Hans-Dieter Sill, 26.04.2022

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Analysen zu den Wörtern „Materie“ und „materiell“

Inhalt

Vorbemerkungen

Literaturanalysen

Alltagssprache

DWDS

DUW

Wiktionary

Analyse der Bedeutungen der Wörter in der Alltagssprache

Philosophie

HWPh

MLPh

EPh

Analyse der Bedeutungen der Wörter in der Philosophie

Physik

HWPh

EPh

Klaus Stierstadt (1989): Physik der Materie

Wikipedia, Stichwort: Materie (Physik)

Analyse der Bedeutungen des Wortes „Materie“ in der Physik

Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

 

Vorbemerkungen

Es soll untersucht werden, ob die Wörter „Materie“ und „materiell“ als philosophische Termini geeignet sind. Dazu wird ihre Bedeutung im Alltag, in der Philosophie und in den Naturwissenschaften, insbesondere in der Physik analysiert.

Zu Ermittlung der Bedeutungen der Wörter, ihrer Häufigkeit und der signifikanten Kollokationen im Alltag wird das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (www.dwds.de/) verwendet (DWDS).

Als weitere Quelle zur alltagssprachlichen Bedeutung  wird Wiktionary (https://de.wiktionary.org/wiki/Wiktionary:Hauptseite) herangezogen (Wiktionary). 

Um die Bedeutungen der Wörter in der Philosophie genauer zu analysieren, werden die folgenden Wörterbücher und Enzyklopädien verwendet. Sie liegen auch in elektronischer Form vor, wodurch eine Suche nach den Wörtern im gesamten Text möglich ist.

  1. Ritter u. a. (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 17.144 Sp. (8.572 S.) (HWPh)
  2. Prechtl und Burkard (2008): Metzler Lexikon Philosophie, 705 S. (MLPh)
  3. Sandkühler (2010): Enzyklopädie Philosophie, 3.209 S. (EPh)

Mit den jeweiligen Suchfunktionen wird im Volltext nach den betreffenden Termini gesucht und es wird die Anzahl der jeweiligen Ergebnisse absolut und (in Klammern) pro 100 Seiten angegeben.

Weitere Informationen zu den Wortanalysen und Auswahlkriterien sind auf der Seite „Zu den Wortanalysen und Auswahlkriterien“ enthalten.

Literaturanalysen

Alltagssprache

DWDS

Materie

Frequenz: 3,7

Kollokationen:  Kenner (10.5, 1492), dunkel (8.9, 2809), unbelebt (8.5, 113), Komplexität (8.3, 294), Baustein (8.3, 256)

Bedeutungen

  1. objektive Realität, Grammatik: nur im Singular

Bsp.: Bewegung, Raum und Zeit sind grundlegende Eigenschaften der Materie

        Wissenschaft:  Stoff, Substanz

Bsp.: die organische, lebende, tote Materie

  1. Gegenstand, Inhalt, Thema (eines Gesprächs, einer Schrift), Stoffgebiet,

Bsp.: in dieser Materie bin ich nicht bewandert

materiell

Frequenz: 5,9

Kollokationen:  Wohlstand (9.1, 1228), Not (9.0, 1406), Schaden (8.7, 2132), Gut (8.3, 1078), Anreiz (8.1, 691)

Bedeutungen

  1. aus Materie bestehend, stofflich, dinglich, außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein existierend, nicht geistig, Bsp.: die materiellen Bedürfnisse, materieller Güter
  2. das Material betreffend, Bsp.: der materielle Schaden
  3. wirtschaftlich, finanziell, Bsp.: materielle Vorteile genießen, materielle Sorgen haben, auf wirtschaftlichen Vorteil bedacht, genusssüchtig, Bsp.: Er ist ein sehr materieller Mensch.

DUW

Materie

  1. a) (bildungsspr.) rein Stoffliches als Grundlage von dinglich Vorhandenem; stoffliche Substanz: organische Materie; b) (Kernphysik) Stoff, Substanz ungeachtet des jeweiligen Aggregatzustandes u. im Unterschied zur Energie u. zum Vakuum (bes. im Hinblick auf die atomaren Bausteine makroskopischer Körper). 2. (Philos.) a) (bes. bei Aristoteles) ewiger, völlig unbestimmter, unterschiedsloser Urstoff, der als Urprinzip der Bewegung dem Werden zugrunde liegt; b) außerhalb des menschlichen Bewusstseins vorhandene Wirklichkeit im Unterschied zum Geist. 3. (bildungsspr.) Gegenstand, Thema einer Untersuchung, eines Gesprächs o. Ä.: eine schwierige Materie

materiell

  1. die Materie (1 a) betreffend, auf ihr beruhend, von ihr bestimmt; stofflich, dinglich, gegenständlich, körperlich greifbar: die materielle Grundlage alles Geistigen. 2. a) die lebensnotwendigen Dinge, Güter betreffend, auf ihnen beruhend, zu ihnen gehörend; wirtschaftlich, finanziell: materielle Bedürfnisse; jmdn. materiell unterstützen; b) (oft abwertend) auf Besitz u. Gewinn, auf eigenen Nutzen u. Vorteil bedacht; unempfänglich für geistige, ideelle Werte; materialistisch (1) materiell eingestellt sein. 3. das Material (1) betreffend: der materielle Wert der Uhr ist gering.

Wiktionary

Materie

Bedeutungen:

    [1] meist in der Einzahl: der Urstoff, das Ungeformte, der Stoff

    [2] Philosophie, ohne Plural: die außerhalb des Bewusstseins bestehende Wirklichkeit

    [3] übertragen, meist in der Einzahl: der Gegenstand, das Thema, der Stoff

    [4] veraltet: Eiter

materiell

Bedeutungen:

    [1] auf Materie, das tatsächlich Vorhandene bezogen

    [2] im übertragenen Sinne: auf das Eigentum bezogen, oft wirtschaftlich bzw. finanziell

Analyse der Bedeutungen der Wörter in der Alltagssprache

In der Alltagssprache werden die Wörter „Materie“ und „materiell“ mit einer Frequenz von 3,7 bzw. 5,9 selten verwendet. Beim Wort „Materie“ dominiert die Bedeutung im Sinne eines Inhalts bzw. Themas (Kenner der Materie). Daneben wird es im physikalischen Sinne von Stoff oder Substanz verwendet (dunkle Materie). Es tritt aber auch als Bezeichnung für die objektive Realität bzw. die außerhalb des Bewusstseins bestehende Wirklichkeit auf.

Das Wort „materiell“ wird vor allem im Sinne von wirtschaftlich bzw. finanziell verwendet (materieller Wohlstand), auch abwertend im Sinne von „auf Besitz u. Gewinn, auf eigenen Nutzen u. Vorteil bedacht“. Es wird auch in Bezug auf ein Material (materieller Schaden, der materielle Wert der Uhr) verwendet.

Philosophie

HWPh

Materie: 1772 (20,7) Ergebnisse

  • Eine klare Differenzierung von Vorstellungen in Anschauungen und Begriff findet sich erst bei KANT. „Der Begriff ist der Anschauung entgegengesetzt, denn er ist eine allgemeine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist“; seine Materie ist der Gegenstand, seine Form eben die Allgemeinheit, 1, S. 783
  • Gerade das Problem der Bewegung (kinhsis im weitesten Sinne) scheint nun den Leitfaden abgegeben zu haben, an dem Aristoteles das Begriffspaar ‹Form/Materie› zuerst entwickelt hat, und zwar im 1. Buch (und dann im weiteren Verlauf) der ‹Physik›. 2, S. 979
  • Das erste Ergebnis der Analyse besteht in der Erkenntnis, daß sich alle Bewegung und Veränderung in bzw. zwischen Gegensätzen (enantia) vollzieht. Jedoch wird niemals der eine Gegensatz selbst unmittelbar zum anderen […] , sondern man muß immer ein Drittes annehmen, woran sich bald der eine, bald der andere der Gegensätze findet (z.B.: der ungebildete Mensch wird zu einem gebildeten; in diesem Falle ist der Mensch jenes Dritte.) Bei allem, was sich verändert, muß also etwas zugrunde liegen (ypokeistai), was beharrt. Dieses nennt Aristoteles: ylh. Es gibt somit drei Prinzipien des Werdens: die Materie als das Zugrundeliegende (ypokeimenon), an dem sich die Veränderung vollzieht, und die beiden Gegensätze, zwischen denen sie geschieht. Der eine davon ist die Gestalt oder Form (eidos), die eine sich verändernde Sache annimmt (die also am Schluß des Prozesses steht), der andere die sterhsis, nämlich der Zustand der Sache vor oder zu Beginn der Veränderung, d.h. der Zustand, in dem diese bestimmte Form der Sache (noch) fehlt. Bd. 2, S. 980
  • Geist ist die Materie, die zu behandeln als Sache der Philosophie gilt, … 3, S. 154
  • Weiterführer der platonischen Idee-Philosophie wird Aristoteles durch seine Lehre vom Eidos. Was Aristoteles damit meint, ist besser zu beschreiben, wenn man den Gegenbegriff zu Eidos mit hinzuzieht, die Materie. «Ich nenne Materie dasjenige, was an sich weder als etwas noch als ein irgendwie großes noch durch irgendein anderes der Prädikate bezeichnet wird, durch welche das Seiende bestimmt ist». Die Materie ist das Bestimmungslose, das lediglich aufnehmende Prinzip, das von sich aus für keinerlei Bestimmtheit Grund ist. 4, S. 58
  • Beides zusammen, Form und Materie, machen das konkrete Seiende aus. Eidos und Stoff sind reale, konstitutive Prinzipien körperlicher Dinge, jedoch unselbständig, «nicht abtrennbar». Beide verhalten sich zueinander wie Möglichkeit und Wirklichkeit: Die Materie ist die Möglichkeit für all das, was durch ihre Verbindung mit der Form Wirklichkeit ist. 4, S. 58-59
  • Die für die klassischen Lösungen (Wechselwirkung, Parallelismus, Occasionalismus und prästabilierte Harmonie) maßgebliche Leib-Seele-Lehre entwickelt R. DESCARTES auf der Grundlage einer scharfen Trennung von Materie und Geist. Er erklärt die Organismusfunktionen nicht durch substantielle Formen, sondern durch die Materiemodi motus [Bewegung] und figura [Form], die aufgrund der Naturgesetze eine organische Anordnung von Korpuskeln hervorbringen können; 5, S. 192

Stichwort „Materie“, Autor: Wolfgang Detel

  • Als philosophischer Terminus tritt hyle erstmalig wahrscheinlich in den frühen Schriften des ARISTOTELES auf. Bereits im Protreptikos (Abfassung vor 353 v.Chr.) findet sich die Unterscheidung von dynamis und energeia (‚Möglichkeit und ‚Wirklichkeit), die kaum ohne die Unterscheidung von hyle und eidos denkbar ist. Bd. 5, S. 870-871
  • Logisch gesehen tritt der Materie-Begriff bei Aristoteles stets als zweistellige Relation auf, entspricht also einem Satzschema der Form x ist Materie von y. […] Nach aristotelischer Auffassung enthält eine Statue gegenüber dem Erz, ein Lebewesen gegenüber den Elementen, ein beseeltes Lebewesen gegenüber dem Körper eine zusätzliche Form. Ist a also irgendein veränderlicher Gegenstand, so nennt Aristoteles denjenigen Bestandteil von a, der sein durch Formen strukturierbares Material ausmacht, Materie von a. Bd. 5, S. 874
  • Ist a Materie von b, so besitzt schließlich a, für sich betrachtet, keine der kategorialen Bestimmungen von b, sondern ist unbestimmt. Insofern ist das, was Materie für etwas ist, für sich betrachtet, unerkennbar und nicht wahrnehmbar. Erz als Material schlechthin hat eine bestimmte Form und ist daher erkennbar; aber als Materie für diese Statue hat es weder substantiale Form noch Größe oder andere Bestimmungen, die die erzene Statue hat. Für Aristoteles ist daher das Werden der Gegenstände ontologisch und erkenntnistheoretisch konsistent beschreibbar als Realisierung ihrer Dispositionen, durch gewisse Formen geprägt zu werden. Notwendige Bedingung für diese Problemlösung ist, daß das, was jeweils Materie ist, in Beziehung gesetzt wird zu dem, wofür es Materie ist – ontologisch als das der Möglichkeit nach Seiende, erkenntnistheoretisch als das durch Formen Bestimmbare. […] Der aristotelische Materie-Begriff gehört zur logischen Kategorie der zweistelligen Prädikate zweiter Stufe; seine Extension ist die Menge aller Dispositionen von Gegenständen, durch geeignete Formen strukturiert zu werden. Er bezeichnet also nicht einen bestimmten Grundstoff, wohl aber impliziert er ein physikalisches Forschungsprogramm: das Werden gegebener Gegenstände oder Klassen von Gegenständen daraufhin zu untersuchen, was jeweils als Materie für sie anzusehen ist und durch welche Ursachen – in Gestalt von Form, Bewegungsursache oder Ziel – die Realisierung ihrer spezifischen Dispositionen bedingt ist. Bd. 5, S. 875
  • Im ganzen ergibt sich eine zusammenhängende Stufenleiter von Gegenstandsbereichen der Natur derart, daß jeweils die Elemente des tieferen Gegenstandsbereiches die Materie für die Elemente des höheren bilden und in jedem höheren Gegenstandsbereich neue Formen hinzutreten. Die elementarsten Formen sind die vier Qualitäten Warm, Kalt, Feucht und Trocken, deren Materie nunmehr, für sich betrachtet, als gänzlich strukturlos vorgestellt werden muß; Aristoteles nennt sie ‚äußerste oder zuweilen auch ‚erste Materie. Aus der Verbindung der ersten M. mit den vier Qualitäten entstehen die vier Elemente Erde (kalt und trocken), Wasser (kalt und feucht), Luft (warm und feucht) und Feuer (warm und trocken). Diese Elemente sind ihrerseits Materie für die gleichteiligen Stoffe wie etwa Gold, dessen Teile wieder aus Gold bestehen, … . Die gleichteiligen Stoffe bilden die Materie für die ungleichteiligen Stoffe wie z.B. einzelne Körperteile von Lebewesen, die eine besondere Funktion erfüllen. Bd. 5, S. 876
  • Schließlich sind gleichteilige wie ungleichteilige Stoffe Materie für beseelte Lebewesen, wobei die Seele als neu hinzukommende Form anzusehen ist. In den einzelnen Anwendungen des Materie-Begriffes wird deutlich, daß im allgemeinen ein Gegenstand, der Materie für etwas sein soll, dafür seinerseits spezifische Voraussetzungen zu erfüllen hat, d.h. durch spezifische Formen strukturiert sein muß: nicht aus jedem Material kann z.B. eine Säge entstehen. Bd. 5, S. 876

Stichwort „Materie“, Autor: W. Breidert

  • Die ursprüngliche passive Kraft ist das Prinzip der Undurchdringlichkeit und der Trägheit. Leibniz nennt sie auch materia prima, weil er sie für die adäquate Interpretation des aristotelischen Ausdrucks hält. Der Körper wird als ein Aggregat von unendlich vielen Monaden angesehen, wobei das damit gesetzte kontinuierliche gleichzeitige Aggregat der passiven Kräfte das Fundament der Ausdehnung und Masse des Körpers ist. Bd. 5 S. 906
  • WOLFF, der sich eng an Leibniz anschließt, lehnt es jedoch ab, den Begriff der Materie auch auf einfache Substanzen anzuwenden, was Leibniz mit dem Begriff der materia prima getan hatte. Wolff beschränkt den Begriff der Materie bewußt auf den Bereich der physischen Dinge. Den Körper faßt auch er als ein Aggregat einfacher, unausgedehnter, immaterieller Substanzen, «einfacher Dinge» auf, die er jedoch nicht «Monaden», sondern «Elemente» oder «atomi naturae» nennt. Der Grund der determinierten Beweglichkeit der Körper ist die Trägheitskraft, die aber nicht allein durch die Ausdehnung des Körpers bestimmt ist, sondern ihr supponiert wird. Als Materie wird definiert, was durch seine Widerstandskraft dem Körper Ausdehnung verleiht. Bd. 5 S. 907
  • Für LOCKE ist der Körper eine «dichte, ausgedehnte und gestaltete Substanz». Die «unklare Teilvorstellung» einer dichten Substanz ohne Ausdehnung und Gestalt macht den Begriff der Materie aus, der durch Abstraktion gewonnen ist. Bd. 5 S. 908
  • Bei Chr. Wolff und Baumgarten wurde der Materie-Begriff zwar auf den Bereich der Erscheinungen eingeschränkt, aber als ihre rationalen Gründe werden immer noch einfache Substanzen gefordert. KANT reduziert diesen Grund der Erscheinungen auf das uns völlig unerkennbare transzendentale Objekt (Ding an sich), auf das die Kategorie der Substanz nicht mehr anwendbar ist. So wird die Materie zur «Substanz in der Erscheinung», aber sie ist nicht mehr Erscheinung der Substanz. Als Erscheinung ist sie in uns und von der Existenz des erkennenden Subjekts abhängig, aber trotzdem außer uns vorgestellt, «eine bloße Form oder eine gewisse Vorstellungsart eines unbekannten Gegenstandes durch diejenige Anschauung, welche man den äußeren Sinn nennt». Die Materie ist das, was den Raum erfüllt, Ausdehnung und Undurchdringlichkeit machen ihren Begriff aus. Selbst der Begriff der «Beharrlichkeit» oder der Unveränderlichkeit der Quantität wird ihr synthetisch, allerdings a priori, zugesprochen. Bd. 5 S. 908
  • Materie versteht Schelling unter Hinweis auf Leibniz («Schlafzustand der Monaden») und Hemsterhuys («geronnener Geist») als «den Geist im Gleichgewicht seiner Tätigkeiten angeschaut». Jeder reelle Gegensatz zwischen Geist und Materie soll dadurch überwunden sein, daß die Materie «selbst nur der erloschene Geist, oder umgekehrt jener die Materie, nur im Werden erblickt, ist». Bd. 5 S. 909
  • HEGEL entwickelt die Materie dialektisch aus dem abstrakten Außereinander in der Position (Raum) und in der Negation (Zeit). «Das erste Konkrete, die Einheit und Negation dieser abstrakten Momente, ist die Materie» [15]. Sie markiert somit den «Übergang der Idealität in die Realität» [16]. «Die Bewegung ist der Prozeß, das Übergehen von Zeit in Raum und umgekehrt: die Materie dagegen die Beziehung von Raum und Zeit, als ruhende Identität». […] «Wie es keine Bewegung ohne Materie gibt, so auch keine Materie ohne Bewegung». […] In der Schwere sieht Hegel die Substantialität der Materie und zugleich «das Bekenntnis der Nichtigkeit des Außersichseins der Materie in ihrem Fürsichsein, ihrer Unselbständigkeit» [19]. Bd. 5, S. 910
  • Materie ist nach Engels kein Urstoff oder Urgrund von Seiendem, keine einheitliche selbständige Substanz, sondern als Allgemeines «eine reine Gedankenschöpfung und Abstraktion», die aus den konkreten, quantitativ und qualitativ bestimmten Dingen gewonnen wird (MEW 20, S. 519); […] «Wir sehen von den qualitativen Verschiedenheiten der Dinge ab, indem wir sie als körperlich existierende unter dem Begriff Materie zusammenfassen. Materie als solche, im Unterschied von den bestimmten, existierenden Materien, ist also nichts Sinnlich-Existierendes» (MEW 20, S. 519) 5, S. 910
  • Materie bedeutet weder einen bloß passiv beweglichen Stoff, noch ein Erzeugnis des Geistes, noch ist sie in irgendeiner Weise vom denkenden oder erkennenden Subjekt abhängig. Sie ist «eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität, die dem Menschen in seinen Empfindungen gegeben ist, die von unseren Empfindungen kopiert, fotografiert, abgebildet wird und unabhängig von ihnen existiert» (LW 14, S. 124). «… die einzige ‚Eigenschaft der Materie, an deren Anerkennung der philosophische [= dialektische] Materialismus gebunden ist, ist die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewußtseins zu existieren» (LW 14, S. 260). 5, S. 910
  • Die Funktion der Materie-Definition besteht nach Lenin nur darin, die objektive Realität als das Primäre gegenüber dem Denken auszuzeichnen, denn es handelt sich um die «beiden letzten erkenntnistheoretischen Begriffe» (LW 14, S. 141). Der Gegensatz soll nur «die Richtung der erkenntnistheoretischen Forschung» bestimmen und darf, um dem ontologischen Geist-Materie-Dualismus zu entgehen, jenseits dieser Richtungsbestimmung nicht absolut genommen werden (LW 14, S. 142f., 243f.). Gegen den Idealismus und gegen den mechanistischen Materialismus wird hervorgehoben, daß Materie und Geist nicht vermengt werden dürfen und «sowohl das Denken als auch die Materie ‚wirklich‘ sind, d.h. existieren» (LW 14, S. 242). Bd. 5, S. 911
  • Bei dem Versuch, die Naturwissenschaften auf ihre ontologische Basis zu stellen, geht G. JACOBY vom Begriff der Substanz als einem ontologisch selbständigen Träger von Eigenschaften, Zuständen und Beziehungen aus und findet als Substanz der transzendenten Außenwelt die leere Raumzeit, weil diese zwar ohne Materie, aber Materie nicht ohne Raumzeit denkbar sei. Wäre die Materie Substanz, so wäre die Welt in materiell erfüllten Bereichen doppelt; und nicht eindeutig (Jacoby 1955, S. 707). Daher wird die Materie «ein Inbegriff ontologisch unselbständiger Eigenschaften ihres Raumzeitbezirkes, die diesem als außerweltlicher Zustand inhärieren, ihn als ihre Vorbedingung voraussetzen, sich … über seine Substantialität … staffeln.» Oder fast tautologisch: «Materie ist Raumzeit in materiellem Zustande» (Jacoby 1955, S. 708) 5, S. 912

Stichwort „Materie“, Autor: R. Piepmeier

  • Böhme und Oetinger denken Materie als Substrat eines vorgeschichtlichen und geschichtlichen Prozesses. Materie ist in ihrer Entstehung und möglichen Vervollkommnung an Bewußtwerdungen, an Entscheidungen und Handlungen gebunden. Die Hoffnung auf Erlösung ist geknüpft an die Hoffnung einer Vervollkommnung der Materie Diese Faktoren finden sich – materialistisch umbesetzt – wieder in der Materie-Lehre von E. BLOCH. Bd. 5, S. 919
  • Aus der idealistisch-materialistischen Geschichte des Begriffs gewinnt Bloch die für ihn grundlegenden Verbindungen: «Dialektik und Materie» und «Utopie und Materie». Materie, von diesen Verbindungen her konzipiert, „ist also nicht mehr als das zu verstehen, was man mit Händen fassen kann, was ein Gewicht hat und so weiter. Sondern sie bildet sich als die ökonomisch-gesellschaftliche Grundlage in Gestalt von Unterbauten aus, die doch alle Verstand schon voraussetzen, weil er bei ihren Bildungsprozessen mithalf“ (Bloch 1985, S. 272). Das führt Bloch dazu, den Begriff Materie durch den «offenen, auch transparenten Begriff des Substrats» zu erläutern (Bloch 2015, S. 202). Materie ist als «Geschichtsstoff», «Geschichts-Materie» (Bloch 1985, S. 279), das «dialektisch-materielle Substrat alles Werdens und Geschehens» (Bloch 1985, S. 278), mit dem besonderen Akzent, «Möglichkeits-Substrat» (Bloch 2015, S. 233) zu sein. Bd. 5, S. 919

materiell: 971 (11,3) Ergebnisse

  • Die «letzten Ursachen» des Seienden als solche, also z.B. die Form, sind, wie Avicenna sagt, mit Materie vermischt, ohne doch selber materiell zu sein. 5, S. 1210
  • Während Mill das Gedächtnis für materiell nicht erklärbar hält und insofern im Rahmen seines psychologistischen Ansatzes einen Leib-Seele-Dualismus vertritt, findet sich schon bei SPENCER eine Tendenz zur Substitution des Begriffs der Seelen-Substanz durch den der materiellen Substanz; … Bd. 9, S. 63
  • In der zweiten These über Feuerbach formuliert Marx: «In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen» (MEW 3, S. 5). Denn, so konstatiert er in der Deutschen Ideologie: «die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denkens und die Produkte ihres Denkens» (MEW 3, S. 27) Bd. 2, S. 94
  • «… Die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird» (K. MARX, MEW 1 (1972) S. 385). Bd. 5, S. 829
  • Die Untersuchung verläuft entlang der durch eidetische Reduktion aufgedeckten Wesensstrukturen von intentionalen Erlebnissen und deren Gegenständen und wird durch Husserls Unterscheidung des Seienden in die «Regionen» der materiellen, räumlich-dinglichen Natur, der animalischen (beseelten, lebendigen) Natur und (wie bei Dilthey) der geistig-personalen Welt strukturiert. 12, S. 428

MLPh

Materie: 145 (20,6) Ergebnisse

Stichwort Materie, Autor: Klaus-Jürgen Grün

  • Materie, universale Substanz, die als Träger aller Eigenschaften angesehen wird und im Raum mehr oder weniger gleichmäßig mit verschiedener Dichte verteilt ist; Inbegriff der Körperlichkeit und Undurchdringlichkeit, in der neueren Physik jedoch auch bloßer Name für Punkte eines Feldes. Ursprünglich (bei Demokrit und Lukrez) identisch mit den Atomen, die das unzerstörbare Prinzip aller Dinge seien (Atomismus). Das philosophische Problem hinsichtlich der Materie besteht darin, dass zu erklären ist, wie die Materie in Bewegung versetzt, besonders, wie sie lebendig werde. S. 362

Weitere Zitate

  • Der neutrale Monismus angelsächsischer Philosophen (J. Dewey, W. James, B. Russell) weicht nur geringfügig vom naturalistischen Monismus ab. Er nimmt einen der Materie und dem Geist zugrundeliegenden bzw. sie überschneidenden Weltstoff an, der in einer bestimmten Anordnung als geistig, in einer anderen als materiell bezeichnet wird. S. 389
  • Qì (Materie, Urstoff). Im altchinesischen Buch der Wandlung ist die Rede von Jing Qi, wörtlich »feinste Luft«. Es dürfte dem stoischen feinsten Atomstoff, dem Pneuma entsprechen und wurde daher wie dieses oft als »geistige Materie« übersetzt. Darüber heißt es: »Das Jing Qi wird zu den Dingen, seine Verwandlung bringt die Veränderungen hervor« (Yi Jing, Ji Ci). In der chinesischen Naturphilosophie, die immer an das Buch der Wandlungen mit seiner Lehre vom Yin und Yang angeknüpft hat, wurde daher der Materiewandel (Qi Hua) und die Entstehung der Dinge daraus zu einem Hauptthema. S. 459

materiell: 144 (20,4) Ergebnisse

  • Die sozial determinierte psychische Tätigkeit des Gehirns führt zu einer historisch vermittelten, vorstellungsmäßigen Reproduktion der materiellen Objekte. S. 1
  • Der Humanismus der Aufklärung erfordert neben individueller Selbstbestimmung die Toleranz gegen Andersdenkende und Andersgläubige […]. Ihren materiellen Niederschlag finden diese Ideen in der amerikanischen Menschenrechtserklärung. S. 51
  • Als Theoretiker unternahm der vom Neukantianismus stark beeinflusste Adler den Versuch, den von Marx behaupteten materiellen Charakter der Produktionssphäre als geistig dominierten Prozess zu deuten. S. 55
  • Beschreibung, bezeichnet die systematische, geordnete Darstellung von materiellen oder ideellen Sachverhalten mit gedanklich-sprachlichen Mitteln. S. 72
  • In der juristischen Terminologie sind zwei Bedeutungen von Gesetz zu unterscheiden: Gesetz im materiellen Sinne ist jede rechtliche Norm, die für eine unbestimmte Vielzahl von Personen verbindliche Regelungen enthält. S. 213
  • Die Wissenschaft bezieht sich somit auf etwas Allgemeines, nämlich insofern, als man versucht, diejenigen allgemeinen Strukturen zu entdecken und diejenigen allgemeinen Gesetze zu formulieren, die den Phänomenen zugrunde liegen. Da nun diese Strukturen und Gesetze in der Regel selber nicht wahrnehmbar sind, beschäftigt sich die Wissenschaft mit nicht-materiellen Strukturen und Sachverhalten. Das so verstandene nicht-materielle Allgemeine bildet den Gegenstandsbereich der Wissenschaften; S. 685
  • Sie setzt ein mit den 1923 gleichzeitig erscheinenden Werken „Marxismus und Philosophie“ von Korsch sowie dem bekannteren „Geschichte und Klassenbewußtsein“ von Lukàcs. Beide stellen das theoretische Begreifen der gesellschaftlichen Praxis als Teil dieser Praxis selber dar und verweisen damit auf die materielle Bedingtheit der Theorie aus dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. S. 409
  • Element, Bezeichnung für einen Grundbestandteil materieller oder ideeller (d.i. geistiger) Natur. S. 130

EPh

Materie: 318 (9,9) Ergebnisse

Stichwort Materie, Autor: Nikos Psarros

  • Materie ist einer der wichtigsten philosophischen Begriffe überhaupt, mit einer bis in die Anfänge der Philosophie in der griech. Antike reichenden Geschichte. Er ist Gegenstand lang anhaltender Debatten, Mittelpunkt verschiedener philosophischer und Entwürfe und Anlass ideologischer Kämpfe und Streitereien. 1514u
  • Materie ein genuin philosophisches Wort, so dass alle, auch seine bildungssprachlichen, Verwendungsweisen von seinem philosophischen Ursprung beeinflusst sind. ›Materie‹ bezeichnet heute
  1. die technisch handhabbaren und naturwissenschaftlich erklärbaren bzw. prognostizierbaren Aspekte der Welt. Dazu polar- konträr wäre etwa der Begriff ›Geist‹.
  2. In einem engeren Sinne wird ›Materie‹ als Titelwort oder Reflexionsbegriff benutzt. In diesem Zusammenhang bezeichnet ›Materie‹ einen Aspektbereich der Dingwelt neben anderen, wie z.B. Substanz, Leben, Seele, Raum oder Zeit.
  3. In der Adjektivform material bezeichnet ›Materie‹ die inhaltlichen Aspekte eines dinglichen, sprachlichen, wissenschaftlichen usw. Gegenstandes im Unterschied zu denjenigen formalen Aspekten, die er mit anderen Gegenständen im Rahmen von Ähnlichkeits- oder Äquivalenzrelationen teilt.
  4. Schließlich wird Materie in einem ontologischen Sinne als die Grundlage oder Grundprinzip alles Seienden verstanden. 1514u
  • Eine interessante Neuerung bringt die nominalistische Kritik W. von Ockhams an den überlieferten Materiebegriff. Ockham lehnt die Vorstellung einer ewigen, unzerstörbaren, abstrakten Grundlage der Körper ab zugunsten einer ›konkreten‹ Stofflichkeit. Jedes Ding und jeder Körper stellt eine selbstständig existierende Entität dar, die von Gott erschaffen wurde und deren Existenz jederzeit aufhebbar ist. Die Wörter ›Materie‹ und Form sind bloße Namen, die sich auf gewisse Aspekte der Dinge beziehen. 1515

Weitere Zitate

  • Im Kantischen Gegenstandsbegriff vereinigen sich somit rationalistische und empiristische Motive: Das von außen Gegebene bildet die Materie oder den Inhalt der Gegenstandsvorstellung, während das vom Erkenntnissubjekt Erzeugte ihm die Form verleiht. 779
  • Materialismus ist eine in der gesamten Geschichte der Philosophie sowie in Wissenschaften auftretende monistische ontologische Lehre über das Verhältnis von Welt (als ganzer) und einem ›Ursprungsprinzip‹ (|Materie, |Natur) mit Folgen für die erkenntnistheoretische Bestimmung des Verhältnisses von Materie und |Geist, |Leib und Seele, Materiellem und Ideellem. 1504u

materiell: 423 (13,2) Ergebnisse

  • Für die Kategorien des materiellen Gegenstandes und der Menge lassen sich bestimmte Eigenschaften oder Beziehungen angeben, die in diesem Sinne Individuationsbedingungen Kriterial für materielle Gegenstände ist ihr raumzeitlicher Ort, weil zwei materielle Gegenstände niemals die identische Position im Raum zur gleichen Zeit einnehmen können. 560
  • Die Teile eines materiellen Gegenstandes sind räumliche Teile, die Teile eines Ereignisses sind – insofern es sich um eine Art von Ereignissen handelt, die aus Teilen aufgebaut sein kann – zeitliche Teile, d.h. Phasen. 561b
  • Es ist nicht möglich, dass der gesellschaftlich konstituierte Tauschwert sich gänzlich von seinem materiellen Substrat, dem im Gegenstand verkörperten Gebrauchswerts loslösen könnte. In der Tat verändert der Mensch im Arbeitsprozess nur die Form der Naturgegenstände, nicht aber ihr materielles Substrat. 780b
  • Der wahre Ursprungsort der Geschichte ist weder der Geist noch eine außerhalb der realen Lebensbedingungen liegende Vernunft, sondern die aktive ­Praxis der Menschen und ihre materiellen Bedürfnisse. »Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst.“ (MEW, Bd. 3, S. 28) 845b
  • Friedmans »Laissez- Faire- Absolutismus« ist – mit Ausnahme der ›negativen Einkommenssteuer‹ – seit Anfang der 1980er Jahre zur Leitlinie der Wirtschafts- und Sozialpolitik in den wichtigsten kapitalistischen Staaten geworden. Die Folge war weltweit eine dramatische Zunahme der sozialen Ungleichheit zugunsten der Besitzer und Verwalter großer (Finanz-)Vermögen und zu Lasten aller, die ihre materielle Existenz ausschließlich oder vorwiegend durch Arbeit zu sichern gezwungen sind, ein Missverhältnis, das schließlich in die tiefste Finanzkrise in der Geschichte des Kapitalismus mündete – mit Konsequenzen für die reale Weltwirtschaft, die kaum absehbar sind. 1197b

Analyse der Bedeutungen der Wörter in der Philosophie

Häufigkeiten

Wort

HWPh

MLPh

EPh

Materie

20,7

20,6

9,9

materiell

11,3

20,4

13,2

Das Wort „Materie“ gehört in zwei Lexika (HWPh und MLPh) mit etwa 20 Ergebnissen pro 100 Seiten zu den häufig verwendeten Termini. In der Enzyklopädie der Philosophie tritt es nur etwa halb so häufig auf. Das Wort „materiell“ und seine Wortformen sind in Metzlers Lexikon Philosophie häufig anzutreffen und in den anderen beiden Lexika mit geringerer Häufigkeit.

Nach Nikos Psarros ist „Materie“ einer „der wichtigsten philosophischen Begriffe überhaupt, mit einer bis in die Anfänge der Philosophie in der griech. Antike reichenden Geschichte. Er ist Gegenstand lang anhaltender Debatten, Mittelpunkt verschiedener philosophischer und Entwürfe und Anlass ideologischer Kämpfe und Streitereien“ (Sandkühler et al. 2010, 1514u).

Wie die folgenden Analysen zeigen, wurden dabei immer wieder neue Betrachtungsweisen und Auffassungen entwickelt. Letztlich hat sich keine allgemein anerkannte Erklärung des Terminus herausgebildet. Dies ist insbesondere eine Folge der Entwicklung des Begriffs in der Physik. Die üblichen Merkmale, die in der Philosophie bestimmt wurden, erweisen sich aus der Sicht neuer physikalischer Kenntnisse als nicht haltbar. Dies wird bei der Analyse von Auffassungen in der Physik genauer ausgeführt.

Auch in den philosophischen Lexika findet man gelegentlich die Verwendung des Wortes „Materie“ im alltagssprachlichen Sinne als Thema bzw. Untersuchungsgegenstand. Beispiele:

  • „Eine klare Differenzierung von Vorstellungen in Anschauungen und Begriff findet sich erst bei KANT. ,Der Begriff ist der Anschauung entgegengesetzt, denn er ist eine allgemeine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist‘; seine Materie ist der Gegenstand, seine Form eben die Allgemeinheit, …“ (Ritter et al. 2007, Bd. 1, S.783).
  • „Geist ist die Materie, die zu behandeln als Sache der Philosophie gilt, …“ (Ritter et al. 2007, BD. 3, S.154).

Nach ersten Anfängen in der Antike hat Aristoteles eine entwickelte Konzeption zum Terminus Materie vorgelegt, die erheblichen Einfluss auf die weitere Begriffsgeschichte hatte. Er unterscheidet zwischen Materie und Seiendem. Materie ist das Bestimmungslose, das als Möglichkeit erst durch Verbindung mit der Form zu Wirklichkeit, also Seiendem wird (Ritter et al. 2007, Bd. 4. S. 58). Materie ist damit für Aristoteles ein Relationsbegriff in der Form x ist Materie von y. „Ist a also irgendein veränderlicher Gegenstand, so nennt Aristoteles denjenigen Bestandteil von a, der sein durch Formen strukturierbares Material ausmacht, Materie von a“ (Wolfgang Detel in Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 874). Diese Begriffsbildung führt damit nicht auf die Frage nach einem einheitlichen Grundstoff, sondern auf die Suche nach den Verwendungsmöglichkeiten von bestimmten Stoffen für die Herstellung von Gegenständen. Diese Auffassung entspricht der heutigen Bedeutung der Termini „Material“ und „Werkstoff“ als Gegenstand der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. In der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik werden Materialien und Werkstoffe auf ihre Eigenschaften untersucht. Die Ergebnisse werden dann für die Herstellung technischer Produkte angewendet, d. h. das Material wird in eine Form gebracht.

Interessant ist auch der Gedanke von Aristoteles im Zusammenhang mit seiner Unterscheidung von Materie und Form, die Seele als Form eines beseelten Lebewesens (also eines Menschen) zu bezeichnen, das aus ungleichteiligen Stoffen entstanden ist (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S.876). Damit ist die Seele bei Aristoteles nichts Übernatürliches, sondern ein reales Moment eines Menschen, dass und trennbar mit ihm sowohl im Werden als auch im Vergehen verbunden ist.

Mit dem Terminus Materie wird von vielen Philosophen mit dem Begriff der Bewegung verbunden. Bereits bei Aristoteles war das Problem der Bewegung der Leitfaden, an dem er das Begriffspaar ‹Form/Materie› entwickelt hat (Ritter et al. 2007, Bd. 2, S. 979). Dabei erkannte er, dass „sich alle Bewegung und Veränderung in bzw. zwischen Gegensätzen vollzieht. . Jedoch wird niemals der eine Gegensatz selbst unmittelbar zum anderen […] , sondern man muß immer ein Drittes annehmen, woran sich bald der eine, bald der andere der Gegensätze findet (z.B.: der ungebildete Mensch wird zu einem gebildeten; in diesem Falle ist der Mensch jenes Dritte.) Bei allem, was sich verändert, muß also etwas zugrunde liegen […], was beharrt. Dieses nennt Aristoteles: ylh. Es gibt somit drei Prinzipien des Werdens: die Materie als das Zugrundeliegende, an dem sich die Veränderung vollzieht, und die beiden Gegensätze, zwischen denen sie geschieht. Der eine davon ist die Gestalt oder Form, die eine sich verändernde Sache annimmt (die also am Schluß des Prozesses steht), der andere [..] der Zustand der Sache vor oder zu Beginn der Veränderung, d.h. der Zustand, in dem diese bestimmte Form der Sache (noch) fehlt“ (Ritter et al. 2007, Bd. 2, S. 980).

Nach Hegel gibt es keine Materie ohne Bewegung (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 910) und nach Klaus-Jürgen Grün besteht „das philosophische Problem hinsichtlich der Materie darin, dass zu erklären ist, wie die Materie in Bewegung versetzt, besonders, wie sie lebendig werde“ (Prechtl und Burkard 2008, S. 362).

In der chinesischen Naturphilosophie, die immer an das Buch der Wandlungen mit seiner Lehre vom Yin und Yang angeknüpft hat, wurde daher der Materiewandel (Qi Hua) und die Entstehung der Dinge daraus zu einem Hauptthema (Prechtl und Burkard 2008, S. 459).

Das Beispiel von Aristoteles, die Änderung der Bildung eines Menschen, verwirrt zunächst, da sich der Mensch durch die Zunahme seiner Bildung ebenfalls ändert. Aristoteles kann also nicht einen Menschen als konkretes Wesen gemeint haben. Der Grad der Bildung ist eine Eigenschaft eines Menschen, in dieser Betrachtungsweise ist also der Mensch ein Träger von Eigenschaften. Auch wenn Eigenschaft sich ändern, handelt es sich vorher und nachher um denselben Träger. Änderungen und Nichtänderung des Menschen sind also untrennbar verbunden.

Das Beispiel zeigt weiterhin, dass ein so erklärter Materiebegriff auch mentale Objekte wie Kenntnisse und Vorstellungen eines Menschen umfassen würde.

Der in dem Beispiel von Aristoteles beschriebene Gegensatz entspricht der grundlegenden Triebkraft des Lernens, den Gegensatz von Wissen und Nichtwissen.

Der Terminus Materie hat in der Philosophie offensichtlich die Funktion eines Gegenbegriffs zu mentalen oder transzendenten Termini wie Geist, Denken, Idee oder Seele. Dies zeigt die Häufigkeit des Wortes Materie in den Texten zu den Stichwörtern des Historischen Wörterbuchs der Philosophie. In der folgenden Liste werden die Steckwörter erfasst, bei denen das Wort Materie mindestens 20-mal auftrat, in Klammern wird die jeweilige Häufigkeit angegeben: Abstraktion (24), Gott (23), Idee (36), Leben (23), Leib- Seele-Verhältnis (24), Materialismus (20), Metaphysik (38), Natur (49), Naturphilosophie (22), Prinzip (22), Qualität (32), Raum (26), Schöpfung (38), Seele (53), Streben (26), Substanz (26). Dies ist eine Erklärung für die große Häufigkeit des Wortes Materie, in den 16 genannten Stichwörtern trat das Wort insgesamt 482-mal auf.

Descartes trennte scharf zwischen Materie und Geist und legte somit die Grundlagen für die klassische Lösung des Leib-Seele-Problem (Ritter et al. 2007, BD. 5, S. 192). Diese scharfe Trennung lässt sich aber in vielen Fällen nicht aufrechterhalten. Ein Beispiel sind die Werke eines Künstlers, etwa eines Bildhauers. Eine Statur eines Künstlers besteht aus einem bestimmten Material und hat eine bestimmte Form. Sie wäre aber kein Kunstobjekt, wenn nicht auch die Gedanken und Intensionen des Künstlers in ihr verarbeitet wären. Zu ihren Momenten gehören also sowohl Materie als auch Geist.

Die Wörter „Materie“ und „Substanz“ werden teilweise in engem Zusammenhang genannt. Beispiele sind:

  • In der Alltagssprache wird als eine Bedeutung für das Wort „Materie“ in der Wissenschaft das Wort „Substanz“ angegeben (DWDS).
  • „Wolff beschränkt den Begriff der Materie bewußt auf den Bereich der physischen Dinge. Den Körper faßt auch er als ein Aggregat einfacher, unausgedehnter, immaterieller Substanzen, …“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 907).
  • „Für LOCKE ist der Körper eine ‚dichte, ausgedehnte und gestaltete Substanz‘. Die ‚unklare Teilvorstellung‘ einer dichten Substanz ohne Ausdehnung und Gestalt macht den Begriff der Materie aus, der durch Abstraktion gewonnen ist“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 908).
  • „Bei Chr. Wolff und Baumgarten wurde der Materie-Begriff zwar auf den Bereich der Erscheinungen eingeschränkt, aber als ihre rationalen Gründe werden immer noch einfache Substanzen gefordert“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 908).
  • Bei dem Versuch, die Naturwissenschaften auf ihre ontologische Basis zu stellen, geht G. JACOBY vom Begriff der Substanz als einem ontologisch selbständigen Träger von Eigenschaften, Zuständen und Beziehungen aus (Jacoby 1955, S. 707).
  • Klaus-Jürgen Grün erklärt Materie als universale Substanz, die als Träger aller Eigenschaften angesehen wird (Prechtl und Burkard 2008, S. 362).

Bei diesen Auffassungen ist „Substanz“ teilweise ein Oberbegriff für „Materie“.

KANT allerdings reduziert den Grund für Erscheinungen „auf das uns völlig unerkennbare transzendentale Objekt (Ding an sich), auf das die Kategorie der Substanz nicht mehr anwendbar ist. So wird die Materie zur ‚Substanz in der Erscheinung‘, aber sie ist nicht mehr Erscheinung der Substanz“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 908).

In enger Beziehung zu „Materie“ und „materiell“ stehen oft die Wörter „Stoff“, Urstoff“ und „stofflich“. Beispiele:

  • In der Alltagssprache wird als eine Bedeutung für das Wort „Materie“ das Wort „Stoff“ (DWDS: in der Wissenschaft, Wiktionary) angegeben. Eine Bedeutung für „materiell“ ist „stofflich“ (DWDS).
  • „Beides zusammen, Form und Materie, machen das konkrete Seiende aus. Eidos [Form] und Stoff sind reale, konstitutive Prinzipien körperlicher Dinge, jedoch unselbständig, ‚nicht abtrennbar‘“ (Ritter et al. 2007, Bd. 4, S. 59).
  • „Diese Elemente sind ihrerseits Materie für die gleichteiligen Stoffe wie etwa Gold, dessen Teile wieder aus Gold bestehen, … . Die gleichteiligen Stoffe bilden die Materie für die ungleichteiligen Stoffe wie z.B. einzelne Körperteile von Lebewesen, die eine besondere Funktion erfüllen“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 876).
  • „Er nimmt einen der Materie und dem Geist zugrundeliegenden bzw. sie überschneidenden Weltstoff an, der in einer bestimmten Anordnung als geistig, in einer anderen als materiell bezeichnet wird“ (Prechtl und Burkard 2008, S. 389).
  • „Qì (Materie, Urstoff). Im altchinesischen Buch der Wandlung ist die Rede von Jing Qi, wörtlich »feinste Luft«. Es dürfte dem stoischen feinsten Atomstoff, dem Pneuma entsprechen und wurde daher wie dieses oft als »geistige Materie« übersetzt“ (Prechtl und Burkard 2008, S. 459).

In der Geschichte des Materiebegriffs wurden folgende Momente genannt.

  • Prinzip der Undurchdringlichkeit und der Trägheit, von Leibniz materia prima bezeichnet (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 906)
  • Kant stellt fest: „Die Materie ist das, was den Raum erfüllt, Ausdehnung und Undurchdringlichkeit machen ihren Begriff aus. Selbst der Begriff der ‚Beharrlichkeit‘ oder der Unveränderlichkeit der Quantität wird ihr synthetisch, allerdings a priori, zugesprochen“ . (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 908).
  • „In der Schwere sieht Hegel die Substantialität der Materie … (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 910).
  • „Materie, universale Substanz, die als Träger aller Eigenschaften angesehen wird und im Raum mehr oder weniger gleichmäßig mit verschiedener Dichte verteilt ist; Inbegriff der Körperlichkeit und Undurchdringlichkeit, in der neueren Physik jedoch auch bloßer Name für Punkte eines Feldes“ (Klaus-Jürgen Grün in Prechtl und Burkard 2008, S. 362).
  • Kriterial für materielle Gegenstände ist ihr raumzeitlicher Ort (Sandkühler et al. 2010, S. 560). Die Teile eines materiellen Gegenstandes sind räumliche Teile (Sandkühler et al. 2010, 561b).

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Materie verbunden wird mit Undurchdringlichkeit, Trägheit bzw. Schwere, Ausdehnung, Dichte, Körperlichkeit und raumzeitlicher Ort. Darunter fallen alle gegenständlichen Objekte, aber schon bei Luft wird es problematisch und es recht bei der Frage ob Felder oder Energie zur Materie gehören.

Einige Philosophen versuchen den Gegensatz von Materie und Geist zu überwinden. Dies geschieht einmal dadurch, dass man Materie und Geist miteinander identifiziert, wie es bei den Auffassungen von Schelling geschieht. „Materie versteht Schelling unter Hinweis auf Leibniz («Schlafzustand der Monaden») und Hemsterhuys («geronnener Geist») als ‚den Geist im Gleichgewicht seiner Tätigkeiten angeschaut‘. Jeder reelle Gegensatz zwischen Geist und Materie soll dadurch überwunden sein, daß die Materie ‚selbst nur der erloschene Geist, oder umgekehrt jener die Materie, nur im Werden erblickt, ist‘“ (Ritter et al. 2007, Bd. 5 S. 909).

Eine andere Möglichkeit besteht darin, etwas Drittes, einen Weltstoff anzunehmen, der bei dem zugrunde liegt. „Der neutrale Monismus angelsächsischer Philosophen (J. Dewey, W. James, B. Russell) weicht nur geringfügig vom naturalistischen Monismus ab. Er nimmt einen der Materie und dem Geist zugrundeliegenden bzw. sie überschneidenden Weltstoff an, der in einer bestimmten Anordnung als geistig, in einer anderen als materiell bezeichnet wird“ (Prechtl und Burkard 2008, S. 389).

Für Engels und Lenin ist die Materie kein Urstoff oder Urgrund von Seiendem, keine einheitliche selbständige Substanz, sondern als Allgemeines «eine reine Gedankenschöpfung und Abstraktion», die aus den konkreten, quantitativ und qualitativ bestimmten Dingen gewonnen wird (MEW 20, S. 519); […] „Wir sehen von den qualitativen Verschiedenheiten der Dinge ab, indem wir sie als körperlich existierende unter dem Begriff Materie zusammenfassen. Materie als solche, im Unterschied von den bestimmten, existierenden Materien, ist also nichts Sinnlich-Existierendes“ (MEW 20, S. 519). Materie ist „eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität“ (LW 14, S. 124). Die Funktion der Materie-Definition besteht nach Lenin nur darin, die objektive Realität als das Primäre gegenüber dem Denken auszuzeichnen (LW 14, S. 141). Lenin hebt hervor, dass Materie und Geist nicht vermengt werden dürfen und „sowohl das Denken als auch die Materie ‚wirklich‘ sind, d.h. existieren“ (LW 14, S. 242).

Mit den Auffassungen von einer Materie als solche im Unterschied zu bestimmten existierenden Materien bzw. einer Materie als philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität wird der Umfang des Begriffs wesentlich ausgeweitet. Damit wird zumindest alles, was real, also gegenständlich-stofflich existiert, als Materie bezeichnet. Dies betreffe alle Gegenstände, aber auch Pflanzen und Tiere.

Eine Verallgemeinerung des Materiebegriffs über das rein Stoffliche hinaus findet man auch bei Jakob Böhme, Friedrich Christoph Oettinger und Ernst Bloch. „Böhme und Oetinger denken Materie als Substrat eines vorgeschichtlichen und geschichtlichen Prozesses. Materie ist in ihrer Entstehung und möglichen Vervollkommnung an Bewußtwerdungen, an Entscheidungen und Handlungen gebunden (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 919).

Daran knüpft Bloch an, für den Materie, „nicht mehr als das zu verstehen [ist], was man mit Händen fassen kann, was ein Gewicht hat und so weiter. Sondern sie bildet sich als die ökonomisch-gesellschaftliche Grundlage in Gestalt von Unterbauten aus, die doch alle Verstand schon voraussetzen, weil er bei ihren Bildungsprozessen mithalf“ (Bloch 1985, S. 272). Das führt Bloch dazu, den Begriff Materie durch den «offenen, auch transparenten Begriff des Substrats» zu erläutern (Bloch 2015, S. 202). Materie wird damit zu einer gesellschaftlichen Kategorie.

Husserl verwendet das Adjektiv „materiell“ im eingeschränktem Sinne, indem er das Seiende unterscheidet in die materielle, räumlich-dingliche Natur, die animalische (beseelte, lebendige) Natur und die geistig-personale Welt (Ritter et al. 2007, Bd. 12, S. 428). Die organische Natur hätte danach keinen materiellen Charakter.

Beispiele für das Auftreten des Adjektivs „materiell“:

  • Substitution des Begriffs Seelen-Substanz durch den der materiellen Substanz
  • die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen
  • Die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch die materielle Gewalt. Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.
  • Vorstellungsmäßige Reproduktion der materiellen Objekte
  • Ihren materiellen Niederschlag finden diese Ideen in der amerikanischen Menschenrechtserklärung.
  • der materielle Charakter der Produktionssphäre
  • Beschreibung bezeichnet die systematische, geordnete Darstellung von materiellen oder ideellen Sachverhalten.
  • Gesetz im materiellen Sinne ist jede rechtliche Norm.
  • die materielle Bedingtheit der Theorie und dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang
  • die Kategorien des materiellen Gegenstandes
  • Es ist nicht möglich, dass der gesellschaftlich konstituierte Tauschwert sich gänzlich von seinem materiellen Substrat, dem im Gegenstand verkörperten Gebrauchswert loslösen könnte.
  • die aktive Praxis der Menschen und ihre materiellen Bedürfnisse
  • die Produktion des materiellen Lebens
  • die ihre materielle Existenz ausschließlich oder vorwiegend durch Arbeit zu sichern gezwungen

In den Beispielen sind folgende Verwendungsmöglichkeiten erkennbar:

  1. „materiell“ als Fachbegriff in der Rechtswissenschaft: Gesetz im materiellen Sinne
  2. „materiell“ als schriftliche Darstellung von Ideen: materieller Niederschlag von Ideen
  3. „materiell“ als eine Gesamtheit von gegenständlichen und finanziellen Grundlagen des Lebens eines Menschen: materielle Existenz, materielle Bedürfnisse, materielles Leben
  4. „materiell“ im Sinne von „aus Materie bestehend“: materielle Substanz
  5. „materiell“ im Sinne von „gegenständlich“ oder „stofflich, aus Stoffen bestehend“: materielle Produktion, materieller Verkehr, materieller Charakter, materielles Objekt, materieller Sachverhalt, materieller Gegenstand,
  6. „materiell“ im Sinne von „Art des Gebrauchs eines Gegenstandes“: materielles Substrat eines Gegenstandes
  7. „materiell“ im Sinne von „aktiven menschlichen, auch gewalttätigen Handlungen“: materielle Gewalt
  8. „materiell“ im Sinne von „real existierenden Gegebenheiten“: materielle Bedingtheit der Theorie

Insgesamt kann man feststellen, dass nur bei der Bedeutung D ein direkter Bezug zum Terminus Materie besteht. Die Beschreibung des gegenständlichen oder stofflichen Charakters eines Objektes (E) tritt bei den Beispielen am häufigsten auf. Es gibt viele Verwendungen (A, B, C, F, G, H) in denen das Wort „materiell in einer speziellen Bedeutung verwendet wird, die keinen oder nur einen geringen semantischen Bezug zum Wort „Materie“ hat.

Physik

HWPh

Stichwort Materie, Autor: P. Hucklenbroich

  • Der physikalische Begriff der Materie löst sich vom ontologischen ab mit der Entstehung der experimentellen Naturwissenschaft durch Fusion der theoretisch-literarischen und der handwerklich-künstlerischen Traditionen um 1600 und der erkenntnistheoretischen Reflexion und Systematisierung des zugrunde liegenden Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriffs. Eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion des physikalischen Materie-Begriffs wird daher nur diejenigen Bedeutungsbestimmungen und -verschiebungen berücksichtigen können, die im Zusammenhang mit Beobachtungen, Messungen und anderen Experimenten und im Hinblick auf das Gesamtsystem physikalischer bzw. erfahrungswissenschaftlicher Begriffe vorgenommen worden sind. Bd. 5, S. 920-921
  • In der zweiten Hälfte des 17. Jh. wächst jedoch das Erfahrungsmaterial durch das Studium der Rotationsbewegungen und Stoßphänomene in eine Richtung an, die es schließlich NEWTON ermöglicht, eine Systematisierung der Trägheits- und Gravitationsphänomene vorzunehmen. Gemäß der darauf beruhenden «klassischen» Mechanik sind Trägheit (träge Masse), aufgefaßt als Beharrungsvermögen im jeweiligen Zustand der Ruhe oder der geradlinig-gleichförmigen Bewegung, und Schwere (schwere Masse), aufgefaßt als Fähigkeit zur wechselseitigen Attraktion gemäß dem Gravitationsgesetz, Grundeigenschaften der Materie; ihr steht die Energie gegenüber, die als quantitatives Maß der Fähigkeit, auf einem Weg eine Kraft auszuüben – also mechanische Arbeit zu leisten –, begrifflich von Materie unterschieden ist. Bd. 5, S. 921
  • Eine andere Tendenz des 19. Jh. geht dahin, alle Anklänge von «Substanzialität» und «Stofflichkeit», ja «Materialität» aus dem physikalischen Begriff der Materie als «metaphysisch» zu streichen, indem für «Masse» eine rein operationale Definition gegeben wird. 5, S. 922
  • Umfassendere Systematisierungen werden dann von EINSTEINS Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie erreicht. Für die Auffassung der Materie von besonderer Bedeutung sind dabei folgende Konsequenzen:
    • die Masse eines Körpers ist geschwindigkeitsabhängig;
    • Masse und Energie sind gemäß der Beziehung E = mc2 einander äquivalent und ineinander umwandelbar; ein Erhaltungssatz gilt nur noch für die «Summe» von Masse und Energie;
    • Raum bzw. Raum-Zeit und Materie sind keine ‚ontologisch radikal unterschiedlichen Entitäten, sondern gewissermaßen Aspekte einer einheitlichen Realität, die untereinander in Austausch stehen können: Der Raum selbst ist Materie. 5, S. 923

EPh

Stichwort Materie, Autor: Nikos Psarros

  • Mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Physik in der Renaissance trennt sich der philosophisch- ontologische Materiebegriff zusehends vom physikalischen. 1515
  • Der physikalische Materiebegriff wird in ›reiner‹ Form von Galilei entwickelt. Zählbarkeit, geometrische und kinematische Eigenschaften und Trägheit werden als diejenigen Eigenschaften der Körper angeführt, die ihre ›Materialität‹ ausmachen. 1515b
  • In der modernen Physik wird ›Materie‹ einerseits als Oberbegriff zu Masse und Energie und andererseits als kategoriale Unterscheidung in Abgrenzung zu anderen physikalischen Gegenständen wie ­Raum und Zeit verwendet. Während jedoch Masse und Energie sich als Abstraktoren über eine operational definierte Äquivalenzrelation rekonstruieren lassen, ist dies für den physikalischen Materiebegriff nicht möglich. ebenso wenig lässt sich Materie durch Prädikation oder als Relation zwischen Körpern (die aristotelische Materierelation wird heute eher durch das Wort ›Stoff‹ bzw. ›Grundlage‹ wiedergegeben), oder als theoretischer Begriff einführen. Die einzig sinnvolle Verwendungsweise des Wortes ›Materie‹ in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen erscheint die bereits erwähnte eines Titelwortes oder Reflexionsterminus.1515b-1516

Klaus Stierstadt (1989): Physik der Materie

Materie: 268 (49,7) Ergebnisse

  • Die wichtigste Eigenschaft der Materie ist ihre Struktur, das heißt die Anordnung ihrer Bestandteile in Raum und Zeit. S. 5
  • Die für irdische Verhältnisse wichtigste Eigenschaft der Materie, nämlich ihre räumliche Struktur, ist eine Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen. Struktur entsteht bei der Umsetzung potentieller Energie. Die beobachteten Strukturen lassen sich mit Hilfe von Näherungsmethoden, Einteilchen-Näherung und statistischer Mechanik teilweise verstehen. Dabei müssen wir im Auge behalten, daß unser naives Bild von Elementarteilchen und Kraftfeldern mit exakt meßbaren und unveränderlichen Eigenschaften falsch ist. Wenn wir genau beobachten, so entstehen und verschwinden die Teilchen, die Felder fluktuieren, die Eigenschaften der Teilchen sind nicht gleichzeitig exakt bestimmbar, Raum und Zeit bilden ein Kontinuum und sind nicht mehr zu trennen, die Eigenschaften der Raumzeit hängen von der Verteilung der Materie und Energie ab. S. 13
  • Wir werden uns jetzt im zweiten Teil des Buches mit der kondensierten Materie beschäftigen, also mit Ansammlungen von Teilchen, die aus sehr vielen und meistens dicht gepackten Atomen oder Molekülen bestehen. Die Grenze, ab der man von kondensierten Materie im eigentlichen Sinne spricht, ist etwa dort, wo sich ein merklicher Bruchteil der Moleküle, die eine Ansammlung bilden, „im Inneren“ befindet.
    Die physikalischen Eigenschaften der kondensierten Materie unterscheiden sich nicht nur quantitativ von denjenigen einzelner Atome oder Moleküle, sondern auch qualitativ. In einem aus sehr vielen Teilchen bestehenden System gibt es „neue“ Eigenschaften, welche die einzelnen Bestandteile des Systems nicht besitzen, und die erst durch das Zusammenwirken der Teilchen Zustandekommen. S. 179

Wikipedia, Stichwort: Materie (Physik)

In der modernen Physik wird der Begriff Materie heute gegenüber den Begriffen Vakuum und Feld nicht mehr einheitlich abgegrenzt. In den Lehrbüchern der Physik wird der Materiebegriff überwiegend ohne eine genauere Definition vorausgesetzt. In seiner engsten Bedeutung meint man mit Materie alle Elementarteilchen mit Spin ½, also Quarks und Leptonen, sowie alles daraus aufgebaute, wie Atome, Moleküle, feste, flüssige und gasförmige Stoffe, bis hin zu Sternen und Galaxien.

Analyse der Bedeutungen des Wortes „Materie“ in der Physik

Die Quelle für den physikalischen Begriff der Materie ist das Wort „Materie“ in seiner Verwendung in philosophischen Zusammenhängen. Bereits „mit der Entstehung der experimentellen Naturwissenschaft durch Fusion der theoretisch-literarischen und der handwerklich-künstlerischen Traditionen um 1600 und der erkenntnistheoretischen Reflexion und Systematisierung des zugrunde liegenden Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriffs“ löste sich der „physikalische Begriff der Materie […] vom ontologischen ab“ (P. Hucklenbroich in (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 920)). Während noch Newton Trägheit und Schwere als Grundeigenschaften der Materie angesehen hat und sich dem Begriff der Energie gegenüberstellte (P. Hucklenbroich in (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 921)), führten bereits die Ergebnisse von Einsteins Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie zu folgende Konsequenzen für den physikalischen Materiebegriff:

  • die Masse eines Körpers ist geschwindigkeitsabhängig;
  • Masse und Energie sind gemäß der Beziehung E = mc2 einander äquivalent und ineinander umwandelbar; ein Erhaltungssatz gilt nur noch für die «Summe» von Masse und Energie;
  • Raum bzw. Raum-Zeit und Materie sind keine ‚ontologisch radikal unterschiedlichen Entitäten, sondern gewissermaßen Aspekte einer einheitlichen Realität, die untereinander in Austausch stehen können: Der Raum selbst ist Materie (P. Hucklenbroich in (Ritter et al. 2007, Bd. 5, S. 923)).

Dies lässt sich mit vielen gängigen Auffassungen in philosophischen Kontexten nicht mehr vereinbaren und in der modernen Physik sind die Unterschiede noch größer geworden. „In der modernen Physik wird der Begriff Materie heute gegenüber den Begriffen Vakuum und Feld nicht mehr einheitlich abgegrenzt. In den Lehrbüchern der Physik wird der Materiebegriff überwiegend ohne eine genauere Definition vorausgesetzt“ (Wikipedia). Nach dem Physiker Klaus Stierstadt ist die „wichtigste Eigenschaft der Materie […] ihre Struktur, das heißt die Anordnung ihrer Bestandteile in Raum und Zeit“ (Stierstadt 1989, S. 5). Die Struktur, ist eine Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elementarteilchen. „Dabei müssen wir im Auge behalten, daß unser naives Bild von Elementarteilchen und Kraftfeldern mit exakt meßbaren und unveränderlichen Eigenschaften falsch ist. Wenn wir genau beobachten, so entstehen und verschwinden die Teilchen, die Felder fluktuieren, die Eigenschaften der Teilchen sind nicht gleichzeitig exakt bestimmbar, Raum und Zeit bilden ein Kontinuum und sind nicht mehr zu trennen, die Eigenschaften der Raumzeit hängen von der Verteilung der Materie und Energie ab“ (Stierstadt 1989, S. 13).

Nach Nikos Psarros wird „die aristotelische Materierelation […] heute eher durch das Wort ›Stoff‹ bzw. ›Grundlage‹ wiedergegeben“ (Sandkühler et al. 2010, 1515b-1516).

Diese generellen Einschätzungen werden durch die Analyse weiterer Literatur zum physikalischen Materiebegriff bestätigt und konkretisiert, wobei weitere, auch philosophisch bedeutsame Probleme sichtbar werden.

Zur Erklärung mikrophysikalischer Prozesse wird heute in der Physik ein stochastisches Modell verwendet. Im Rahmen des Formalismus der Quantenmechanik ergeben sich die Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Orts- und Impulsmessungen und damit die Standardabweichungen aus den zugehörigen Wellenfunktionen. Die Streuungs-Ungleichung, also die Heisenbergsche Unschärferelation, folgt dann aus dem Umstand, dass diese Wellenfunktionen bezüglich dem Ort und Impuls über eine Fourier-Transformation miteinander verknüpft sind. Die Unschärferelation ist eine Konsequenz aus dem Modellansatz und hat nichts mit subjektiven Faktoren zu tun.

In der sogenannten Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik und insbesondere der Unschärferelation, die um 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg während ihrer Zusammenarbeit in Kopenhagen formuliert wurde, gibt es Aussagen von Heisenberg zu einem subjektiven Charakter. Niels Bohr vertrat die Interpretation, dass es in der Natur eines Teilchens liege, dass ihm unterhalb gewisser Grenzen Ort und Impuls nicht mehr zugeordnet werden können, weil diese Begriffe dort keinen Sinn mehr ergäben. Im Unterschied zu Niels Bohr war Heisenberg der Meinung, dass sich aus der Unschärferelation ergibt, dass wir als Beobachter nicht in der Lage seien, die Eigenschaften Ort und Impuls an einem Quantenobjekt gleichzeitig beliebig genau zu messen. Weiterhin wird in dieser Interpretationsweise formuliert, dass durch den Mesvorgang die Eigenschaften des Teilchens verändert werden. Selbst diese Auffassungen rechtfertigen aber nicht die Aussage, dass der Materiebegriff einen subjektiven Charakter erhält. Die Materie hat in dieser Form schon vor der Existenz des Menschen und vor der Entwicklung der Quantenmechanik existiert.

Unterschiedliche Auffassung unter Physikern gibt es auch zur Rolle des „Zufalls“ bei mikrophysikalischen Vorgängen. Die Rolle des Zufalls kommt im Rahmen der Theorie der Quantenmechanik dadurch zum Ausdruck, dass keine exakten, sondern nur statistische Vorhersagen von Einzelereignissen möglich sind, z. B. beim radioaktiven Zerfall zum Ort eines Teilchens. Diese Theorie gestattet lediglich für jeden Ort die Angabe einer Wahrscheinlichkeit dafür, bei einer Suche über eine Messung das Teilchen dort zu finden ist.

Dies führt zum Problem des Determinismus oder Indeterminismus physikalischer Vorgänge. Während die Kopenhagener Interpretation einen objektiven Indeterminismus vertritt, war Einstein der Meinung, dass die fundamentalen Vorgänge deterministischer Natur sein müssten, was in seinem Ausspruch „Gott würfelt nicht“ zum Ausdruck kommt.

Der Physiker Stephen Hawking verwendet den Begriff Determinismus für alle Interpretationen der Quantenmechanik, auch für die einschlägig als indeterministisch bezeichneten Varianten. Er begründet diese Wortwahl damit, dass so der mögliche falsche Eindruck der Regellosigkeit vermieden werde. Auch unter der Annahme einer fundamentalen Zufälligkeit der Natur würden statt einer bestimmten Zukunft und Vergangenheit eben die Wahrscheinlichkeiten für verschiedene mögliche Zukünfte und Vergangenheiten durch die Naturgesetze exakt bestimmt, d. h. determiniert (Hawking et al. 2010, S. 71).

Dieser Auffassung von Hawking entspricht dem Kausalitätsprinzip, dass alles Existierende eine Ursache hat, unabhängig davon, ob man diese im Einzelnen kennt oder nicht. Bereits beim einfachen Wurf eines Würfels ist es unmöglich, die konkreten Ausprägungen der Einflussfaktoren zu kennen, die letztlich Ursache für das Würfelergebnis sind.

Gegenwärtig gibt es unter Physikern unterschiedliche Auffassungen zu dem, was letztlich unter diesen Terminus Materie subsumiert werden soll. So schlägt Honerkamp (2011) vor, alle Objekte, die Energie und einen Impuls besitzen können, als Materie zu bezeichnen. Dann wären auch alle Quanten ebenso wie alle klassischen Teilchen und Felder eingeschlossen. In der Diskussion zu seinem Artikel hat er dann allerdings die Frage offengelassen, ob die Gravitationsfelder auszuschließen wären. Bunge und Mahner (2004) nennen neben der Energie als zweites charakteristisches Merkmal für materielle Dinge, dass sie verschiedene Zustände einnehmen und sich somit verändern können.

Schlussfolgerungen

Bereits in der Alltagssprache haben die Wörter „Materie“ und „materiell“ sehr unterschiedliche Bedeutungen. Materie ist sowohl eine Bezeichnung für objektive Realität als auch für ein Thema oder Gegenstand einer Betrachtung. Das Adjektiv materiell kann sich auf stoffliche Natur eines Gegenstandes oder auch auf finanzielle und ökonomische Verhältnisse eines Menschen beziehen.

Die Bedeutung von Materie als Grundstoff, Urstoff, kleinste Bestandteile eines jeglichen existierenden Gegenstandes aber auch auf stoffliche Gegenstände insgesamt durchzieht die Begriffsgeschichte in der Philosophie. Diese Bedeutung ist der Ausgangspunkt für die Entstehung des physikalischen Materiebegriffs. Damit sollen die Struktur und die Bestandteile aller physikalischen Objekte erfasst werden, sowohl im mikrophysikalischen als auch im makrophysikalischen Bereich. Physikalischen Forschungen haben ergeben, dass die Eigenschaften der Elementarteilchen in keiner Weise mit den Vorstellungen der Philosophie zum Charakter des Stofflichen und Gegenständlichen vereinbar sind. Hinzu kommt, dass der Terminus Materie in der Physik nicht definiert werden kann. Das Wort „Materie“ in der genannten philosophischen Bedeutung zu verwenden, ist also nicht sinnvoll.

Daneben wird, wie in der Alltagssprache, das Wort „Materie“ in der Philosophie auch losgelöst von dem Stofflichen und Gegenständlichen als Bezeichnung für die Realität insgesamt verwendet. Damit sind auch alle gesellschaftlichen Verhältnisse einbezogen. Ein Ziel dieser Verwendung ist es, eine Abgrenzung von dem mit Denken, Seele oder dem Geist beschriebenen Phänomenen vorzunehmen. In dieser Bedeutung wird „Materie“ im Rahmen des Materialismus verwendet. Dies ist aber kein Argument für einen solchen Materiebegriff. Grundlegenden Aussagen in der Theorie des Materialismus können auch ohne das Wort „Materie“ diese Bedeutung getroffen werden. Die anderen Bedeutungen von Materie tragen dann eher zur Verwirrung bei. So spricht etwa Bachelard 1949 in Le rationalisme appliqué von einer „Entmaterialisierung des Materialismus“ und stellt fest: „Verglichen mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand der verschiedenen (mechanischen, physikalischen, chemischen, elektrischen) Instanzen des wissenschaftlichen Materialismus kann man getrost feststellen, dass der philosophische Materialismus ein Materialismus ohne Materie, […] ist.“

Auch die in die gleiche Richtung gehende Auffassung von Bloch, Materie als „die ökonomisch-gesellschaftliche Grundlage in Gestalt von Unterbauten“ zu verstehen, ist deshalb nicht sinnvoll.

Ein weiteres Problem, das mit dem Terminus Materie verbunden ist besteht darin, dass gegenwärtig nicht gesagt werden kann, ob mentale Zustände und Prozesse auch Formen mit einem physikalischen Inhalt sind, also etwa durch Felder oder andere physikalische Zustände und Prozesse beschrieben werden können. Von Gehirnforschern wird nicht ausgeschlossen, dass dies generell nicht erkennbar ist. Eine solche Behauptung hat erstmalig der Physiologe Emil Heinrich Du Bois-Reymond 1872 in dem Vortrag „Über die Grenzen des Naturerkennens“ aufgestellt, den er auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Leipzig hielt. Auf ihn geht der Spruch zurück: „Ignoramus et ignorabimus.“ („Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen.“).

Daraus ergibt sich, dass offengelassen werden sollte, ob Mentales eine Form der Materie ist oder nicht, was man immer auch unter Materie versteht. Für die weiteren Diskussionen ist eine Entscheidung zu dieser Frage allerdings nicht erforderlich. In jedem Fall gibt es grundlegende Unterschiede zwischen mentalen und nichtmentalen Zuständen und Prozessen.

Der Terminus „Materielles“ ist zu Bezeichnung des Nichtmentalen nicht geeignet. Ein Grund ist seine geringe Häufigkeit. In dem DWDS gibt es keinen Eintrag, im Historischen Wörterbuch der Philosophie gibt es nur neun Ergebnisse, in Metzler Lexikon Philosophie nur vier und in der Enzyklopädie Philosophie ebenfalls nur vier Ergebnisse. Unter „Materiellem“ wird intuitiv etwas verstanden, was aus Materie besteht bzw. materiell ist. Mit diesen beiden Termini sind die schon genannten Probleme verknüpft.

Ein weiteres Argument für die Verwendung des Terminus „Nichtmentales“ ist eine Unbestimmtheit in Bezug auf stofflichen Eigenschaften des Objektes. Der Terminus „Materie“ bezieht sich immer auf die Grundbestandteile, das Stoffliche eines Objektes, während Nichtmentales den Gegenstand als Ganzes bezeichnet.

Ein grundlegendes Problem der Verwendung des Terminus „materiell“ soll am Beispiel der Wortverbindung „materielle Produktion“ erläutert werden. Zur materiellen Produktion gehört auch die Herstellung von Kunstwerken. Dabei kann es sich um ein Unikat oder um die massenhafte Vervielfältigung eines Kunstwerkes handeln. Ein Kunstwerk, etwa eine Statue oder ein Bild, ist aber mehr als das Gegenständliche oder Stoffliche dieses Werkes. Ein Kunstwerk verkörpert auch die Ideen des Künstlers, es hat also auch einen mentalen Charakter. Dieser wird mit dem Terminus des Materiellen nicht erfasst. Eine genauere Betrachtung dieses Problems findet in den Text „Das entäußerte Mentale“ statt.

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