Hans-Dieter Sill, 11.04.2022
Analyse von Literatur zu Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaft
Inhalt
Gedanken zu Dörre (2021b): Die Utopie des Sozialismus. 2
I Visionen: „Pandemie stoppt Klimawandel!“. 3
II Begriffe: Radikaler Humanismus, Postwachstum, Neosozialismus?. 4
III Heuristik: Sozialismus – von der Wissenschaft zur Utopie. 6
IV Diagnose: Landnahme, Zangenkrise, Anthropozän. 9
V Gründe: Warum nachhaltiger Sozialismus?. 11
VI Nachhaltigkeit: Eine neue Rechtfertigungsordnung. 13
VII Fundamente: Konturen nachhaltig sozialistischer Gesellschaften. 15
VIII Produktivkräfte: Digitale Sozialismus?. 17
IX Effizienz: Demokratische Planung, humane Arbeit, befreites Leben. 18
X Katastrophen: Sozialismus oder Pandemie. 21
XI Übergänge: Nachhaltiger Sozialismus jetzt!. 22
Zum Schluss: Sozialismus im Handgemenge. 24
Zusammenfassende Bemerkungen: 26
Zu Gedanken in anderen Quellen. 27
(Bontrup 2021): Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft. 27
(Bontrup et al. 2006): Wirtschaftsdemokratie. Alternative zum Shareholder-Kapitalismus. 28
(Krause et al. 2011): Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands. 28
(Kocka 2017): Geschichte des Kapitalismus. 29
(Bofinger et al. 2015): Thomas Piketty und die Verteilungsfrage. 30
(Wagenknecht 2009 [2003]): Kapitalismus im Koma. Eine sozialistische Diagnose. 31
(Wagenknecht 2009): Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft. 32
(Wagenknecht 2012): Freiheit statt Kapitalismus. 32
Wagenknecht (2021): Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt 34
Gedanken zu Dörre (2021b): Die Utopie des Sozialismus
Zur Einführung
Dörre ist der Meinung, dass im Sinne von Engels „der Sozialismus als Erweiterung bürgerlich-parlamentarischer Demokratie nicht aber als deren Liquidierung zu verstehen“ ist (S. 14). „Schließlich ist es eine demokratisch verfasste Gesellschaft, die es mir erlaubt, auf den Ruinen des untergegangenen Realsozialismus für eine nachkapitalistische Zukunft zu plädieren. Modischen Abgesängen auf die parlamentarische Demokratie, gleich, ob sie von rechts oder von links kommen, begegne ich daher kritisch, ja ablehnend“ (S. 15).
Bemerkungen:
- Dieses grundlegende Bekenntnis zur Demokratie äußert Dörre auch in dem Buch (Ketterer und Becker 2019). Dort hat er den Begriff der Demokratie nur in dem üblichen Sinne der Volksherrschaft erläutert, ohne auf Formen der Demokratie oder auch die Gefahren einer parlamentarischen Demokratie sowie aktuelle Fehlentwicklungen selbst einzugehen.
- Dies ist wohl auch ein Ergebnis seiner persönlichen Erfahrungen. Er hat sich in den siebziger Jahren aktiv an den linken gesellschaftlichen Bewegungen beteiligt und das Scheitern revolutionärer Bestrebungen selber erlebt. Als Wissenschaftler kann er jetzt mit staatlichen Geldern von der DFG, bei der er sich ausdrücklich dafür bedankt, Ideen für eine am Sozialismus orientierte Gesellschaft erarbeiten.
- Die Möglichkeit zu kritischen und sogar systemkritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit ist ein starkes Argument und Gefühl für die politische Grundkonstruktion des Staates. Der Staat hält dies ohne Probleme aus, solange sich die Kritik nur von Wissenschaftlern oder einzelnen kleineren Parteien geäußert und damit die Macht des Staates nicht ernsthaft gefährdet wird. Dörre zitiert aber auch Engels, der daran zweifelte, dass die Herrschenden eine Machtübernahme durch Mehrheiten für die sozialistische Partei bei Wahlen akzeptiere akzeptieren würden. „Ich habe im Gegenteil betont, die Aussichten stünden zehn zu eins dafür, dass die Herrschenden noch lange vor diesem Zeitpunkt gegen uns Gewalt anwenden werden; das aber würde uns vom Boden der Stimmenmehrheiten auf den Boden der Revolution führen“ (MEW 22, S. 280).
- Eine Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems schließt aber ein Bekenntnis zu elementaren demokratischen Grundrechten ein, wie sie etwa in den Artikeln 1-14 des Grundgesetzes beschrieben sind (vgl. Ist Antikapitalismus verfassungsfeindlich? Vom 22.07.2020).
Dörre will keine Analyse des Scheiterns „staatsbürokratischer Sozialismen“ vornehmen, da aus seiner Sicht die „Suche nach einer ökologisch-sozialistischen Utopie nicht mit Auflösungsszenarien vergangener Sozialismen beginnen“ kann (S. 15).
Bemerkungen:
- Das ist ein pauschalierendes Vorgehen. Es werden die konkreten Bedingungen und Ergebnisse des ökonomischen Systems in der DDR ignoriert. Man muss zumindest zwischen den nichtkapitalistischen Produktionsverhältnissen als der Basis der Gesellschaft und dem politischen Überbau unterscheiden. Die Produktionsverhältnisse hatten einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft und das Zusammenleben der Bürger. Neue sozialistische Ideen können nur durch Aufheben im Hegelschen Sinne der bisherigen entstehen. Einige dieser Erkenntnisse sind in der Publikation (Krause et al. 2011)
- Es zeigt sich hier bei Dörre ein weiteres, nicht hinterfragtes Leitmotiv seiner Gedanken, die grundlegende, auch intuitive Ablehnung des ökonomischen und politischen Systems in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten als „staatsbürokratische Sozialismus“. Auch das lässt sich durch seine Sozialisation und Erfahrungen erklären.
- Die Verwendung der Wortform „Sozialismen“ setzt eine Erklärung voraus. Es ist zu unterscheiden zwischen politischen Systemen und Theorien, die das Wort „Sozialismus“ in ihrer Bezeichnung verwendet haben. Der Vorschlag, die verschiedenen sozialistischen Theorien oder Praktiken als „Sozialismen“ zu bezeichnen, ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Es gibt auch verschiedene Formen des Kapitalismus (Monopolkapitalismus, Finanzkapitalismus, Ordoliberalismus u. a.), die nicht als Kapitalismen bezeichnet werden. Man kann zudem die unterschiedlichen Arten von Theorien auch durch adjektivische Zusätze (demokratischer Sozialismus) oder Präfixe (Ökosozialismus) in sinnvoller Weise zum Ausdruck bringen. Und schließlich ist diese Wortbildung nicht üblich und man sollte Neologismen möglichst vermeiden.
I Visionen: „Pandemie stoppt Klimawandel!“
„Alle staatssozialistischen Regime sind auch an dem Problem gescheitert, dass die sie starke Institutionen für eine Kontrolle und Begrenzung zentralisierter politischer Macht nicht zu entwickeln vermochten. Dies begünstigt ein monistisches Bestreben, das von der Fiktion einer von oben hergestellten Klasseneinheit über die erzwungene Einheit der Partei bis hin zur Führerverehrung und Personenkult führen kann. […] Auch politische Formationen, die aus nationalen, postkolonialen Befreiungsbewegungen hervorgegangen sind, bilden früher oder später Formen bürokratischer Klassenherrschaft aus. Neben Vietnam und Kuba stellen Südafrika, Nicaragua, Venezuela und selbst das Bolivien des Eva Morales […] prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart dar.
Bemerkungen:
- Aus den Worten spricht wieder die pauschale, intuitive Ablehnung von allem, was bisher an gesellschaftlichen Entwicklungen mit sozialistischen Ideen verbunden war und ist. Diese überhebliche Herangehensweise an tatsächliche Bewegungen ist keine Basis für die Zusammenarbeit mit progressiven Kräften. Es geht um das Verhältnis von grundlegender Sympathie und Verständnis für die Ziele dieser Bewegungen und berechtigter Kritik auch an grundlegenden Erscheinungsformen. Es passt zu den aktuellen Diskussionen in der Partei, den Maßstab der allgemeinen Menschenrechte an diese Bewegungen anzulegen. Dahinter steht der naive Glaube, dass alle Menschen nur nach edlen Motiven handeln. Eine Leitidee vieler Kräfte, die gegen diese Regierungen auftreten, ist ihr intuitiver Antikommunismus und die Überzeugung, mit Gewalt die Systeme beseitigen zu müssen.
- Die Existenz einer einzigen Partei wie in China oder Vietnam hält Dörre für unvereinbar mit seiner Idee einer parlamentarischen Demokratie. Er unterscheidet damit nicht zwischen Erscheinung und Wesen, zwischen der äußeren Form und den inneren Wirkungsbedingungen eines politischen Systems. Die notwendigen politischen Auseinandersetzungen in einem System können durchaus auch im organisatorischen Rahmen einer Partei erfolgen, wenn es denn nicht eine Partei im Leninschen sondern im Hegelschen Sinne ist: „Eine Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, daß sie in zwei Parteien zerfällt; denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen und hiermit die Einseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. Das Interesse, das sich zwischen ihr und der anderen teilte, fällt nun ganz in sie und vergißt der anderen, weil es in ihr selbst den Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Element erhoben worden, worin er geläutert sich darstellt. So daß also die in einer Partei entstehende Zwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist“ (Hegel: Werke. Band 3, Frankfurt a. M. 1979, S. 424).
- In der KP Chinas hat dieser Prozess offensichtlich stattgefunden, wie die historische Entwicklung nach Mao beweist. Deng Xiaoping, der die grundlegenden ökonomischen Veränderungen initiierte, war bereits zu Maos Zeiten im Führungszirkel der Partei.
II Begriffe: Radikaler Humanismus, Postwachstum, Neosozialismus?
Dörre diskutiert die drei in der Überschrift genannten Bezeichnungen für eine postkapitalistische Gesellschaft. „Denn jede Suche nach einer besseren Gesellschaft muss in Erinnerung behalten, was im „Zeitalter der Extreme“ (Hobsbawm 2009 [1994]) im Namen revolutionäre Absichten geschehen ist. Deshalb ergibt es Sinn, die höchst widersprüchliche Geschichte des Sozialismus nicht zu verdrängen, sondern zu reflektieren, wenn es um die Bezeichnung für postkapitalistische Gesellschaften geht. Das kann nur gelingen, indem der Sozialismusbegriff, statt ihn voreilig ad acta zu legen, mit neuem Inhalt gefüllt wird.“ S. 27
Bemerkungen:
- Das richtige und wichtige Ziel, die widersprüchliche Geschichte des Sozialismus zu analysieren, wird von ihm im in dem Abschnitt dann aber nicht in Angriff genommen. Er weist lediglich nach, dass die mit den genannten Begriffen bezeichneten Konzepte nicht seinen Vorstellungen von Sozialismus entsprechen, die er als eine ökologisch angepasste, egalitär-demokratische und deshalb nachhaltige Gesellschaft bezeichnet. Es könnte bei den drei Begriffen zu zahlreichen Missverständnissen kommen
- Auch die Bezeichnung demokratischer Sozialismus hält er nicht für sinnvoll, da sie zu sehr nach „ausgelaugter Sozialdemokratie“ klingt und nicht zum „Attraktionspunkt innovativer Debatten“ werden könne (S. 30).
- Das zentrale Anliegen einer Sozialismusdebatte kann es zudem nicht sein, eine geeignete Bezeichnung für das neue Gesellschaftsmodell zu finden. Dies würde nur zutreffen, wenn er das Wort „Begriff“ im Hegelschen Sinne als eine Einheit von gegensätzlichen Momenten versteht. Dann ist die Bestimmung des Begriffs gleichbedeutend mit der Bestimmung des Grundkonzeptes des Gesellschaftsmodells.
- Die Bezeichnung nachkapitalistische bzw. postkapitalistische Gesellschaft ist allerdings auch mit den gleichen Problemen verbunden. Ohne Inhalt ist es ein weitgehend leerer Begriff. Hinzu kommt, dass der Eindruck erweckt wird, die neue Gesellschaftsordnung hätte nichts mehr mit dem Kapitalismus zu tun. Das ist aber nicht der Fall, denn es geht um die Aufhebung des Kapitalismus und damit auch um die Bewahrung bestimmter Momente.
„Vom Sozialismus als Bewegung oder gesellschaftlicher Ordnung muss Sozialismus als Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung unterschieden werden. Für die letztgenannte Bedeutung wird eine Heuristik benötigt, die es erlaubt, einen Gegenstand in ständiger Veränderung mit wissenschaftlichen Methoden zu erfassen und für Forschungszwecke zur operationalisieren“ (S. 31).
Bemerkungen:
- Sicher geht auch Dörre davon aus, dass der Sozialismus, so wie er ihn sich vorstellt, noch nicht existiert. Worin besteht dann die aktuelle Notwendigkeit, sich Gedanken über eine Methodik der wissenschaftlichen Beobachtung des Sozialismus zu machen?
- Allerdings diskutiert er dann auch Methoden zur Bestimmung des Sozialismusbegriffs.
„Aus den Erfahrungen solcher Freiheitsbewegungen heraus [als Beispiel wird der südafrikanische Anti-Apartheid-Kampf genannt] gelten plurale parlamentarische Demokratien als unverzichtbare Basis aller Versuche, Alternativen zum Kapitalismus überhaupt zu diskutieren“ (S. 31).
„Es gibt nicht den Marxismus, sondern nur eine gewisse Pluralität an Konzeptionen, die sich in unterschiedlicher Weise auf Marx beziehen.“
„Wer sich der Methodik eines soziologischen Marxismus verpflichtet fühlt, steht deshalb für eine niemals abgeschlossene Reinterpretation klassischer Texte unter Berücksichtigung des zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Wissens. Zum paradigmatischen Realismus so verstandener Theoriebildung gehört es, Begriffe wieder zu entdecken oder Bedeutungen zu reanimieren, die seitens der marxistischen Orthodoxie längst ad acta gelegt waren. Sozialismus ist ein solcher Begriff den zu reinterpretieren eine wissenschaftliche und damit auch eine soziologische Aufgabe darstellt. Eine Methodik, die entsprechend verfährt, muss einigen Anforderungen genügen, die hier kurz genannt seien.“
„Die erste diese Anforderung kann als Reinterpretation, Thesenbildung und Prüfung bezeichnet werden. Eine kritische Reinterpretation klassischer Sozialismus-Texte zu betreiben ist unabdingbar. Dabei gewonnene Thesen müssen aber zumindest ausschnitthaft und exemplarisch einer empirischen Prüfung unterzogen werden, mit deren Hilfe sich theoretische Vorannahmen korrigieren lassen. Daraus folgt für soziologische Erkundungen einer nächsten sozialistischen Gesellschaft, dass sie experimentell und ergebnisoffen angelegt sein müssen (S. 32)“.
Bemerkungen:
- Was ist ein soziologischer Marxismus? Was ist der Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen und einer soziologischen Aufgabe?
- Begriffsbestimmung und soziologische Untersuchungen zur neuen Ordnung werden vermischt. Wie kann man unter kapitalistischen Bedingungen Thesen für eine sozialistische Gesellschaft empirisch überprüfen?
„Eine zweite Anforderung resultiert aus der Mehrebenenproblematik moderner Gesellschaften. Zu bedenken ist, dass Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse in ausdifferenzierte soziale Felder und gesellschaftliche Bewährungsproben eingebettet sind, deren eigensinnige Machtkonflikte und Wertigkeitsprüfungen empirisch erforscht werden müssen. […] Statt von einer determinierenden ökonomischen Basis auszugehen, die den gesellschaftlichen Überbau strukturiert, ist es sinnvoll, die kapitalistische Ökonomie und ihre Märkte als tief gestaffelte soziale Felder zu betrachten, …“ (S. 33)
Bemerkungen:
- Nun geht es wieder um die Analyse des Kapitalismus, insbesondere der kapitalistischen Ökonomie und ihrer Märkte.
- Es scheint typisch für Sozialwissenschaftler zu sein, dass sie die determinierenden ökonomischen Grundlagen einer Gesellschaft geringschätzen. Dies kann damit zusammenhängen, dass die ökonomischen Verhältnisse nicht ihr Gegenstand sind.
„… ergibt sich eine dritte Anforderung, dass die Verbindung von wissenschaftlicher Analyse und normativ begründeter Gesellschaftskritik unbedingt zu beachten ist. Ein demokratischer Marxismus unterscheidet sich auch methodologisch von sozialtheoretischen Versuchen, die auf eine normative Letztbegründung von Gesellschaftskritik zielen. Kritik des Marxschen Typus entsteht aus der möglichst präzisen Beschreibung sozialer Verhältnisse, gefolgt von Analysen, die immanente Bewegungsformen dieser Verhältnisse und der durch sie hervorgerufenen Verwerfungen und Krisen aufdecken“ (S. 34).
Bemerkungen:
- Gesellschaftskritik kann nicht nur auf der Grundlage soziologischer Forschungen erfolgen.
- Allerdings hat sich bei meinen weiteren Literaturstudien gezeigt, dass sich einige Sozialwissenschaftler, insbesondere neben Klaus Dörre, Stefan Lessenich und Hartmut Rosa schon längere Zeit mit aktuellen Problemen der politischen Ökonomie des Kapitalismus beschäftigt haben und darin einen Nachholbedarf der Soziologie sehen. In ihrem Buch (Dörre et al. 2009) stellen sie fest: „Einst gehörte es zu den zentralen Aufgaben der Soziologie, die moderne Gesellschaft über die sozialen Voraussetzungen und Konsequenzen ihrer Krisenhaftigkeit aufzuklären. Diesem heute oft vernachlässigten Anliegen fühlen sich die Autoren dieses Bandes verpflichtet […]. Zeitdiagnostisch fundierte Gesellschaftskritik, so eine ihrer Thesen, gehört zum Kerngeschäft der Soziologie. Eine zweite besagt, dass jede Gesellschaftskritik der Gegenwart notwendig auch Kapitalismuskritik sein muss.“ In einer Rezension zu dem Buch wird eingeschätzt: „Das Ansinnen, ein Stück aktueller Kapitalismuskritik (dauerhaft?) in die Soziologie (und nicht nur in diese) zu reimplantieren haben die Autoren jedenfalls erfolgreich umgesetzt. Erstaunlich und anerkennenswert vor allem, mit welcher Verve die Professoren dabei inhaltlich aufeinander zu- bzw. losgehen – womit sie sich gerade nicht in der sonst in Fachkreisen üblichen höflichen Distinktion üben“ (Buestrich und Wohlfahrt 2010).
„Wie sich noch zeigen wird, stellen die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen eine normative Grundlage sowohl von Kapitalismus- als auch von Sozialismuskritik dar, denn sie eignen sich, um Bestehendes und Erreichtes mit dem Nötigen und Wünschbaren abzugleichen.“ (S. 35)
„Bei dem Bemühen um eine Redefinition von Sozialismus gilt es außerdem zu bedenken, dass marxistische Begründungen sozialistisch-kommunistischer Gesellschaften nur eine Option unter anderen möglichen darstellen. Protagonist:innen der neuen Sozialismus-Debatte kommen häufig ohne umfassenden Rückgriff auf Marx` Kritik der politischen Ökonomie aus. Die Autorinnen des Manifests „Feminismus für die 99 %“ berufen sich vorzugsweise auf kapitalismuskritische Strömungen in der Frauenbewegung (Arruzza et al. 2020). Thomas Piketty grenzt seinen partizipativen Sozialismus ausdrücklich von marxistischen Konzeptionen ab (Piketty 2020). Michael Brie und Claus Thomasberger beziehen sich in ihrem Plädoyer für einen freiheitlichen Sozialismus stärker auf Karl Polanyi als auf Karl Marx und Friedrich Engels (Brie 2014). Brigitte Aulenbacher verknüpft Polanyis Ideen mit Debatten um eine Care-Revolution (Aulenbacher 2019)und Evgeny Morozovs digitale Sozialismus nimmt, wie Thomas Piketty, eher auf sozialdemokratischen Reformismus als auf revolutionäre Sozialismuskonzept Bezug. Der Sozialismus eines John Stuart Mill findet ebenfalls wieder Anerkennung und manifestiert sich in zeitgenössischen Entwürfen als Spielart eines neuen Sozialliberalismus (Honneth 2017)“ (S. 36).
Bemerkungen:
- Wenn denn die Einschätzungen von Dörre stimmen, und davon ist sicher auszugehen, ist die angegebene Literatur keine geeignete Grundlage für marxistische Sozialismustheorien.
- Dörre vermischt ständig drei Aspekte: die Analyse der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft, die Bestimmung des Begriffs Sozialismus und die empirische Analyse einer künftigen sozialistischen Gesellschaft, von der man noch gar nicht weiß wie sie aussehen wird.
- Weiterhin ist unklar, was er unter der Bestimmung des Begriffs „Sozialismus“ versteht. Die Bestimmung dieses Begriffs beinhaltet Aussagen zu den wesentlichen Merkmalen dieser künftigen Gesellschaft. Dabei kann es nicht nur um einige wenige Begrifflichkeiten gehen, sondern es müssen alle Bereiche dieser Gesellschaft zumindest in Umrissen charakterisiert werden. Dies ist heute generell noch nicht leistbar und erst recht nicht nur auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher Betrachtungen.
III Heuristik: Sozialismus – von der Wissenschaft zur Utopie
Dörre schätzt ein, dass sich in Engels Schrift zweifellos Formulierungen finden lassen, die Beleg für ein teleologisches Geschichtsverständnis sind, aber Engels stellt auch gleich zu Beginn die „enge Kopplung von gesellschaftlichen Widersprüchen und sozialistischer Vision als Abgrenzung von einem utopischen Denken heraus, dessen Anhänger den Sozialismus als Ausdruck der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit betrachten“ (Dörre 2021b, S. 38). Im Verständnis von Engels ist „der Sozialismus kein unabänderliches Endziel, dass im Gang der Geschichte bereits angelegt wäre. Weder handelt es sich um ein geschlossenes, unabhängiges Theoriegebäude noch um ein starres Gesellschaftsmodell. […] So wie die Gesellschaft stetem Wandel unterliegt, muss sich auch die Rezeptur, müssen sich Ziele, Organisationsformen und Wege des Sozialismus verändern, um systematische Herrschaft und Ausbeutungsmechanismen erfolgreich zu überwinden“ (Dörre 2021b, S. 38). „Deshalb kann es, wie Engels immerhin andeutet, nicht bei dem einen Sozialismus bleiben. Sofern es wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll, muss, das sei hinzugefügt auch das S-Wort zwingend im Plural buchstabiert werden. Den Variationen des Kapitalismus entsprechen diverse Sozialismen“ (Dörre 2021b, S. 39).
Bemerkungen:
- Dörre hat einen wesentlichen Kern der Schrift von Engels erkannt und sie als ein historisches Dokument eingeschätzt. Er hebt insbesondere die Einheit von gesellschaftsökonomischer Fundierung und visionären Ansprüchen hervor.
- In seinen weiteren Ausführungen zu Utopie des Sozialismus tritt dann aber die ökonomische Grundlage in den Hintergrund.
- Er stellt den bei Engels zwar nur in Ansätzen zu findenden Gedanken einer Weiterentwicklung der sozialistischen Theorie heraus. Die Probleme seines Vorschlages die verschiedenen sozialistischen Theorien als Sozialismen zu bezeichnen, wurden bereits dargelegt (s. S. 3).
„Sozialistische Ideen des 21. Jahrhunderts müssen, so die hier vertretene These, ihre Überzeugungskraft aus der Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution beziehen. […] Zwar rebellieren auch sie gegen die Herrschaft des Kapitals, doch das nicht allein wegen der Ausbeutung von Lohnarbeit. Die Sozialismen des 21. Jahrhunderts präsentieren sich als Alternative zu einem ‚Imperialismus gegen die Natur‘“ (S. 39).
Bemerkungen:
- Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung wird auch von allen gegenwärtigen Staaten anerkannt, wie die UN-Resolution zu den SGDs von 2016 zeigt. Das entscheidende ist, dass für alle sichtbar der Nachweis erfolgen muss, dass diese Ziele unter den kapitalistischen Produktionsbedingungen nicht oder nur eingeschränkt realisiert werden können.
- Die Ausbeutung durch Lohnarbeit ist nur ein Moment der kapitalistischen Herrschaft.
„Gleich ob reformistisch oder revolutionär [gemeint sind Transformationsstrategien], es genügt eben nicht, die Kommandohöhen der Wirtschaft und des Staates zu übernehmen, um von dort aus die Gesellschaft umzugestalten. Strategisches sozialistisches Handeln, das so verfährt, unterschätzt die Komplexität moderner kapitalistischer Gesellschaften. Dieses Problem spricht ein ‚weberianischer“ Marxismus an, der sich in seinen Ursprüngen mit den Namen Georg Lukacs und Antonio Gramsci verbindet“ (Dörre 2021b, S. 44).
„Für Gramsci beruht demokratischer Herrschaft im integralen Staat auf Hegemonie, auf einem basalen Konsens zwischen Herrschenden und Beherrschten, der aus den sozialen und symbolisch-kulturellen Konflikten der Zivilgesellschaft erwächst. Jeder Konsens ist mit Zwang gepanzert und in einem historischen Blog eingebettet, der Klasseninteressen in die Sphäre der Politik übersetzt, transformiert und sie so weitgehend unsichtbar macht. (Buci-Glucksmann 1981) Zwang meint hier nicht in erster Linie offene Gewalt, wenngleich auch diese keineswegs verschwindet. Solange die kapitalistische Eigentumsordnung fraglos vorausgesetzt wird, bedarf der stille ökonomische Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft keiner besonderen Legitimation. Deshalb können „außerökonomische Güter“ wie soziale Bürger- und Freiheitsrechte oder die Gleichstellung von Geschlechtern, Ethnien und Nationalitäten relativ egalitär verteilt werden, denn sie lassen den Kern kapitalistischer Herrschaft unberührt. (Wood und Scherf 2010, S. 268)“ (Dörre 2021b, S. 45).
„Basale Rechtsnormen sind demnach, mit der Institutionalisierung des Rechts variierend, für antikapitalistische – sozialistische Transformationsstrategien durchaus offen, was nichts daran ändert, dass sich die Herrschenden mächtigen solchen Veränderungen höchstwahrscheinlich mit aller Macht, d. h. immer auch mit ohne geeignete Rechtsmittel widersetzen werden.“ (Dörre 2021b, S. 46).
Bemerkungen:
- Die Überlegungen von Gramsci und den anderen beschreiben gut die aktuelle Situation. Die Probleme der avisierten gesellschaftlichen Umwälzung sind weitaus komplexer als nur die Fragen der Eigentums- und Machtverhältnisse.
- Auch die Überlegungen von Ellen Meiksins Wood zu den „außerökonomischen Gütern“ sind interessant und zutreffend.
- Immer wieder muss auch Dörre eingestehen, dass es nicht so einfach ist, auf parlamentarischem Wege über den gegenwärtigen Staat die Ziele umzusetzen.
Im Folgenden stellt er dann das Modell von Erik Olin Wright für eine heuristische Orientierung zur Neubegründung eines utopischen Sozialismus vor. Wright unterscheidet als eigenständige Kategorien den Sozialismus, Kapitalismus und Etatismus. Der Etatismus ist für ihn „eine ökonomische Struktur, innerhalb welcher die Produktionsmittel dem Staat gehören und in der die Allokation und der Gebrauch von Ressourcen für unterschiedliche gesellschaftliche Zwecke von der Ausübung staatlicher Macht abhängen. Staatsbedienstete kontrollieren den Investitionsprozess und die Produktion durch eine bestimmte Art eines staatlich-administrativen Mechanismus“ (Wright 2012, S. 464). Unter Sozialismus versteht er „eine ökonomische Struktur, in der die Produktionsmittel sich im gesellschaftlichen Besitz befinden und Allokation wie Gebrauch der Ressourcen für verschiedene gesellschaftliche Zwecke von der Ausübung »gesellschaftlicher Macht« beeinflusst werden können. Gesellschaftliche Macht« ist eine Macht, die in der Fähigkeit gründet, Menschen für kooperative, freiwillige kollektive Aktionen verschiedener Art zu mobilisieren“ (Wright 2012, S. 464–465).
Bemerkungen:
- Die Gegenüberstellung von Sozialismus und Etatismus ist seltsam. Ein Sozialismus ohne eine staatliche Struktur ist nicht denkbar. Möglicherweise ist dieser Gedanke durch die Auffassung von einem staatsbürokratischen Sozialismus entstanden.
Wright leitet seine Vorschläge aus einem von ihm konstruierten Dreiecksverhältnis ab, das aus den Eckpunkten Zivilgesellschaft, staatliche Macht und ökonomische Macht besteht und in deren Zentrum die Ökonomie als Allokation der Ressourcen und Kontrolle von Produktion und Distribution steht. Durch entsprechende Kombination und Schwerpunktsetzung der Eckpunkte formuliert er sieben Wege um zu einer gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit zu gelangen. Er stellt zusammenfassend fest: „Für jeden dieser sieben Wege ist die Idee einer umfassenden und stabilen ökonomischen Demokratisierung zentral. Sie soll Bedingungen gewährleisten, die es der gesellschaftlichen Macht, organisiert durch die aktive Beteiligung und Handlungsfähigkeit von normalen Bürgerinnen und Bürgern der Zivilgesellschaft, ermöglicht, sowohl direkte als auch indirekte demokratische Kontrolle über die Ökonomie auszuüben. Die Entwicklung auf dem einen oder anderen Weg jeweils für sich allein genommen würde keine große Herausforderung für den Kapitalismus darstellen, aber substanzielle Entwicklungen auf allen diesen Wegen zusammen würden eine fundamentale Transformation der kapitalistischen Klassenbeziehungen und ihrer Machtstrukturen bedeuten. Der Kapitalismus wäre immer noch ein Element innerhalb der hybriden Konfiguration der Machtrelationen, welche die ökonomischen Aktivitäten beherrschen, aber es wäre ein untergeordneter Kapitalismus, der innerhalb der Begrenzungen, die durch die vertiefte Demokratisierung von Staat und Ökonomie gesetzt werden, nur stark eingeschränkt agieren könnte“ (Wright 2012, S. 468).
Bemerkungen:
- Dreiecksverhältnisse lassen sich in beliebiger Anzahl aus politischen Kategorien bilden. Es ist zunächst zu klären, ob sich diese auf der gleichen begrifflichen Ebene befinden und inwieweit sie als relativ disjunkt angesehen werden können. Im Kapitalismus ist die staatliche und die ökonomische Macht eng miteinander verbunden. Eine Trennung dieser beiden Sphären, wie sie in einigen der sieben Wege von Wright vorgeschlagen wird, ist nicht denkbar.
- Nach Wikipedia ist der Terminus der Zivilgesellschaft immer noch strittig, hat sich aber als eine „Bezeichnung für die Arena kollektiven Handelns im öffentlichen Raum neben denen des Marktes und des Staates gegenüber anderen Begrifflichkeiten (bspw. gemeinnütziger Sektor, Dritter Sektor) durchgesetzt“. In dieser Bedeutung wird also die Zivilgesellschaft dem Markt und nicht ökonomischer Macht gegenübergestellt. Dies wird auch dadurch verständlich, da zu den Organisationen der Zivilgesellschaft Vereine, Stiftungen, GmbHs, GBRs und Genossenschaften gehören, in denen auch ökonomische Macht vorhanden ist.
- Alle beschriebenen Wege zum Sozialismus verbleiben im Rahmen eines kapitalistischen Systems auch wenn es nur noch randständig sein soll. Bei einem der fünf Wege, der kapitalistisch-etatistische ökonomische Regulation, spielt die Zivilgesellschaft gar keine Rolle, sondern „Staatliche Macht reguliert zwar das Kapital, aber auf eine Weise, die systematisch auf die Macht des Kapitals selbst ausgerichtet ist“ (Wright 2012, S. 476).
Dörre stellt dann auch einschränkend fest: „Reformen von oben, die von oppositionellen oder gar revolutionären Bewegungen erzwungen werden, können noch immer eine erfolgversprechende Strategie sozialistische Handlungsfähigkeit sein. Wahrscheinlich sind sie in nächster Zukunft zumindest für Europa der einzige Weg, der mit einigen Erfolgsaussichten überhaupt beschritten werden kann“ (Dörre 2021b, S. 49). Und er bezweifelt auch, dass man alle Kräfte die sich gegenwärtig auf kooperative Marktwirtschaft und sozialen Kapitalismus beziehen, als Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen ansehen kann, da dann auch Teile der Linkspartei bis zur AFD einbezogen wären.
IV Diagnose: Landnahme, Zangenkrise, Anthropozän
In dem Kapitel erläutert Dörre seine ökonomischen Prämissen zur Entwicklung des Kapitalismus, die er bereits früher in mehreren Beiträgen beschrieben hat, z. B. (Dörre et al. 2009; Dörre 2019; Dörre et al. 2019; Dörre 2013). Er verwendet dabei Bezeichnungen, die ich in dieser Form in vielen in anderen Publikationen zur politischen Ökonomie nicht gefunden habe (s. u.: Zu den Gedanken von Dörre in anderen Quellen).
Ausgangspunkt seiner Darlegungen ist ein Zitat von Engels: „Die kapitalistische Produktion kann nicht stabil werden, sie muss wachsen und sich ausdehnen oder sie muss sterben […] Hier ist die verwundbare Achilles-Ferse der kapitalistischen Produktion. Ihre Lebensbedingungen ist die Notwendigkeit fortgesetzter Ausdehnung …“ (MEW, Bd. 2, S. 647). Daraus ergibt sich das von Dörre sogenannte Expansionsparadoxon: „Der Kapitalismus muss sich ausdehnen um zu existieren und seine Funktionsmechanismen zu reproduzieren. Dabei zerstört er im Zuge der Ausdehnung von Marktbeziehungen allmählich, was er für seine eigene Reproduktion benötigt. Je erfolgreicher die Akkumulations-, Wachstums- und Kommodifizierungsmaschine arbeitet, desto wirkungsvoller untergräbt sie die Selbstreproduktionsfähigkeit sozialer und natürlicher Ressourcen, ohne die moderne kapitalistische Gesellschaften nicht überlebensfähig sind“ (Dörre 2021b, S. 52).
Auf dem Expansionsparadoxon beruht der Begriff der kapitalistischen Landnahme bei Dörre, der den ursprünglichen Begriff der Landnahme in der Ökonomie erweitert. „Landnahme besagt: Der Kapitalismus muss expandieren, um zu existieren. In all seinen Spielarten ist er auf die fortwährende Okkupation von „neuem Land“ angewiesen. Land steht in diesem Zusammenhang aber nicht allein für Territorien, Grund und Boden, sondern für Bevölkerungsgruppen, Produktionsweisen, Lebensformen und neuerdings auch für Wissensbestände oder Daten, die noch nicht vollständig unter den vom Profitmotiv beherrschten Warentausch subsumiert sind“ (Dörre 2019, S. 6). Damit knüpft er an die Auffassungen von Rosa Luxemburg an, die sie in Erweiterung der marxschen Theorie in ihrem Buch „Die Akkumulation des Kapitals“ dargelegt hat (Luxemburg 1990). Die Akkumulation des Kapitals bleibe nach Luxemburg an „nichtkapitalistische Kreise“ gebunden und erst durch Einverleibung von nichtkapitalisierter Arbeitskraft und Erde erwerbe das Kapital „eine Expansionskraft“, die es ihm erlaube, „die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigene Größe gesteckten Grenzen“ (Luxemburg 1990, S. 305).
Entsprechend gibt es nach Luxemburg zwei Arten von Ausbeutung, die primäre Ausbeutung „in den Produktionsstätten des Mehrwerts, in den Fabriken, der durchkapitalisierten Landwirtschaft und auf den Warenmärkten“ (Dörre 2021b, S. 57). „Es handelt sich keineswegs um bewusste Übervorteilung, denn beim Tausch von Lohn gegen Arbeitskraft werden annähernd gleiche Wertgrößen gehandelt. D. h., die Lohnabhängigen bekommen […] ein monetäres Äquivalent, das in etwa dem gesellschaftlich konstituierten Wert ihre Arbeitskraft entspricht“ (Dörre 2021b, S. 57). Die sekundäre Ausbeutung vollzieht sich in Märkten, „in denen Austauschbeziehungen mit nichtkapitalistischen Produktionsweisen, Schichten und Territorien bestehen. In diesen äußeren, nichtkapitalistischen Märkten, die es auch innerhalb nationaler Gesellschaften gibt, gilt das Prinzip des Äquivalententauschs allenfalls eingeschränkt“ (Dörre 2021b, S. 57).
Über das Modell von Luxemburg hinaus, dass sich in erster Linie auf bezahlter Erwerbsarbeit bezieht, erstreckt sich heute die Ausbeutung auf alle menschlichen Arbeitsvermögen. „In der Tendenz werden sämtliche Tätigkeitsformen zum Ausbeutungsobjekt“ (Dörre 2021b, S. 58). Als Tätigkeiten zählt er unter anderem auf: bedienen eine Suchmaschine im Internet, unbezahlte Arbeit Ehrenamtlicher und sogar das Freizeitvergnügen mit einem Videospiel.
Bemerkungen:
- Dörre bezieht sich bei seinen politisch-ökonomischen Überlegungen immer wieder positiv auf Marx, Engels und Luxemburg. In den anderen gesichteten Publikationen zu solchen Fragen ist dies entweder nicht der Fall (z. B. Wagenknecht) oder die klassischen Sozialismustheorien werden als überholt und fehlerhaft gekennzeichnet.
- Der Terminus „Paradoxon“ ist zu Bezeichnung des von Dörre beschriebenen Zusammenhang nicht günstig. Neben der von ihm verwendeten Bedeutung („Um ein Paradox handelt es sich, wenn eine Dynamik, die etwas Bestimmtes bewirkt, in anderer Hinsicht zum genauen Gegenteil führt“ (Dörre 2019, S. 3)), viele weitere Bedeutungen in unterschiedlichen Wissenschaften und gesellschaftlichen Bereichen (s. Wikipedia: Liste von Paradoxa). Auch das von ihm teilweise verwendete Wort „Widerspruch“ ist wegen seiner Bedeutungsvielfalt und Missverständlichkeit ungünstig. Besser wäre es einfach von gegensätzlichen, einander bedingenden Entwicklungstendenzen zu sprechen.
- Es ist fraglich, ob ins der ersten Form der Ausbeutung der Lohn ein monetäres Äquivalent zum Wert der Arbeitskraft ist. Dies widerspricht der marxschen Theorie vom Mehrwert.
- Die Ausweitung des Begriffs der Ausbeutung auf alle Sphären gesellschaftliche Tätigkeit ist ein interessanter Gedanke.
Im Anschluss an die Überlegungen von Marx und Engels sowie Adorno und Horkheimer zum ökologischen Bruch im kapitalistischen Wirtschaftssystems verwendet er den Terminus der „ökonomisch-ökologischen Zangenkrise […] „Dieser Begriff, der dem ökosozialistischen Diskurs entlehnt ist, hebt hervor, dass sich in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zwei langfristige Entwicklungslinien kreuzen, die beide mit der industriellen Revolution eingesetzt haben: rasches und permanentes Wirtschaftswachstum einerseits und beschleunigter Energie- und Ressourcenverbrauch sowie steigende Emissionen andererseits“. Das Neue an diesen beiden Prozessen ist, dass sie heute „bis hin zu Schwellenwerten [kumulieren], an denen eine irreversible Destabilisierung globaler Ökosysteme einsetzt“ (Dörre 2021b, S. 61)
„Die reichen Kapitalismen des globalen Nordens, so meine These, stehen vor einer Nachhaltigkeitsrevolution. Offen ist, in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen diese Revolution realisiert werden kann. Falls eingeschliffene Herrschaftsmechanismen den Übergang zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit blockieren, wird der Kapitalismus selbst zum – unkalkulierbaren – Risiko“ (Dörre 2019, S. 4). „Wachstum taugt immer weniger als Mittel zur Befriedung sozialer Konflikte und zur Entschärfung ökonomischer Krisen, wie das in der Ära des Sozialkapitalismus der Fall war. […] In der neuen Ära, die mit dem Crash von 2007–09 einsetzt, wird die ökologische und soziale Destruktivität eines auf fossilen Energien basierenden Wachstums zum wichtigsten Konfliktgegenstand“ (Dörre 2019, S. 20).
Bemerkungen:
- Die beiden von Dörre eingeführten Termini „Expansionsparadoxon“ und „Zangenkrise“ haben gemeinsame Momente. Es geht in beiden Fällen um den Gegensatz von notwendigen wirtschaftlichen Wachstum und den zunehmend begrenzten ökonomischen und ökologischen Ressourcen bzw auch „Ländern“ im Sinne von Dörre. Diese wesentlichen Begrifflichkeiten seiner Gesellschaftskritik müssten stärker akzentuiert und differenziert werden.
- Den Neologismen „Zangenkrise“ halte ich für problematisch. Es kommt dabei nicht zum Ausdruck, dass es sich um zwei gegensätzliche Prozesse handelt. Ähnlich wie beim Terminus Expansionsparadoxon kann man den Sachverhalt auch direkt ohne Verwendung des Wortes beschreiben.
Dörre setzt sich dann mit dem Begriff des Anthropozän auseinander, der von dem Atmosphärenchemiker Paul J. Crutzen im Jahre 2000 als Bezeichnung für die aktuelle erdgeschichtliche Entwicklungsphase vorgeschlagen wurde (Müller 2019). Dörre wendet sich gegen den Begriff Kapitalozän von Jason Moore (Moore 2020).
Er kritisiert die „Naturvergessenheit der Sozialwissenschaften“, die sich auch nicht dadurch korrigieren lässt, „dass die Netzwerke des Lebens allesamt zu sozialen Konstrukten erklärt werden“ (Dörre 2021b, S. 68)
Die Zusammenhänge visualisiert er abschließend in Dreiecksform. „Das elementaren Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit umfasst (a) eine gemeinsame Nutzung der Natur, was private Inbesitznahme natürlicher Ressourcen ausschließt; (b) eine rationale Regulierung des Erdmetabolismus durch frei assoziierte Produzent:innen, die sich an sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitskriterien orientieren, sowie (c) eine Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse, die auch den Bedarfen künftiger Generationen Rechnung trägt“ (Dörre 2021b, S. 71).
V Gründe: Warum nachhaltiger Sozialismus?
„Um herauszuarbeiten, weshalb die Zangenkrise nach einer sozialistischen Transformation verlangt, ist es sinnvoll, einige strukturelle Konfliktlinien des Umbruchs genauer zu betrachten: die Tendenz ökonomischer Stagnation, die zunehmenden vertikalen Ungleichheiten sowie das Aufschaukeln ökonomischer Großgefahren“ (Dörre 2021b, S. 72).
„Doch trotz des hohen Technikeinsatzes sind die Steigerungsraten bei der Arbeitsproduktivität seit geraumer Zeit rückläufig. Der Ökonom James Galbraith prognostiziert für die Zukunft gar einen „Würgehalsband-Effekt“. Damit ist gemeint, dass sich die Effizienz einer ressourcen- und energieintensiven Wirtschaft nur steigern lässt, solange die Ressourcen billig bleiben“ (Dörre 2021b, S. 73).
„Die Vermögens- und Einkommenskonzentration nimmt zu, klassenspezifische, aber auch mit ethnischen und geschlechterspezifischen Abwertungen oder sozialräumlichen Benachteiligungen verbundene Ungleichheiten prägen sich noch stärker aus, die Marktmacht der Vermögensbesitzer wächst, und die Wahrscheinlichkeit, solche Machtressourcen in politische Lobbyarbeit zu transformieren, erhöht sich deutlich (Piketty 2016). […] So entwickelten sich die Profite der Top 2000 unter den transnationalen Unternehmen und die Anteile der Arbeitseinkommen am weltweiten Bruttoinlandsprodukt zwischen 1995 und 2015 der Tendenz nach umgekehrt proportional. (Dörre 2021b, S. 75).
„Klassenspezifische Ungleichheiten haben ein solches Ausmaß erreicht, dass sie zu einer ernsthaften Wachstumsbremse geworden sind. […] Allerdings hat die finanzkapitalistische Landnahme des Sozialen wohlfahrtstaatliche Institutionen, Gewerkschaften, die politische Linke und damit entscheidende Selbststabilisierungsmechanismen kapitalistischer Dynamik derart geschwächt, dass eine halbwegs gerechte Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der von Löhnen abhängigen Klassen, wenn überhaupt, so nur mithilfe eines intervenierenden Staates zu verwirklichen wäre“ (Dörre 2021b, S. 76).
„Es eilt sehr. Ein Systemkollaps ist eine reale Gefahr […] Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, bedingt durch das rasante Bevölkerungswachstum, die Übernutzung der Ressourcen, die Veränderung des Klimas, den Verlust der Biodiversität, und insgesamt erleben wir einen schleichenden Verlust der Lebensgrundlagen“ (Weizsäcker 2020, S. 82).
„Das dringlichste Problem ist gegenwärtig der menschgemachte Klimawandel.“ (Dörre 2021b, S. 79).
„Offenkundig variieren die Anteile an der Produktion ökologischer Lasten mit der jeweiligen Klassenposition. Während die reichsten 10 % der erwachsenen Weltbevölkerung mit ihrem luxuriösen Lebensstil 2015 sage und schreibe 49 % der klimaschädlichen Emissionen verursachten, war die untere Hälfte nur für 10 % verantwortlich“ (Dörre 2021b, S. 79).
„Allein die einkommensstärksten Haushalte von vier reichen Mitgliedstaaten (Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien) imitieren mehr als die Bevölkerung von 16 ärmeren EU-Mitgliedstaaten. Legt man das 1,5°-Erderwärmungsziel zu Grunde, müsste die untere Hälfte der Haushalte ihre Emissionslast in etwa halbieren; das reichste Prozent hätte seine Last hingegen auf ein Dreißigstel zu reduzieren. Zugespitzt formuliert bedeutet dies, dass die Produktion von Luxusartikeln für die oberen Klassen und deren Konsum zu einer Haupttriebkraft des Klimawandels geworden sind , …“ (Dörre 2021b, S. 80).
Dörre stellt einige objektive Entwicklungstendenzen des Postwachstums-Kapitalismus heraus.
- Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist „mehr und mehr zu einem Deregulierungstreiber geworden“ (S. 81). Die Ungleichheiten in den nationalen Gesellschaften und zwischen den Mitgliedstaaten vor allem der Eurozone haben sich verstärkt. (S. 82)
- „Das Gewinnstreben, das ursächlich mit dem kapitalistischen Eigentum an Produktionsmitteln verknüpft ist, [bleibt] trotz sinkender Wachstumsraten intakt“ (S. 83). Schwaches Wachstum bedeutet, dass die Konflikte um Ressourcen, Marktanteile, Profite und Konsumchancen umso härter geführt werden (S. 83). Die Superreichen leben in einer eigenen Welt. Der Geldadel schützt in erster Linie seine Privilegien und be- oder verhindert so eine wirkungsvolle Regulation des Finanzsektors (S. 83).
- „Anstatt die Logik der Reichtumsverteilung durch eine Logik der ökologischen Risikoverteilung zu verdrängen, ist der Postwachstumskapitalismus Geburtshelfer eines mehrdimensionalen sozial-ökologischen Verteilungskonfliktes, der nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Industriestaaten globalem Süden […] ausgetragen wird (S. 84). „Die Eindämmung des Klimawandels und die Abkehr von extensiver Ressourcenvernutzung [ist] ohne materielle Rückverteilung von den reichen zu den armen Ländern von den Privilegierten zu den verwundbarsten Klassenfraktionen nicht zu realisieren“ (S. 85). Er weist an dieser Stelle darauf hin, dass „die theoretische wie politische Marginalisierung des Klassenbegriffs, wie er für einen Großteil der wachstumskritischen Literatur charakteristisch ist,“ bei den verwundbaren Gruppen ihr Ohnmachtsempfinden verstärkt.
- „Ohnmachtserfahrungen in mehrdimensionalen Verteilungskonflikten“ tragen dazu bei, dass „Auseinandersetzungen nicht an Klasseninteressen aufbrechen, sondern eine völlig anders gelagerte Dynamik annehmen“ können. „Das zeigt sich beispielsweise im Zusammenhang mit den neuen Fluchtbewegungen“ (S. 85)
- „Aufgrund von Standortwettbewerb und schwindender Gewerkschaftsmacht sind nicht nur die Löhne vor allem der Industrie- und Produktionsarbeiter zwischen 2000 und 2013 auch in den frühindustrialisierten Ländern erheblich gesunken, prekäre Arbeit und Lebensverhältnisse haben deutlich zugenommen. Die genannten Tendenzen offenbaren die Zwiespältigkeit von Produktions- und Lebensweisen, die auf finanzkapitalistischen Landnahmen beruhen. In den frühindustrialisierten Ländern erfolgt die Integration großer Teile der beherrschten Klassen nicht mehr mithilfe des Lohns und auch nur unbegrenzt über private Verschuldung, für Integration sorgt vor allem der Konsum tiefpreisiger der Güter, die in Verhältnissen hergestellt und auf Märkten gehandelt werden, in denen sekundäre (Über)Ausbeutung, rassistische oder sexistische Abwertung strukturprägend sind“ (S. 88).
„Strukturelle Akkumulationshemmnisse vor Augen, lässt sich präzisieren, weshalb die Überwindung der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise förmlich nach nachhaltig sozialistischen Auswegen schreit. Die Selbststabilisierungsmechanismen fortgesetzter Kapitalakkumulation versagen“ (S. 89).
In einer Grafik, die er mit dem Titel „Highway to Hell“ versieht, stellt er das im Wesentlichen parallele Wachstum der Wirtschaft (BIP), der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs dar. Mit der Hölle meint er die Folgen der nicht mehr aufhaltbaren Erderwärmung. Dies ist eines der zentralen Argumente von Dörre für eine sozialistische Umwälzung der Wirtschaft, die möglichst schnell erfolgen sollte. „Die Überproduktivität dieser Kapitalismus-Variante behindert jeden Versuch, eine Wende zur Nachhaltigkeit einzuleiten. In dem Maße, wie sich die Lebensdauer des Postwachstumskapitalismus verlängert, wird die Überwindung der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise hinausgeschoben. […] Die kapitalistische Profitwirtschaft und deren Expansionszwang bieten letztlich keinen Ausweg aus der Zangenkrise, die für das Gros der Menschheit tragbar wäre“ (S. 91).
„Den Kapitalismus als ein besonders effizientes, produktives System zu feiern, läuft deshalb mittlerweile auf schlichten Selbstbetrug hinaus. […] … der Kapitalismus ist, insbesondere in seinen alten Zentren, zu einem ökonomisch überproduktiven System geworden. Überproduktivität meint, dass die aus ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen ausgeblendeten Destruktionspotenziale den gesellschaftlichen Nutzen der kapitalistischen Produktionsweise immer stärker überlagern und übertreffen. Das ist nur möglich, weil positive (Wissensbestände) wie negative (Naturzerstörung) Externalitäten aus dem Anreizsystem, der Preis- und Wertbildung der kapitalistischen Ökonomie ausgeblendet werden“ (S. 93).
„Trotz des immensen Technikeinsatzes und der durchschnittlichen Höherqualifikation des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters gehen die Steigerungsraten der Arbeitsproduktivität pro Beschäftigten in den alten kapitalistischen Zentren und auch in Deutschland seit Jahren zurück. […] An seinem Nutzen für die Allgemeinheit gemessen ist der Kapitalismus mit seiner unterkomplexen social order zu einem quasi-parasitären System geworden, dass sämtliche Formen von Sozialarbeit ausplündert“ (S. 93-94).
Bemerkungen:
- Dörre liefert in diesem Kapitel durch die Darstellung existierende Zustände und Prozesse überzeugende Argumente für die Notwendigkeit einer sozialistischen Umwälzung des Wirtschaftssystems im Interesse des Erhalts der Menschheit und ihrer Gemeinschaftlichkeit. Auch die Notwendigkeit, dies möglichst schnell zu vollziehen, wird überzeugend dargelegt.
- Er verwendet konsequent den Klassenbegriff, der von vielen Sozialwissenschaftlern als überholt charakterisiert wird und die dafür die Bezeichnung Schicht oder Milieu verwenden. Eine Klasse ist im allgemeinen Sinne eine Menge von Objekten mit mindestens einer gemeinsamen Eigenschaft. In diesem Sinne ist die Bezeichnung von Dörre zutreffend. Das Wort „Klasse“ hat aber auch eine politische Konnotation. Im klassischen Marxismus wurde als gemeinsames Merkmal die Stellung zu den Produktionsmitteln verwendet und daraus die Notwendigkeit eines Klassenkampfes abgeleitet. Die Wörter „Klasse“ und „Klassenkampf“ haben nach dem DWDS einen hohen LogDice-Wert, sind also eng verbunden. Das Wort „Klasse“ hat also in der Alltagssprache auch immer einen kämpferischen Aspekt, während die Wörter „Schicht“ und „Milieu“ eher wertneutral sind.
VI Nachhaltigkeit: Eine neue Rechtfertigungsordnung
Dörre setzt sich zunächst mit dem Konzept von Hartmut Rosa auseinander, „Demokratie am Gemeinwohl auszurichten und das Gemeinwohl als Resonanzverhältnis zu bestimmen“ (S. 96). In seiner Konzeption soll es „darum gehen, die je eigene Stimme als selbst wirksam einzubringen“ (Ketterer und Becker 2019, S. 229). Dörre hält diese Sichtweise nicht nur für unbefriedigend, sondern auch für gefährlich. „Was Hartmut Rosa vorschlägt, eine auch emotional körperliche Selbstwirksamkeitserfahrung, die durch wechselseitiges Hören zu Selbstveränderung führt, ist die Beschreibung eines Idealzustandes, der häufig genug nicht einmal in kleinen überschaubaren Gemeinschaften mit Personen gebundenen Sozialbeziehungen funktioniert“ (Dörre 2021b, S. 97).
Als krassen Fall einer Fehlentscheidung durch Berufung auf das Gemeinwesen sieht Dörre die Einschätzung der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe als parlamentarisches Versagen durch Peter Graf von Kielmannsegg mit der Begründung an, dass damit den legitimen Ansprüchen des Kindes an das Gemeinwesen widersprochen wird (FAZ vom 01.02.2018).
Als eine normative Grundlage einer nachhaltigen und zugleich sozialistischen Politik schlägt Dörre die Orientierung an den 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen vor. Diese Ziele gelten für die gesamte Staatengemeinschaft, sind als Integrationsfigur angelegt und gelten für jedes Gemeinwesen. Diese Ziele zeichnen sich unter anderem dadurch aus, einen starken Fokus auf soziale Fragen zu legen, wie die Bekämpfung der Armut und des Hungers sowie die Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Nationen.
Am Beispiel des beschlossenen Kohleausstiegs in der Lausitz verdeutlicht Dörre die mit dem Streben nach Nachhaltigkeit verbundenen Probleme. Die betroffenen Bergarbeiter haben sich mit Unterstützung von Gewerkschaften gegen den Kohleausstieg gewehrt und die AfD ist durch Anknüpfen an diese Bestrebungen bei den Landtagswahlen 2019 in der Region mit 32,8 % der Stimmen mit Abstand die stärkste Partei geworden. Dies zeigt u. a., „dass das vielbeschworene Leitbild von gutem Leben denkbar ungeeignet ist, als verbindliche Inhaltsbestimmung des Gemeinwohls zu dienen“ (Dörre 2021b, S. 107).
Dörre diskutiert dann, ob nicht auch die Nachhaltigkeitsziele auch innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise durchzusetzen wären und geht dabei auf das Konzept des Grünen Kapitalismus ein. „Einiges spricht dafür, dass sich die technisch-organisatorischen Produktivkräfte, aber auch die Wissensbestände, die Qualifikationen, Fähigkeiten und Komponenten lebendiger Arbeit, die für einen Nachhaltigkeitsrevolution benötigt werden, bereits im Schoße der alten kapitalistischen Gesellschaft herausbilden“ (Dörre 2021b, S. 109). Bei den gegenwärtigen Veränderungen geht es aber nicht um die Steigerung der Arbeitsproduktivität, sondern um die Steigerung des „metabolischen Wertes“, der den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur charakterisiert. Sozialistische Handlungsfähigkeit schließt „die Kritik an technokratischen Vorstellungen von sozial-ökologischer Transformation zwingend ein“ (Dörre 2021b, S. 110).
Dörre weist aber auch einschränkend darauf hin, dass die Ziele „interpretationsfähig [sind] und mit sozialistische Handlungsfähigkeit nur eine lose Wahlverwandtschaft [eingehen], die es, so gewünscht, konzeptuell und politisch praktisch zu stärken gilt“ (Dörre 2021b, S. 116).
Dörre sieht bei politischen Programmen wie dem EU-Green-Deal sowie bei vielen Studien zur Klimapolitik eine „politische Ignoranz gegenüber sozialen Nachhaltigkeitszielen und deren Konfliktträchtigkeit“ (Dörre 2021b, S. 111).
Um Greenwashing, die auf einen grünen Kapitalismus zählen zu entlarven, lässt sich nach Dörre leicht zeigen, „dass der real existierende Kapitalismus nach dem Wall-Mart-Prinzip funktioniert. Was etwa mithilfe von höhere Energieeffizienz an Kapital eingespart wird, kann für die Ausdehnung des Geschäfts genutzt werden“ (Dörre 2021b, S. 112). Eine Bremse für ökologische Nachhaltigkeit zu sind die zunehmende Ungerechtigkeit und Ungleichheit.
„Generell trifft zu, dass marktwirtschaftliche Reformen das Problem der Klimagerechtigkeit und der Wende zu Nachhaltigkeit so angehen, dass vor allem die kleinen Portemonnaies belastet werden. Unter marktwirtschaftlich-kapitalistischen Bedingungen wären selbst individuelle CO2 -Kontingente, die in den Handel gingen, keine nachhaltige Maßnahme“ (Dörre 2021b, S. 114–115).
Er betrachtet dann die mögliche Rolle des Staates bei einer Nachhaltigkeitswende, der entsprechend verbreiteten Vorschlägen durch regulative Maßnahmen die Macht des Kapitals einschränken und regulieren soll. Diese etatistische Ausrichtung hält Dörre für bedenklich. Sie ist keine Grundlage für sozialistische Handlungsfähigkeit, da staatliches Handeln an demokratische Willensbildung rückgebunden sein muss. Auch wenn der gegenwärtige kapitalistische Wohlfahrtsstaat nicht mehr primär eine Maschine zur Unterdrückung von Klassen ist und nicht ohne Herstellung von Konsens mit beherrschten Klassen und Schichten auskommt, bleibt er letztendlich doch ein „kapitalistischer, ein bürgerlicher Staat“ (Dörre 2021b, S. 115).
Bemerkungen:
- Die Nachhaltigkeitsziele der UNO können nicht in einem einzelnen Land losgelöst von der weltweiten Entwicklung realisiert werden. Ihre Realisierung erfordert eine weltweit agierende Organisation wie etwa die UNO. Mit entsprechender finanzieller materieller und personeller Ausstattung könnte unter dem Dach der UNO die Realisierung der Ziele in Angriff genommen werden. Dies setzt eine weltweite Umwälzung der finanzkapitalistischen Verhältnisse voraus, sodass etwa durch die nicht benötigten Mittel für die Rüstung die Projekte der UNO finanziert werden könnten.
- Es ist sicher in einigen Fällen erforderlich, Maßnahmen zur Nachhaltigkeit auch gegen den Willen von Betroffenen umzusetzen. Das Beispiel der Lausitz zeigt aber auch, dass den Menschen immer Perspektiven nach Wegfall ihre Arbeitsplätze gegeben werden müssen. Deshalb kann es auch nicht nur um Abrüstung an sich gehen, sondern um die Konversion der Rüstungsbetriebe.
- Die Ausführungen von Dörre zur Rolle des Staates desillusionieren die Vorstellungen vieler linker Politiker und auch Theoretiker.
VII Fundamente: Konturen nachhaltig sozialistischer Gesellschaften
Dörre ist der Auffassung, dass „die Einschränkung von Kapitalmacht […] über eine Umwälzung der Rechtsverhältnisse erfolgen“ muss (Dörre 2021b, S. 119). Er unterbreitet dazu unter Bezug auf (Pistor 2020) zahlreiche Vorschläge, zum Beispiel eine Veränderung der Kriterien, anhand derer ökonomische Prosperität gemessen wird. „Die Indikatoren des Bruttoinlandsproduktes weisen ebenso in die falsche Richtung wie das ständige Ringen um eine Verbesserung der Arbeitsproduktivität“ (S. 119).
Bemerkungen:
- Es ist zu bezweifeln, ob unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Änderung der Rechtsverhältnisse im Sinne von Dörre realisierbar ist. Die Einschränkung von Kapitalmacht lässt sich wahrscheinlich nur durch äußeren Druck erzeugen.
- Die grundlegende Orientierung auf andere Indikatoren für erfolgreiches Wirtschaften sind richtig und für ein sozialistisches Wirtschaftssystem zentral.
Anschließend beschäftigt er sich mit der Veränderung der Eigentumsverhältnisse. „Ein elementarer Baustein für eine nächste sozialistische Gesellschaft sind neue kollektive Eigentumsformen in großen Unternehmen“ (Dörre 2021b, S. 123). Er bezieht sich dabei auf Engels, der die Verwandlung der Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum forderte, aber darauf hinwies, dass „weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte“ aufhebt, denn „der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrecht zu erhalten“ (Engels 1956, S. 260).
„Dennoch ist dem ökonomischen Machtzentrum des globalen Kapitalismus ohne Staatseingriffe kaum beizukommen. Enteignung und Sozialisierung funktionieren nicht ohne den intervenierenden Staat. Staatseigentum an Produktionsmitteln bedeutet unter kapitalistischen Bedingungen, dass sich die Chancen der demokratischen Öffentlichkeit, auf Unternehmensentscheidungen Einfluss zu nehmen, in der Regel verbessern. D. h. aber keineswegs, dass es bei konventionellem Staatseigentum bleiben muss. Im Gegenteil, in den real existierenden Sozialismen hat die absolute Dominanz des Staatseigentums dazu geführt, dass es faktisch keine Eigentümer:innen und damit keine individuelle, persönliche Verantwortung für den Kollektivbesitz gab. Die destruktiven Folgen sind bekannt: verwahrloste Gebäude, der Verschleiß wichtiger Produktionsmittel und ein instrumentelles Verhältnis zur Naturressourcen. Deshalb sind solche Formen des Staatseigentums keine wirkliche Alternative zu privater Verfügung über die Produktionsmittel. Nachhaltig sozialistische Gesellschaften benötigen kollektives Selbsteigentum, dass, obwohl in gemeinschaftlichem Besitz, persönliche Verantwortung nicht erstickt, sondern Eigeninitiative und Selbstorganisation fördert. Kollektives Selbsteigentum entsteht in zahlreichen organisatorischen Varianten. Wohnkooperativen, Energie- und Agrargenossenschaften, Mitarbeitergesellschaften oder Einrichtungen einer solidarischen Ökonomie entsprechend diesem Grundgedanken. […] Der Übergang zu solchen Eigentumsverhältnissen ließe sich verhältnismäßig leicht bewerkstelligen, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre. So könnten Staatshilfen für private Unternehmen mit Verfügungsrechten für Beschäftigte oder gesellschaftliche Fonds bezahlt werden. Sobald dergleichen geschehe, würde die Sozialisierung von Entscheidungsmacht mittels Internalisierung von Sozialkosten, die die kapitalistische Produktionsweise verursacht, zu einem Prozess, der eine Revolution ohne einmaligen Akt der Machtergreifung gleichkäme“ (Dörre 2021b, S. 125–126).
Bemerkungen:
- Das ist das gleiche, als wenn man den Bock zum Gärtner macht. Der kapitalistische Staat vertritt dezidiert die Interessen der herrschenden Klasse und wird nicht freiwillig gegen sie arbeiten. Es sind die typischen Gedanken von utopischen Sozialisten, dass der „gute Kapitalist“ einsichtig ist und seine Macht freiwillig an seine Mitarbeiter abtritt.
- Es zeugt weiterhin von einer Ignoranz und pauschalen Abwertung der Erfahrungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern. Die Ursachen für das Scheitern des Systems liegen nicht an dem Staatseigentum, sondern in dem ideologischen Überbau, der unzureichend theoretisch fundiert war.
- Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass Beschäftigte eines Betriebes weitreichende, global wirksame Entscheidungen treffen können. Sie würden zunächst erst einmal wie jeder Besitzer daran interessiert sein, ihren eigenen Betrieb voranzubringen, d. h. entsprechende Produkte zu produzieren. Solche Entscheidung können auch nicht als Mehrheitsmeinungen getroffen werden, sie setzen eine entsprechende Entscheidungskompetenz voraus.
- Gesamtgesellschaftliche Entscheidung, wie die Umstrukturierung der Wirtschaft, die Einstellung von überflüssigen Produktionskapazitäten, was dann auch zur Umstrukturierung von Beschäftigungsverhältnissen führt, müssen auf zentraler Ebene getroffen werden.
- Ökonomische Mittel, die ein sozialistischer Staat zur Füllung auch gerade soziale Aufgaben braucht, müssen aus den Betrieben kommen d. h. der erwirtschaftete Gewinn muss zum großen Teil in die Staatskasse fließen.
- Einige der Kritiken von mir erweisen sich nach den weiteren Ausführungen von Dörre als nicht mehr so relevant.
„Es liegt auf der Hand, dass ein derart gravierender, ja revolutionärer Bruch in den Eigentumsstrukturen eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zur Voraussetzung hat“ (Dörre 2021b, S. 128).
„Unternehmen des unteren Stockwerks gesellschaftlicher Produktion dürfen keinesfalls enteignet werden. In den klein- und mittelbetrieblich strukturierten Bereichen muss es darum gehen, dem Entdeckungsverfahren des Marktes Spielraum zu geben, es geht gewissermaßen um echte Marktwirtschaft“ (Dörre 2021b, S. 130).
Bemerkungen:
- Hier treffen sich die Auffassungen von Dörre mit denen von Wagenknecht, die für einen Ordoliberalismus eintritt, allerdings für die gesamte Wirtschaft, während Dörre es sinnvollerweise nur für den Mittelstand für angebracht hält.
Dörre beschäftigt sich dann mit dem schwierigen Problem des Treffens von sinnvollen wirtschaftlichen Entscheidungen in einer sozialistischen Gesellschaft. Das Ziel ist die Schaffung einer „umfassenden Wirtschaftsdemokratie“. Zu welchen Konsequenzen das führt, verdeutlicht er u. a. an zwei Beispielen: „Besser als einen SUV nicht zu kaufen oder zu fahren, ist, ihn gar nicht erst zu produzieren. […] Und besser als bewaffnete Drohnen von der Einkaufsliste zu streichen, ist, sie erst gar nicht herzustellen“ (Dörre 2021b, S. 134).
Zur Bewältigung dieses Problems macht er zahlreiche Vorschläge, diskutiert gesammelte Erfahrungen bei entsprechenden Projekten und weist auf zu lösende Fragen hin. In Bezug auf die demokratische Mitwirkung auf der betrieblichen Ebene ist zu klären, wer zum Unternehmen gehört (dauerhaft Angestellte, Auszubildende, neu Angestellte), wie mit der Rollenverteilung von Eigentümern und Beschäftigten sowie Interessengegensätzen umgegangen werden soll und wie letztlich bei Krisen notwendigen Entlassungen und andere Probleme bewältigt werden.
Die Stärkung des Kollektivwillens innerhalb der Unternehmen ist aber für eine radikale Demokratisierung der Wirtschaft unzureichend. Es ist eine Neujustierung von Markt und Plan erforderlich, die auch zentrale Entscheidungen benötigt (S. 140). Dazu schlägt er die Bildung von Transformations- und Nachhaltigkeitsräten vor. Diese sollten die Umsetzung von Nachhaltigkeitsziel überwachen, zur Hälfte aus Wahlen hervorgehen, keine staatlichen Organe sein und die Verteilung von Geldern überwachen (S. 142).
Entscheidend ist aus seiner Sicht die Umstellung der Wirtschaft auf eine „ressourcenschonende, kohlenstoffarme Produktion mit langlebigen Gütern“ (Dörre 2021b, S. 143). Um die damit verbundene Erhöhung der Preise abzufangen, müssen die Löhne deutlich erhöht werden, was nur durch zentrale Entscheidungen realisierbar ist.
Zum Fundament einer sozialistischen Gesellschaft gehört nach Dörre eine „zureichend finanzierte soziale Infrastruktur, die Gesundheit, Pflege, Erziehung, Bildung und Mobilität zu öffentlichen, für alle zugänglichen Gütern erklärt“ (Dörre 2021b, S. 145). Dazu sind eine Care-Revolution und ein Übergang zu einer Balance-Ökonomie erforderlich (S. 146).
Bemerkungen:
- Dörre hat viele Ideen unter Einbeziehung von zahlreichen Literaturquellen und wesentliche zu lösende Probleme dargestellt. Es gibt viele Beziehungen zu den Vorschlägen von Creydt (2016b, 2016a) und Albert (2018), die er noch nicht verarbeitet hat.
- Die Liste der Fragen und Ideen verdeutlicht, dass vieles noch viel gründlicher zu bearbeiten ist, Dörre hat sein Buch ja auch nur als einen Essay bezeichnet. Vieles erfordert auch eine philosophische Vertiefung, so das Wechselverhältnis von zentraler und dezentraler Planung.
VIII Produktivkräfte: Digitale Sozialismus?
Dörre beschäftigt sich ausführlich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaft und das gesamte gesellschaftliche Leben. Insbesondere diskutiert er die Auffassungen von Morozov (2020) zum digitalen Sozialismus und von Staab (2019) zum digitalen Kapitalismus. Er begrüßt die Anstrengungen von Morozov, den Sozialismus neu zu definieren, sieht aber in der engen Zusammenführung von digitaler Technologie und Sozialismus eher Probleme. Sozialismus ist nach dem Modell von Dörre radikaldemokratisch, ökologisch und sozial nachhaltig und nur in bestimmten gesellschaftlichen Grenzen auch digital (S. 152).
Mit Andé Gorz (2010) unterscheidet Dörre zwischen dem „lebendigen Wissen“, dass stets an eine Person gebunden ist und dem „formalen Wissen“, das vom lebendigen Körper abgetrennt und in digitalisierter Form als „totes Wissen“ in den Kapitalkreislauf eingespeist wird (S. 154).
Bemerkung:
- Dies entspricht meiner Unterscheidung zwischen Wissen als einem mentalen Zustand und dem Wissen als einem entäußerten Mentalen in Form von Sprache oder Texten.
Als Grundwiderspruch der digitalen Ökonomie bezeichnet Dörre, dass sich einerseits Wissen und Erfahrung gesellschaftlich am besten gebrauchen lassen, wenn ihr Wahrheitswert möglichst allen zur Verfügung steht und andererseits die kapitalistische Landnahme von Wissen und die Metamorphose, die es in Form von Eigentumstiteln, Patenten und Waren durchläuft, den gesellschaftlichen Gebrauchswert der vormaligen kognitiven Almende einschränkt. Hinzu kommt, dass das Geschäftsmodell der Netzkonzerne verlangt, dass die marktbeherrschenden Unternehmen ihre Monopolstellung beständig ausbauen (S. 160).
Nach Zuboff (2019) entfaltet sich die digitale Ökonomie in zwei Kreisläufen. „Im ersten Kreislauf generiert beispielsweise eine Suchmaschine Verhaltensdaten ausschließlich mit dem Ziel, aus ihnen zu lernen, umso das Dienstleistungsangebot an die Nutzerinnen zu verbessern. An diesem primären Kreislauf ist jedoch ein zweiter Kreislauf angeschlossen, der den in Daten angelegten Verhaltensüberschuss extrahiert, privat verfügbar macht und ihn in besondere Produkte übersetzt, mit denen sich auf besonderen Märkten Überwachungserträge erzielen lassen. Dieser sekundäre, sich weitgehend im Verborgenen vollziehende Kreislauf der Produktion und Distribution von Vorhersageprodukten ist nicht nur hochprofitabel, er ist expansiv, verlangt nach immer größeren Datenmengen und tendiert dazu, Vorhersageprodukte in einer Weise nutzbar zu machen, die es erlaubt, menschliches Verhalten nicht nur vorherzusagen, sondern es durch gezielte Beeinflussung herbeizuführen“ (Dörre 2021b, S. 162).
Dieser unkontrollierte Missbrauch von Daten führt zu der Konsequenz, dass die Möglichkeiten zur Nutzung digitaler Produktivkräfte zu öffentlichen Gütern werden müssen (S. 163). „Ein Infrastruktursozialismus mit genossenschaftlichem und kommunalem Eigentum, finanziert über eine gerechte, rückverteilende Steuerpolitik und kombiniert mit ausgebauten öffentlich-sozialen Diensten wäre geeignet, allen Bürgern und Bürgerinnen ein besseres, sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ein digitales Grundeinkommen, das alle, die am und im Netz unbezahlte Datenarbeit verrichten, entschädigt, könnte den Übergang zu einem nachhaltigen Sozialismus zusätzlich forcieren“ (Dörre 2021b, S. 164).
„Ein öffentlich finanzierten Mediensektor muss der Wahrheitssuche, dem wissenschaftlichen Prinzip von Erkenntnis und Zweifel Raum geben. Seine Inhalte dürfen nicht primär von Einschaltquoten und Zielgruppendiagnosen abhängen; sie müssen neben Unterhaltung und Zerstreuung seriöse Informationsangebote bieten“ (Dörre 2021b, S. 166).
IX Effizienz: Demokratische Planung, humane Arbeit, befreites Leben
„Einige Branchen und Bereiche sind für eine Nachhaltigkeitswende von herausragender strategischer Bedeutung. An erster Stelle zu nennen ist der Banken- und Finanzsektor, der in zahlreichen sozial-ökologischen Utopien sträflich vernachlässigt wird. Bei der Finanzindustrie handelt es sich um die Herzkammer der bereits angesprochenen Landnahme des Sozialen. Sie steht für schuldengetriebenes Wachstum und bildet in der Symbiose mit Tech-Konzernen ein Machtzentrum der globalen Ökonomie. Der Sektor ist ein Sinnbild für strukturelle Nichtnachhaltigkeit und bleibt es, sofern die private Verfügung fortbesteht, … “ (Dörre 2021b, S. 167).
Zum Finanzsektor zählen Aktienmärkte, Investmentfonds, Analysten und Ratingagenturen sowie der Markt für Unternehmenskontrolle.
Das vom Finanzsektor ausgelöste Profitstreben führt zu einer dauerhaften Aufspaltung der Belegschaften in Festangestellte, Leiharbeiter, unbefristete De-facto-Leiharbeiter von Subunternehmen und andere. „Vermittelt über den Druck fokaler [zentral im Netzwerk] Unternehmen, die die Lieferketten und Produktionsnetzwerke kontrollieren, über Ausgründungen und Tarifdumping wird die Kapitalmarktorientierung zum Treiber kurzfristiger Gewinnorientierungen. Prekäre, schlecht entlohnt und wenig anerkannte Arbeit lässt sich ausnutzen, um Extraprofite zu generieren“ (Dörre 2021b, S. 169).
„Um das zu ändern, muss das Machtzentrum des Finanzkapitalismus zerschlagen und der Bankensektor mit seinen verbleibenden Funktionen in öffentliches Eigentum überführt werden“ (Dörre 2021b, S. 170). Nach Ansicht von Dörre hat dazu der amerikanische Ökonom James K. Galbraith in seinem Buch (Galbraith 2016) geeignete Vorschläge gemacht. „Er schlägt vor, den Umfang der Institutionen, zu deren Fixkosten die materielle Ressourcennutzung gehört, drastisch zu reduzieren, und nennt neben dem Militär an erster Stelle die Großbanken“ (Dörre 2021b, S. 170). „Dezentralisierung und Entflechtung der Privatbanken, die Beendigung hochspekulativen Transfers und Rückführung auf das eigentliche Kerngeschäft – Einsammeln von Geld, Bildung von Sparguthaben und Kreditvergabe – sollen dem Irrglauben, Werte seien bei Ausblendung von Arbeit und Natur allein mittels Geld zu erzeugen, einen Riegel vorschieben“ (Dörre 2021b, S. 171).
Dörre verweist auf weitere Maßnahmen, die von der englischen Ökonomen Grace Blakeley (Blakeley 2021) vorgeschlagen wurden, die sich als demokratische Sozialisten bezeichnet.
„An vielen klugen Plänen für den Finanzsektor fällt jedoch auf, dass sie die Frage unbeantwortet lassen, was das den Beschäftigten werden soll, wenn die Finanzindustrie tatsächlich in erheblichem Maße schrumpft“ (Dörre 2021b, S. 172)
Bemerkungen:
- Neben dieser Frage wird auch bei Dörre die entscheidende Frage außer Acht gelassen, nämlich wie eine Enteignung und Schrumpfung des Finanzsektors vorgenommen werden soll.
Er diskutiert dann Vorschläge, wie in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen ein Übergang zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft erfolgen kann, so im Verkehrssektor, im Energiesektor, im Gebäudesektor und beim Abbau des Stadt-Land-Gegensatzes.
Dann beschäftigt sich Dörre erneut mit dem Problem zentraler Planung und stellt mehrere Planungsmodelle für sozialistische Produktionsverhältnisse vor. So soll zum Beispiel Dank der Digitalisierung sozialistische Planwirtschaft auf hohem Niveau realisiert werden, wobei im marxschen Sinne die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Basiseinheit verwendet wird. Es wird ein Wechselverhältnis zentraler und dezentraler Planung vorgeschlagen, bei dem verschiedene Ebenen koordiniert werden und alle demokratisch beeinflussbar bleiben. Entscheidend sei dabei eine politische Kultur der Offenheit, die kontroverse Debatten zulasse. Mit einem Konzept eines „kollektiven sozialen Eigentums“ soll die Nichteigentümerproblematik überwunden werden. (S. 179-185). „Betrachtet man die unterschiedlichen Planungsansätze, entsteht zudem ein Gespür dafür, dass sich künftige Sozialismen nicht mit einem Planungsmodell zufrieden geben werden. Viel wahrscheinlicher ist eine ständige politische Auseinandersetzung um das beste Verhältnis von Markt und Plan, um besonders effiziente Formen demokratischer Koordination. Doch so unterschiedlich die diskutierten Planungsmodelle auch sein mögen, sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl positive als auch negative Externalitäten in die Preisgestaltung und das ökonomische Anreizsystem aufnehmen können. Darin besteht der fundamentale Unterschied zu kapitalistischen Marktwirtschaften. […] Sie kehren das Prinzip kapitalistischer Landnamen um und schützen so das nichtkapitalistische Andere. Das macht ihre potentielle Überlegenheit gegenüber kapitalistischen Marktwirtschaften aus“ (Dörre 2021b, S. 186).
Bemerkungen:
- Es ist erstaunlich, dass insbesondere aus dem anglo-amerikanischen Bereich derart detaillierte und durchdachte Vorschläge für die Gestaltung eines sozialistischen Wirtschaftssystems vorliegen. Es ist ein Verdienst von Dörre, diese Quellen zusammengetragen zu haben, die in den Büchern von Bontrup oder Wagenknecht nicht auftauchen. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, da diese Autoren für eine Reform des kapitalistischen Wirtschaftssystems eintreten.
Dörre diskutiert dann unter Berufung auf Negt (1987) das Problem der Arbeitszeit. Er bezweifelt, dass wie oft behauptet die Digitalisierung zu einer massenhaften Einsparung von Arbeitszeit führen wird, sondern dass eher die Polarisierung der Arbeit weiter zunimmt. Unter sozialistischen Bedingungen kann aus seiner Sicht folgendes erfolgen: „Erstens wird […] die Arbeitszeit abhängig von Produktivität, Qualifikationsniveau und sozialen Bedürfnissen schrittweise auf 32, 30 und schließlich 28 Wochenstunden reduziert. Es gibt eine Vier-Tage-Woche, die aber nach Bedarf und bei Zustimmung durch die Beschäftigten in einzelnen Unternehmen und Branchen erhöht werden kann. Mehrarbeit wird, sofern gewünscht, im Lebensverlauf durch arbeitsfreie Zeit in künftigen Lebensabschnitten entgolten. Grundsätzlich sind die Arbeitszeiten dem Lebensalter und den Familienverhältnissen angepasst. Junge arbeiten mehr, ältere weniger. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit wird mit einer bedingungslosen Grundzeit für alle institutionell garantiert. Bedingungslose Grundzeit heißt: Jede und jeder erhält das Recht, für eine bestimmte Zeit aus dem Arbeitsprozess auszuscheiden oder die Arbeitszeit zu verkürzen. Finanziert wird diese Grundzeit aus einem gesellschaftlichen Fonds, in den Unternehmen und Arbeitende einzahlen, oder über eine Abgabe, die alle gesellschaftlichen Gruppen leisten. […] Zweitens erlaubt das egalitäre, emanzipatorische Zeitregime, das individuell höchst unterschiedlich gestaltet werden kann, eine sukzessive Aufhebung gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Die funktionale Arbeitsteilung muss weiter fortbestehen, aber die Möglichkeiten, zwischen verschiedenen Berufszweigen zu wechseln, werden auf der Grundlage einer guten Allgemeinbildung und eines entsprechenden Qualifikationsniveau deutlich verbessert. […] Nur ein derartiges Rotationssystem bietet drittens die Chance, dass sich Arbeitszeitverkürzung ökologisch nachhaltig auswirkt. […] Arbeitszeitverkürzung wirkt nur dann ökologisch nachhaltig, wenn sie zugleich eine Ausweitung des Konsumerismus vermeidet. […] Nachhaltig sozialistische Gesellschaft werden Produzentengesellschaft sein. In ihnen wird insgesamt nicht weniger, sondern sehr viel mehr vor allem kreativer und selbstbestimmter gearbeitet… Der entscheidende Grund ist die allmähliche Überwindung des Primats der Wertform von Arbeit dies geschieht, indem Arbeit als Lebendspende der Prozess bewertet und im metabolischen Wert, gezeigt, in die Preisbildung von Unternehmen einbezogen wird“ (Dörre 2021b, S. 188–191).
„Nachhaltig effiziente Produktionsregime ermöglichen, dass die Nebentätigkeit tatsächlich zu Hauptbeschäftigung werden kann. Anders gesagt, jede und jeder, die oder der will, kann sich der Schriftstellerei hingeben. Jede und jeder, der oder die möchte, kann Musik machen, Theaterspielen, Filme drehen, Zeitungen machen, sich in bürgernahen Verwaltungen betätigen, im Sport engagiert und dergleichen mehr“ (Dörre 2021b, S. 192).
Bemerkungen:
- Derartige Aussichten, die das tägliche Leben eines jeden einzelnen betreffen, können ein starkes Argument für den Übergang zu einer nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung sein. Es muss nur gelingen, diese Aussichten zu verdeutlichen und gleichzeitig aber nicht zu verschweigen, was bis dahin alles zu erfolgen hat.
- Vieles hört sich allerdings auch etwas zu euphorisch an.
Die heutige Marketingorientierung ist nach Dörre „die subjektive Entsprechung des kapitalistischen Expansionsparadoxons und zeichnet sich durch seine radikale Fokussierung auf die Marktfähigkeit von Produkten und Personen aus:“ (Dörre 2021b, S. 193) Er zitiert den Psychoanalytiker Erich Fromm „Weil es in allen Lebensbereichen in erster Linie um das Marketing geht, wird das Augenmerk immer auf das Erscheinungsbild des Produktes bzw. der eigenen Person gelenkt […] Was jemand faktisch tut und leistet, welche Fähigkeiten jemand tatsächlich hat, wer jemand wirklich ist und wie man sich tatsächlich erlebt, spielt – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist, wie man seine behauptete Leistung zur Darstellung bringt, seine Kompetenztrainings, Softskills und Qualitätsmerkmale dokumentieren kann, mit seiner gestylten Persönlichkeit authentisch wirkt, sein selbstbewusstes Image in Szene setzt“ (nach Funk 2018, S. 151).
„Wenn das Besitzstreben aufgrund von systemischen Imperativen zum Selbstzweck gerät, wird es zum Auslöser von Realängsten. Auch die Reichen verspüren Angst. Stets müssen sie fürchten, mit ihrem Vermögen zugleich Status, Anerkennung, Einfluss und Geltung zu verlieren. Deshalb ist die Welt der Reichen eine, die von ständigem Unsicherheitsempfinden geprägt ist. Dieser Realangst ließe sich überwinden – durch Teilen und Umverteilen“ (Dörre 2021b, S. 194).
Bemerkungen:
- Auch Reiche leben im Sozialismus viel glücklicher. Es bleibt ihnen ohnehin nach ihrer Enteignung noch genug Reichtum erhalten.
- Die Charakterisierung der Marketingorientierung nach Erich Fromm trifft genau das heutige Verhalten vieler Menschen. Es unterscheidet sich deutlich von dem Verhalten vieler Menschen in der DDR.
X Katastrophen: Sozialismus oder Pandemie
Dörre charakterisiert die Erwartungen, dass mit der Covid-19 Pandemie Chancen für die Überwindung des Kapitalismus gegeben wären, als solche idealistische Fehlvorstellungen, mit denen sich schon Marx und Engels in ihrer Schrift „Die Deutsche Ideologie“ auseinandergesetzt haben und zitiert Grace Blakeley: „Um eine Zukunftsversion zu entwerfen, mag utopisches Denken hilfreich sein – ohne Analyse der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die das bestehende System stützen, ist es jedoch bedeutungslos“ (Blakeley 2021, S. 349).
Bemerkungen:
- Das ist eine zentrale Aussage, die vieles von dem, was auch Dörre vorschlägt, in einem realistischen Licht erscheinen lässt.
Dörre beschreibt dann den Stand und die Auswirkungen der Pandemie bis zum Zeitpunkt das Erscheinen des Buches im September 2021. Er arbeitet heraus, dass die Pandemie ein Ungleichheitsverstärker und Entsolidarisierungstreiber ist (Dörre 2021b, S. 211–215).
Er setzt sich dann mit der Rolle des Staates in der aktuellen pandemischen Situation auseinander. „In einer pandemischen oder anderweitig katastrophischen Situation kann es deshalb durchaus vorkommen, dass eine sozialistische Opposition mit Staatsaktivitäten übereinstimmt, die seitens der kapitalistischen Eliten durchgesetzt werden. [..] Wenn eine pandemische Situation die vorübergehende Einschränkung von Rechten verlangt, dann ist das noch keineswegs Ausdruck einer Diktatur; es kann sich um eine legitime Strategie handeln, sofern es bei Einschränkungen auf Zeit bleibt.“ (Dörre 2021b, S. 218). Dörre äußert sich überrascht, dass seine „alten Mitstreiter Stefan Lessenich und Hartmut Rosa in der gemeinsamen Coronadebatte vor dem S-Wort zurückschrecken. [..] Dabei liefern die Pandemie und auch das staatliche Seuchenmanagement implizit eine Fülle von Argumenten, die geradezu nach einer Wiederherstellung sozialistische Handlungsfähigkeit schreien“ (Dörre 2021b, S. 218–219).
Bemerkungen:
- Seine Auffassungen entsprechen denen, die in dem Text von mir und anderen zur Coronapandemie enthalten sind (s.: Bokelmann, J.; Sill, H.-D.; Witzel, L. 2020: Politik der Linken in und nach der Corona-Krise, https://philosophie-neu.de/politik-der-linken-in-und-nach-der-corona-krise/).
Resümieren stellt Dörre fest: „Die Kombination aus Pandemie, Rezession und Zangenkrise ist historisch einzigartig. […] Schon ihre Analyse verlangt nach einer kollektiven Kraftanstrengung, die Grenzziehung zwischen Sozial- und Naturwissenschaften systematisch überschreitet. Auch deshalb wirkt der stets wiederkehrende Stereotyp von der Krise als Chance, mitsamt der in ihm verborgenen Hoffnung auf ‚eine Sinnhaftigkeit der Zeit‘ besonders hohl. Der Bruch in den Gesellschafts-Natur-Beziehungen […] enthält zwei Botschaften. Die Menschheit kann mittels Überwindung hindernder Strukturen zur bewussten Hüterin der Natur werden, es liegt in ihrer Hand, verkrustete Machtverhältnisse zugunsten sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit aufzubrechen. Sie kann das Menschenzeitalter aber auch beenden – durch Ökozid, einen verheerenden Atomschlag oder eine außer Kontrolle geratenen Pandemie. Nachhaltiger Sozialismus oder Katastrophenkapitalismus – so können die alternativen Schlussfolgerungen lauten, die sich aus dieser Konstellation ergeben“ (Dörre 2021b, S. 222).
XI Übergänge: Nachhaltiger Sozialismus jetzt!
In diesem Kapitel beschäftigt sich Dörre der entscheidenden Frage, wie ein Übergang aus dem jetzigen System zu einem nachhaltigen Sozialismus möglich wäre. Er referiert dazu zahlreiche interessante, aus meiner Sicht noch wenig bekannte Vorschläge und nimmt immer wieder Bezug auf Arbeiten von Marx und insbesondere Engels.
Als eine mögliche künftige Avantgarde ökologischer Klassenpolitik sieht Dörre eine sich herausbildende Klasse von Lohnabhängigen an, zu der er unter anderem junge Sozialarbeiter, Naturwissenschaftler, Techniker und Ingenieure rechnet. Diese Klasse entwickelt ein kollektives Selbstbewusstsein, ist noch nicht von der alltäglichen Sorge um Einkommens- und Beschäftigungssicherheit belastet, engagiert sich vor allem in Klima- und Umweltbewegungen und ist in erheblichen Teilen akademisch gebildet. Es findet zunehmend eine Polarisierung von Fachwissen statt. „Insofern ist es kein Zufall, wenn sich weitsichtige Naturwissenschaftler hinsichtlich der gesellschaftlichen Konsequenzen einer Nachhaltigkeitsrevolution weitaus klarer positionieren als die Mehrzahl ihrer Kolleginnen und Kollegen in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften“ (Dörre 2021b, S. 231). Als Beleg bringt ein Zitat des Astrophysiker Harald Lesch, der ohne das S-Wort zu verwenden für eine nachhaltig sozialistische Gesellschaft plädiert. Und mit Blick auf Sahra Wagenknecht stellt er fest: „Dergleichen als Selbstinszenierung einer modischen Life-Style-Linken abtun zu wollen, verkennt die tiefgreifenden Veränderungen in der Klassenstruktur entwickelter Kapitalismen und übersieht die Chancen für neue progressive Allianzen, die in sozial-ökologischen Transformationskonflikten angelegt sind. Von der politischen Ausrichtung der neuen Lohnarbeitsklasse hängt vieles ab“ (Dörre 2021b, S. 232). Dörre verweist auf seine Arbeiten zur Klassenanalyse, wie zum Beispiel (Dörre 2021a), in denen er das Konzept einer Dreiteilung lohnabhängiger Klassen entwickelt hat und plädiert dafür, keine der Klassen im politischen Kampf zu vernachlässigen (S. 234).
Bemerkungen:
- Die Probleme des Klassenbegriffs wurden oben schon erwähnt. Neben seinem formalen Moment muss auch das politische beachtet werden.
- Dörre erwähnt nicht die Ergebnisse von Rehbein und Souza (2014) zur Klassenstruktur.
„Nachhaltig sozialistische Politik kann […] jederzeit und sofort beginnen, wenn sie solidarische Sozialbeziehungen zu einer kollektiven Erfahrung werden lässt. […] Die Entfernung der Gewerkschaften und linken Parteien vom Grundprinzip der Alltagssolidarität, von der genossenschaftlichen Hilfe zur Selbsthilfe, ist ein wesentlicher Grund für ihre schwindende Attraktivität“ (Dörre 2021b, S. 235). Solche Erfahrung sind aus seiner Sicht an vielen Orten möglich, wobei er auf (Srnicek und Williams 2016) verweist.
„Auseinandersetzungen, die Gleichstellung und rassistische Diskriminierung zum Inhalt haben oder sich, wie die Klimabewegungen, auf den ökologischen Gesellschaftskonflikt beziehen sind heute deutlich mobilisierungsfähiger“ als „Konflikte, die auf der Achse von Kapital und Arbeit angesiedelt sind“ (Dörre 2021b, S. 236). Er verweist nochmal auf das Manifest „Feminismus für den 99 %“ (Arruzza et al. 2020), in dem es darum geht die ‚Zerstörung der Erde durch den Kapitalismus umzukehren‘ und aufgerufen wird, ‚sich in einem gemeinsamen antikapitalistischen Aufstand zusammenzuschließen‘ (Arruzza et al. 2020, S. 71). So klingt es, wenn kluge Feministinnen sozialistische Handlungsfähigkeit definieren und praktizieren. In jedem Satz des Manifests spürt man die Überzeugtheit der Autorinnen. Welch ein Unterschied zum Jammerton einer Sahra Wagenknecht …“ (Dörre 2021b, S. 237).
„Diese Energie kann auch aus den vermeintlich apathischen, desorganisierten Unterklassen heraus entstehen. Spontane Riots, Aufstände oder Revolten können Funken schlagen, die, wie das Movement for Black Lives, bisweilen weit in andere Klassen hinein ausstrahlen und weltweit Protestbewegungen auslösen. Diese nichtnormierten Konflikte, die jenseits institutionalisierter Verfahren ausgefochten werden, sind in vielen Ländern des globalen Südens die Normalform kollektiven Aufbegehrens“ (Dörre 2021b, S. 237).
„Anstatt den alten Streit um Reform und Revolution mit der immer gleichen Redundanz zu führen, entsteht sozialistische Handlungsfähigkeit auch über Vorschläge, die, an Nachhaltigkeitszielen gemessen, sofort Verbesserungen mit sich bringen und doch an die Systemgrenzen führen“ (Dörre 2021b, S. 239). Als Beispiel führt er die Aktivitäten der kanadische Journalistin, Kapitalismuskritikerin, Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin Naomi Klein an (Klein 2019), die auf der Grundlage ihrer Überzeugung, dass der Kapitalismus uns „die historische Chance im Kampf gegen den Klimawandel verbaut“ (Klein 2019, S. 237), leidenschaftlich für einen konsequenten Green New Deal plädiert, um damit die Grenzen des Kapitalismus aufzuzeigen.
Zur Frage ob bei einer Nachhaltigkeit auch lokal oder nur global gedacht werden sollte, vertritt er die Auffassung, dass dies ein vielschichtiger, häufig ungleichzeitiger Prozess ist, der auf sämtlichen politischen Entscheidungsebenen angestoßen werden muss, wobei die Nationalstaaten schon eine besondere Rolle zukommt.
Dörre sieht Ähnlichkeiten der aktuellen Situation mit der „Spätphase des klassischen Imperialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diesmal konkurrieren imperiale Mächte nicht um Kolonien, wohl aber um Absatzmärkte, Rohstoffe und Technologieführerschaft. Sie sind bestrebt, die […] Wohlfahrtszonen gegenüber Migrationsbewegungen und vor ökonomischer Konkurrenz abzuschotten. In einer Welt ohne eindeutig hegemoniale Führungsmacht ist nationale (oder transnationale, europäische) militärische Stärke noch mehr als zuvor ein zentrales Mittel der Außenpolitik. Struktur gewordener Militarismus, das wusste bereits Rosa Luxemburg, treibt letztendlich zur Erprobung seiner Waffen und damit zum Krieg“ (Dörre 2021b, S. 241).
Bemerkungen:
- Diese Einschätzung von Dörre im September 2021 hat sich leider in diesem Jahr mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine bestätigt.
Dörre plädiert dann zwar für eine schrittweise Absenkung von Rüstungsausgaben, um zusätzliche Finanzmittel für globale Investitionen in den Klimaschutz, für die Bekämpfung von Hunger und Armut und andere Ziele freizusetzen, aber Wege dahin werden von ihm nicht diskutiert. Er stellt einschränkend fest, dass auch für demokratische Gesellschaften gilt, „dass relevante Teile der kapitalistischen Elite sich einer kritischen Evaluation von Kriegen und Militäreinsätzen verweigern“ (Dörre 2021b, S. 243).
„Heute müssen Sozialist:innen alles entschieden unterstützen, was einer Nachhaltigkeitsrevolution zum Durchbruch verhilft. Im Unterschied zu den Zeiten des [kommunistischen] Manifests hat sich die emanzipatorische Kraft des K-Worts erschöpft. ‚Engagiert euch!‘ (Hessel und Vanderpooten 2013) lautet der Schlüsselsatz, mit dem jegliche Veränderung beginnt. Um diese Botschaft zu vermitteln, benötigen Sozialist:innen nicht einmal eine eigene politische Partei. […] Vor allem jedoch findet man sie in beiden Lagern des ‚Geistes von Porto Alegre‘ (Weltsozialforum) (Wallerstein et al. 2014, S. 44). […] Zahlreiche Spaltungen innerhalb wie zwischen beiden Lagern blockieren die Herausbildung wirkmächtiger politische Allianzen von unten seit Jahren. Das ist ein Hauptgrund für politische Stagnation. […] Künftig hat das Verbindende die politische Agenda zu bestimmen. […] Polarisierende Frontstellungen zwischen Klassen- und sogenannter Identitätspolitik sind dafür das denkbar schlechteste Rezept. […] Gegen alle Vereinseitigungen, Konkurrenzen, Spaltungen und wechselseitigen Demütigungen ist es Aufgabe von Sozialist:innen, das Gemeinsame zu betonen und interne politische Differenzen sachlich zu diskutieren. Auf neue Weise heben Sie deshalb ‚die Eigentumsfrage‘ als ‚Grundfrage der Bewegung‘ (Marx und Engels 1956a, S. 493) hervor. Denn das dynamische Prinzip eines kapitalistischen Besitzes, der sich beständig vermehren muss, um fort zu bestehen, steht einer Nachhaltigkeit und strukturell im Wege. “ (Dörre 2021b, S. 245–246).
Bemerkungen:
- Die Aussagen zur Situation im Weltsozialforum treffen genauso auf die aktuelle Situation in der Partei DIE LINKE zu.
Er setzt sich dann mit der „Politik des Negativen“ von Andreas Reckwitz auseinander, der die Ansicht vertritt, dass die moderne Gesellschaft auf positive Gestaltungsziele verzichten sollte, „um sich nur noch auf den Umgang mit den unweigerlichen Katastrophen zu konzentrieren.“ Angst kann nach Dörre keine Basis für politisches Wirken sein und verweist auf Ernst Bloch und Alfred Schmidt. Nach Bloch muss sich „die Arbeit gegen die Lebensangst und die Umtriebe der Furcht“ gegen deren Urheber richten (Bloch 1985, S. 1). Schmidt begreift Marx als „einen der größten Utopisten der Geschichte der Philosophie“, der „eine künftige menschliche Wirklichkeit nach Maßgabe der im Bestehenden angelegten realen Möglichkeiten antizipiert“ (Schmidt 2016 [1962], S. 147). „Die Utopie des Sozialismus enthält eine mögliche Antwort auf die ‚Politik des Negativen‘. Nicht mehr, aber auch nicht weniger“ (Dörre 2021b, S. 248).
Zum Schluss: Sozialismus im Handgemenge
Dörre setzt sich mit vier Fragen auseinander, die ihm beim Vortragen seiner Ideen in Veranstaltungen immer wieder gestellt wurden.
Zur Frage, ob ein nachhaltiger Sozialismus nicht altbacken ist, gibt er die Meinungen von drei jungen Leuten zu ihren Vorstellungen einer nächsten Gesellschaft wieder, die aus seiner Sicht zeigen, dass alle drei Befragten das Wort „Sozialismus“ zu experimentellem Denken angeregt hat. Auch viele aktuelle Publikationen signalisieren, dass der Übergang zu einem neuen Erdzeitalter die systemischen Grenzen kapitalistischer Marktvergesellschaftung berührt. „Auch ohne sozialistisches Selbstverständnis wird dabei immer wieder die Eigentumsfrage berührt. Sozialismus als Utopie kann dazu beitragen, die Radikalität des bevorstehenden gesellschaftlichen Wandels mit der Aussicht auf ein besseres Leben für alle zu verbinden“ (Dörre 2021b, S. 255).
Die Frage, weshalb er nun so wenig zur Veränderung der imperialen Lebensweise sagt, begegnet er mit einer Kritik der entsprechenden Auffassungen. Eine Veränderung von Lebensweisen wird die Welt nicht retten. Bei den Forderungen gerät genau jener Bereich von Gesellschaft aus dem Blickfeld, der „für die Begründung eines nachhaltigen Sozialismus ausschlaggebend ist – die Produktionssphäre und die durch sie begründeten strukturellen Ungleichheiten. Statt gründlich über alternative Produktionsweisen und Besitzverhältnisse nachzudenken, wird vor allem thematisiert, was nicht mehr geht, was wir nicht mehr dürfen, worauf wir verzichten sollen und dergleichen mehr. Die Konturen einer künftigen Gesellschaft bleiben hingegen merkwürdig blass“ (Dörre 2021b, S. 256).
Kritisch setzt er sich auch mit dem Konzept der Externalisierungsgesellschaft von Stephan Lessenich auseinander (Lessenich 2018). Danach führt jeder soziale Fortschritt im reichen Norden durch die Externalisierung der Kosten zwangsläufig zu Rückschritten im beherrschten Süden. Nach diesem Konzept verschmelzen tendenziell Herrschende und Beherrschte in den reichen Ländern zu einem ausbeuterischen Blog und die herrschenden Eliten des globalen Südens werden von ihrer Verantwortung für soziale Verwerfungen und ökologische Destruktion in ihren Ländern tendenziell freigesprochen (Dörre 2021b, S. 258). Es werden die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten in den reichen Ländern für den Klimawandel ausgeblendet. „Legt man das 1,5°-Erderhitzungsziel zugrunde, müsste die untere Hälfte der europäischen Haushalte ihre Emissionslast in etwa halbieren; das reichste Prozent hätte seinen Treibhausgasausstoß hingegen auf ein Dreißigstel zu reduzieren“ (Dörre 2021b, S. 259).
Die dritte oft gestellte Frage lautet, was geschehen würde, wenn die Nachhaltigkeitsrevolution ausbleibt und wir uns auf das Schlimmste vorbereiten müssen. Dörre hält es durchaus für möglich, dass es bestimmten Kapitalfraktion gelingt, aus Umweltfragen ein profitables Geschäft zu machen, was gegenwärtig schon der Fall ist, und so grundlegende Veränderung hinauszuschieben. Er hält aber apokalyptische Visionen für wenig geeignet, da diese bei kleineren Fortschritten als widerlegt erscheinen und von Verschwörungstheoretikern ausgenutzt werden. „Gerade deshalb sind Utopien einer besseren, weil nachhaltig sozialistischen Gesellschaft so wichtig, denn sie bieten eine positive Orientierung, über die der ‚kapitalistischer Realismus‘ (Fisher 2013) nicht mehr verfügt“ (Dörre 2021b, S. 262).
Weiterhin wird oft infrage gestellt, ob die Vision einer sozialistischen Transformation im Rahmen einer demokratischen Verfassung real ist, da die Herrschenden niemals freiwillig abdanken und auch Gewalt einsetzen werden. Dörre gibt zu, dass er sich ein freiwilliges Abdanken herrschender Klassen nur schwer vorstellen kann. Er sieht die reale Gefahr, dass das autoritäre Lager ein Systemerhalt mit gewaltsamen, auch faschistoiden Mitteln sicherstellen könnet. Sogar für die ehemalige USA-Außenministerin Madeleine Albright liegt ein neuer Faschismus im Bereich des Möglichen (Albright und Woodward 2018).
Dörre zitiert erneut Friedrich Engels, der 1890 im Abschiedsbrief an den Leser des „Sozialdemokrat“ feststellte: „Versucht muss werden, vorderhand mit gesetzlichen Kampfmitteln auszukommen. […] Das hat aber zur Voraussetzung, dass die Gegenpartei ebenfalls gesetzlich verfährt. Versucht man, sei es durch neue Ausnahmegesetze, durch rechtswidrige Urteile und Reichsgerichtspraxis, durch Polizeiwillkür und durch sonstige ungesetzliche Übergriffe der Exekutive, unsre Partei tatsächlich außerhalb des gemeinen Rechts zu stellen, so treibt man die deutsche Sozialdemokratie abermals auf einen ungesetzlichen Weg, als den einzigen der ihr noch offensteht“ (Marx und Engels 1956b, Bd. 22, S. 78). Einen bewaffneten Kampf hält Dörre allerdings nicht für sinnvoll und verweist auf das negative Beispiel des bewaffneten Kampfes des ANC, der immer noch eine schwere Hypothek für die Gesellschaft ist. Möglichkeiten wären aus seiner Sicht ziviler Ungehorsam, gezielte Regelverletzung, Streiks, Unterbrechung von Logistikketten und Informationswegen. Als positives Beispiel eines erfolgreichen Kampfes stellt Dörre die Entwicklung in Chile heraus. Der verbreitete Unmut über die sozialen Ungerechtigkeiten kulminierte in Massenprotesten für eine neue Verfassung, die dann mit klarer Mehrheit in einem Referendum beschlossen wurde. Diese Massenbewegung umfasste eine große Anzahl gesellschaftlicher Gruppen und ließ sich auch durch ein brutales Durchgreifen der konservativen Regierung nicht aufhalten. Sie agierte in Teilen militant, verzichtete aber auf Waffengewalt. Das Beispiel zeigt auch, dass solche Prozesse auch Zeit brauchen, in Chile hat es fast ein halbes Jahrhundert gedauert.
Bemerkungen:
- Mit der letzten Frage spricht Dörre ein entscheidendes Thema an, der Weg des Übergangs zu einer neuen Gesellschaft. Chile ist in mehrfacher Hinsicht ein beachtenswertes Beispiel. Es zeigte sich, dass kapitalistische Mächte bei der ernsthaften Gefahr eines Machtverlust in Form einer in Ansätzen sozialistischen Regierung (Allende) alles daransetzen, diese auch mit Gewalt zu beseitigen und dafür sogar auch faschistische Kräfte zu unterstützen, genauso wie es 1933 in Deutschland war. Aber es zeigt auch, wie Dörre dargestellt hat, die Kraft der Massen. Wenn mit einer neuen Verfassung allerdings die sozialistische Umgestaltung noch nicht vollzogen ist, so sind doch bessere Rahmenbedingungen vorhanden.
Am Schluss bedauert Klaus Dörre, dass es aus verschiedenen Gründen nicht zu einem gemeinsamen Buch mit seinen Kollegen Hartmut Rosa und Stephan Lessenich gekommen ist, die mit ihm zusammen das DFG Projekt „Postwachstumskolleg“ geleitet haben, in dem viele der von ihm dargestellten Ideen entstanden sind.
Zur verwendeten Literatur
Auf den 259 Textseiten gibt es insgesamt 580 Anmerkungen. Das Literaturverzeichnis enthält 412 Titel. Dies zeugt von einer außerordentlich umfangreichen Recherche und gründlichen Verarbeitung aller Quellen zum Thema einer künftigen sozialistischen Gesellschaft, was in keinem der mir bekannten Bücher auch nur annähernd erreicht wird.
Ein Vergleich der Literaturangaben bei Dörre mit meinen, vor Studium seines Buches erfassten Quellen ergab folgende Ergebnisse. Nach dem Lesen des Buches habe ich zahlreiche Quellen ergänzt.
- Außer Texten von Marx, Engels und Luxemburg, die Dörre an vielen Stellen verarbeitet, treten keine Quellen zu mir bekannten Philosophen aus der Hegelforschung auf. Es werden oft Arbeiten von Engels einbezogen, auch mit kritischen Bemerkungen. Dörre hat sein Buch dem 200. Geburtstag von Friedrich Engels und den Aktiven in der Klimabewegung gewidmet.
- Dörre hat im nur einen Teil der Quellen angegeben, die ich bisher zu bestimmten Themen erfasst, aber zum großen Teil auch noch nicht ausgewertet habe. Bei ihm sind enthalten
- 3 von 22 Quellen zu „Modellen nachkapitalistischer Gesellschaften“
- 1 von 5 Quellen zu „Staat, Verwaltung, Demokratie“
- 3 von 31 zur Kategorie „Politische Philosophie – allgemein“
- 2 von 22 zur Kategorie „Demokratie“
- 3 von 12 zur Kategorie „Staatstheorien“
- 8 von 29 zur Kategorie „Politische Ökonomie“
Zusammenfassende Bemerkungen:
- Das Fehlen philosophischer Literatur macht sich insbesondere bei im Umgang mit Begriffen und der Analyse dialektischer Beziehungen bemerkbar. Viele Begriffe könnten deutlicher bestimmt werden, auf einige Neologismen könnte man verzichten und die Analyse dialektischer Beziehungen würde vieles vertiefen.
- Es kann nicht erwartet werden, dass Dörre in dieser Publikation auch nur annähernd alle Probleme vollständig bearbeitet, die mit dem Thema einer künftigen sozialistischen Gesellschaft zusammenhängen. Dies kann nur eine Gemeinschaftsaufgabe eines großen Kreises von Wissenschaftlern und Aktivisten sein, ohne deren Bewältigung die Bewegungen ziellos sind.
- Eine der wenigen Mängel des Buches von Dörre ist, dass er sich nur selten und nicht ausführlich mit dem Problem der Militarisierung beschäftigt. Ein wesentlicher Aspekt der Nachhaltigkeitsrevolution ist die Liquidierung der Rüstungsindustrie. Die damit verbundenen Probleme reißt Dörre zwar an, führt sie aber nicht konsequent weiter.
- Ein weiteres Problem, dass Dörre nur am Rande anspricht, ist die Rolle einer revolutionären Partei oder Organisation. Die treibenden Kräfte gesellschaftlicher Veränderungen können nur massenhafte Bewegung sein, aber ohne eine gut strukturierte und sich der Ziele bewusste Partei ist eine Massenbewegung kopflos. Heute geht es um das zielgerichtete Zusammenführen dreier großer Bewegungen, der Antikriegsbewegung, der Klimabewegung und den antikapitalistischen Bewegungen. Dies erfordert einen Initiator und Organisator.
- Ich kenne bisher keine Publikationen die in derart umfassender, fundierter und akzentuierter Weise die Probleme einer möglichen künftigen sozialistischen Gesellschaft bearbeitet und sich dabei kritisch mit vielen Auffassungen zu diesem Thema auseinandersetzt. Es hat den Anschein, dass Dörre ein Einzelkämpfer geworden ist. Sogar seine engeren Kollegen Lessenich und Rosa gehen seine letzten Wege nicht mehr mit. Aber auch Marx und Engels waren zu ihrer Zeit Einzelkämpfer und haben ihre Erkenntnisse in kritischer und oft auch harter Auseinandersetzung mit Zeitgenossen entwickelt. Dass auch bei unterschiedlichen Auffassungen gemeinsame Aktionen möglich sind, zeigt sich darin, dass Dörre zusammen mit Lessenich und Rosa den Aufruf gegen den Ukrainekrieg „DerAppell“ initiiert haben.
- Das Buch ist ein Fundament für alle weiteren Arbeiten zum Thema Sozialismus. Neben der schon angesprochenen wissenschaftlichen Vertiefung und Ausweitung wäre auf seiner Basis aber auch schon eine kurze, alltagssprachlich verständliche, handlungsorientierende Fassung der Grundgedanken unter dem Titel „Sozialistisches Manifest“ möglich. Dies wäre ein würdiger Nachfolger des legendären kommunistischen Manifests. Die Zeit dafür ist reif.
Zu Gedanken in anderen Quellen
Die Charakterisierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems unter Verwendung der Termini Landnahme, Expansionsparadoxon und Zangenkrise betrifft die politische Ökonomie, die eigentlich kein Teilgebiet der Soziologie ist. Ich habe deshalb einige Werke zur Ökonomie des Kapitalismus in Bezug auf die Verwendung dieser Termini und der Literatur von Dörre durchgesehen.
(Bontrup 2021): Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft.
Heinz-Josef Bontrup ist Mitverfasser und Herausgeber der jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memorandum-Gruppe) sowie deren Sprecher. Seit 2015 schreibt Bontrup zudem regelmäßig wirtschaftspolitische Kolumnen in der Frankfurter Rundschau. Auch in der taz, in der junge Welt, im nd, sowie in Der Freitag und im Makroskop finden sich seine Beiträge.
Das Buch ist 2021 in 6. erweiterter Auflage erschienen. Im Literaturverzeichnis sind lediglich zwei Bücher von Dörre angegeben, (Dörre 2002) und (Dörre et al. 2009), die jüngsten Publikationen fehlen. Auf den 773 Seiten behandelt Bontrup in vier Kapiteln eine Vielzahl von Problemen insbesondere zur Rolle der Arbeit, der Partizipation, der Rolle von Beschäftigten im Unternehmen und der Rolle von Wirtschaft und Staat. Auf die von Dörre verwendeten Termini geht er nicht ein.
Im Zusammenhang mit der Globalisierung stellt Bontrup fest: „Globalisierung und Liberalisierung sind nichts anderes als die schlichte Folge kapitalistischer Bewegungsgesetze, die nach einer permanenten Gewinnexpansion verlangen“ (Bontrup 2021, S. 477). Er verweist dabei auf Marx, der dies schon 1865 festgestellt hatte. Die Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung im Zusammenhang mit der neoliberalen Globalisierung sind nach seinen Worten von der jeweils herrschenden Politik in den reichen Industrieländern im Profitinteresse des weltweit agierenden Großkapitals bewusst eingeleitet worden (S. 481). Dies hat nicht, wie es Mitte der 1980 er Jahre prophezeit wurde zu einer besseren Welt und einer Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern geführt. Die soziale Ungleichheit innerhalb der Länder hat zugenommen, die ökologische Krise hat sich verschärft und die Entwicklung wird begleitet von gewalttätigen Konflikten und Kriegen. Es gibt nach wie vor Massenelend auf der Erde, die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen müssen, ist zwischen 1987 und 1998 nur minimal gefallen. Die Profiteure der Globalisierung sind die international agierenden Konzerne. Er leitet daraus die Schlussfolgerung ab, dass es eines politischen und gesellschaftlichen Rahmens bedarf, in dem auf der Grundlage demokratischer Diskussions- und Willensbildungsprozesse Entscheidung getroffen werden, die sich nicht nach rein ökonomischen Profitkriterien, sondern nach gesellschaftlichen Präferenzen richten (S. 493).
In seinen ausführlichen Darlegungen zu ökologischen Problemen der Wirtschaft wird der Gegensatz von wirtschaftlichem Wachstum und Zunahme der Umweltbelastung, den Dörre als Expansionsparadoxon bezeichnet hat, nicht diskutiert.
Es skizziert zusammenfassend eine Wirtschaftsdemokratie, die unter anderem folgende Elemente enthält. In den Betrieben sollte ein Mitbestimmungsmodell etabliert werden, im Rahmen einer Tarifautonomie zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverbänden sind Flächentarifverträge auszuhandeln, die Märkte und das Wettbewerbsprinzip müssen beibehalten werden, für die Internalisierung der Natur und der sozialen Frage ist der Wettbewerb nicht ausreichend, die Gesetze der Finanzmärkte sollte nicht außer Acht gelassen werden. Insgesamt stellt er fest: „Alle zuvor skizzierten Wirtschaftsebenen und ihre Politikfelder werden vom staatlichen Überbau festgelegt. Hier muss uneingeschränkt das Primat der Politik gelten. Der Staat hat der Wirtschaft den Handlungsrahmen zu setzen und die Wirtschaft zu kontrollieren und auszusteuern. Das jeweilige ‚wie‘ der Politikausrichtung ist dabei aber abhängig von der jeweils gewählten herrschenden Politik, die wiederum durch unterschiedliche Interessen tretende Parteien zum Ausdruck kommt“ (Bontrup 2021, S. 735).
Bemerkungen:
- Alle Vorschläge von Bontrup basieren auf der Beibehaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Es sind keinerlei Tendenzen zu seiner grundlegenden Veränderung erkennbar. Ansonsten wäre es auch nicht zu erklären, dass ihm am 21. März 2018 für sein „lebenslanges Engagement im wirtschaftswissenschaftlich-sozialpolitischen Bereich und seine umfangreich ehrenamtliche und bundesweite Aufklärungsarbeit in sozialpolitischen und wirtschaftlichen Fragen“ das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen wurde (Wikipedia).
- Man kann davon ausgehen, dass die jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik das gleiche Paradigma verwenden.
- Von Interesse sind die Vorschläge lediglich für aktuelle gewerkschaftliche Kämpfe um mehr Mitbestimmung.
- Bontrup hat auch mit Mitgliedern der Rosa Luxemburg Stiftung gemeinsam publiziert (Bontrup et al. 2006). Seine Auffassungen werden also vermutlich auch dort akzeptiert.
- Bontrup gehört aber auch zu den wenigen kritischen Wirtschaftswissenschaftlern, was auch von Christa Luft hervorgehoben wird (Krause et al. 2011).
(Bontrup et al. 2006): Wirtschaftsdemokratie. Alternative zum Shareholder-Kapitalismus
In den sechs Artikel wird in zwei Bezug auf eine Publikation von Dörre zur Partizipation genommen (Dörre 2002). Seine Termini Landnahme, Expansionsparadoxon und Zangenkrise treten nicht auf. Die entsprechenden Themen werden in keinem Artikel angesprochen.
Alex Demirović stellt in seinem Beitrag (Demirović 2006) große Defizite in der Demokratieforschung in Bezug auf die Wirtschaftsdemokratie fest. Insbesondere seit 1990 wird dieses Thema kaum noch diskutiert. Er gibt dafür eine Reihe von Ursachen an, die er vor allem in der fortschreitenden Globalisierung und Liberalisierung der Wirtschaft sieht. Er bezieht sich auf die Vorschläge von Bontrup, die er unterstützt, aber auch kritisch hinterfragt, ohne dabei die Eigentumsfrage zu berühren. Er geht abschließend aber auch auf den prominenter und im Rahmen der Weltsozialforumsbewegung viel diskutierter Ansatz ist des US-Amerikaners Michael Albert ein (Albert 2018), der den Rechtstitel auf Privateigentum an Produktionsmitteln für ungültig erklärt und ein radikal neues demokratisches Wirtschaftssystem vorschlägt. Diesen Vorschlag hält er aber für ein künstliches Denkmodell, das bestenfalls zu Diskussionen anregen kann.
(Krause et al. 2011): Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands
In keinem der zwölf Artikel wird Bezug auf Dörre genommen. Seine Termini Landnahme, Expansionsparadoxon und Zangenkrise treten nicht auf. Die entsprechenden Themen werden in keinem Artikel angesprochen.
Christa Luft berichtet über ihre Erfahrungen mit westdeutschen Ökonomen: „Von 1994 bis 2002 hatte ich ein für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gewonnenes Direktmandat im Deutschen Bundestag inne. Dort vertrat ich meine Fraktion im Haushalts sowie im Wirtschaftsausschuss, wo die westdeutsch sozialisierten Abgeordneten anderer Fraktionen überwiegend einen vom ökonomischen Mainstream geprägten Ausbildungshintergrund besaßen. Marktgläubigkeit, Vergötterung des freien Wettbewerbs und Staatsabstinenz fielen besonders auf. Die aus Ostdeutschland Stammenden verinnerlichten rasch, was Michael Krätke treffend so beschreibt: »Politiker, die als ›seriös‹ gelten wollen, haben gefälligst in der Sprache des ökonomischen Mainstreams zu argumentieren … Wie einstmals die Beherrschung des Lateinischen oder später des Französischen ist heute die Beherrschung der ›Sprache der Ökonomie‹ eine der wesentlichen Bedingungen, um Zutritt zu den internationalen Eliten in Politik und Wirtschaft zu erhalten.« (Michael R. Krätke: Neoklassik als Weltreligion? In: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (Hrsg.): Realitätsverleugnung durch Wissenschaft. Kritische Interventionen 3. Die Illusion der neuen Freiheit. Hannover 1999, S. 1)“ (S. 171).
Die Ursachen für die Dogmatik der Westökonomen sieht Luft in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik: „Offensichtlich stößt die Freiheit der Wissenschaft auf die Hürde der Vermarktungschancen theoretischer Positionen. Zuoberst geht es darum, wie in ökonomischen Fachkreisen Reputation erlangt und Karriere gemacht werden kann. Man muss zu ‚angesagten‘ Themen in jenen akademischen Zeitschriften publizieren, die als Grundlage von Rankings genommen werden, die wiederum ein Maßstab sind für die Zuteilung von Forschungsmitteln. ‚Wenn der Mainstream der Meinung ist, dass Finanzmärkte effizient sind, dann ist es für Abweichler enorm riskant, gegen das Kartell jener zu opponieren, die als Insider über die Vergabe von Professorenstellen, Forschungsaufträgen und Budgets bestimmen. Dann ist es vielleicht aus einer individuellen Sicht in der Tat klüger, mit dem Strom zu schwimmen als dagegen. Nur wenn alte theoretische Konzepte zu offensichtlich der Realität widersprechen, kann sich ein Paradigmenwechsel für die Kartellbrecher lohnen. Möglicherweise ist mit Blick auf den Effizienzmythos der Finanzmärkte diese Zeit jetzt gekommen‘, meint Thomas Straubhaar, ein Kenner der bundesdeutschen wirtschaftswissenschaftlichen Community (Straubhaar: Der große Irrtum. In: FTD.de vom 05.10.2011). […] Erwähnt werden muss auch, dass die im Ökonomiestudium hauptsächlich verwendeten Lehrbücher im Wesentlichen oder zur Gänze die neoklassische Theorie abdecken, während alternative Theorieansätze weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Das trifft gleicherweise auf das wohl bekannteste internationale Standardwerk der Volkswirtschaftslehre ‚Economics‘ von Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus zu, das im Laufe von fünf Dekaden millionenfach verkauft wurde und Generationen von Ökonomiestudierenden als Grundlage diente“ (Krause et al. 2011, S. 183).
Bemerkungen:
- Das erklärt die Situation in den Wirtschaftswissenschaften und die einsame Rolle von Dörre.
- De Entwicklung von Alternativen und Zukunftsvisionen ist nicht im wissenschaftlichen Diskurs mit etablierten Wirtschaftswissenschaftlern möglich.
- Die von Christa Luft dargestellte Lage für die Wirtschaftswissenschaften trifft nach meinen Erfahrungen auf das gegenwärtige Wissenschaftssystem insgesamt zu. Dies entspricht der Einschätzung von Babara Imholz: „Die Einziehung neoliberaler Subjektivierung passiert natürlich nicht einfach so als Naturgesetz. Seit dem Jahr 2000 machten Konzepte der SPD vom ‚Lebenslangen Lernen‘ die Runde. Dann kam der sogenannte Bologna-Prozess, die EU-einheitliche ‚Bildungsreform‘, die zum Ziel hatte, Schulen und Universitäten ganz nach den Bedürfnissen des aktuellen Kapitalismus auszurichten. Der Umbau des Universitätswesens ist abgeschlossen. Von der Universität ist, von Ausnahmen abgesehen, keine Gesellschaftskritik mehr zu erwarten. Die moderne Sachbearbeiterin der Zukunft hat ein Studium in Kommunikationswissenschaften komplett inhaltsleer absolviert und lebt im Bewusstsein, am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein. Ihr Arbeitsplatz ist beliebig, ihre Qualifikation rein formal, sie muss kompetent und professionell sein, das reicht. Das Kompetenzmodell ist in allen europäischen Staaten vorherrschend“ (Imholz 2022).
(Kocka 2017): Geschichte des Kapitalismus
Der anerkannten Sozialhistoriker Jürgen Kocka analysiert in seinem Buch die bekanntesten Definitionen einer kapitalistischen Produktionsweise, darunter auch die von Marx und Engels und geht dabei auf das Expansionsstreben ein. Im Ergebnis seiner historischen Analysen gibt er folgende drei Merkmale einer kapitalistischen Produktionsweise an:
„Erstens beruht Kapitalismus auf individuellen Eigentumsrechten und dezentralen Entscheidungen. Diese Entscheidungen führen zu Resultaten, sowohl Gewinnen als auch Verlusten, die Individuen zugeschrieben werden. …
Zweitens findet im Kapitalismus die Koordinierung der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure vor allem über Märkte und Preise, durch Wettbewerb und Zusammenarbeit, über Nachfrage und Angebot, durch Verkauf und Kauf von Waren statt. …
Drittens ist Kapital grundlegend für diese Art des Wirtschaftens. … Dazu gehören die Gewährung und die Aufnahme von Krediten, die Akzeptanz von Profit als Maßstab sowie die Akkumulation mit den Perspektiven Wandel, Wachstum und dynamische Expansion.“ (Kocka 2017, 20/21)
Dörre tritt im Literaturverzeichnis nicht auf und auf seine Begrifflichkeiten wird kein Bezug genommen. Die Landnahme in der üblichen Fassung wird von ihm bei seiner historischen Darstellung verwendet.
Das Buch ist eine explizite Apologie des Kapitalismus und endet mit folgenden Worten. „Der Kapitalismus lebt von seiner sozialen, kulturellen und politischen Einbettung, so sehr er sie gleichzeitig bedroht und zersetzt. Er kann lernen, diesen Vorzug teilt er mit der Demokratie. Er kann durch politische und zivilgesellschaftliche Mittel beeinflusst werden, wenn diese nur stark und entschieden genug sind. Der historische Überblick hat es gezeigt. In gewisser Hinsicht hat jede Zeit und jede Zivilisation den Kapitalismus, den sie verdient. Gegenwärtig sind überlegene Alternativen zum Kapitalismus nicht erkennbar. Aber innerhalb des Kapitalismus sind sehr unterschiedliche Varianten und Alternativen denkbar und zum Teil auch beobachtbar. Um ihre Entwicklung geht es. Die Reform des Kapitalismus ist eine Daueraufgabe. Dabei spielt Kapitalismuskritik eine zentrale Rolle“ (Kocka 2017, S. 128).
Kapitalismuskritik ist also durchaus mit der Reform des Kapitalismus verträglich. In der alltagssprachlichen Bedeutung wird das Wort „Kritik“ nach dem DWDS neben seiner Verwendung als wissenschaftliche oder künstlerische Besprechung in einer Zeitung oder Zeitschrift im Sinne von Beurteilung und Einschätzung sowie Beanstandung und Tadel verwendet. Beanstandungen am Kapitalismus stellen ihn nicht automatisch infrage, aber Kritik ist der erste Schritt zur Infragestellung.
(Bofinger et al. 2015): Thomas Piketty und die Verteilungsfrage.
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat mit deinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (Piketty 2016) aus dem Jahre 2013 international, besonders im angloamerikanischen Raum viel Aufsehen erregt. Er weist anhand von umfangreichen statistischen Daten die zunehmende Ungleichheit in der Welt aufgrund kapitalistischer Wirkungsprinzipien nach und unterbreitet Vorschläge für staatliche Regulierungsmaßnahmen, insbesondere über die Steuergesetzgebung. Damit gehört er zu den kritischen Ökonomen, die zentrale Probleme des Kapitalismus anprangern.
In dem Buch von Bofinger et al. wird die Rezeption des Buches von Piketty bei den deutschen Ökonomen untersucht und auf kritische Fragen eingegangen. Im Ergebnis seiner Analyse der Rezeption des Buches in Deutschland stellt Julian Bank fest: „Unterm Strich lässt sich für die deutsche Piketty-Debatte bis jetzt feststellen, dass sie in einem bemerkenswerten Kontrast steht zu der Euphorie, mit der das Buch – bei aller Kritik im Detail – international, insbesondere in den USA, aufgenommen wurde. Es ist erstaunlich, wie viele Rezensenten das Forschungswerk eines noch jungen, talentierten, breit interessierten und interdisziplinär orientierten Ökonomen, der zugleich in den Top-Journalen der Ökonomenzunft reihenweise publiziert hat, mit einem Federstrich verreißen. Zugleich findet diese harte Kritik kaum Widerworte. Gerade die FAZ fiel dadurch auf, dass sie der Piketty-Kritik ein großes Forum einräumte, während sie Gegenstimmen zu dieser Kritik oder späteren Relativierungen von Vorwürfen praktisch keinen Raum gab. Wer Pikettys Buch gelesen hat und seine Biografie kennt, muss sich in Deutschland wirklich die Augen reiben. Man liest, dass „Pikettys Theorie nicht stimmt“ und dass er seinen Denkfehler „mit fesselnder Sprache“ „übertüncht“ (Hans-Werner Sinn). „Als Theoretiker kann man Piketty abhaken“ (Ulrike Herrmann). „[D]as ganze Gedankengebäude ist wackelig. Im neuen Marx steckt viel Murks“ – er wirke „vom Thema Ungleichheit besessen“ (Kolja Rudzio). Man könne seine Forschung auch „Neidforschung nennen“ (Stefan Homburg). Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen. Es ist nicht so, dass es an Pikettys Buch nichts zu kritisieren gäbe. […] Aber die Heftigkeit, mit der Pikettys Buch bisher in Deutschland verrissen wurde, erzählt mehr über die deutsche Ökonomenzunft und den deutschen Wirtschaftsjournalismus als über Thomas Piketty und sein Werk. Der Umgang mit Pikettys Buch offenbart, dass es in diesen Kreisen bislang keine Bereitschaft gibt, dem Thema der wachsenden Ungleichheit den Ernst entgegenzubringen, der angemessen wäre. Und das sollte uns zu denken geben“ (Bank 2015, S. 31).
In keinem der 10 Artikel wird Bezug auf Dörre genommen. Seine Termini Landnahme, Expansionsparadoxon und Zangenkrise treten nicht auf. Die entsprechenden Themen werden in keinem Artikel angesprochen.
Bemerkungen:
- Durch die Analyse wird deutlich, dass die Ignoranz der deutschen Ökonomen zu den ökonomischen Thesen von Dörre nicht verwunderlich ist. Zum einen werden sie ihn als Sozialwissenschaftler nicht als einen Diskussionspartner von Wirtschaftswissenschaftlern anerkennen. Zum anderen sind sie offensichtlich so in dem aktuellen kapitalistischen Wirtschaftssystem verbunden, dass sie nicht einmal die offensichtliche Ungleichheit der Vermögensverteilung ernsthaft berührt.
Als eine der wenigen Linken hat sich Sahra Wagenknecht, die 1996 ihren Magister in Philosophie und 2005 ihre Promotion im Fach Volkswirtschaftslehre absolvierte, mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus intensiv befasst und eine Vielzahl von Büchern (9) dazu publiziert. Vier sollen näher betrachtet werden.
(Wagenknecht 2009 [2003]): Kapitalismus im Koma. Eine sozialistische Diagnose.
Die Seiten 5-122 enthalten die Wirtschaftskolumnen von Wagenknecht in der jungen Welt. Anschließend setzte sich unter der Überschrift „Drecksarbeit“ mit dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS in Berlin nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus von 2001 auseinander, bei der die PDS in Berlin insgesamt 22,6 % der Stimmen und im Osten sogar 47,6 % der Stimmen erhielt. Sie äußert grundlegende Kritik an dem Vertrag, in dem die PDS sich allen unsozialen Vorhaben der SPD anschloss und damit den Willen ihrer Wählerschaft brüskiert. Aus ihrer Sicht hätte die PDS als Oppositionspartei eine viel größere Wirkung erzielt. Sie zitiert abschließend die Financial Times Deutschland vom 18.12.2001: „Gregor Gysi ist der eigene Ehrgeiz näher als der Wille der Wähler. Deren Wut wird die PDS zu spüren bekommen.“
Im dritten Teil des Buches mit der Überschrift „Sozialismus statt Barbarei“ bringt sie eine große Anzahl von Fakten zur aktuellen ökonomischen Situation, wobei sie die von Dörre genannten Probleme nicht erwähnt. Am Ende stellt sie fest: „Würden die 500 größten europäischen Wirtschaftskonzerne entflochten und ihre Betriebs- und Vertriebsstädten, ihre Anlagen und ihre Infrastruktur mehrheitlich ins Eigentum jener Länder übergeben, auf deren Territorium sie stehen, bekäme Europa nach Innen und Außen ein neues Gesicht. Denn dann endlich wären alle die Veränderungen möglich, deren Umsetzung bis heute am Widerstand der Konzernlobby scheitert: Eine europäische Einheit, die für einheitliche Lebensverhältnisse steht […] Eine europäische Steuerunion, die die nationalen Steuersysteme reformiert […] Eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die nicht der Vorbereitung imperiale Kriege dient, sondern sich für Abrüstung, Gleichberechtigung und Entwicklung verantwortlich sieht […] Eine europäische Sozialunion, die in allen Ländern hohe Standards fixiert […] Wer das umsetzen soll? Ja, wird das wirtschaftliche Leben in Europa und auf diesem Planeten etwa von den Kapitalmächtigen, wird es nicht alleine von jenen Millionen und Abermillionen Menschen aufrechterhalten, die sich heute noch weitgehend widerstandslos zu Rädchen in einem Getriebe erniedrigen lassen, das zu ihrem Schaden läuft und viele von ihnen irgendwann ins Abseits schleudert! Nichts geht gegen und ohne sie, nichts ging mehr, wenn diese Menschen sich querstellen, wenn sie ihr Menschenrecht auf ein würdiges, sozialgesichertes Leben ohne Angst einfordern würden!“ (S. 159-160).
Das Buch enthält keine Anmerkungen und keine Literaturangaben.
Bemerkungen:
- Die vernichtende Kritik am Koalitionsvertrag in Berlin von 2001 ist berechtigt und die Prognosen sind eingetroffen. Bei der nächsten Wahl 2006 erhielt die die Linke in Berlin nur 13,4 % (- 9,2 %; im Osten: 28,1 %, – 19,5 %) und 2011 nur 11,7 % (- 4,6 %; im Osten: 22,7 %, – 8,7 %) der Stimmen. Das bis heute andauernde Zerwürfnis zwischen Gregor Gysi und Sara Wagenknecht kommt vermutlich aus dieser Zeit.
- Das Buch enthält zwar revolutionäre Vorschläge zur Veränderung der Gesellschaft und auch Aussagen zu denen, die dies umsetzen sollen, aber keine konkreten Vorstellungen für ein sozialistisches Wirtschaftssystem und für realistische Veränderungsszenarien.
- Die wissenschaftliche Qualität leidet stark unter dem nicht sachgerechten Umgang mit Literatur.
(Wagenknecht 2009): Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft
In dem Buch erläutert sie ausführlich und mit zahlreichen Fakten belegt grundlegende Begriffe und Methoden des finanzkapitalistischen Wirtschaftssystems. Sie geht auf die Ursachen und Konsequenzen der Finanzkrise im Jahre 2007/2008 ein.
Am Ende des Buches stellt sie vier mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung vor. Das erste Szenarium besteht darin, „dass es der Politik gelingt, mit großen Rettungspaketen, viel Steuergeld und noch mehr öffentlicher Neuverschuldung die Situation auf den Finanzmärkten wieder recht und schlecht zu stabilisieren…“ (S. 241). Im zweiten Szenario geht die Entwicklung im Unterschied zum ersten einher „mit drastischen Kürzungen aller anderen öffentlichen Ausgaben – sei es für soziales oder Investitionen, um die Kreditwürdigkeit der öffentlichen Hand zu erhalten“ (S. 243). Das dritte Szenario würde bedeuten, „dass sinkende Löhne und Staatsausgaben den globalen Absatz so weit nach unten drücken, dass sie Unternehmen und Banken massenhaft in die Pleite zwingen, was wiederum Löhne und Steuereinnahmen weiter dezimiert“ (S. 244). Das vierte Szenario wäre, „dass die politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so weit nach links verschoben werden, dass die Überwindung des Kapitalismus von einem programmatischen Fernziel zur politischen Tagesaufgabe werden kann. […] Die Überwindung des Kapitalismus bedeutet nicht die Abschaffung von privatem Produktiveigentum, sondern dessen Beschränkung auf jene Bereiche der Wirtschaft, in denen es keine ökonomische oder gesellschaftliche Macht gebären kann“ (S. 245). Wagenknecht plädiert für öffentliches Eigentum an den Finanzinstituten, für klare Vorgaben für öffentliche Banken sowie für öffentliches Eigentum in Kernbereichen der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge.
Das Buch enthält keine Literaturangaben und insgesamt 51 Fußnoten auf 241 Seiten, die meisten aus Verweisen auf Zeitschriftenartikel bestehen. Auf die von Dörre angesprochenen Probleme geht sie nicht ein.
Bemerkungen:
- Das Buch enthält sehr wenige Gedanken für ein nachkapitalistisches Wirtschaftssystem und für mögliche Übergänge in dieses System. Es ist für sie lediglich eine von vier möglichen Entwicklungsrichtungen. Sie vermeidet dafür das Wort Sozialismus.
- Die mageren Quellen sind angesichts der großen Fülle von Fakten und Daten unredlich.
(Wagenknecht 2012): Freiheit statt Kapitalismus
Ihr Buch ist ein Plädoyer für das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das von den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern der Freiburger Schule des Ordoliberalismus Walter Eucken und Alfred Müller-Armack entwickelt und von Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister in wesentlichen Zügen umgesetzt wurde und zu dem wirtschaftlichen Aufschwung in der BRD führte, der als Wirtschaftswunder bezeichnet wird. „Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft ruht auf den vier Grundsäulen: dem Sozialstaat, dem Prinzip der persönlichen Haftung, der gemischten Wirtschaft und der Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Die letzte Säule ist die tragende, bei deren Erosion das ganze Gebäude in sich zusammenfällt. Ludwig Erhards Versprechen lautete: ‚Wohlstand für alle.“ Nur ein kreativer Sozialismus wird dieses Versprechen jemals einlösen können“ (Wagenknecht 2012, S. 29).
Ihre Vorstellungen von einem kreativen Sozialismus erläutert Wagenknecht an keiner Stelle des Buches. Er taucht immer nur sporadisch auf, so etwa in der Überschrift eines großen Kapitels: „Kreativer Sozialismus: Einfach. Produktiv. Gerecht.“ (Wagenknecht 2012, S. 177–346). Zu den sehr wenigen weiteren Stellen gehören:
- Der Gründungsunternehmer im Schumpeter‘schen Sinn ist eine Quelle von Innovation, technologischen Fortschritt und ökonomischer Anpassungsfähigkeit. Ein kreativer Sozialismus muss solche echten Unternehmer fördern und unterstützen (S. 344).
- Kreativer Sozialismus hat sich von der Idee des planwirtschaftlichen Zentralismus verabschiedet. Er will mehr Wettbewerb, nicht weniger. […] Es gibt Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft (S. 345).
- Es geht darum, den Wohlstand der ganzen Gesellschaft auf eine neue breitere und bessere Grundlage zu stellen. Es geht darum Ludwig Erhards Versprechen endlich umzusetzen es geht um einen kreativen Sozialismus (S. 349, im abschließenden Kapitel: „Erhard reloaded: Wohlstand für alle, nicht irgendwann, sondern jetzt!“).
Mit den Problemen des notwendigen ökologischen Wandels beschäftigt sich Wagenknecht nur auf sechs ihrer insgesamt 365 Seiten und geht dabei auch nur auf Probleme des „Grünen Kapitalismus“ ein.
Sie beschäftigt sich ausführlich mit einer Reihe ökonomischer Probleme und unterbreitet Lösungsvorschläge, die sich alle im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems bewegen.
Zum Abbau der Staatsschulden schlägt sie vor, die Altschulden der EU-Staaten zu streichen, große Finanzkonzerne zu verstaatlichen und „die Finanzinstitute danach mit öffentlichem Geld zu rekapitalisieren, wobei der Staat sich die nötigen Mittel durch eine einmalige Vermögensabgabe auf sehr hohe Vermögen […] holen sollte“ (Wagenknecht 2012, S. 201).
Zur Sicherung der Rente sollte das Umlagesystem mit ausreichenden Beitragsätzen wiederhergestellt werden.
Zum Finanzsystem schlägt sie vor, dass der Finanzsektor „radikal schrumpfen“ muss, um „seine eigentliche Aufgabe als Diener der Realwirtschaft wieder wahrnehmen zu können. Das könnte man das Fundamentalparadoxon von Finanz- und Realwirtschaft nennen“ (Wagenknecht 2012, S. 251).
Zur Sicherung der Aufgabe des Staates zur effektiven Vorsorge schlägt sie für alle Unternehmen ein gemeinnütziges Geschäftsmodell vor, in dem die sozialen und ökologischen Verpflichtungen gesetzlich festgeschrieben sind. „Die öffentliche Hoheit über die Grundversorgung der Bürger ist ein erster Schritt zur Wiederherstellung echter Demokratie. Kommunalvertreter bekommen endlich wieder Gestaltungsmacht. Sie können die Entwicklung der Mieten ebenso beeinflussen wie die Wasserpreise“ (Wagenknecht 2012, S. 274).
Sie beschäftigt sich mit den Erfahrungen, die international mit staatlichen Unternehmen gesammelt wurden und stellt zusammenfassend fest: „Die pauschale Legende vom ‚Staat als schlechtem Unternehmer‘ oder von Staatsunternehmen als politisch dirigierter Quasibehörde wird durch die historischen Erfahrungen nicht bestätigt. Sie zeigen vielmehr, dass es entscheidend auf die konkrete Ausgestaltung des öffentlichen Eigentums und der jeweiligen Anreizsysteme ankommt“ (Wagenknecht 2012, S. 303).
Bei den mittelständischen Familienunternehmen können aus ihrer Sicht durch das Erbrecht erhebliche Nachteile für die Gesellschaft entstehen, wenn die Erben aus verschiedensten Gründen den Aufgaben nicht gewachsen sind. Zur Lösung des Problems schlägt sie eine Erbschaftssteuer von 100 % für Vermögen über 1 Million € vor, die im Falle von Betriebsvermögen „nicht an den Staat zu zahlen, sondern in unveräußerliche Belegschaftsanteile umzuwandeln ist.“ Die gleiche Regelung sollte aus ihrer Sicht für eine vorgeschlagene Vermögenssteuer von 5-10 % auf das Betriebsvermögen erfolgen, die „durch Übertragung entsprechender Unternehmensanteile in stiftungsähnlich organisiertes unveräußerliches Belegschaftseigentum abzugelten ist“ (Wagenknecht 2012, S. 345).
Es gibt kein Literaturverzeichnis. In den 230 Anmerkungen werden 49 Bücher sowie zahlreiche Zeitschriftenartikel, insbesondere aus der Financial Times Deutschland, als Quellen genannt. Die Mehrzahl der Autoren der Bücher sind konservative bürgerliche Wirtschaftswissenschaftler, Manager oder Journalisten, kritische bürgerliche Ökonomen kommen sehr selten vor. Marxistische Wissenschaftler wie Marx, Engels oder Luxemburg oder aktuelle Vertreter wie Bontrup oder Deppe und Publikationen der RLS, der Verlage VSA, LAIKA, PapyRossa, Westfälisches Dampfboot u. a. linke Verlage treten nicht auf.
Auf die Arbeiten von Dörre sowie die von ihm genannten Probleme wird kein Bezug genommen.
Bemerkungen:
- Es ist sehr bedauerlich, dass sich die Linkspolitikerin Sara Wagenknecht, die ein umfangreiches ökonomisches Wissen hat und sich in der aktuellen Wirtschaftspolitik sehr gut auskennt, diese Grundlagen nicht für die Entwicklung fundierte Konzepte einer nachkapitalistischen sozialistischen Gesellschaft einsetzt, sondern sogar eines der bürgerlichen Wirtschaftssysteme als Lösung vorschlägt.
- Es ist auch aus wissenschaftlicher Sicht unverständlich und aus politischer Sicht unverzeihlich, dass sie die umfangreiche linke Literatur völlig außer Acht lässt.
- Wie die Wirtschaftskorrespondentin der »tageszeitung« (taz), Ulrike Herrmann, nachweist (Herrmann 2012), hat Wagenknecht die Schrift von Erhard „Wohlstand für alle“, auf die sie sich oft bezieht, völlig unkritisch und fehlerhaft rezipiert. Wagenknecht hat nach Herrmanns Worten die Rolle des Geldes und der Banken nicht verstanden.
- Wenn man schon einen solchen Terminus wie „kreativer Sozialismus“ kreiert, dann wäre zu erwarten, dass der Inhalt dieses Begriffs zumindest in Ansätzen beschrieben und mit anderen Ansätzen verglichen wird.
- Viele Vorschläge von Wagenknecht sind nebulös und nicht zu Ende gedacht, wie etwa ihre Vorschläge zum Abbau der Altschulden, zur Schrumpfung des Finanzsektors oder zum Belegschaftseigentum und seinem Unterschied zum genossenschaftlichen Eigentum.
- Ihre Ausführungen zu Problemen mittelständischer Familienbetriebe weisen auf ein grundlegendes Problem der Weiterführung dieser Betriebe im Rahmen einer sozialistischen Gesellschaft hin. Sie stellt mit einer gewissen Berechtigung fest, dass in diesem wichtigen Wirtschaftsbereich eine archaische, feudale Eigentumsverfassung vorherrscht. Die Lösung dieser Probleme kann nicht nur über die vorgeschlagenen steuerlichen Verfahrensweisen erfolgen. Es beginnt bei der Frage, dass die Familienbetriebe heute den Familiennamen bei der Bezeichnung des Betriebes benutzen müssen.
Wagenknecht (2021): Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt
Im ersten Teil ihres Buches, der etwas mehr als die Hälfte des Umfangs umfasst, übt Wagenknecht massive Kritik an Auffassungen und Verhaltensweisen linker Kräfte in Deutschland, womit sie großes Aufsehen erregt und viele Gegenreaktionen ausgelöst hat. Meine Gedanken dazu habe ich ausführlich in dem Text „Gedanken zum Buch „Die Selbstgerechten“ von Sahra Wagenknecht“ dargelegt (https://philosophie-neu.de/zum-buch-die-selbstgerechten-von-sahra-wagenknecht/).
Der zweite Teil ihres Buches, ihr Gegenprogramm, hat weit weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt. Es gibt nur sehr wenige kritische Rezensionen dazu, eine stammt von dem Ökonomen Michael Wendl (Wendl 2021), auf die hier mehrfach Bezug genommen wird.
Wagenknecht geht zunächst auf das Zusammenleben von Menschen ein, bezeichnet das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl als einen Zukunftsentwurf im Gegensatz zum entfesselten Kapitalismus, beruft sich auf die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität, Vertrautheit und einer geordneten Welt und bezeichnet zusammenfassend dieses Programm als linkskonservativ, das auf gemeinschaftsorientierte konservative Werte aufbaut.
Bemerkungen:
- Es ist erstaunlich, dass Wagenknecht, die in ihrem Buch (Wagenknecht 1997) Grundgedanken von Hegel zutreffend dargestellt hat, jetzt jegliches dialektisches Denken vermissen lässt, in diesem Fall die Dialektik von Wesen und Erscheinung. Man kann das natürliche Streben von Menschen nach Geborgenheit in einer sozialen Gemeinschaft nicht losgelöst von ihren tatsächlichen Lebensumständen, wie etwa ihr Klassenzugehörigkeit, betrachten. Als Beispiel sei darauf verwiesen, dass in der DDR das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen im Beruf, im Alltag auch den meisten Familien viel stärker als heute ausgeprägt war.
- Das Konservative an dem Vorschlag ist nicht die Orientierung an allgemeinen Werten, sondern vor allem an der Vorstellung, dass dies im Rahmen kapitalistischer Wirtschaftsverhältnisse möglich wäre.
Zur Herstellung demokratischer Verhältnisse und Änderung der wirtschaftlichen Machtstrukturen als Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt sieht Wagenknecht als Lösung das ordoliberale Konzept einer Marktwirtschaft ohne Konzerne an (S. 264), das sie in ihren Büchern „Freiheit statt Kapitalismus“ (Wagenknecht 2012) und „Reichtum ohne Gier“ (Wagenknecht 2018) ausführlich dargestellt hat. Die oben schon geäußerten grundlegenden Kritiken an diesem Vorschlag bleiben also bestehen.
Zu ihrer neuen Begriffsbildung, dem Leistungseigentum, schreibt Wendl: „Der Vorschlag eines ‚Leistungseigentums‘ (S. 291) sieht vor, die Haftungsbeschränkungen im Unternehmensrecht einzuschränken bzw. aufzuheben. Eigentümer und Investoren würden danach bei Konkursen mit ihrem persönlichen Eigentum haften. Diesen Vorschlag übernimmt sie von Walter Eucken („Grundsätze der Wirtschaftspolitik“, 1952, S. 279ff.). Neben Eucken zitiert sie zustimmend Alexander Rüstow, einen eher sozialen Vertreter des deutschen Ordoliberalismus, der am Aufbau der Mont-Pelerin-Society beteiligt war. Damit verklärt sie den deutschen Ordoliberalismus, der eng mit dem späteren Monetarismus und dessen konzeptiven Ideologen Milton Friedman zusammengearbeitet hatte, ebenso wie mit Friedrich-August von Hayek, dem bekanntesten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, den sie einen „ultraliberalen Ökonomen“ nennt (S. 235).“
In mehrfacher Hinsicht sieht Wendl in ihren Auffassungen einen Abschied vom Marxismus. „Sie will auch von der Marxschen Ausbeutung der Lohnabhängigen durch das Kapital in der Form der unentgeltlichen Aneignung der Mehrarbeit und damit des Mehrwerts nichts mehr wissen. Die Aneignung der Arbeitsergebnisse anderer verbindet Wagenknecht allein mit den nicht-arbeitenden Erben großer Betriebs- und Finanzvermögen. Dahinter steht die Bewusstseinsform des auf eigene Arbeit gegründeten Eigentums und damit das Basisdogma einer meritokratischen Gesellschaft. Ihre Kritik an den Kapitalisten zielt nicht mehr auf die private Aneignung des Mehrwerts, sondern auf die Tatsache, dass sie selbst nicht arbeiten und daher nichts zur Wertschöpfung beitragen. Ideologisch bezieht sie sich auf die Wertvorstellungen, die sich auf der Basis der von Karl Marx so genannten einfachen Warenzirkulation entwickeln, wo der Schein entsteht, dass der Tausch von Leistung gegen Lohn oder von Eigentum gegen Zins oder Rente ein Tausch von Äquivalenten ist.“ Wendl konstatiert zusammenfassend, dass sich Wagenknecht „als ideologische Repräsentantin einer gehobenen Mittelschicht, die kulturell konservativ und tendenziell ausländerfeindlich eingestellt ist,“ zeigt.
In Bezug auf die verwendete Literatur können gleichen Einschätzungen wie in ihrem Buch von 2011 getroffen werden (s. oben). Sie hat zwei sozialwissenschaftliche Untersuchungen, an denen Klaus Dörre beteiligt war, zitiert, ist aber nicht auf seine gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Auffassungen eingegangen. Ihre Arbeit mit Literatur entspricht erneut nicht den wissenschaftlichen Kriterien, es gibt viele unvollständige Literaturangaben und erneut kein Literaturverzeichnis. Sie gibt 28 Bücher an, denen sie nach ihren Aussagen wichtige Anregungen verdankt und die ihr geholfen haben, die in dem Buch formulierten Gedanken zu entwickeln (S. 335). Von diesen Büchern treten aber nur 17 bei den Literaturangaben in ihren Anmerkungen auf. Unter den genannten Büchern gibt es zwei von Cornelia Koppetsch, gegen die massive Plagiatsvorwürfe erhoben werden. Eine Untersuchungskommission an der TU Darmstadt stellte fest, dass in ihren Schriften „eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten […], die sich breit gestreut über alle überprüften Texte verteilen“ vorhanden sind und „die gute wissenschaftliche Praxis […] gravierend missachtet worden [sei]“.
Bemerkungen:
- Die Bücher von Wagenknecht stellen insgesamt keinen eigenständigen substantiellen Beitrag zur Theorie einer sozialistischen Gesellschaft dar. Sie rezipiert zwar umfangreich Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung aber gibt außer allgemeinen Orientierungen nur wenige konkreten Lösungsvorschläge an.
- Von Bedeutung sind ihre Überlegungen in Bezug auf die Rolle und die Probleme mittelständischer Unternehmen in einem insgesamt sozialistischen Wirtschaftssystem. Ihre Vorstellung vom Ordoliberalismus lassen sich mit Einschränkungen auf diesen Bereich übertragen.
- Der größte Mangel ihrer Arbeit ist, dass sie die vorhandenen Ideen linker Wissenschaftler und Politiker in keiner Weise diskutiert. Ihre Arbeiten stehen damit außerhalb der aktuellen Diskussion in diesen Kreisen.
- Menschlich ist diese Herangehensweise eigentlich nur mit einer absoluten Selbstüberschätzung, einen Hang zum Narzissmus und einer damit verbundenen Ignoranz anderer Meinung zu erklären.
Literaturverzeichnis
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- Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy (2020): Feminismus für die 99%. Ein Manifest. Zweite Auflage. Berlin: Matthes & Seitz Berlin.
- Aulenbacher, Brigitte (2019): Sozialismus reloaded? Zur Neuordnung der Gesellschaft angesichts der Transformation des Kapitalismus. In: Klaus Dörre und Christiane Schickert (Hg.): Neosozialismus. Solidarität, Demokratie und Ökologie vs. Kapitalismus. München: oekom Verlag (Bibliothek der Alternativen, v.1), S. 53–72.
- Bank, Julian (2015): Die Piketty-Rezeption in Deutschland. In: Peter Bofinger, Gustav A. Horn, Kai D. Schmid und Till van Treeck (Hg.): Thomas Piketty und die Verteilungsfrage. Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland: SE Publishing, S. 9–35.
- Blakeley, Grace (2021): Stolen. So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus. Erste Auflage. Berlin: Brumaire.
- Bloch, Ernst (1985): Das Prinzip Hoffnung : in 5 Teilen. Teil 1. In: Ernst Bloch: Werkausgabe, Bd. 5. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 556).
- Bofinger, Peter; Horn, Gustav A.; Schmid, Kai D.; van Treeck, Till (Hg.) (2015): Thomas Piketty und die Verteilungsfrage. Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland: SE Publishing. Online verfügbar unter http://www.boeckler.de/pdf/Piketty_Verteilungsfrage.pdf.
- Bontrup, Heinz-Josef (2021): Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft. 6., erweiterte Auflage. Köln: PapyRossa Verlag.
- Bontrup, Heinz-Josef; Müller, Julia; Bischoff, Joachim; Demirović, Alex; Huffschmid, Jörg; Schumann, Michael (Hg.) (2006): Wirtschaftsdemokratie. Alternative zum Shareholder-Kapitalismus. Hamburg: VSA-Verl.
- Brie, Michael (Hg.) (2014): Futuring. Perspektiven der Transformaton im Kapitalismus über ihn hinaus. 1. Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot.
- Buci-Glucksmann, Christine (1981): Gramsci und der Staat. Für eine materialistische Theorie der Philosophie. Köln: Pahl-Rugenstein (Studien zur Dialektik).
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