Hans-Dieter Sill, 20.05.2024

Analysen zu den Begriffen Existierendes und Nichtexistierendes

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Inhalt

Vorbemerkungen

Literaturanalysen

Wörterbücher Alltagssprache

Lexika Philosophie und Theologie

Auswertungen und Schlussfolgerungen zur Verwendung der Termini

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Zu Ermittlung der Bedeutungen der Wörter im Alltag wird das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (www.dwds.de/) verwendet (DWDS). Um einen Eindruck von der Häufigkeit der Verwendung des Wortes im Alltag zu bekommen wird für die Jahre 2015-2019 bzw. 2016-2020 die Häufigkeit pro 1 Million Token (Frequenz) im DWDS- Zeitungskorpus angegeben. Weiterhin werden Kollokationen mit anderen Wörtern angeben. Als Assoziationsmaß wird logDice verwendet. Es werden die Kollokationen mit den 5 höchsten logDice-Werten und ihre Frequenzen (in Klammern) angegeben.

Als weitere Quellen werden die Internetenzyklopädie Wiktionary (https://de.wiktionary.org/wiki/Wiktionary:Hauptseite) (Wiktionary) sowie das

Deutsche Universalwörterbuch (Kunkel 2023) (DUW) herangezogen. 

Um die Bedeutungen der Wörter in der Philosophie genauer zu analysieren, werden die folgenden Wörterbücher und Enzyklopädien verwendet. Sie liegen auch in elektronischer Form vor, wodurch eine Suche nach den Wörtern im gesamten Text möglich ist.

  • Ritter u. a. (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie (HWPh)
  • Prechtl und Burkard (2008): Metzler Lexikon Philosophie (MLPh)
  • Sandkühler (2010): Enzyklopädie Philosophie (EPh)

Mit den jeweiligen Suchfunktionen wird im Volltext nach den betreffenden Termini gesucht und es wird die Anzahl der jeweiligen Ergebnisse absolut und (in Klammern) pro 100 Seiten angegeben.

Weiterhin werden folgende theologische Nachschlagewerke verwendet, um die Bedeutungen der Wörter in der Theologie zu ermitteln.

  • Kasper (1993-2001): Lexikon für Theologie und Kirche (LTK)
  • Betz u. a. (2007): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft (RGG4)

Weitere Informationen zum Vorgehen bei den Wortanalysen und zu Auswahlkriterien sind auf der Seite „Zur Bestimmung grundlegender Termini“ enthalten.

Literaturanalysen

Wörterbücher Alltagssprache

DWDS

Existierendes:

Frequenz: 0,04

Kollokationen: keine Ergebnisse

Bedeutung: kein Eintrag

existieren:

Frequenz: 31

Kollokationen: Programmbeispiel (7.6, 757), nebeneinander (7.3, 680), bereits (6.7, 1589), weiterexistieren (6.6, 397), mehr (6.6, 4051)

Bedeutungen:

  1. da sein, vorhanden sein

Beispiele: darüber existiert ein Gesetz; sie tat, als ob ich gar nicht existiere (= anwesend sei)

  1. auskommen, leben

Beispiel: davon kann man nicht existieren;

Nichtexistierendes: kein Eintrag

Wiktionary

Existierendes: kein Eintrag

existieren:

[1] da sein, vorhanden sein, ein Teil der Realität sein

[2] auskommen, leben

Nichtexistierendes: kein Eintrag

DUW

Existierendes: kein Eintrag

existieren: [〈sw.V.; hat〉: 1. vorhanden sein, da sein, bestehen: das alte Haus existiert noch; diese Dinge existieren nur in deiner Fantasie; es existieren keine Aufzeichnungen mehr darüber. 2. leben, sein Auskommen haben: von 300 Euro monatlich kann man kaum existieren. (S. 575)

Nichtexistierendes: kein Eintrag

Lexika Philosophie und Theologie

HWPh

Existierendes:  126 (1,5) Ergebnisse, darunter

  • Doch die spätere Untersuchung der Möglichkeit dieses Wissens fragt auch nach der identischen Hinsicht des Unterschiedes von Absolutem und Endlichem, veranlaßt die ekstatische Selbstnegation der Vernunft und führt damit zum reinen Daß als dem «bloß Existierenden» im Sinne des «noch begriffslosen Prius» [37]. F. W. J. SCHELLING: Philos. der Offenbarung Werke 2/3, 167. Bd. 2, S. 21
  • Jedes Existierende ist auf seine Weise Einheit von Subjektivität und Objektivität, Bd. 4, S. 151
  • Für A. MARTY [95] ist nicht nur das «Reale» seiend, sondern auch «Nichtreales» wie Inhalte, Sachverhalte oder Werte, die durch «Komperzeption» erfaßt werden und «objektiv» im Verstand sind, während dagegen das «mental Existierende» (oder das «immanente Objekt») – etwa ein «gedachter Mensch» – weder real noch nichtreal ist, sondern eine «Fiktion», in der sich eine «innere Sprachform» ausdrückt. Bd. 9, S. 252-253
  • Der späte Schelling ist der Überzeugung, daß den absoluten Anfang eine aller Bestimmung bare, nackte Existenz bildete, die er auch «das unbedingt Existierende» oder «unvordenkliche Sein» nennt. Von da an, daß dieses war, «also von Ewigkeit», zeigte sich darin die «Möglichkeit eines anderen Seyns» [10]; d.h., das unvordenkliche Sein erhielt nun die Möglichkeit sowohl zu bleiben, was es ist, als auch die, etwas anderes, nämlich die Existenz der Welt zu werden. Bd. 9, S. 257

existieren: 1282 (15,0) Ergebnisse

Nichtexistierendes: 8 (0,1) Ergebnisse

  • Nach AVICENNA besitzt die ‚Natur einer Sache, aber auch das «Nichtexistierende», als erkannte «Intention» (ma’na), wie die lateinische Übersetzung formuliert, ein «esse aliquo modo in intellectu» («auf irgendeine Weise ein Sein im Intellekt») Bd. 9, S. 247
  • JOLIVET hat auf sehr überzeugende Weise gezeigt [31], daß die arabischen Begriffe say‘ (Ding) und say’iyya (Dingheit) eine eigene Geschichte haben, die völlig unabhängig vom aristotelischen Begriff pragma verlief und die verknüpft war mit den Debatten der islamischen Theologie über das Nichtexistierende, von denen man nach AVICENNA noch einen Nachhall bei SAHRATANI vernimmt («Ist das Nichtexistierende ein Ding oder nicht?») [32]; den weiteren Hintergrunddieses Problems bilden jedoch AL-KINDI, AL-FARABI und die Positionen der Theologie (kalam) der Mutaziliten, für welche das Ding das ist, was erkannt ist, und für die alles Nichtexistierende ein Ding ist. Bd. 8, S. 895

MLPh

Existierendes:  19 (2,7) Ergebnisse, darunter

Die Sinnstiftungen des Bewusstseins ermöglichen erst das Verstehen der Welt in Bedeutungsdimensionen und hinsichtlich ihres Geltungscharakters als etwas Existierendes. S. 449

existieren: 154 (21,8) Ergebnisse

Nichtexistierendes: keine Ergebnisse

EPh

Existierendes:  10 (0,3) Ergebnisse, darunter

  • Die Entstehung von qualitativ Neuem als Charakteristikum von Entwicklung kann durch Umwandlung von etwas Existierendem entstehen, durch Abspaltung und Herauslösen aus etwas Bestehendem oder durch eine Synthese bisher getrennt existierender Gegebenheiten. S. 544b
  • Trotz der Kritik von Leibniz wird es damit möglich, den Raum (und damit das Mathematische) als etwas selbständig neben der Materie Existierendes aufzufassen. S. 1736

existieren: 608 (18,9) Ergebnisse

Nichtexistierendes: kein Ergebnis

LTK

Existierendes, existieren:

  • Nach G.W. /Leibnız dagegen muß man gerade in der umfassenden Finalität das Prinzip alles Existierenden u. der Naturgesetze suchen. (Bd. 3, Sp.1286)

Nichtexistierendes: kein Ergebnis

RGG4

Existierendes, existieren, Nichtexistierendes: Keine Einträge

Auswertungen und Schlussfolgerungen zur Verwendung der Termini

Häufigkeiten:

Wort

DWDS

HWPh

MLPh

EPh

Existierendes

0,04

1,5

2,7

0,3

existieren

31,0

15,0

21,8

18,9

Nichtexistierendes

0,0

0,1

0,0

0,0

Das Wort „Existierendes“ wird im Alltag äußerst selten und in den philosophischen und theologischen Lexika sehr selten verwendet. Das Wort „Nichtexistierendes“ kommt in der Alltagssprache und in den Lexika nicht oder äußerst selten vor. Zu beiden Wörtern gibt es keine Einträge in den Nachschlagewerken.

Das Wort „existieren“ im Sinne von „da sein, vorhanden sein“ ist ein üblicher Bestandteil der Alltagssprache und wird auch mit der gleichen Bedeutung in der Philosophie verwendet. Es tritt zusammen mit seinen Verbformen (darunter auch „existierend“) in den philosophischen Wörterbüchern oft bzw. häufig auf.

Im Alltag hat „existieren“ noch die Bedeutung von „auskommen, leben“, die in den philosophischen Wörterbüchern nicht identifiziert werden konnte.

Aufgrund der häufigen Verwendung und Verständlichkeit des Verbes „existieren“ und seiner Verbformen kann davon ausgegangen werden, dass die Wörter „Existierendes“ und „Nichtexistierendes“ trotz der sehr seltenen Verwendung auch im Alltag intuitiv im Sinne von „Vorhandensein“ bzw. „Nichtvorhandensein“ verständlich sind. Zu den Bedeutungen von „vorhanden“ gehört nach dem DWDS auch die Verfügbarkeit des Vorhandenen. Dieser Aspekt schränkt den Umfang des Terminus „Vorhandensein“ ein, da etwa psychische Zustände und Prozesse oder gesellschaftliche Verhältnisse nicht „verfügbar“ sind.

Bezüge der Termini zu transzendenten bzw. theologischen Termini sind in der Literatur nicht erkennbar. Auch Zusammenhänge zum sprachlichen naheliegenden aber problematischen Terminus „Existenz“ sind in der Literatur nur in Ansätzen sichtbar.

Der Termini „Existierendes“ und „Nichtexistierendes“ erfüllen damit alle Anforderungen an die Auswahl von Termini.

In dem Beitrag „Zum Anfang der Philosophie“ (https://philosophie-neu.de/zum-anfang-der-philosophie-2/) wird ein Vorschlag unterbreitet, die Wörter „Existierendes“ und „Nichtexistierendes“ zusammen mit „entstehen“ und „vergehen“ als erste Begriffe der Philosophie axiomatisch festzulegen.

Literaturverzeichnis

Betz, Hans Dieter; Browning, Don S.; Janowski, Bernd; Jüngel, Eberhard (Hg.) (2007): Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearb. Aufl. 8 Bände. Tübingen: Mohr Siebeck.

Kasper, Walter (Hg.) (1993-2001): Lexikon für Theologie und Kirche. 12 Bände. Freiburg: Herder.

Kunkel, Melanie (Hg.) (2023): Duden Deutsches Universalwörterbuch. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Bibliographisches Institut. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Dudenverlag.

Prechtl, Peter; Burkard, Franz-Peter (Hg.) (2008): Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen. 3., erw. und aktualisierte Aufl. Stuttgart: Metzler.

Ritter, Joachim; Gründer, Karlfried; Gabriel, Gottfried (Hg.) (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 13 Bände. Basel: Schwabe.

Sandkühler, Hans Jörg; Borchers, Dagmar; Regenbogen, Arnim; Schürmann, Volker; Stekeler-Weithofer, Pirmin (Hg.) (2010): Enzyklopädie Philosophie. In drei Bänden mit einer CD-ROM. Hamburg: Meiner.