ist. Während die Geburt eines Menschen sicher für alle Menschen etwas Besonderes darstellt, ist eine 1 eines Schülers in einer Mathematikarbeit nur für wenige Personen wie den Schüler selbst, seine Eltern, die Lehrerin und andere, die ihn kennen, etwas Hervorhebenswertes, also ein Ereignis.

In den meisten Fällen handelt es sich um Vorgänge, an denen nichtmentale Objekte beteiligt sind. Es gibt aber auch Vorgänge mit mentalen Objekten, die ein besonderes Ereignis sein können, wie etwa der blitzartige Gedanke von Einstein, der ihn zur Entdeckung der Relativitätstheorie führte und den er beim Aussteigen aus einem Zug gehabt haben soll.

Es wird in den Wörterbüchern bzw. bei Wikipedia auf folgende Bedeutungen des Wortes „Ereignis“ in anderen Wissenschaften hingewiesen:

  • In der Mathematik ist ein Ereignis Teil einer Menge von Ergebnissen eines Zufallsexperiments, dem eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden kann.
  • Ein Ereignis dient in der Softwaretechnik – bei Entwicklung nach dem ereignisorientierten Programmierparadigma – zur Steuerung des Programmflusses.
  • Ein Ereignis ist ein Modellelement in der Unified Modeling Language (UML), einer Modellierungssprache für Software und andere Systeme.

Ereignis in der philosophischen und theologischen Literatur

Die Häufigkeit des Wortes „Ereignis“ in den untersuchten philosophischen Lexika ist unterschiedlich. Während es im Historischen Wörterbuch der Philosophie mit 11,6 Ergebnissen pro 100 Seiten und damit seltener auftritt, ist die Häufigkeit im Metzler Lexikon Philosophie mit 38,6 mehr als dreimal so groß. In der Enzyklopädie Philosophie sind 18,9 Ergebnisse pro 100 Seiten zu verzeichnen.

In allen drei Lexika gibt es das Stichwort „Ereignis“, sodass das Wort als philosophischer Terminus bezeichnet werden kann. Der Umfang und der Inhalt der Texte sind allerdings ebenfalls sehr unterschiedlich. Im Historischen Wörterbuch der Philosophie wird auf wenigen Seiten lediglich auf die Auffassungen von Heidegger zu dem Terminus eingegangen, die mit seiner alltagssprachlichen Verwendung nichts gemein haben.

In der gesichteten Literatur gibt es folgende Erklärungen:

  • Ereignis ist raumzeitlich bestimmter Vorgang, der in Kausalrelationen zu anderen Ereignissen steht (MLPh, S. 146)
  • Ein Ereignis … ist etwas, das geschieht (EPh, S. 559).
  • Als Ereignis wird all das bezeichnet, was an einem bestimmten Ort während einer bestimmten Zeitspanne geschieht (LTK, Bd. 3, S. 751).
  • Ereignis, umgangssprachlich ähnlich wie „Vorkommnis“ oder „Geschehen“, ist in der Ontologie eine Bezeichnung für prozessuale Entitäten im Kontrast zu Dingen oder Substanzen. (RGG4, S. 1399)

Übereinstimmend wird also das Moment des zeitlichen Ablaufs herausgestellt, d. h. ein Ereignis ist ein bestimmter Vorgang.

In der Enzyklopädie Philosophie wird im Stichwort „Ereignis“ vom Autor Daniel Martin Feige festgestellt: „… der Begriff des Ereignisses als philosophischer Grundbegriff [hat sich] erst im ausgehenden 19. Jh. (v.a. seit Bergson) und im 20. Jh. (in der analytischen Ontologie) etabliert. Es hat sich dabei keine einheitliche oder vorherrschende Lehrmeinung herauskristallisiert, sondern die Frage nach dem ontologischen Status von Ereignissen und des Verhältnisses von Ereignissen zu anderen ontologischen Kategorien sind Gegenstand anhaltender Diskussionen (EPh, S. 559, 559b)

Die unterschiedlichen Verwendungen des Terminus zeigen sich in den angegebenen Explikationen, in denen einige Probleme und sogar widersprüchliche Aussagen auftreten. So wird im Metzler Lexikon Philosophie und auch in der Enzyklopädie Philosophie angegeben, dass Ereignisse raumzeitlich bestimmte Vorgänge sind bzw. raumzeitlich lokalisierbar sind. Eine räumliche Bestimmbarkeit existiert aber nur für nicht mentale Objekte. Im selben Lexikon werden dann aber auch mentale Ereignisse betrachtet. Zwar sind die meisten Autoren der analytischen Philosophie Anhänger des Physikalismus, wonach alle Ereignisse physikalischer Natur sind, aber einige Autoren (Quine, Stoecker, später: Davidson) geben als spezifische Identitätsbedingung für Ereignisse die raumzeitliche Ereignisindividuation an.

Ein weiteres Problem ist die Bindung des Terminus Ereignis an kausale Beziehungen, wenn erklärt wird, dass Ereignis ein „raumzeitlich bestimmter Vorgang [ist], der in Kausalrelationen zu anderen Ereignissen steht (Prechtl und Burkard 2008, S. 146). Bei Ereignissen wie ein Klavierabend mit einer berühmten Pianistin oder ein internationales Tanzturnier mit europäischen Spitzenpaaren lassen sich kaum kausale Beziehungen zu anderen Ereignissen finden.

Eine Analyse der weiteren angegebenen Zitate aus den drei Lexika ergab weiterhin:

  • Ereignisse werden als eine eigenständige Kategorie neben Gegenständen, Objekten oder Gesetzen angesehen.
  • Als spezielle Ereignisse werden genannt: singuläre Ereignisse, isolierbare Ereignisse, historische Ereignisse, mentale Ereignisse.
  • „In Raum und Zeit zu sein, ist eine fundamentale Eigentümlichkeit der Ereignisse“ (Ritter et al. 2007, Bd. 6, S. 1050) im Unterschied zu Objekten.
  • Im Zusammenhang mit Betrachtungen zur Rolle der Kunst, wird Ereignis mit Anekdote in Beziehung gesetzt (Ritter et al. 2007, Bd. 4, S. 1433).
  • Es werden Ereignisse und ihre Beschreibungen unterschieden. So werden etwa „den Ball schießen“, „den Arm bewegen“ oder „grüßen“ als Beschreibungen der tatsächlichen Ereignisse bezeichnet, wobei „den Arm bewegen“ und „grüßen“ Beschreibungen desselben Ereignisses seien (Prechtl und Burkard 2008, S. 60).
  • Es wird Ereignis und Geschehen unterschieden.
  • Evolution beschreiben eine Folge von Ereignissen, die eine Richtungskomponente aufweisen (Prechtl und Burkard 2008, S. 172).
  • Zur Erklärung einer Handlung ist neben einer Beschreibung des Ereignisses (zum Beispiel einer Körperbewegung) auch eine mentale Beschreibung eines inneren Ereignisses (der Annahme und Wünsche des Handelnden) erforderlich (Prechtl und Burkard 2008, S. 231).
  • Ereignisse können durch eine Handlung hervorgebracht werden (Prechtl und Burkard 2008, S. 308).
  • Ein Ereignis kann durch Raum-Zeit-Koordinaten charakterisiert werden (Prechtl und Burkard 2008, S. 508).
  • Der Zufall wird als ein Ereignis bezeichnet (Prechtl und Burkard 2008, S. 701), (Sandkühler et al. 2010, 3113u).
  • „Quine hat aus dieser Nähe von Ereignis und materiellem Gegenstand die Konsequenz gezogen, Ereignisse und materielle Gegenstände nicht in distinkten ontologischen Kategorien anzusiedeln, sondern sie in einer allgemeineren Kategorie zusammenzufassen. Ein Ereignis ist nach Quine konstituiert durch eine Totalität dessen, was einen bestimmten raumzeitlichen Ort belegt“ (Sandkühler et al. 2010, S. 561)

In den Erklärungen und ausgewählten Zitaten wird auf die alltagssprachliche Bedeutung von „Ereignis“ als etwas Besonderem nicht eingegangen.

Im Folgenden sollen einige der erkennbaren Probleme diskutiert werden.

Ein Problem ist die zeitliche Komponente des Terminus Ereignis. Ein Ereignis im Sinne eines Geschehens ist ein zeitlich Verlaufendes. Dies ist etwa der Fall, wenn Ereignisse mit Anekdoten oder evolutionären Vorgängen in Verbindung gebracht werden. Auch die in der Enzyklopädie Philosophie genannten Beispiele für Ereignisse „die Schlacht von Waterloo, die Rede von Churchill aus dem Jahre 1940 … die Bewegung eines Armes, das Feuern von Neuronen und jede kleinste Zuckung der Materie“ (Sandkühler et al. 2010, S. 559) sind Vorgänge.

Aus vielen Formulierungen ist aber auch erkennbar, dass mit Ereignis ein zeitlich sehr begrenztes und sogar ein ohne einen zeitlichen Verlauf Existierendes verstanden wird. Dies betrifft unter anderem die Bezeichnung eines Schadens oder des Zufalls als ein Ereignis sowie die Unterscheidung von Ereignis und Geschehen. Als ein Beispiel für ein Ereignis wird in der Enzyklopädie Philosophie auch der Tod von Aristoteles genannt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Vorgang, sondern um das Ergebnis des Vorgangs „Sterben des Aristoteles“.

Auch bei der Charakterisierung von Ereignissen durch Raum-Zeit-Koordinaten oder bei der Aussagenverbindungen singuläres Ereignis scheint ein punktueller Charakter von Ereignissen intendiert zu sein. Auch die häufige Verwendung des Terminus „Ereignis“ bei Ausführungen zu Kausalität ist in dieser Beziehung problematisch. Wenn etwa bei einem Sturm ein Baum umfällt und ein Auto beschädigt, liegt eine Kausalkette von Ereignissen vor, die alle eine zeitliche Komponente haben, wenn auch das Umfallen des Baumes und das Beschädigen des Autos nur einen kurzen Zeitraum umfasst. Bei der funktionalen Charakterisierung von kausalen Zusammenhängen handelt es sich aber um einen Zusammenhang von Zuständen. Nach dem historischen Wörterbuch der Philosophie ist der Terminus Ereignis diesen Fällen nicht mehr zutreffend: „… aus den Hume-Kantschen Ereignissen sind momentane (!) Zustände geworden, es ist keine Zeitordnung mehr ausgezeichnet, und die Determination bezieht sich gleichermaßen auf Zukunft und Vergangenheit“ (Ritter et al. 2007, Bd. 4, S. 795).

Quante (2020) als Vertreter der analytischen Philosophie bezeichnet im Anschluss an Davidson (1998) Ereignisse als raumzeitliche Einzeldinge (Quante 2020, S. 35). Der singuläre Charakter in seiner Verwendung des Begriffs ist auch daran zu erkennen, dass ein einzelnes Ereignis durch einen Raumzeitpunkt charakterisiert wird.

Ein weiteres Problem ist die Unterscheidung von Ereignis und Beschreibung des Ereignisses. In Bezug auf die entsprechenden Formulierungen halte ich es für eine Spitzfindigkeit der analytischen Philosophie. Das Ereignis, dass jemand den Ball schießt und die sprachliche Formulierung dieses Ereignisses „Jemand schießt den Ball.“ zu unterscheiden, erscheint wenig nutzbringend. Andererseits muss natürlich zwischen dem Ereignis als einem real existierenden und seiner Reflexion durch ein Individuum unterschieden werden. Das Wort „Beschreibung“ drückt diesen Prozess der Modellierung aber eher missverständlich aus. Alles was real existiert, kann stets nur mit Worten beschrieben werden, die natürlich selbst Ergebnisse einer Reflexion sind. Als Beispiel für den Unterschied von Ereignis und Beschreibung schreibt Quante: „Das Aufziehen der Wolken am strahlend blauen Himmel ist ein Ereignis, aber dass es „drohend“ ist, wird ihm vielleicht durch unsere Beschreibung beigelegt.“ (Quante 2020, S. 34). Bei diesem Beispiel liegt der Unterschied zwischen der Angabe des Ereignisses und einer Beschreibung in einer mit der Beschreibung verbundenen Wertung des Ereignisses. Zur Modellierung von Ereignissen gehört, dass über die möglichen Ergebnisse des Geschehens reflektiert wird und dazu gehören im konkreten Beispiel das mögliche Auftreten von starkem Regen und Gewitter.

Mit Problemen der Modellierung hängt auch die Unterscheidung von „grobkörnigen“ und „feinkörnigen Konzeptionen“ für die Individuation von Ereignissen zusammen, die nach Quante (2020) in der Ereignisontologie vorgenommen wird. Als Beispiel betrachtet er, dass eine Personen B von einer Person A umarmt wird. Nach der grobkörnigen Konzeption, die von Davidson vertreten wird, handelt es sich um ein Ereignis. Bei einer feinkörnigen Konzeption (nach Kim) werde zwischen zwei Ereignissen unterschieden, nämlich einmal, dass die Person A die Personen B umarmt und zum anderen, dass die Person B von der Person A umarmt wird. Ein analoges Beispiel wäre die Unterscheidung des Gebärens und des Geborenwerdens als zwei verschiedene Ereignisse.

Die Betrachtungen und Begriffsbildungen trennen unzureichend die Ebene des Realen von der Ebene der modellmäßigen Reflexion. Mit den grobkörnigen und feinkörnigen Konzeptionen sollen tatsächliche Ereignisse individuiert, d. h. voneinander unterschieden werden. Sie betreffen also die Ebene des Realen, wobei nach Quante auch einige Vertreter der analytischen Philosophie diese unterschiedlichen Konzeptionen auf die Ebene der Beschreibungen, also der Modellierung verlegen.

Bei den beiden angeführten Beispielen handelt es sich jeweils um einen realen Vorgang (das Umarmen zweier Menschen bzw. die Geburt eines Menschen). Beim Bilden eines Realmodells könnte in Bezug auf das Umarmen zweier Menschen davon abgesehen werden oder auch nicht, wer wen umarmt. Zur reflektorischen Analyse der Ereignisse müssen jeweils interessierende Merkmale bestimmt werden. Bei der Geburt eines Menschen kann entweder die gebärdende Mutter oder das geborene Kind als Merkmalsträger ausgewählt werden.

Vorschlag zur Verwendung des Begriffs „Ereignis“ in der Philosophie

Ich halte es nicht für sinnvoll, Ereignis als eine neue ontologische Kategorie einzuführen, da mit den Kategorien „Vorgang“ und „Zustand“ alles das erfasst werden kann, was unter dem Schlagwort „Ereignis“ in der Literatur diskutiert wird. Diese nicht vorhandene Notwendigkeit einer ontologischen Kategorie lässt es dann auch als sinnvoll erscheinen, wenn in der Philosophie mit dem Wort „Ereignis“ die umgangssprachliche Bedeutung einer personenbezogenen Wertung verbunden wird. Ereignis wäre dann mit dieser Bedeutung kein intersubjektiver Begriff, sondern nur mit Bezug auf Personen oder Personengruppen zu verwenden.

Ein Ereignis wäre damit ein besonderer Vorgang bzw. ein Ergebnis eines Vorgangs, der bzw. das von Personen oder Personengruppen als etwas Besonderes oder Bedeutsames angesehen wird.

Abschließend soll an einem Beispiel aus Quante (2020) gezeigt werden, dass der so erklärte Ereignisbegriff sinnvoll und konstruktiv ist. „Am späten Nachmittag eines drückend heißen Sommertags ziehen dunkle Wolken drohend am bisher strahlend blauen Himmel auf. Die tagsüber herrschende Windstille wird durch zunehmend heftigere Windstöße immer häufiger unterbrochen. André schaut in den Himmel, sieht, dass ein Gewitter heranzieht, packt seine Sachen zusammen, verlässt das Freibad, schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt schnell nach Hause, um dem aufziehenden Gewitter zu entgehen. Aus der Ferne ist erstes Donnern zu vernehmen und kurz bevor André daheim ankommt, zucken erste Blitze grell über den mittlerweile grauschwarz verhangenen Himmel. Äste und Blätter werden durch den Wind von den Bäumen gerissen und über die Straße gewirbelt. Das Fahrrad steht kaum in der Garage, als es zu regnen beginnt. André schafft es gerade noch, vor dem nun heftig einsetzenden Regen ins Haus zu laufen. Erleichtert nimmt ihn seine Mutter kurz in den Arm, während das von André hastig abgestellte Fahrrad in der Garage umkippt und das Auto beschädigt“ (Quante 2020, 26/27). Quante stellt fest, dass sich viele Ausdrücke als raumzeitliche Einzeldinge oder Eigenschaften deuten lassen und schreibt weiter: „Daneben finden sich Ausdrücke, die Ereignisse benennen: das Aufziehen der Wolken, das Zucken der Blitze oder der beginnende Regen sind hier zu nennen, aber auch Andrés Schauen, Packen, Fahren und Laufen. Manches bleibt unklar: Welche Art von Entität ist? „aus der Ferne“ oder auch „einsetzen“? Ist „verhangen“ eine Eigenschaft? Und ist die Windstille genauso ein Ereignis wie die Windstöße? Steht „Sachen“ für ein Ding? Und welchen ontologischen Status muss man der Phrase „dass ein Gewitter heranzieht“ zuweisen? Wie steht es mit dem „Einsetzen“ des Regens?“ (S. 27) 

Eine Analyse des Beispiels zeigt, dass es im Wesentlichen um zwei Vorgänge geht, Andrés Rückkehr aus dem Freibad und das Wetter in dieser Zeit. Dabei ist der Wettervorgang ein Einflussfaktor auf den Vorgang der Rückkehr, da er den Beginn und Verlauf dieses Vorgangs beeinflusst. Teilvorgänge der Rückkehr, die nacheinander ablaufen, sind das Packen der Sachen, die Fahrt mit dem Fahrrad nach Hause und das Abstellen und Umfallen des Fahrrades in der Garage sowie der damit verbundene kurze Vorgang der Beschädigung des Autos. Das Wettergeschehen ist ein komplexer Vorgang mit zahlreichen Merkmalen wie Sonnenscheindauer, Niederschlagsmenge, Windgeschwindigkeit oder Gewitterneigung. Der entstandene Schaden am Auto gehört zu den Ergebnissen des Rückkehrvorgangs, ebenso wie die abgerissenen Äste und Blätter als Ergebnisse des Wettergeschehens.

Viele der Fragen, die Quante zur Analyse des Vorgangs stellt, lassen sich nun leicht beantworten: Windstille ist genauso eine Ausprägung des Merkmals „Windgeschwindigkeit“ wie Windstöße. Das Heranziehen eines Gewitters ist ein Teilvorgang des Wettergeschehens mit den Merkmalen „Lage“ und „Ladungszustand“ in der Atmosphäre. Das Einsetzen des Regens ist die Änderung des Merkmals „Niederschlag“. Es wenig verständlich, dass alle auftreten Formulierungen wie „aus der Ferne“ oder „einsetzen“ ontologisch eingeordnet werden sollen, der Nutzen einer solchen Betrachtung erschließt sich mir nicht.

Mit der vorgeschlagenen Bedeutung von „Ereignis“ als etwas Besonderem kann zusätzlich festgestellt werden, dass es sich um besondere Wetterereignisse gehandelt hat und auch das Umfallen des Fahrrades lässt sich als besonderes Ereignis bezeichnen. Mit diesen Bezeichnungen ist die Einschätzung verbunden, dass es sich um selten auftretende Vorgänge handelt.

Literaturverzeichnis

Betz, Hans Dieter; Browning, Don S.; Janowski, Bernd; Jüngel, Eberhard (Hg.) (2007): Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearb. Aufl. 8 Bände. Tübingen: Mohr Siebeck.

Davidson, Donald (1998): Handlung und Ereignis. 2. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 895).

Kasper, Walter (Hg.) (1993-2001): Lexikon für Theologie und Kirche. 12 Bände. Freiburg: Herder.

Kunkel, Melanie (Hg.) (2023): Duden Deutsches Universalwörterbuch. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Bibliographisches Institut. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Dudenverlag.

Prechtl, Peter; Burkard, Franz-Peter (Hg.) (2008): Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen. 3., erw. und aktualisierte Aufl. Stuttgart: Metzler.

Quante, Michael (2020): Philosophische Handlungstheorie. Paderborn: Wilhelm Fink (utb Basiswissen Philosophie).

Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried; Gabriel, Gottfried (Hg.) (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 13 Bände. Basel: Schwabe.

Sandkühler, Hans Jörg; Borchers, Dagmar; Regenbogen, Arnim; Schürmann, Volker; Stekeler-Weithofer, Pirmin (Hg.) (2010): Enzyklopädie Philosophie. In drei Bänden mit einer CD-ROM. Hamburg: Meiner.