Hans-Dieter Sill, 12.09.2024

Analyse der Begriffe bewusst, Bewusstsein und unbewusst

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Inhalt

Vorbemerkungen

Analyse der Alltagssprache

DWDS

DUW

Auswertung Alltagssprache

Analyse philosophischer Literatur

HWPh

MLPh

EPh

Auswertung der philosophischen Literatur

Psychologische Literatur

DLPs

BW

MR

KS

Auswertung der psychologischen Literatur

Neurowissenschaftliche Literatur

Zitate aus den verwendeten Quellen

Auswertung der neurowissenschaftlichen Literatur

Schlussfolgerungen und Vorschläge

Vergleich der Frequenzen

Schlussfolgerungen und Vorschläge zur Beschränkung der Bedeutungen des Begriffs „Bewusstsein“

Zur Verwendung von Wortkombinationen mit dem Stammwort „Bewusstsein“

Vorschläge zur Einordnung des Unbewussten

Möglichkeiten zur Formulierung von Aussagen zum Bewusstsein in der philosophischen Literatur ohne dieses Wort

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Zu Ermittlung der Bedeutungen der Wörter im Alltag wird das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (www.dwds.de/) verwendet (DWDS). Um einen Eindruck von der Häufigkeit der Verwendung des Wortes im Alltag zu bekommen wird für die Jahre 2016-2020 die Häufigkeit pro 1 Million Token (Frequenz) im DWDS- Zeitungskorpus angegeben. Weiterhin werden Kollokationen mit anderen Wörtern aufgeführt. Als Assoziationsmaß wird logDice verwendet. Es werden die Kollokationen mit den 5 höchsten logDice-Werten und ihre Frequenzen (in Klammern) angegeben. Weiterhin werden das Deutsche Universalwörterbuch (Kunkel 2023) (DUW) sowie Wiktionary herangezogen.

Um die Bedeutungen der Wörter in der Philosophie genauer zu analysieren, werden die folgenden Wörterbücher und Enzyklopädien verwendet. Sie liegen auch in elektronischer Form vor, wodurch eine Suche nach den Wörtern im gesamten Text möglich ist.

  1. Ritter u. a. (2007): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 17.144 Sp. (8.572 S.) (HWPh)
  2. Prechtl und Burkard (2008): Metzler Lexikon Philosophie, 705 S. (MLPh)
  3. Sandkühler (2010): Enzyklopädie Philosophie, 3.209 S. (EPh)

Da die Psychologie die Wissenschaft ist, deren Gegenstand den gesuchten Terminus beinhaltet, werden zu weiteren Analyse Lexika und Lehrbücher der Psychologie verwendet. Es handelt sich um folgende Publikationen, die auch in elektronischer Form vorliegen. Bis auf das Lexikon der Psychologie (DLPs), in dem nur nach einem Eintrag zu dem betreffenden Wort gesucht wird, erfolgt ebenfalls eine Suche nach den Wörtern im gesamten Text.

  1. Dorsch u. a. (2014): Lexikon der Psychologie, 2.058 S. (DLPs)
  2. Becker-Carus und Wendt (2017): Allgemeine Psychologie, 603 S. (BW)
  3. Müsseler und Rieger (2017): Allgemeine Psychologie, 850 S. (MR)
  4. Kiesel und Spada (2018): Allgemeine Psychologie, 615 S. (KS)

Mit den Suchfunktionen wird im Volltext (außer im Sachregister) nach den betreffenden Worten und ihren Wortformen gesucht. Es wird die Anzahl der jeweiligen Ergebnisse absolut und pro 100 Seiten (in Klammern) angegeben.

Um die Auffassungen von Neurowissenschaftlern zu ermitteln, werden neun, teilweise populärwissenschaftlichen Publikationen führender Neurowissenschaftler bzw. Darstellungen ihre Auffassungen analysiert.

Analyse der Alltagssprache

DWDS

bewusst

Frequenz: 54,5

Kollokationen:   unbewusst (9.1, 1506), durchaus (7.7, 1277), wohl (7.0, 1177), Irreführung (6.4, 212), Täuschung (6.4, 231)

Bedeutungen:

  1. um etw. wissend
    • sich über etw. völlig im Klaren sein, Beispiel: Er war sich seiner Fehler durchaus
    • ist, wird etw. bewusst, Bsp.: Ihm war durchaus bewusst, welche Folgen seine Tat haben konnte. Ihr war nicht bewusst, wie lange sie so gestanden hatte.
      Es war ihr jetzt bewusst geworden, dass sie den Vetter Dill liebe.
    • wissentlich, in gegensätzlicher Bedeutung zu unbewusst, Bsp.: Ich habe das ganz bewusst (= absichtlich) gesagt, getan.
  2. von etw. überzeugt sein und sich dafür einsetzend, : Er ist ein bewusster Vertreter der neuen Lehre, Kunstauffassung.
    DDR, Marxismus: von der historischen Aufgabe seiner Klasse überzeugt und sich für ihre Lösung aktiv einsetzend, klassenbewusst
  3. bereits bekannt, besagt, Bsp.: Es war an jenem bewussten

Etymologie:

bewußt Adj. ‘mit klarem Verstand handelnd, erkennend, absichtlich, bekannt, in Rede stehend’.

unbewusst

Frequenz:            2,1

Kollokationen:   bewusst (9.1, 1506), ungewollt (6.0, 32), Schuldgefühl (5.6, 22), ablaufend (5.3, 16), Seelenleben (5.2, 14)

Bedeutungen:   

nicht bewusst, ohne sich dessen bewusst zu werden, ohne dass es zum Bewusstsein kommt

  1. instinktiv, rein gefühlsmäßig
  2. ohne etw. mit voll aktivem Bewusstsein, in seiner Gänze erfasst zu haben
  3. nicht wissentlich, unbeabsichtigt
  4. von S. Freud ausgearbeiteter, von der Tiefenpsychologie überbewerteter hypothetischer Begriff eines besonderen Bereiches ehemals bewußt gewesener, dann aber vergessener, verdrängter oder nie bewußt gewesener psychischer Prozesse, die funktional wirksam sind und das Bewußtsein beeinflussen können

Bewusstsein

Frequenz: 14,4

Kollokationen:   schärfen (8.0, 996), kollektiv (7.2, 644), öffentlich (7.1, 2609), verankern (7.1, 572), rücken (7.0, 1270)

Bedeutungen:

  1.  
  2. das Wissen, die Gewissheit um etw.
    : in dem erhebenden Bewusstsein, seine Pflicht getan zu haben;
    mit dem stolzen Bewusstsein seiner Kraft, Überlegenheit;

das Bewusstsein seiner Schuld, seines Versagens bedrückte ihn sehr

  • ⟨ kommt jmdm. zu(m) Bewusstsein⟩ etw. wird jmdm. bewusst, jmd. weiß um etw.
    Beispiele:
    plötzlich kam es ihr zu Bewusstsein, dass …
    diese Erkenntnis hatte sich in seinem Bewusstsein festgesetzt (= blieb ihm stets bewusst)
  • selten ⟨mit Bewusstsein⟩ wissentlich, Synonym zu bewusst
    Beispiel:
    nicht mit Bewusstsein erlebt haben
  1. Psychologie: Gesamtheit aller jener psychischen Vorgänge, durch die sich der Mensch der Außenwelt und seiner selbst bewusst wird

Bsp.: die Enge, Weite des Bewusstseins; eine Vorstellung, Empfindung liegt unter der, tritt über die Schwelle des Bewusstseins

Medizin: die Spaltung, Störung des Bewusstseins

  1. Philosophie
  • Marxismus: Ergebnis des Prozesses der ideellen Widerspiegelung der Wirklichkeit, die sich im menschlichen Gehirn vollzieht
  • Philosophie das die Wirklichkeit als Erscheinung konstituierende immaterielle transzendentale Subjekt (nach Kant)
  1. DDR: Gesamtheit der politischen, philosophischen, religiösen, künstlerischen oder ähnlichen Überzeugungen des Menschen, die von ihm bewusst vertreten werden
    Beispiele: das nationale, geschichtliche Bewusstsein eines Volkes
  2. volle Herrschaft über seine Sinne, Besinnung; Gegenwort zu Ohnmacht, Bewusstlosigkeit
    Beispiel: jmdm. schwindet das Bewusstsein

Unbewusste, das

Frequenz:            0,4

Kollokationen: keine Daten

Bedeutungen:   Psychologie, in der Psychoanalyse: hypothetischer Bereich nicht bewusster psychischer Prozesse, die besonders aus Verdrängtem bestehen und das Verhalten beeinflussen können

DUW

bewusst: 1. a) absichtlich, gewollt, willentlich: eine bewusste Lüge; die bewusste (überzeugte) Ablehnung des Materialismus; eine bewusste (überzeugte) Anhängerin der Reformbewegung; sie hat es ganz bewusst getan; b) klar erkennend, geistig wach: ein bewusster (bewusst lebender, handelnder) Mensch; die Menschen sind bewusster (wacher, klarer, kritischer) geworden; er hat den Krieg noch nicht bewusst erlebt; wir waren alle bewusst oder unbewusst (wissentlich od. unwissentlich) daran beteiligt; * sich 〈Gen.〉 einer Sache bewusst sein (sich über etw. im Klaren sein: sich der Bedeutung einer Sache voll bewusst sein); c) ins klare, wache Bewusstsein gedrungen, im klaren, wachen Bewusstsein vorhanden: bewusste und unbewusste Vorstellungen; jmdm., sich etw. bewusst machen; jmdm. seine Situation bewusst machen; etw. ist jmdm. bewusst (jmd. weiß etw.); es ist mir nicht mehr bewusst (erinnerlich), wann das geschah. 2. bereits erwähnt, [den Eingeweihten] bekannt: in dem bewussten Haus.

unbewusst: a) nicht bewusst (1 c): unbewusste psychische Vorgänge; das unbewusste Denken, Handeln; b) nicht in jmds. Bewusstsein tretend, jmdm. nicht bewusst [werdend]: die unbewusste Sehnsucht nach etw.; er hat u. genau das Richtige getan; c) nicht bewusst (1 a): ein unbewusster Versprecher.

Bewusstsein: 1. a) Zustand, in dem man sich einer Sache bewusst ist; deutliches Wissen von etw., Gewissheit: das Bewusstsein seiner Kraft erfüllte ihn; er hatte das bedrückende Bewusstsein, versagt zu haben; in dem/im Bewusstsein, ihre Pflicht getan zu haben, ging sie nach Hause; etw. ins allgemeine Bewusstsein bringen; ein Bewusstsein für (selten: über, um) etw. haben, entwickeln; sie rief sich den Vorgang in ihr Bewusstsein zurück (machte sich ihn wieder bewusst); etw. mit Bewusstsein (bewusst, wissentlich) erleben; etw. mit [vollem] Bewusstsein (absichtlich) tun; * jmdm. zu/(auch:) zum Bewusstsein kommen ( jmdm. bewusst, klar werden: allmählich kam ihr zu Bewusstsein, dass ihre Methode falsch war); b) Gesamtheit der Überzeugungen eines Menschen, die von ihm bewusst vertreten werden: mein Bewusstsein änderte sich durch diese Begegnung; das geschichtliche Bewusstsein des deutschen Volkes; das sozialistische Bewusstsein der Bevölkerung entwickeln; c) (Psychol.) Gesamtheit aller jener psychischen Vorgänge, durch die sich der Mensch der Außenwelt u. seiner selbst bewusst wird: etw. tritt über die Schwelle des Bewusstseins. 2. Zustand geistiger Klarheit; volle Herrschaft über seine Sinne: das Bewusstsein verlieren; das Bewusstsein wiedererlangen (zur Besinnung kommen); bei vollem Bewusstsein (ohne Narkose) operiert werden; wieder zu[m] Bewusstsein (zu sich) kommen.

Unbewusste, das: (Psychol.): (in der Psychoanalyse) hypothetischer Bereich nicht bewusster (1 c) psychischer Prozesse, die bes. aus Verdrängtem bestehen u. das Verhalten beeinflussen können: Träume gehen vom Unbewussten aus; das kollektive Unbewusste (das Unbewusste, das überindividuelle menschliche Erfahrungen enthalt; nach C. G. Jung).

Auswertung Alltagssprache

Tab. 1 Frequenzen der Wörter

Wort

bewusst

unbewusst

Bewusstsein

das Unbewusste

Frequenz

54,5

2,1

14,4

0,4

Das Wort „bewusst“ wird im Alltag häufig verwendet, „Bewusstsein“ seltener, „unbewusst“ selten und das Unbewusste sehr selten.

Bedeutungen zu „bewusst“

A: absichtlich, gewollt, willentlich, völlig im Klaren sein; Bsp.: eine bewusste Lüge, Ich habe das ganz bewusst getan.

B: klar erkennend, geistig wach, sich einer Sache bewusst sein, sich über etw. im Klaren sein; Bsp.: sich der Bedeutung einer Sache voll bewusst sein, Er war sich seiner Fehler durchaus

C: ins klare, wache Bewusstsein gedrungen; Bsp.: sich etw. bewusst machen

D: von etw. überzeugt sein und sich dafür einsetzend; Bsp.: ein bewusster Vertreter der neuen Lehre

E: bereits bekannt, besagt, erwähnt; Bsp.: in dem bewussten Haus

Die Bedeutungen A, B, C und E sind im DWDS und DUW enthalten, D nur im DWDS, d. h. die Auffassungen zu den Bedeutungen von „bewusst“ stimmen im Wesentlichen überein.

Mit der Bedeutung A werden Handlungen bewertet. B und D beschreiben mentale Zustände wie Kenntnisse und Überzeugungen und C den mentalen Vorgang der Erinnerung. Die Bedeutung E ist eine umgangssprachliche Redewendung, die mit den anderen wenig Gemeinsamkeiten hat.

Die signifikanten Kollokationen mit unbewusst, durchaus, wohl, Irreführung und Täuschung zeigen, dass vor allem die Bedeutungen A und B verwendet werden.

Bedeutungen zu „unbewusst“

A: nicht bewusst

B: nicht in jmds. Bewusstsein tretend, jmdm. nicht bewusst werdend; Bsp.: er hat unbewusst genau das Richtige getan

C: nicht wissentlich, unbeabsichtigt

D: instinktiv, rein gefühlsmäßig

Die Bedeutung A wird in beiden Quellen genannt, B im DWDS und DUW, C nur im DWDS. Auch die Kollokationen zu bewusst, ungewollt, Schuldgefühl, ablaufend und Seelenleben ergeben kein einheitliches Bild der Verwendung.

Das Assoziationsmaß logDice hat für die Kollokation von „unbewusst“ und „bewusst“ mit Abstand den jeweils höchsten Wert. Dies ergibt sich zum einen aus ihrer semantischen Relation der Gegensätzlichkeit und der Gegensätzlichkeit der Bedeutungen zu A: absichtlich – unabsichtlich, wissentlich – unwissentlich sowie gewollt – ungewollt. Trotz dieser engen Bindung wird „bewusst“ 25-mal so oft verwendet wie „unbewusst“.

Auf die Bedeutungen von „das Unbewusste“, zu denen es nur im DWDS und DUW allgemeine Aussagen gibt, wird nicht eingegangen, zumal das Wort sehr selten vorkommt

Bedeutungen zu „Bewusstsein“

A: Zustand, in dem man sich einer Sache bewusst ist; deutliches Wissen von etw., Gewissheit; Bsp.: das Bewusstsein seiner Kraft erfüllte ihn; er hatte das bedrückende Bewusstsein, versagt zu haben; in dem/im Bewusstsein, ihre Pflicht getan zu haben

B: Gesamtheit der Überzeugungen eines Menschen, die von ihm bewusst vertreten werden; Bsp.: das geschichtliche Bewusstsein des deutschen Volkes

C: Psychologie: Gesamtheit aller jener psychischen Vorgänge, durch die sich der Mensch der Außenwelt und seiner selbst bewusst wird; Bsp.: die Enge, Weite des Bewusstseins; eine Vorstellung, Empfindung liegt unter der, tritt über die Schwelle des Bewusstseins

D: volle Herrschaft über seine Sinne, Besinnung; Gegenwort zu Ohnmacht, Bewusstlosigkeit; Bsp.: das Bewusstsein verlieren; das Bewusstsein wiedererlangen

E: Marxismus: Ergebnis des Prozesses der ideellen Widerspiegelung der Wirklichkeit, die sich im menschlichen Gehirn vollzieht

Die Bedeutungen A bis D werden in beiden Quellen genannt, E nur im DWDS, die Auffassungen stimmen also wie bei „bewusst“ im Wesentlichen überein.

Die signifikanten Kollokationen mit schärfen, verankern und rücken lassen sich der Bedeutung C zuordnen, die Kollokationen mit kollektiv und öffentlich der Bedeutung B.

Die Bedeutung A, um etwas zu wissen bzw. Gewissheit von etwas zu haben, bezeichnet einen aktuellen mentalen Zustand und hat Beziehungen zur Bedeutung B von „bewusst“, sich einer Sache bewusst sein.  Das Wort „Bewusstsein kann in allen Beispielen zu A durch „sich bewusst sein“ ersetzt werden.

Die Bedeutung einer bestimmten Art von Überzeugungen (B) entspricht der Bedeutung D des Wortes „bewusst“ im Sinne von „überzeugt sein“.

Aus der Theorie des Marxismus hat sich nach dem DWDS die Bedeutung E als Ergebnis der Widerspieglung der Wirklichkeit in die Alltagssprache übertragen.

Bewusstsein in der Alltagssprache weiterhin die Bedeutung, Herrschaft über seine Sinne zu besitzen (D), als Gegenwort zur Bewusstlosigkeit. Damit wird ein physiologischer Zustand bezeichnet.

Insgesamt kann man feststellen, dass die Wörter „bewusst“ und „Bewusstsein“ in der Alltagssprache im Wesentlichen mit klar bestimmbaren Bedeutungen verwendet werden, wobei es enge Beziehungen zwischen einigen Bedeutung der Wörter gibt. Die Wörter werden auch mit anderen sinngemäß umschrieben. Eine Notwendigkeit zur begrifflichen Verschärfung oder philosophischen Vertiefung für das allgemeine Verständnis ist nicht erkennbar.

Analyse philosophischer Literatur

HWPh

bewusst:             1289 (15,0) Ergebnisse

Bewusstsein:    3638 (42,4) Ergebnisse

unbewusst/Unbewusstes: 594 (6,9) Ergebnisse

Aus dem Stichwort „Bewusstsein“, Autor: A. Diemer, Bd. 1, S. 888 ff.

  • CASSIRER schreibt: „Der Bewusstseinsbegriff scheint der eigentliche Proteus der Philosophie zu sein. Er tritt in all ihren verschiedenen Problemgebieten auf; aber er zeigt in keinem von ihnen dieselbe Gestalt, sondern ist in einem unablässigen Bedeutungswandel begriffen“ (Philos. der symbolischen Formen 3 (1954) 57).
  • Im Allgemeinen bezeichnet das Wort ein wesentliches menschliches Grundphänomen, das durch zwei Pole charakterisiert ist: Gegenstände, Dinge, kurzum Welt auf der einen, Ich, Subjekt(ivität), Selbst auf der anderen Seite.
  • HEGEL geht von der traditionellen Bestimmung des Bewusstseins aus: «Das Bewusstsein überhaupt ist die Beziehung des Ich auf einen Gegenstand, es sei ein innerer oder äußerer» (TWA 4, S. 204). Es ist dies aber die Situation des endlichen Bewusstseins in der Gespaltenheit in Objekt und Subjekt; die Philosophie als vernünftige Reflexion geht zwar hiervon aus, sucht aber den absoluten Geist zu erhellen. So ist «die Lehre vom Bewusstsein … die Phänomenologie des Geistes», die sich über das «Bewusstsein», das «Selbst-Bewusstsein» auf die Stufe der «Vernunft» erhebt. In der späteren ‹Enzyklopädie› stellt «die Phänomenologie des Geistes» («Das Bewusstsein») mit den genannten drei Stufen, die ihrerseits wieder drei Untergliederungen besitzen, die antithetische Stufe des «subjektiven Geistes» zwischen der «Anthropologie» («Die Seele») und der «Psychologie» («Der Geist») dar. Damit haben wir das Stufenschema, das für die Folgezeit bis zur Gegenwart immer wieder verwendet wird: «(Leben) – Seele – Bewusstsein – Geist». Es kann dann im einzelnen noch erweitert werden, so daß sich insgesamt etwa folgende Stufung aufstellen läßt: Leib – Leben – Seele (mit Erleben) – Bewusstsein (mit dem Unbewußten) – Geist – Ich – Person – Existenz.
  • „Das Bewusstsein kann nie etwas anderes sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß … Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologien und ihnen entsprechenden Bewusstsein-Formen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit … Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein …“ (MEW 3, S. 27). Diese und ähnliche Formulierungen von MARX gehören zum Grundbestand marxistischer Ideologietheorie. Sie gehen als wertneutrale Begriffe in den terminologisch-kategorialen Bestand der modernen Soziologie ein: «Klassen-, Gruppen-Bewusstsein», (objektive) «Bewusstseinslage».
  • War im Abschnitt ‹Wortfeld› versucht worden, den Bewusstseinsbegriff ganz allgemein zu charakterisieren, so hat die geschichtliche Übersicht seine sich in verschiedene Richtungen differenzierende Bedeutungsspezifizierung aufgewiesen und gezeigt, daß man heute nicht mehr ohne weiteres von einem einheitlichen Bewusstseinsbegriff reden kann. Entsprechend unterscheiden die verschiedenen Autoren etwa drei verschiedene Bedeutungen, wie HUSSERL (1. «gesamter Bestand des empirischen Ich»; 2. «inneres Gewahrwerden der eigenen psychischen Erlebnisse» – «inneres Bewusstsein»; 3. «intentionales Erleben») oder JASPERS (1. «Innerlichkeit eines Erlebens»; 2. «Gegenstands-Bewusstsein»; 3. «Selbst- bzw. Persönlichkeits-Bewusstsein», wobei gilt: «das Urphänomen des Bewusstsein als der Spaltung in Subjekt und Objekt bedeutet die Zusammengehörigkeit von Ich- und Gegenstands-Bewusstsein») oder BASH (1. «Bewußtheit» als «Qualität gewisser psychischer Inhalte oder Ereignisse»; 2. «das Bewußte» als «der Teil der Psyche, dessen Inhalte sich durch die genannte Qualität charakterisieren lassen»; 3. «das Bewusstsein» als «ein psychisches System, das mit dem vorgenannten [Bereich] mehr oder minder zusammenfällt, sich aber durch bestimmte Systemeigenschaften von der übrigen Psyche abheben läßt»). Neun Begriffsdifferenzierungen erstellt GRAUMANN, der allerdings vom Adjektivbegriff ‹bewußt› ausgeht (der u. E. nicht isomorph zum Begriff Bewusstsein gehört); er unterscheidet: «1. = belebt, organisch, 2. = beseelt, seelisch, 3. = wach, 4. = überhaupt empfindend, reizbar, 5. = unterscheidend, unterschieden, 6. = mitteilbar, ausdrückbar, 7. = aufmerkend, bemerkend, bemerkt, 8. = vorsätzlich, absichtlich, regulativ, 9. = wissend, inneseiend, gewußt».
  • Im folgenden soll eine Übersicht versucht werden, die zugleich die Grundlage für die verschiedenen Kompositionsbildungen abgeben soll.
  1. Bewusstsein als anthropologische Grundkategorie
    1. Subjekt: Bewusstsein, «Bewusstsein und Existenz»
    2. Geistiger Überbau, Weltanschauung: allgemeines, Gesellschafts-, Zeit-, Klassen-, Gattungs-Bewusstsein
    3. In verschiedenen «Wirklichkeits»gegebenheiten: empirisches, reines, apriorisches, transzendentales, absolutes Bewusstsein, Normal-Bewusstsein, psychologisches, erkenntnistheoretisches Bewusstsein
    4. In verschiedenen Wirklichkeitsschichten: individuelles, kollektives, kosmisches, göttliches, All-Bewusstsein
  2. Bewusstsein als «Bewußtsein-von …»
    1. Strukturell: Bewusstsein-Transzendenz, -Immanenz, Gegenstands-, Fremd-Bewusstsein, Bewusstsein-Gegenstand, -Inhalt
    2. Aktuell: Bewusstseinsakt
    3. Satz des Bewusstseins
  3. Bewusstsein als Reflexivität
    1. Strukturell: Selbst-, Ich-, Persönlichkeits-Bewusstsein
    2. Aktuell: inneres Zeit-Bewusstsein, historisches Bewusstsein
  4. Bewusstsein als innerlich erfahrbare Wirklichkeit
    1. Bewusstsein-Leben, -Tatsachen bzw. Tatsachen des Bewusstseins, Bewusstsein-Zustände, -Phänomene, -Erscheinungen, -Elemente, -Feld, -Horizont, -Umfang, -Lage, -Enge, -Strom
  5. Bewusstsein als Gegebenheitsweise
    1. Bewusstsein-Grade, -Gradienten, -Stärke
    2. Bewusstsein-Stufen
    3. Bewusstsein-Schwelle.

Aus dem Stichwort „Unbewusstes“, Autor: M. KAISER-EL-SAFTI, Bd. 11, S. 124 ff.

  • Die begriffliche Unschärfe der in Philosophie, Psychologie, Psychopathologie, aber auch in der „schönen“ Literatur verwendeten Bezeichnung „Unbewusstes“ besteht in der nicht ausreichend scharfen Abgrenzung gegen verwandte Ausdrücke wie „Unbewußtsein“, „Unter- und Überbewußtes“, „Nichtbewußtes“ oder „Bewußtloses“. Wo die Begriffe nicht etwas vom Bewußtsein generisch Unterschiedenes bezeichnen, kommen auch Termini wie „Halbbewußtsein“, „Vorbewußtes“ sowie die Adjektive „bewußtseinsnah“ und „bewußtseinsverwandt“ zur Anwendung.
  • In der 2. Hälfte des 20. Jh. wird im metapsychologischen Diskurs wiederholt auf eine zu revidierende Verbindung zwischen Unbewusstem und Sprache hingearbeitet. P. RICŒURS hermeneutischer Ansatz konzediert dem Unbewussten «Relativität» im Sinne «diagnostizierbarer Realität»: «Nous dirons donc que l’inconscient est un objet, en ce sens qu’il est ‘constituéʼ par l’ensemble des démarches herméneutiques qui le déchiffrent; il n’est pas absolument, mais relativement à l’herméneutique comme méthode et comme dialogue» (Wir werden daher sagen, dass das Unbewusste ein Objekt in dem Sinne ist, dass es durch die Reihe hermeneutischer Ansätze, die es entziffern, „konstituiert“ wird; es ist nicht absolut, aber relativ zur Hermeneutik als Methode und als Dialog.) (P. RICŒUR: Le conscient et l’inconscient, in: Le conflit des interprét. (Paris 1969) 108; dtsch.: Das Bewußtsein und das Unbewusste, in: Hermeneutik und Psychoanalyse (1974) 9–35, 18)
  • Habermas fordert anstelle des postulierten erklärenden Kausalzusammenhangs des Seelischen einen hermeneutisch verstehbaren Sinnzusammenhang des Unbewussten: «Das tiefenhermeneutische Verstehen übernimmt die Funktion der Erklärung» (J. HABERMAS: Erkenntnis und Interesse (1975) 331).

MLPh

bewusst:             150 (21,3) Ergebnisse

Bewusstsein:    511 (72,5) Ergebnisse

unbewusst/Unbewusstes: 36 (5,1) Ergebnisse

Aus dem Stichwort „Bewusstsein“, Autor: Peter Prechtl, S. 76

  • Für die bis in die Gegenwart reichende Diskussion des Begriffs sind Descartes’ Ausführungen bestimmend geworden: Das Bewusstsein fungiert als Oberbegriff für verschiedene Formen von Bewusstseinsweisen wie Verstehen, Einbilden, Wollen, Fühlen, Zweifeln. Unter diesen Oberbegriff lassen sich alle Formen der Aufmerksamkeit und des Erlebens subsumieren.

Aus dem Stichwort „Bewusstsein“, Autor: Georg Mohr und Michael Quante, S. 77-78

  • Die Termini »bewusst« und »Bewusstsein« decken im alltäglichen Sprachgebrauch eine Vielzahl von Phänomenen ab, die alle zum Bereich des Mentalen gehören. Sie erschöpfen diesen aber nicht vollständig, da es auch unbewusste mentale Zustände bzw. Vorgänge gibt.
  • Nicht nur die Klasse aller mentalen Zustände, sondern auch die Klasse bewusster Zustände bildet noch ein umfangreiches und inhomogenes Feld. Angesichts der unterschiedlichen Merkmale, die zur Analyse bewusster Zustände angeführt werden, ist die Redeweise von dem Bewusstsein jedenfalls zu vage.
  • Im Rahmen einer philosophischen Klassifikation jedoch ist es sinnvoll, drei Bereiche bewusster Zustände zu unterscheiden. (a) Intentionale Zustände, wie glauben oder fürchten, dass dieses oder jenes geschehen wird, werden durch die Angabe eines propositionalen Gehalts in sprachlich strukturierter Form (»dass p«) wiedergegeben. (b) Für Erlebnisse ist charakteristisch, dass in ihnen eine Person ihre eigenen psychischen und/oder leiblichen Zustände (Schmerzempfinden) oder aber äußere, raumzeitliche Gegenstände (den Gelb-Eindruck bei einer Farbwahrnehmung) phänomenal erlebt. Der Erlebnischarakter, der auch für Gefühle (Angst) und Stimmungen (Traurigkeit) wesentlich ist, hat keinen sprachlich strukturierten repräsentationalen Gehalt und ist daher kein intentionaler Zustand. (c) Wahrnehmungen (von Farben, Tönen, Gestalten, Bewegungen etc.) sind ein dritter Bereich bewusster Zustände. Sie weisen neben einem phänomenalen Aspekt auch das Merkmal der Intentionalität auf; sie haben einen repräsentationalen Gehalt. Identifiziert man den Gehalt von Wahrnehmungen mit intentionalen Einstellungen, so sind Wahrnehmungen auf (a) und/oder (b) reduzierbar.
  • Unterscheidung und Zuordnung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein (als diejenigen Zustände, bei denen ein Subjekt sich seiner selbst bewusst ist) sind aus drei Gründen schwierig: (1) In beiden Bereichen müssen jeweils interne Unterscheidungen getroffen werden; weder die bewussten noch die selbstbewussten Zustände bilden einen homogenen Bereich. (2) Je nach Klassifikationskriterium und Definition gelten Teile des Bewusstseins per se als Selbstbewusstsein. So werden gelegentlich Erlebnisse der jeweils eigenen bewussten Zustände als nichtpropositionales Selbstbewusstsein gedeutet. Außerdem wird häufig angenommen, dafür, dass sich ein Subjekt im intentionalen Zustand, zu glauben, dass p, befindet, sei es eine notwendige Bedingung, dass das Subjekt berichten kann, dass es in diesem Zustand ist. Trifft diese Annahme zu, so setzen intentionale bewusste Zustände generell intentionale selbstbewusste Zustände voraus. (3) Einigen Theorien zufolge ist Bewusstsein nicht ohne Selbstbewusstsein möglich, anderen Ansätzen zufolge lässt sich Selbstbewusstsein als Sonderfall intentionaler Zustände deuten.
  • Angesichts dieser Vielfalt begrifflicher Unterscheidungen und theoretischer Alternativen ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der Philosophie des Geistes keine Einigkeit über das Wesen des Bewusstseins, das Verhältnis von Bewusstsein zu Selbstbewusstsein, die epistemische oder ontologische Besonderheit von Bewusstsein oder Selbstbewusstsein zu erzielen ist und dass dementsprechend auch die Chancen einer Naturalisierung dieser Phänomene sowie der Entwicklung bewusster Maschinen (Künstliche Intelligenz) sehr unterschiedlich eingeschätzt werden.
  • In einem sachlich anders gelagerten Kontext ist Bewusstsein auch eine sozialphilosophische Kategorie. So ist bei Marx und in den an ihn anknüpfenden neomarxistischen, kritischen Gesellschaftstheorien von »Klassenbewusstsein«, »historischem Bewusstsein« und in einem ideologiekritischen Sinne von »falschem Bewusstsein« die Rede. Mit »Bewusstsein« sind hier die Überzeugungen, der Wissensstand und das Analysevermögen sozialer Gruppen gemeint, soweit sie für deren historisch-politische Situation und deren Stabilisierung oder Veränderung relevant sind.

Aus dem Stichwort „Bewusstsein“, Autor: Christian Tewes, S. 78-79

  • Höherstufige Theorien des Bewusstseins in der Philosophie des Geistes versuchen, die besondere Eigenschaft des Bewusstseins mentaler Zustände durch Repräsentationen höherer Ordnung zu erklären. Letztere bestehen in höherstufigen Erfahrungen wie z. B: einem Gedanken oder einer Überzeugung. Anders als z. B. für Descartes ist für Vertreter dieser Richtung wie David M. Rosenthal die Auffassung grundlegend, dass die Eigenschaft des Bewusstseins relationaler und nicht intrinsischer Natur ist. So kommt einem mentalen Zustand x nicht per se Bewusstsein zu, sondern wird nach Rosenthals höherstufiger Gedankentheorie (HOT) x erst dadurch verliehen, dass ein Gedanke y auf x gerichtet ist, ohne dass y selber bewusst wäre.
  • Ist es plausibel anzunehmen, dass es zu jedem bewusst wahrgenommenen Element aktuelle, nicht-bewusste Überzeugungen bzw. Gedanken gibt, deren wir uns nicht bewusst sind? Carruthers hat deshalb eine Theorie dispositionaler höherstufiger Gedanken entwickelt. Bei einem phänomenal reichhaltigen bewussten Wahrnehmungserlebnis sind die entsprechenden Gedanken und Überzeugungen nach dieser Theorie nur potentiell aber nicht aktuell bewusst.

Aus dem Stichwort „Unbewusste, das“, Autor: Stephan Pohl, S. 633

  • Das Unbewusste als philosophischer Begriff hat seine Wurzeln in der Romantik.
  • In E. v. Hartmanns spätromantischer »Philosophie des Unbewussten« wird dem Bewusstsein jede Eigenständigkeit gegenüber der steuernden Macht des Unbewussten aberkannt. Die Romantik übte einen wesentlichen Einfluss auf die Auffassung des Unbewussten in der Lebensphilosophie (insbes. Nietzsche, Klages) und in der Tiefenpsychologie (Freud, Jung) aus.

EPh

bewusst:             458 (14,3) Ergebnisse

Bewusstsein:    1099 (34,2) Ergebnisse

unbewusst/Unbewusstes: 128 (4,0) Ergebnisse

Aus dem Stichwort „Bewusstsein“, Autor: Thomas Metzinger, S. 278b-290b:

  • Die Begriffe ›bewusst‹ und ›Bewusstsein‹ bezeichnen in der Alltagssprache bzw. -psychologie eine Reihe verschiedener Phänomene. Hauptsächlich lassen sich die folgenden fünf Verwendungsweisen unterscheiden.
  • wird der Begriff des Bewusstseins als einstelliges Prädikat Personen zugeschrieben, um damit zu kennzeichnen, dass diese sich im Zustand des Wachseins befinden und dazu in der Lage sind, Reize aufzunehmen, sich zu orientieren und flexibel auf diese zu reagieren.
  • wird ›bewusst‹ als zweistelliges Prädikat verwendet, um den Bezug von Personen auf Objekte der Wahrnehmung, des Denkens, etc. zu beschreiben. [..]
  • wird ›Bewusstsein‹ als Eigenschaft mentaler Zustände verstanden. Dabei muss zwischen zwei Bedeutungen unterschieden werden, in denen ›bewusst‹ als einstelliges Prädikat auf mentale Zustände angewendet wird: Zum einen werden mentale Zustände als ›bewusst‹ bezeichnet, wenn ihre Inhalte für rationales Denken und zur Verhaltenskontrolle verfügbar sind. In diesem Sinne können nicht nur intentionale Zustände wie z. B. Überzeugungen, sondern auch sensorische Zustände wie Empfindungen ›zugriffsbewusst‹ sein. Zum anderen sind mentale Zustände bewusst, wenn wir Kenntnis von ihren Erlebnisqualitäten nehmen und erfahren, wie es ist, sich in dem betreffenden Zustand zu befinden.
  • wird mit dem Begriff des Bewusstseins die Aufmerksamkeit auf die eigenen mentalen Zustände beschrieben. Der Begriff ›bewusst‹ wird dabei als zweistelliges Prädikat gebraucht, das auf Personen und deren mentale Zustände bezogen wird. Dieses Bewusstsein kann sowohl vorbegrifflich als auch begrifflich- propositional strukturiert sein. Im letzten Fall hat es zum Inhalt, dass sich eine Person in einem bestimmten Zustand befindet. […]
  • wird unter ›Bewusstsein‹ das begrifflich strukturierte und reflexiv verfasste Selbstbewusstsein von sich als identischer Person mit bestimmten Überzeugungen, Absichten, etc. verstanden. Dieses ist von dem zuvor genannten Selbstbewusstsein insofern verschieden, als es über die inhaltliche Bestimmung des Subjekts als eines bloßen Trägers mentaler Zustände hinausgeht (278b-279).
  • Angesichts dieser verschiedenen Verwendungsweisen von ›bewusst‹ und ›Bewusstsein‹ sowie des vollständigen Fehlens eines äquivalenten Konzeptes in vielen Sprachen ist es fraglich, ob Bewusstsein überhaupt ein einheitliches Phänomen ist. Zudem bringt der Umstand, dass der Begriff des Bewusstseins auf derart unterschiedliche psychische Phänomene angewendet wird, den Kontrast zum Ausdruck, der zwischen der Vertrautheit mit dem Phänomen des Bewusstseins und den Schwierigkeiten bei dessen begrifflicher Interpretation besteht. Einerseits sind uns wenige Dinge so vertraut, wie z.B. das bewusste Erleben von Wahrnehmungen oder das bewusste Schlussfolgern. Andererseits kennen wir kaum ein Phänomen, dessen Beschreibung und Erklärung vergleichbare Schwierigkeiten bereitet. Aus diesem Grund gibt es bislang weder unkontroverse vortheoretische Beschreibungen wesentlicher Merkmale von Bewusstsein, noch allgemein akzeptierte Theorien zu dessen Erklärung (279).
  • Wolffs Bewusstseinsbegriff ist die Übersetzung des lat. Begriffs ›conscientia‹, dessen moderne Bedeutung als ein das Denken begleitendes Wissen von den eigenen Gedanken v.a. von R. Descartes geprägt wurde. […] Seit Beginn der Neuzeit dominiert die Bedeutung von ›conscientia‹ als Kenntnis der eigenen geistigen Zustände. Da ›cum‹ auch eine rein emphatische Funktion besitzen kann, bedeutet der Begriff der conscientia in manchen Zusammenhängen auch, etwas besonders sicher zu wissen (279b).
  • Das zentrale erkenntnistheoretische Problem […] besteht demzufolge darin, dass Wissen über Bewusstsein durch zwei verschiedene Zugangsweisen erlangt werden kann, von innen und von außen, aus der Perspektive der ersten Person und aus der objektivierenden Außenperspektive, z.B. durch den Zugriff auf seine neuronalen und funktionalen Korrelate. Die Antworten auf diese philosophische Grundproblematik spiegeln sich in der Palette verschiedener theoretischer Modelle wider. Phänomenales Bewusstsein aus der Innenperspektive des erlebenden Subjekts zeichnet sich durch eine Reihe von Eigenschaften aus, die begrifflich schwer zu fassen sind, andererseits aber essenziell für das Phänomen als solches. Qualia sind phänomenale Eigenschaften erster Ordnung. […] Sie widersetzen sich nach Auffassung vieler Philosophen einer reduktionistischen Analyse, weil sie den intrinsischen Kern eines Erlebnisses bilden, der sich begrifflich nicht auf Beziehungen zwischen Elementen tiefer liegender Beschreibungsebenen zurückführen lässt. (283).
  • Den empirischen Forschungsprojekten der Neurowissenschaften entsprach auf philosophischer Seite am ehesten der eliminative Materialismus, denen der Kognitionswissenschaften der Funktionalisms und der Mikrofunktionalismus. Dementsprechend bilden in der Gegenwart zwei große Klassen von objektiven Zuschreibungskriterien für Bewusstsein den Gegenstand intensiver interdisziplinärer Debatten: neuronale oder funktionale Eigenschaften. Insbes. die physischen Korrelate des subjektiven Erlebens werden mit großer Intensität empirisch erforscht. Dabei zeichnen sich eine Reihe hypothetischer Modelle ab (285b).
  • Während das klassische Motiv vom Bewusstsein als eines integrativen Phänomens hauptsächlich in der empirischen Theoriebildung in neuen Varianten wieder auftaucht, ist die im lat. Vorläuferbegriff ›conscientia‹ angelegte semantische Figur eines höherstufigen Wissens um innere Zustände gegenwärtig v.a. in der Philosophie des Geistes wieder zu großer Aktualität gelangt. Mentale Prozesse werden dabei vorübergehend zu Gegenständen einer höherstufigen epistemischen Beziehung, die ihnen episodisch die Eigenschaft der Bewusstheit verleiht (286b).
  • Der wichtigste Vertreter der Theorie höherstufiger Gedanken (Higher- order thoughts) ist D. Rosenthal. Die Kernthese besagt, dass ein mentaler Zustand genau dann bewusst wird, wenn er zum Inhalt eines assertorischen und seinerseits unbewussten Gedankens wird, des Gedankens, dass ich mich jetzt in diesem Zustand befinde. […] Eine weitere Konsequenz dieser Theorie ist, dass Tiere, Säuglinge und nicht- kognitive Systeme im Allgemeinen kein phänomenales Bewusstsein besitzen können.[85]Verwandte Überlegungen finden sich bei Dennett[86] und v.a. bei Ned Block, der zwischen phänomenalem Bewusstsein im Sinne einer Individuation von Zuständen aus der Erste- Person- Perspektive und Zugriffs- Bewusstsein (access consciousness) im Sinne einer funktionalistischen Analyse mit der kausalen Rolle als primärem Individuationsmerkmal unterscheidet. […] Eine Vielzahl von empirischen Daten legt nahe, dass beim Menschen ein minimal hinreichendes neuronales Korrelat des Bewusstseins existiert, das subjektives Erleben also in einem sehr starken Sinne ›von unten‹ und lokal determiniert ist. (287).

Aus dem Stichwort „Unbewusstes“, Autor: Thomas Mies, S. 2820bu-2828

  • ›Das Unbewusste‹ ist ein Begriff, der sich in Philosophie, Psychologie und – v.a. vermittelt über die Rezeption der Psychoanalyse – auch alltagssprachlich eingebürgert hat. Er bezeichnet mentale Phänomene und Prozesse, die sich der Introspektion bzw. dem bewussten Verstehen – zeitweilig oder prinzipiell – entziehen. Meist wird das Unbewusste als Aspekt der individuellen Psyche aufgefasst. Es gibt aber auch neuere Begriffsauffassungen, die von einer primären Intersubjektivität des Unbewussten ausgehen. Der Begriff wird schließlich auch für die Kennzeichnung von – metaphysischen oder biologischen und gesellschaftlichen – Voraussetzungen des Psychischen benutzt, die nicht selbst die Form des Psychischen annehmen und das Denken und Handeln des Individuums determinieren. […] Es ist die Konsequenz der Begriffsbildung, dass Unbewusstes und Bewusstsein sich nur in ihrem wechselseitigen Bezug erhellen lassen. Wie das Verhältnis des Unbewussten zum Bewusstsein bestimmt wird, ist ein zentrales Kriterium zur Unterscheidung der Konzeptionen des Unbewussten (2820bu).
  • In der Geschichte der Psychoanalyse ist die metapsychologische Auffassung des Unbewussten vielfach modifiziert worden und war Ansatzpunkt für grundlegende Revisionsversuche. Zu erwähnen sind hier insbes. C. G. Jungs ›analytische Psychologie‹, die den Psycho- Lamarckismus von Freud radikalisiert und dem ›kollektiven Unbewussten‹ der ›Archetypen‹ den Vorrang gegenüber dem ›persönlichen Unbewussten‹ einräumt, und das philosophisch ambitionierte Werk von J. Lacan, das – nicht als Bruch, sondern als Rückkehr zu Freud – die Auffassung des Unbewussten im Kontext von Strukturalismus und Sprachtheorie neu zu begründen versucht und nachhaltigen Einfluss auf den französischen Neostrukturalismus ausübt (2825).
  • Im 20. Jh. ist philosophische Thematisierung des Unbewussten v.a. philosophische Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse. Diese Auseinandersetzung wird im englischsprachigen Raum durch den ­Pragmatismus und später die analytische Philosophie beherrscht. In Deutschland wird sie intensiv im Kontext der Kritischen Theorie und der Philosophie der Hoffnung von E. Bloch geführt. In Frankreich steht sie zuerst ganz im Zeichen der Phänomenologie und des Existenzialismus, später des Neostrukturalismus. Die Psychoanalyse macht in der Auffassung des Unbewussten nicht zuletzt deshalb Epoche, weil sie die Erforschung des Unbewussten als einen Dialog konzipiert, der die Selbstreflexion des Erkenntnissubjekts auf das eigene Unbewussten voraussetzt und immer wieder neu fordert (2825b).
  • Damit wird Selbstanalyse zu einem kontinuierlichen Prozess, ohne den wissenschaftliche Professionalität nicht möglich ist. Und neben den Aspekt des Unbewussten als Bewusstseinsschranke tritt der Aspekt des Unbewussten als Quelle von Kreativität in den Vordergrund, nicht zuletzt auch der kognitiven. Diese Konzeption hat über die Psychoanalyse hinaus allgemeine epistemologische Bedeutung, insbes. in den Humanwissenschaften. Sie liefert ein exemplarisches Modell für die wissenschaftliche Aneignung des Unbewussten und zwar nicht bloß als Forschungsgegenstand, sondern auch als Moment der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wo eine solche Aneignung versucht wird, erscheint – wie in diesem Modell – das Unbewusste zum einen als zu überwindende Grenze der Erkenntnis, zum anderen aber als unverzichtbare Quelle neuer Erkenntnisse (2826).
  • Den zweiten Aspekt betont – in größerer Distanz zur Psychoanalyse – M. Polanyi mit seiner These von der Unhintergehbarkeit des impliziten Wissens für das wissenschaftliche Denken. P. Bourdieu schließlich hat sein Werk, das sich mit gutem Grund als eine Theorie des sozialen Unbewussten interpretieren lässt, mit dem Konzept einer Sozioanalyse verbunden, die wie die Freudsche Psychoanalyse gerade bei den entscheidenden Funden die Analyse der eigenen sozialen Biografie erzwingt, um blinde Flecken im Erkenntnisprozess überwinden zu können (2826).

Auswertung der philosophischen Literatur

In allen drei Lexika wird sehr deutlich auf die Probleme hingewiesen, die mit dem Terminus Bewusstsein verbunden sind. So wird festgestellt, „dass man heute nicht mehr ohne weiteres von einem einheitlichen Bewusstseinsbegriff reden kann“ (HWPh, Bd. 1, S. 895), „die Redeweise vom Bewusstsein jedenfalls zu vage“ ist (MLPh, S. 77) und dass es aufgrund „dieser verschiedenen Verwendungsweisen von ›bewusst‹ und ›Bewusstsein‹ sowie des vollständigen Fehlens eines äquivalenten Konzeptes in vielen Sprachen fraglich [ist], ob Bewusstsein überhaupt ein einheitliches Phänomen ist. […] Aus diesem Grund gibt es bislang weder unkontroverse vortheoretische Beschreibungen wesentlicher Merkmale von Bewusstsein, noch allgemein akzeptierte Theorien zu dessen Erklärung“ (EPh, S. 279). Auch das Wort „Selbstbewusstsein“ wird kritisch beleuchtet, „Unterscheidung und Zuordnung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein sind aus mehreren Gründen schwierig. […] Angesichts dieser Vielfalt begrifflicher Unterscheidungen und theoretischer Alternativen ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der Philosophie des Geistes keine Einigkeit über das Wesen des Bewusstseins, das Verhältnis von Bewusstsein zu Selbstbewusstsein, die epistemische oder ontologische Besonderheit von Bewusstsein oder Selbstbewusstsein zu erzielen ist“ (MLPh, S. 77).

Angesichts dieser negativen Feststellungen ist es erstaunlich, dass der Terminus „Bewusstsein“ so eine hohe Frequenz in den philosophischen Lexika hat. Und es gibt auch trotzdem Versuche von Erklärungen des Terminus. So wird etwa formuliert:

  • „Im allgemeinen bezeichnet das Wort ein wesentliches menschliches Grundphänomen, das durch zwei Pole charakterisiert ist: Gegenstände, Dinge, kurzum Welt auf der einen, Ich, Subjekt(ivität), Selbst auf der anderen Seite“ (HWPh, Bd. 1, S. 888).
  • „Für die bis in die Gegenwart reichende Diskussion des Begriffs sind Descartes’ Ausführungen bestimmend geworden: Das Bewusstsein fungiert als Oberbegriff für verschiedene Formen von Bewusstseinsweisen wie Verstehen, Einbilden, Wollen, Fühlen, Zweifeln. Unter diesen Oberbegriff lassen sich alle Formen der Aufmerksamkeit und des Erlebens subsumieren“ (MLPh, S. 76).

Von Diemer (HWPh, Bd. 1, S. 896) und Metzinger (EPh, S. 287b-279) werden jeweils fünf verschiedenen Verwendungsweisen des Wortes „Bewusstsein“ angegeben. Beide beziehen das Selbstbewusstsein in die Bedeutungen ein. Bei Diemer findet man nicht den Aspekt der Wachheit und bei Metzinger fehlt der Aspekt der Bezeichnung einer Gesamtheit von Einstellungen, Überzeugungen und andere Dispositionen zu einem gesellschaftlichen Bereich. Der Artikel von Metzinger in der Enzyklopädie Philosophie zeugt von der umfangreichen Kenntnis neurowissenschaftlicher Arbeiten. Nach WIKIPEDIA gilt „Metzinger […] als einer der Philosophen, die am stärksten den Austausch der Philosophie mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften suchen.“

In allen Lexika wird auch auf das in der Philosophiegeschichte häufig diskutierte Qualia-Problem des subjektiven Erlebens eingegangen. Dieser Zugang zum Bewusstsein aus der Innenperspektive eine Person „zeichnet sich durch eine Reihe von Eigenschaften aus, die begrifflich schwer zu fassen sind. […]“ (EPh, S. 283). Metzinger stellt aber auch fest: „Eine Vielzahl von empirischen Daten legt nahe, dass beim Menschen ein minimal hinreichendes neuronales Korrelat des Bewusstseins existiert, das subjektives Erleben also in einem sehr starken Sinne ›von unten‹ und lokal determiniert ist“ (EPh, S. 287).

Nur in zwei Lexika wird kurz auf die Verwendung des Wortes „Bewusstsein“ zur Bezeichnung einer Gesamtheit von psychischen Dispositionen in Bezug auf einen gesellschaftlichen Bereich (zum Beispiel Umweltbewusstsein) oder sogar auf die gesamte Gesellschaft wie bei Marx („Das Bewusstsein kann nie etwas anderes sein als das bewusste Sein …“) eingegangen, eine Verwendung, die auch in der Alltagssprache auftritt.

Bei den Stichwörtern zum Stichwort „das Unbewusste“ wird in zwei Lexika vor allem auf seine Verwendung in der Theorie von Freud zur Psychoanalyse und in der Lebensphilosophie eingegangen, meist mit negativen Konnotationen. Im historischen Wörterbuch der Philosophie wird zwar auf die nicht ausreichende Abgrenzung zu verwandten Ausdrücken wie „Unterbewusstsein“ und andere hingewiesen, aber nicht weiter diskutiert. Nur in der Enzyklopädie Philosophie (Autor Thomas Mies) werden ausführlicher Bezüge zum Bewussten und zu epistemologischen Fragen diskutiert. Der Autor stellt fest: „Es ist die Konsequenz der Begriffsbildung, dass Unbewusstes und Bewusstsein sich nur in ihrem wechselseitigen Bezug erhellen lassen. Wie das Verhältnis des Unbewussten zum Bewusstsein bestimmt wird, ist ein zentrales Kriterium zur Unterscheidung der Konzeptionen des Unbewussten“ (EPh, S. 2820bu). Er weist weiterhin darauf hin, dass das Unbewusstes auch ein „Moment der wissenschaftlichen Erkenntnis“ ist und eine Quelle von Kreativität, nicht zuletzt auf der kognitiven ist. Auch bei Hegel wird der Terminus „Bewusstsein“ im Rahmen seiner erkenntnistheoretischen Reflexionen verwendet. „So ist «die Lehre vom Bewusstsein … die Phänomenologie des Geistes», die sich über das «Bewusstsein», das «Selbst-Bewusstsein» auf die Stufe der «Vernunft» erhebt“ (HWPh, Bd. 1, S. 893).

In den sehr ausführlichen Beiträgen zum Stichwort „Bewusstsein“ wird auf den Aspekt des Unbewussten nur am Rande im Zusammenhang mit bestimmten neurowissenschaftlichen Theorien eingegangen. Danach ist das Bewusste immer mit Unbewusstem verbunden. So wird etwa die Auffassung vertreten, dass bei „einem phänomenal reichhaltigen bewussten Wahrnehmungserlebnis […] die entsprechenden Gedanken und Überzeugungen […] nur potentiell aber nicht aktuell bewusst“ sind (MLPh, S. 79). Die Kernthese der Theorie höherstufiger Gedanken von Rosenthal besagt, „dass ein mentaler Zustand genau dann bewusst wird, wenn er zum Inhalt eines assertorischen und seinerseits unbewussten Gedankens wird, des Gedankens, dass ich mich jetzt in diesem Zustand befinde“ (EPh, S. 287).

Nur an zwei Stellen wird kurz darauf hingewiesen, dass man auch Bewusstseinsgrade unterscheiden kann und der Begriff in manchen Zusammenhängen auch bedeutet, „etwas besonders sicher zu wissen“ (EPh, S. 279b).

Psychologische Literatur

DLPs

Bewusstsein

  • Zum Phänomen Bewusstsein gibt es versch. Perspektiven und Zugänge. Eine erste ist am Erlebnisaspekt orientiert. Danach ist Bewusstsein zum einen die Gesamtheit der Erlebnisse, d. h. der erlebten psych. Zustände und Aktivitäten (Vorstellungen, Gefühle usw.); zum Bewusstsein gehört zusätzlich zu diesen bewussten Zuständen oder Aktivitäten auch noch die Tatsache ihres Bewusst-Seins, die besondere Art des unmittelbaren Gewahrseins dieser Erlebnisse, die man auch als innere Erfahrung bez. kann. Bewusstsein i. d. S. setzt nicht die Verfügung über Sprache oder über abstrakte Begriffe voraus; auch das bloße Spüren eines Schmerzes ist bereits Bewusstsein.
  • Eine zweite Perspektive, diejenige der Kognitiven Psychologie, betont die Funktionen des Bewusstseins, seine Rolle im Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung. Hierbei wird i. Allg. davon ausgegangen, dass ein großer Teil der Informationsverarbeitung nicht von Bewusstsein begleitet ist. Dem Bewusstsein zugeordnet werden v. a. das aktivierte Gedächtnis, die fokale Aufmerksamkeit und die kontrollierten (nicht automatischen) Prozesse der Informationsverarbeitung.
  • Zunehmende Bedeutung gewinnt der von den Neurowissenschaften gewählte Zugang, der teilweise mit dem kognitionswissenschaftlichen kombiniert wird. Man gewinnt ein ständig erweitertes und verfeinertes Wissen darüber, welche Teilstrukturen des Gehirns mitwirken müssen, damit die mit Bewusstsein verbundenen psychischen Vorgänge (bewusste Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Sprache, Entscheiden und Problemlösen) ablaufen können.
  • Historisch gesehen ist die Einstellung zum Forschungsgegenstand Bewusstsein durch starke Änderungen gekennzeichnet. Bewusstsein galt in der älteren Psychologie (z. B. Wundt, James) als ihr eigentlicher Gegenstand, wurde dann vom Behaviorismus bzw. Neobehaviorismus als wissenschaftlich. nicht untersuchbar erklärt, nach der «kognitiven Wende» wieder aufgegriffen und seitdem in psychologischen und philosophischen Publikationen und Veranstaltungen zunehmend thematisiert.

bewusst – unbewusst

  • Pole des Wissensstandes über Vorhandenes und dessen Mitteilbarkeit. Dazw. liegen viele Klarheitsgrade, die im Zusammenhang stehen mit Absicht (Handlungsentwurf), Konzentration, kritischem Selbstbezug, Wachheit, Vorerfahrungen, Einordnungs-, Unterscheidungsfähigkeit und Affektstrebungen.

Unbewusstes

  • unter versch. Aspekten kommentierter Begriff für eine verborgene psych. Struktur, Schicht, Instanz oder unzulängliches Konstrukt bzw. nicht kontrollierbare psychischer Prozesse. Als Antipode zu «Bewusstes» ist es für die empirisch orientierte Psychologie und speziell für die behavioristische Psychologie (Behaviorismus) von der Konzeption her nicht betrachtungsfähig.
  • In der topografischen Theorie des «seelischen Apparates» von Freud (Apparat, psychischer bzw. seelischer) hat das Unbewusste als System eine bes. Bedeutung erhalten.

BW

bewusst:             196 (32,5) Ergebnisse

Bewusstsein:    209 (34,7) Ergebnisse

vor-, unter-, unbewusst/Unbewusstes: 96 (15,9) Ergebnisse

  • Bewusstsein bezeichnet: das wache Wissen um unser Erleben, um geistige und seelische Zustände, Wahrnehmungen und Gedanken sowie das Aufmerken auf einzelne Erlebnisse und andererseits das wache Wissen um unser von uns kontrolliertes und initiiertes Handeln. Bewusstsein wird auch definiert als: die Gesamtheit der unmittelbaren Erfahrung, die sich aus der Wahrnehmung von uns selbst und unserer Umgebung, unseren Kognitionen, Vorstellungen und Gefühlen zusammensetzt. Nach traditioneller Auffassung, die im Wesentlichen aus der Philosophie entlehnt ist, bezeichnet Bewusstsein die Beziehung des Ich auf einen inneren oder äußeren Gegenstand. (S. 223).
  • Ich-Bewusstsein bezeichnet das Wissen um die Identität des eigenen Subjekts in den verschiedenen Bewusstseinsabläufen. Infolge ihrer durchgängigen Ich-Bezogenheit stehen die Bewusstseinsinhalte einer Person in einem einheitlichen Zusammenhang (Einheit des Bewusstseins). Der Träger dieser Bewusstseinseinheit ist ein Einzelwesen. Dieses verfügt über ein Individualbewusstsein. Im erweiterten Sinne kann es eine Gemeinschaft sein, dann spricht man von Kollektiv- oder Gruppenbewusstsein (zum Beispiel Standes-, Volks- oder Kulturbewusstsein). Bezieht sich das Bewusstsein auf eine bestimmte historische Zeit, spricht man auch von Zeitbewusstsein. [..] Ferner werden nach dem Bewusstheitsgrad verschiedene Bewusstseinsstufen oder -grade unterschieden. Nicht mehr bewusste (verdrängte) oder vorbewusste Inhalte, die nur aus ihrer Wirkung auf das Verhalten erschlossen werden können, liegen im Unterbewusstsein. Als Bewusstseinsschwelle bezeichnet man die Grenze, an der unbewusste Inhalte ins Bewusstsein treten. (S. 225).

In Bezug auf das nicht im Bewusstsein Vorhandene werden vier Prozesse unterschieden.

  • Unterbewusste Prozesse: Unsere Aufmerksamkeit bringt, wie ein Scheinwerferlicht im Dunkeln, nur einen Teil ins Zentrum unseres Bewusstseins.
  • Nicht bewusste Prozesse: Dies sind Prozesse, die zwar in unserem Organismus, mit Beteiligung des Nervensystems, ablaufen, die uns aber direkt nie bewusst werden.
  • Vorbewusste Prozesse heißen nach S. Freud solche Erinnerungen, die dem Bewusstsein zwar im Prinzip zugänglich sind, die aber momentan nicht bewusst sind, zum Beispiel bestimmte Erlebnisse des letzten Ski-Urlaubs, an die ich mich aber sofort erinnern kann, wenn ich es will.
  • Unbewusste Prozesse: Ihre Entdeckung und Beschreibung geht ebenfalls auf S. Freud zurück. [..] Freud und seine Nachfolger nahmen an, dass es einen Teil unseres Bewusstseins gibt, das Unbewusste, der verschiedene Erinnerungen, Impulse und Wünsche beinhaltet, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind (S. 229-230).

MR

bewusst:             422 (49,6) Ergebnisse

Bewusstsein:    268 (31,5) Ergebnisse

vor-, unter-, unbewusst/Unbewusstes: 234 (27,5) Ergebnisse

  • Bewusstsein ist mittlerweile Gegenstand eines Forschungsansatzes, an dem Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen mit ihren jeweils spezifischen theoretischen Perspektiven und Methoden beteiligt sind, die sich ergänzen und dieses Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln darstellen. Allerdings stehen die unterschiedlichen Ansätze zurzeit eher unverbunden nebeneinander und ergeben (noch) kein kohärentes Bild. Auch wenn Bewusstsein als wissenschaftlich zu untersuchender Gegenstand in der Allgemeinen Psychologie inzwischen weitgehend akzeptiert ist, bleibt bei der Theoriebildung ein Problem bestehen (S. 154).
  • Die späte Prägung des modernen Bewusstseinsbegriffs im europäischen Sprachraum und das Fehlen eines Wortes mit einem äquivalenten Bedeutungsspektrum in manchen Sprachen deuten darauf hin, dass unser jetziges alltägliches Verständnis von Bewusstsein möglicherweise sehr stark von der kulturellen Entwicklung abhängig ist. Vielleicht würden wir heute anders über die psychischen Phänomene denken, die wir mit dem Wort „Bewusstsein“ bezeichnen, wenn wir nicht in Anlehnung an die cartesische Konzeption ein einheitliches Wort dafür verwenden würden (S. 155).
  • Die Heterogenität des Bewusstseinsbegriffs wird deutlich, wenn man in der Literatur beschriebene Kriterien betrachtet, die ein natürliches oder künstliches kognitives System erfüllen muss, damit ihm Bewusstsein zugeschrieben wird (Delacour 1995). Die genannten Kriterien sind willkürlich, da sie weder aus einer Definition noch aus einer Theorie des Bewusstseins abgeleitet wurden. Sie umfassen verschiedenartigste Verhaltensleistungen (objektive Kriterien) und nur der Introspektion zugängliche Zustände (subjektive Kriterien), die unmöglich in ein einheitliches Konzept zu integrieren sind (S. 155).
  • Bewusstsein kann man als Wachheits- bzw. Erregungszustand eines kognitiven Systems auffassen. Es lassen sich dabei Ebenen von Bewusstseinszuständen in Abhängigkeit der Wachheit bzw. des globalen Erregungsniveaus unterscheiden.
  • Für die Allgemeine Psychologie interessanter, aber zugleich auch umstrittener ist die Verwendung des Bewusstseinsbegriffs als Eigenschaft mentaler Repräsentationen.
  • Das phänomenale Bewusstsein ist definiert als das individuelle Erleben von Sinneswahrnehmungen oder Gedanken – mentaler Repräsentationen – wie die bereits erwähnte Wahrnehmung „der Röte des Rots“ oder das Fühlen „des Stechens des Schmerzes“ (S. 156)
  • Zugriffsbewusstsein liegt dann vor, wenn eine Repräsentation Gegenstand übergeordneter, koordinierter und kontrollierter Verarbeitungsprozesse werden kann.
  • Monitoring-Bewusstsein ist das Wissen über die eigenen Wahrnehmungen oder Gedanken, betrifft also den reflexiven Charakter des Bewusstseins. Parallelen zur psychologischen Theoriebildung finden sich im Konzept der Metakognition, dem Wissen über die eigenen kognitiven Prozesse.
  • Selbst-Bewusstsein bezieht sich schließlich auf die Gedanken über sich selbst und ist am besten mit dem psychologischen Konstrukt des Selbstkonzepts, dem Wissen von und der Einstellung gegenüber der eigenen Person, vereinbar. Bestandteil des Selbst-Bewusstseins ist die Repräsentation eines situationsunabhängig stabilen mentalen Ich. (S. 157)
  • Aufgrund dieser dynamischen Mobilisierung kann ein gegebener Prozess in Abhängigkeit der Situation bewusst oder unbewusst sein. Nach Dehaene et al. (2006) können unbewusste Prozesse bzw. Stimuli zwei unterscheidbare Zustände einnehmen: Ein Prozess wird als subliminal bezeichnet, wenn die Aktivierung in den sensorischen Arealen, beispielsweise durch einen Stimulus, schwach oder durch nachfolgende Stimuli unterbrochen ist. Als vorbewusst wird ein Prozess bezeichnet, der eigentlich eine hinreichende Aktivierungsstärke und lokal in den sensorischen Arealen eine kohärente schleifenförmige Aktivität auslöst (S. 162).
  • Zuweilen wird im Zusammenhang mit unbewusster Wahrnehmung synonym auch der Terminus der subliminalen (unterschwelligen) Wahrnehmung verwendet. Dieser Begriff wird inzwischen vermieden, denn er impliziert die Existenz einer (Wahrnehmungs-)Schwelle im Sinne einer Mindeststärke, die ein Reiz überschreiten muss, um überhaupt verarbeitet zu werden. Die Annahme einer Wahrnehmungsschwelle im Sinne eines solchen Alles-oder-nichts-Prinzips ist mit großer Wahrscheinlichkeit falsch, da sie nicht erklären kann, warum „unterschwellige“ Reize Informationsverarbeitungsprozesse auslösen können (S. 164).

KS

bewusst:             120 (19,5) Ergebnisse

Bewusstsein:    18 (2,9) Ergebnisse

unbewusst/Unbewusstes: 31 (5,0) Ergebnisse

  • Unter explizitem Gedächtnis versteht man alle Gedächtnisinhalte, die einer Person bewusst zugänglich sind. Implizites Gedächtnis bezieht sich auf Spuren der Vergangenheit, welche die Person nicht bewusst erinnert, die aber im Verhalten wirksam werden (S. 124).

Auswertung der psychologischen Literatur

Wie schon beim Vergleich der Häufigkeiten der Wörter deutlich wurde, gibt es große Unterschiede in der gesichteten psychologischen Literatur zu Bedeutung und Verwendung der Termini. In einem Lehrbuch (Kiesel und Spada) gab es keinerlei Erklärungen zum Wort „Bewusstsein“ bzw. entsprechenden Wortkombinationen.

Im Online-Lexikon der Psychologie (DLPs) werden drei Zugänge zum Phänomen Bewusstsein genannt: Bewusstsein als Gesamtheit der erlebten psychischen Zustände und Aktivitäten, die Funktionen des Bewusstseins im Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung und der Zugang der Neurowissenschaften durch Aufdeckung der Teilstrukturen des Gehirns, die die mit dem Bewusstsein verbundenen psychischen Vorgänge bewirken.

Nur in zwei Quellen (BW und MR) wird auf die Bedeutung des Terminus Bewusstsein als Wachheit eingegangen. In diesen beiden Werken werden Formen des Bewusstseins genannt, wobei es keine Gemeinsamkeiten zwischen den Quellen gibt. So spricht man im Lehrbuch BW von einem Ich-Bewusstsein, einem Individualbewusstsein, einem Kollektiv- oder Gruppenbewusstsein und einem Zeitbewusstsein. Im Lehrbuch MR wird unterschieden zwischen einem phänomenalen Bewusstsein, einem Zugriffsbewusstsein, einem Monitoring-Bewusstsein und einem Selbst-Bewusstsein.

Es gibt sogar widersprechende Aussagen. So wird im Lehrbuch BW der Begriff Bewusstseinsschwelle verwendet, als Grenze, an der unbewusste Inhalte ins Bewusstsein treten. Im Lehrbuch MR wird dagegen die Auffassung vertreten, dass die Annahme einer solchen Schwelle mit großer Wahrscheinlichkeit falsch ist.

Nur im Lehrbuch MR wird auf die Probleme des Bewusstseinsbegriffs eingegangen. So wird festgestellt, dass die unterschiedlichen Ansätze zur Zeit eher unverbunden nebeneinander stehen und noch kein kohärentes Bild ergeben (Müsseler und Rieger 2017, S. 154). Die in der Literatur genannten Kriterien zu Bewusstseinsbegriff sind aus ihrer Sicht willkürlich, „da sie weder aus einer Definition noch aus einer Theorie des Bewusstseins abgeleitet wurden“ (S. 155).

Unterschiedlich sind auch die Aussagen zum Unbewussten, wobei ihr Anteil mit Ausnahme des Lehrbuches KS wesentlich größer als in den philosophischen Lexika ist. Bis auf das Lehrbuch KS werden in allen anderen Quellen Bezüge zur Freud’schen Theorie der Psychoanalyse hergestellt. Im Lehrbuch BW werden im Unterschied zu allen anderen Quellen folgende Prozesse unterschieden, die mit dem Unbewussten verbunden sind:

  • Unterbewusste Prozesse, bei denen nur ein Teil der Eindrücke ins Bewusstsein gelangt,
  • nicht bewusste Prozesse, die nie bewusst werden,
  • vorbewusste Prozesse, die nur momentan nicht bewusst sind
  • unbewusste Prozesse im Sinne von Freud.

Im Lehrbuch BW wird davon gesprochen, dass man nach dem Bewusstseinsgrad verschiedene Bewusstseinsstufen oder -gerade unterscheiden kann (Becker-Carus und Wendt 2017, S. 225).

Neurowissenschaftliche Literatur

Zitate aus den verwendeten Quellen

  • Bewusstsein entsteht in bestimmten Bereichen des Gehirns, wobei es unterschiedliche Auffassungen über die betreffenden Hirnbereiche gibt.
    • „Der frontale Kortex stellt dabei ein komplexes Integrationszentrum dar, dass mehr als jedes andere Hirnareal die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt. Er schafft ein Bewusstsein des selbst im Verhältnis zur Welt“ (O’Shea 2008, S. 88).
    • „Das gilt auch für die neu­roanatomischen Grundlagen von Bewusst­sein, welches man lange Zeit im Kortex verortete, also in der äußeren, das Großhirn umgebenden Rinde. Laut Solms sind diese höheren Verarbeitungsstufen gerade nicht Träger des Bewusstseins, sondern sie wer­den von tiefer liegenden Strukturen in Hirn­stamm und Mittelhirn gespeist. Dort, wo Freud die Quelle des Unbewussten vermu­tete – in den Hirnbereichen, die Wachheit, emotionale Erregung und Antrieb regulie­ren –, sieht Solms den eigentlichen Hort des Bewusstseins. ‚Die Mustersuche des Kortex kommt bestens ohne Aufmerksamkeit aus. Wenn uns etwas Bewusstsein verleiht, dann tiefer liegende, emotionale Hirnteile‘. […] Der Neuro­wissenschaftler Björn Merker von der Uni­versität in Kristianstad (Schweden) kommt in einem Überblicksartikel von 2007 zu dem Schluss, dass zahlreiche Bewusstseinsphä­nomene ohne zerebralen Kortex auskom­men. Zwar sind komplexere geistige Opera­tionen wie logisches Schlussfolgern oder Selbstreflexion dann ausgeschlossen, das Erleben von Gemütszuständen wie Freude, Ärger oder Trauer allerdings nicht.“ (Ayan 2019, S. 46).
  • Es gibt mehr als fünf Sinne.
    • „Zu den weiteren Empfindungsqualitäten gehören unter anderem Hitze und Kälte, Schwere, Beschleunigung und Schmerz. Außerdem stellt jede der traditionellen Sinnesmodalitäten eine komplexe Mischung eindeutig verschiedener Untersinne dar. Mit der visuellen Sinnesmodell können wir beispielsweise Bewegung, Farbe, Form, Helligkeit und die Beschaffenheit der Oberfläche sowie den Kontrast von Objekten wahrnehmen“ (O’Shea 2008, S. 91).
  • Man muss zwischen Empfindungen und Wahrnehmungen unterscheiden.
    • „Das Gehirn analysiert diese primären Empfindungen und wandelt sie in Wahrnehmungen um, auf deren Grundlage informationsgestützte Entscheidungen über künftige Handlungen getroffen werden. Sinnliche Empfindungen sind jedoch nicht allein für die Entstehung von Wahrnehmungen verantwortlich. Man kann nämlich auch das Wahrnehmen, was nicht empfunden wird, oder das nicht wahrnehmen, was man empfindet, oder auch mehr als eine Wahrnehmung aus denselben Empfindungen konstruieren. […] Wahrnehmungen stellen begründete Vermutungen des Gehirns über die Summe dessen dar, was die Sinne ihm mitteilen“ (O’Shea 2008, S. 91).
    • „Diese so genannte »hintere heiße Zone« (posterior hot zone, PHZ) erstreckt sich über Teile des Scheitel-, des Schläfen- und des Hinterhauptlappens. Sinneseindrücke […] nehmen wir erst wahr, wenn sie in diesem Areal verarbeitet werden. Eine Information, die über den Sehnerv im primären visuellen Kortex ankommt, entspricht also nicht dem, was wir bewusst sehen; das Bild, das wir wahrnehmen, entsteht erst in der hinteren heißen Zone“ (Koch 2019b, S. 6).
  • Zur Entstehung von Bewusstsein gibt es zwei Haupttheorien. Sie unterscheiden sich insbesondere in der Rolle der bewussten Aufmerksamkeit und kognitiven Verfügbarkeit.
    • „Laut der von Dehaene favorisierten ‚Theorie des globalen Arbeitsraums‘ entsteht Bewusstsein, wenn Sinnesinformationen in der Großhirnrinde für Handeln, Sprache, Gedächtnis und andere kognitive Funktionen verfügbar werden. Dafür sei ein komplexes, über fast den gesamten Kortex verteiltes Netzwerk verantwortlich. […] Bewusstes Erleben wird somit zur kog­nitiven Verfügbarkeit von Informationen. Sobald wir anderen von unseren Wahrneh­mungen und Empfindungen berichten können, sei dieser bewusste Zugang gege­ben, andernfalls eben nicht, selbst wenn das Gehirn unbewusst Informationen ver­arbeitet und diese unser Handeln beein­flussen“ (Schlicht 2019, S. 6–7).
    • „Der Philosoph Ned Block stellt dem das »phänomenale Bewusstsein« gegenüber, ein bewusstes Erleben ohne kognitiven Zu­gang“ (Schlicht 2019, S. 7).
    • „Laut dem alternativen An­satz, den etwa Michael Graziano und David Rosenthal verfolgen, sind bewusste Zu­stände einfach solche, die wir kennen, de­rer wir uns unmittelbar gewahr sind, ohne dass wir unsere Gedanken erst irgendwie lesen oder interpretieren müssten. Das be­zeichnet man auch als Higher Order Theo­ry“ (Carruthers 2019, S. 49).
  • Die Hirnforscher unterscheiden „Teilfunktionen“ des Bewusstseins.
    • „Das können zum einen basale physiologische Voraussetzungen sein wie Wachheit: […] Zum anderen darf als gesi­chert gelten, dass es für das Bewusstsein strukturierende Hirnprozesse geben muss, welche die von den Sinnesorganen gelie­ferten Informationen ordnen und mit Be­deutung versehen. […] Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Selektion. Um besonders relevante Da­ten gezielt verarbeiten zu können, muss das Gehirn diese erst in mehreren Stufen aus dem allgemeinen Bombardement von Sinnesinformationen herausfiltern. […] Außerdem ist für Bewusstsein wahrscheinlich ein funktionierendes Ar­beitsgedächtnis unabdingbar, […]. Und schließlich dürften auch Motivation und Emotionen entschei­dend zum bewussten Erleben beitragen“ (Engel 2019, S. 16–17).
  • Für den Grad der Wachheit wurde eine »Zap-and-Zip« genannte Technik entwickelt, mit der u. a. prüft werden, ob jemand bei Bewusstsein ist oder nicht, was in der Medizin ein bedeutsames Problem ist (Koch 2019a).
  • „Viele Forscher halten den aktuellen Inhalt des Arbeitsgedächtnisses für identisch mit dem Bewusstsein“ (Ayan 2019, S. 40).
  • Für flexible Kupplungen über weit verstreute Hirnareale ist die Synchronisation der Nervenzellenaktivität entscheidend. Diese erfolgt mittels Hirnwellen.
    • „Die Arbeitsgruppe von Wolf Singer am Frankfurter Max- Planck-Institut für Hirnforschung entdeck­te das bereits 1989 am Beispiel der Gam­ma-Oszillationen – das sind schnelle Hirn­wellen mit Frequenzen von mehr als 30 Hertz. Eine Synchronisation jener Wellen ist wichtig, um einzelne visuelle Details zu einem ganzheitlichen Wahrnehmungsein­druck zusammenzufügen. […] Im Unterschied zu unserem oben be­schriebenen Aufmerksamkeitsexperiment waren an der Synchronisation hier aber nicht Gamma-Oszillationen beteiligt, son­dern die etwas langsameren Beta-Oszillati­onen – sie besitzen demnach offenbar ebenfalls eine Bedeutung für die Selektion von Informationen. Nach diesen Ergebnis­sen prägt vor allem die komplexe innere Dynamik der neuronalen Netzwerke jene Synchronisationsprozesse, die für Be­wusstsein und Aufmerksamkeit relevant sind. Diese kann sich auch unabhängig von äußeren Reizen verändern und so zu ei­nem Wechsel des Bewusstseinsinhalts bei­tragen“ (Engel 2019, S. 17–21)
  • Die Phänomene des Bewusstseins lassen sich nicht allein durch Vorgänge im Gehirn erklären, es muss der gesamte Körper und auch die Umwelt einbezogen werden. Dies ist Inhalt der „Embodiment-These“.
    • „Selbst bei Kenntnis sämtlicher Hirnzustände einer Person könnte man allein daraus nicht ab­leiten, was die Person gerade denkt oder fühlt. Denn diese Zustände sind nur defi­nierbar, wenn man gleichzeitig den zuge­hörigen Körper mit einbezieht sowie die Umgebung und die Situation, in der sich die Person befindet. Daraus folgt, dass mentale Prozesse wie Bewusstsein niemals rein »internalistisch« erklärt werden kön­nen, also nicht ausschließlich anhand der Aktivitätsmuster im Gehirn“ (Engel 2019, S. 21).
    • „Viele Wissenschaftler sehen daher das Gehirn nicht mehr als den »Ursprungsort« des Bewusstseins an. Dieses speise sich vielmehr in jedem Moment aus dem gesamten Körper. […] Für die Anhänger der ‚Embodiment-These‘ ist Be­wusstsein daher zwingend an einen han­delnden Körper gebunden. […] Denn Bewusstsein umfasse nicht nur höherstu­fige kognitive Prozesse wie Gedanken, son­dern, so Fuchs: ‚Dazu gehört eine Art Kern­bewusstsein – ein leibliches Sichspüren, Sich-lebendig-Fühlen, das in jedem Mo­ment im Hintergrund gegeben und an un­seren Körper gebunden ist.‘ Dieses Grund­gefühl entstehe neurobiologisch gesehen durch den ständigen Austausch zwischen Stamm- und Zwischenhirn mit dem ge­samten Organismus – über das Rücken­mark, die Hirnnerven sowie das autonome Nervensystem.“ (Wolf 2019, S. 54–55).
    • „Aus Sicht des portugiesischen Neurowissenschaftlers Antonio Damasio beinhalten alle Emotionen eine dynami­sche Empfindung des gesamten Körperzu­stands, während dieser sich unter dem Ein­fluss bestimmter Erlebnisse verändert. Ge­fühle »bieten uns einen Einblick in das, was in unserem Fleisch vorgeht«, brachte es Damasio in seinem Buch »Descartes‘ Irr­tum« auf den Punkt. […] Selbst aus Magen und Darm erhält das Gehirn ständig Signale, wie der Neurogast­roenterologe Peter Holzer von der Medizi­nischen Universität Graz 2016 in einer Übersichtsarbeit betont“ (Wolf 2019, S. 56).
    • „Es braucht ein »Ich«, das et­was bewusst sieht, hört, riecht und subjek­tiv erfährt. Forscher um Catherine Tallon- Baudry vom Laboratoire de Neurosciences Cognitives der École Normale Supérieure in Paris vermuten nun, dass dieses spezifi­sche Ich-Gefühl ebenso wenig allein vom Gehirn kommt. Möglicherweise, so ihre These, seien Signale vom Herzen für das Erleben der subjektiven Perspektive sogar grundlegend“ (Wolf 2019, S. 59).
  • Ein ungelöstes Problem der Hirnforschung ist die Frage, wie subjektives Erleben aus objektiver Hirnaktivität erwächst, was in der Philosophie auch als Qualia-Problem bezeichnet wird. Dazu gibt es in den Neurowissenschaften zwei Theorien. Die eine wird unter anderem vom Philosophen Daniel Dennett vertreten und besteht eine Auffassung, dass das Bewusstsein eine besondere zusätzliche Eigenschaft des Gehirns ist, die sich nicht durch Gehirnprozesse erklären lässt. Auf der anderen Seite wird dieses Problem für eine Scheindebatte gehalten. Nach Ansicht dieser Wissenschaftler ist die Frage, warum das „eigentliche Bewusstsein“ in der Evolution entstanden ist oder worin seine Funktion besteht, einfach deshalb witzlos, weil ein „eigentliches Bewusstsein“ nicht existiert (Blackmore 2019, S. 34).
  • Ein zentrales Problem der Hirnforschung ist die Rolle des Unbewussten. Viele Dinge wie unterschwellige Wahrnehmungen, automatisierte Bewegungen, spontane Assoziationen oder implizites Schlussfolgern bleiben dem bewussten Denken verborgen. Einige Forscher gehen so weit zu behaupten, dass wir nicht bewusst denken können. Generell gilt, dass wir „immer bewusst und unbewusst zugleich“ sind (Ayan 2019, S. 44).
    • „Ein Gegenmodell zum freudschen Tiefen­zauber, das in den letzten Jahren immer mehr Zulauf bekam, firmiert unter dem Schlagwort »predictive mind«, zu Deutsch: »Vorhersagen treffender Geist«. Diese revolu­tionäre Theorie weist der Automatik des Geistes eine zentrale Rolle zu: Sie diene dazu, künftige Ereignisse schnell und si­cher vorherzusagen. Lernen, Erfahrung und auch Bewusstsein haben letztlich den Zweck, die impliziten Prognosen immer weiter zu verbessern“ (Ayan 2019, S. 42).
    • „Dem südafrikanischen Hirnforscher und Neuropsychoanalytiker Mark Solms zufolge entsteht Bewusstsein lediglich dann, wenn die Vorhersagen des Gehirns fehlerhaft sind. Es handelt sich dabei um nichts anderes als jenen Zustand der Über­raschung, der sich einstellt, wenn die im­pliziten Prognosen des Gehirns ins Leere laufen. Und unsere grauen Zellen tun alles, um solche Fehler zu vermeiden. […] ‚Am liebsten wäre es dem Gehirn, wenn gar nichts Unerwartetes passiert.‘, erklärt Solms“ (Ayan 2019, S. 45).
    • „Der Autopilot im Kopf macht uns zu denjenigen, die wir sind – nicht das Bewusstsein2 (Ayan 2019, S. 46).
    • „Die Idee, dass wir bewusst denken, halte ich für einen Irrtum. […] wir können Gedanken, Wünsche, Urteile und so weiter 8…] nicht als bewusst auffassen. Sie werden weder dem Arbeitsgedächtnis verfügbar gemacht noch haben wir unmittelbaren Zugang zu ihnen“ (Carruthers 2019, S. 49)
    • „In der Neurophilosophie fassen wir den Begriff ‚Gedanke‘ jedoch weiter. Wir verstehen darunter alle Arten von mentalen Einstel­lungen, Urteilen, Absichten oder Zielen. Das sind amodale, abstrakte, nicht sinnliche Er­eignisse. Und sie werden niemals zum Ge­genstand des Arbeitsgedächtnisses, der ‚Benutzeroberfläche‘ unseres Geistes; sie sind also nicht bewusst“ (Carruthers 2019, S. 50).
    • „Nehmen wir zum Beispiel dieses Gespräch, das wir gerade führen: Sie sind sich sicher­lich dessen bewusst, was ich in diesem Mo­ment sage. Doch all die Interpretationsar­beit und die Schlussfolgerungen, die Ihrem Verständnis zu Grunde liegen, entgehen Ihrem Bewusstsein. Das sind hoch automa­tisierte, schnelle Operationen, die Ihr Ge­hirn einsetzt, um meinen Worten Sinn zu verleihen, und diese arbeiten im Verborge­nen. An die Oberfläche Ihres Bewusstseins werden allenfalls die Ergebnisse dieser mentalen Tätigkeit gespült. Genau darum geht es: Die eigentliche Arbeit des Geistes bleibt unbewusst, lediglich ihre Produkte erscheinen vor dem inneren Auge. […] Unseren Eindruck, wir hätten so etwas wie bewusste Gedanken, verdanken wir der Tatsache, dass wir den Inhalt des Gedachten für dasselbe halten wie den Akt des Denkens“ (Carruthers 2019, S. 51).
  • Unter Bewusstsein verstehen Hirnforscher, „einen geistigen Inhalt oder Zustand nicht nur zu haben, sondern auch zu wissen, dass man ihn hat“ (Maya-Mrschtik 2019, S. 50).
  • Der Terminus „Selbstbewusstsein“ trat in der gesichteten neurowissenschaftlichen Literatur nicht auf.

Auswertung der neurowissenschaftlichen Literatur

Die Termini „bewusst“ und „Bewusstsein“ sind fester Bestandteil der Neurowissenschaften, während der Terminus „Selbstbewusstsein“ in der gesichteten Literatur nicht identifiziert werden konnte. Das Wort „bewusst“ wird in der Literatur im Sinne der alltagssprachlichen Bedeutung „um etw. wissend“ verwendet. Diese Bedeutung hat auch das Wort „Bewusstsein“. Es ist ein Bestandteil des Mentalen, das dem Individuum aktuell bewusst ist. Damit bezeichnen beide Termini etwas Aktuales. Habituelle Zustände, wie etwa Gedächtnisinhalte, die aktuell dem Individuum nicht bewusst sind, gehören damit nicht zum Bewusstsein. Der Inhalt dessen, was bewusst ist, also im Bewusstsein ist, ändert sich ständig. Dem entspricht das Ziel der Hirnforschung, die Suche „nach neuronalen Korrelaten des Bewusstseins […], also den minimalen Hirnaktivitäten, die notwendig sind, um eine spezifische Bewusstseinserfahrung zu erzeugen“ (Koch 2019b, S. 2).

Der Terminus Bewusstsein ist ein Arbeitsbegriff, der den empirischen Gegebenheiten und Anforderungen angepasst werden kann. Dementsprechend gibt es auch unterschiedliche Bewusstseinsbegriffe in unterschiedlichen neurowissenschaftlichen Theorien, die dann Einfluss auf die Anlage der empirischen Untersuchungen und Interpretation ihre Ergebnisse haben. So stellt Schlicht (2019) fest, „dass die empirische Entde­ckung vermeintlicher neuronaler Grundla­gen des Bewusstseins von begrifflichen Vor­entscheidungen abhängt. Bestimmt man das Verhältnis von subjektivem Erleben, Aufmerksamkeit und bewusstem Zugang anders, als Dehaene dies tut, erscheinen die empirischen Befunde in neuem Licht“ (Schlicht 2019, S. 9).

In die genannte Bedeutung des Terminus „Bewusstsein“ lässt sich auch die Bedeutung von Bewusstsein als „volle Herrschaft über seine Sinne“ im Gegensatz zur Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit einordnen, wie es auch in der Literatur erfolgt. So wird die Wachheit als eine Teilfunktion des Bewusstseins bezeichnet. Daraus ergibt sich dann aber auch, dass ein Mensch im Schlaf kein Bewusstsein hat.

Während der Ort der Entstehung von Empfindungen und Gefühlen im Gehirn lokalisiert werden konnte, gibt es unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, wie das subjektive Erlebnisgefühl charakterisiert werden kann. Damit hängt die Frage zusammen, ob das Bewusstsein eine zusätzliche bzw. emergente Eigenschaft des Gehirns ist. Von einigen Wissenschaftlern wird die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Scheinfrage handelt.

Eine zentrale Rolle spielt in der neurowissenschaftlichen Forschung das Gegensatzpaar „bewusst-unbewusst“. Beim Unbewussten wird offensichtlich nicht weiter differenziert zwischen dem, was prinzipiell unbewusst abläuft und dem, was dem Individuum aktuell nicht bewusst ist, aber durchaus auch bewusst werden kann. Obwohl unbewusste Prozesse offensichtlich einen erheblichen Einfluss auf die Produkte des Denkens haben, kann man der These von Carruthers nicht zustimmen, dass ein bewusstes Denken nicht möglich ist. Durch ein zielgerichtetes wissenschaftliches Denken lassen sich durchaus auf bewusste Weise neue Erkenntnisse gewinnen. Die Ergebnisse der Hirnforscher zeigen jedoch, dass wissenschaftliches Denken nicht formalisierbar ist und insbesondere die Gesetze der Logik und Sprachphilosophie keine ausreichende Grundlage für den Erkenntnisprozess sind.

Aus den Ergebnissen der Hirnforschung lassen sich unter anderem folgende Schlussfolgerungen für Erkenntnisprozesse ableiten:

  • Man muss zwischen den unmittelbaren sinnlichen Empfindungen und Wahrnehmungen unterscheiden, die aus der Summe der sinnlichen Empfindungen im Gehirn gebildet werden, wobei nicht jede sinnliche Empfindung zu einer Wahrnehmung führt und nicht jede Wahrnehmung auf einer sinnlichen Empfindung beruhen muss. Dabei ist zu beachten, dass es mehr als fünf Sinne gibt.
  • Die Phänomene des Bewusstseins lassen sich nicht allein durch Vorgänge im Gehirn erklären, es muss der gesamte Körper und auch die Umwelt einbezogen werden.
  • Bei allen bewussten Erkenntnisprozessen spielen immer unbewusste Elemente des Mentalen eine Rolle. Dies beginnt bei der Wahrnehmung, nicht alle Wahrnehmungsinhalte werden bewusst. Auch viele andere geistige Operationen laufen oft unbewusst ab. Es werden nur die Resultate dieser Operationen dem Individuum bewusst. Dies zeigt den Einfluss der habituellen Einstellungen, Kenntnisse und Verlaufsqualitäten des Denkens.

Schlussfolgerungen und Vorschläge

Vergleich der Frequenzen

Tab. 2 Frequenzen der Wörter

Wörter

HWPh

MLPh

EPh

BW

MR

KS

bewusst

15,0

21,3

14,3

32,5

49,6

19,5

Bewusstsein

42,4

72,5

34,2

34,7

31,5

2,9

unter-, vor-, unbewusst/Unbewusstes

6,9

5,1

4,0

15,9

27,5

5,0

Das Wort „bewusst“ gehört innerhalb der bisher analysierten Wörter in der Alltagssprache zu denen mit den höchsten Frequenzen, während das Wort „Bewusstsein“ eher selten verwendet wird.

In den philosophischen Lexika ist es umgekehrt, „Bewusstsein“ wird neben den Termini „Begriff“, „Ding“, „Gegenstand“, „Sein“, „Wesen“ und „Einheit“ sehr häufig verwendet, das Wort „bewusst“ hat nur weniger als ein Drittel der Häufigkeit des Wortes „Bewusstsein“.

Sowohl im Alltag als auch den philosophischen Lexika werden die Wörter „unter-, vor-, unbewusst“ und „Unbewusstes“ selten verwendet.

In den Lehrbüchern zur Allgemeinen Psychologie gibt es kein einheitliches Bild. Auffällig ist, dass im Lehrbuch von Kiesel und Spada die Frequenzen alle und teilweise bedeutend unter den Frequenzen in den anderen Lehrbüchern liegen, insbesondere tritt das Wort „Bewusstsein“ sehr selten auf. Die Frequenzen der Termini zum Unbewussten ist in zwei Lehrbüchern der Psychologie bedeutend höher als in den Lexika der Philosophie. Dies erklärt sich wohl aus dem behandelten Gebiet der Psychologie. Während das Wort „bewusst“ in den Lehrbüchern der Psychologie häufiger auftritt als in den philosophischen Lexika, ist die Frequenz des Wortes „Bewusstsein“ in den philosophischen Lexika etwa gleichgroß bzw. teilweise weitaus größer.

Schlussfolgerungen und Vorschläge zur Beschränkung der Bedeutungen des Begriffs „Bewusstsein“

Im Ergebnis der Analysen in den drei betrachteten Bereichen Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften zeigt sich, dass das Wort „Bewusstsein“ und die benachbarten Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen und Verwendungsweisen belegt sind. Der Philosophie als der für die Begriffsbildung zuständigen Wissenschaft ist es bisher nicht gelungen, begriffliche Grundlagen zu schaffen, die dann in den anderen Wissenschaften, die sich durchaus auf die Philosophie beziehen, verwendbar sind bzw. sich sogar vom dem oft inflationär verwendeten Bewusstseinsbegriff zu distanzieren.

Die folgende Bemerkung im Psychologie-Lehrbuch MR sollte Anlass zu kritischer Distanz sein: „Vielleicht würden wir heute anders über die psychischen Phänomene denken, die wir mit dem Wort „Bewusstsein“ bezeichnen, wenn wir nicht in Anlehnung an die cartesische Konzeption ein einheitliches Wort dafür verwenden würden“ (Müsseler und Rieger 2017, S. 155). Dabei geht es primär nicht um ein anderes Denken, sondern um ein anderes Reden. Folgende kritische Fragen sein gestellt.

  • Ist ein Oberbegriff für mentale Prozesse wie Verstehen, Einbilden, Wollen, Fühlen, Zweifeln sowie alle Formen der Aufmerksamkeit und des Erlebens erforderlich? (MLPh, S. 76). Die Bezeichnung als mentale Prozesse ist eigentlich ausreichend.
  • Warum wird das Wort Bewusstsein benötigt, um Beziehungen von Personen (oder des Ich) auf Objekte der Wahrnehmung oder des Denkens zu beschreiben? (EPh, S. 278b). Bei dieser Beziehung handelt es sich um ein grundlegendes Problem der Erkenntnistheorie. Hegel, der sich damit in seiner Phänomenologie des Geistes eingehend auseinandergesetzt hat, wies nach, dass die Trennung von Objekt und Subjekt aus theoretischer Sicht aufgehoben werden sollte.
  • Ist es sinnvoll, Bewusstsein als Eigenschaft mentaler Repräsentation oder als Aufmerksamkeit auf die eigenen mentalen Zustände zu bezeichnen? (MR, S. 156, EPh, S. 279). Werden mit dem Konzept der Metakognition und der Selbstreflexion die Phänomene nicht ausreichend beschrieben? Reicht es nicht aus zu formulieren, dass sich eine mentale Repräsentation aktuell im Arbeitsgedächtnis befindet?

Die Verwendung der Begriffe „bewusst“ und „Bewusstsein“ in den Neurowissenschaften beziehen sich nicht auf habituelle Komplexe von mentalen Zuständen oder Prozessen, die erkenntnistheoretische Relation zwischen Subjekt und Objekt oder feste Eigenschaften mentaler Repräsentationen. Die Begriffe werden immer zur Bezeichnung aktueller Zustände verwendet und in unterschiedlichen Theorien auch in unterschiedlicher Weise definiert.

Daraus sollte insgesamt die Schlussfolgerung gezogen werden, sich auf einen Kern gemeinsame Bedeutung zu beschränken, die übrigen Bedeutungen mit anderen Worten zu beschreiben und insgesamt das Wort sparsam zu verwenden. Ein wesentliches Kriterium für die Auswahl von Bedeutungen sollte die Notwendigkeit oder zumindest die Sinnhaftigkeit in angewandten Disziplinen der Psychologie und den Neurowissenschaften sein. Dies führt zu folgenden Verwendungsvorschlägen.

Die Formulierung „bei Bewusstsein sein“ wird in der Alltagssprache verwendet und ist in der Psychologie und den Neurowissenschaften gebräuchlich. Das Wort „Bewusstsein“ wird hier im Sinne von „wach sein“ verwendet. Dies hat wenig mit der Formulierung „sich bewusst sein, das …“ zu tun, obwohl dies teilweise so gesehen wird. Die Feststellung, ob eine Person bei Bewusstsein ist, ist in vielen Fällen eine notwendige Voraussetzung für weitere Handlungen. Es gibt offensichtlich schon ein Messverfahren (Koch 2019a), um diesen Zustand sogar in graduelle Ausprägung zu bestimmen.

Die alltagssprachliche Bedeutung von „bewusst“ und „Bewusstsein“ im Sinne von „um etwas wissend“ ist auch in der Psychologie und den Neurowissenschaften in vielen Fällen zentraler Bestandteil der verwendeten Bedeutung der Wörter. In den Neurowissenschaften geht es dabei insbesondere um einen aktuellen mentalen Zustand oder Prozess, zu dem dann neuronale Korrelate gesucht werden. Bei dem dabei verwendeten Terminus „Bewusstsein“ geht es entsprechend nicht um ein habituelles System psychischer Dispositionen. Bei der Erklärung dieses Terminus spielt der Aspekt der Messbarkeit eine wesentliche Rolle, was zu unterschiedlichen Begriffsbildungen führt.

Die Analyse der alltagssprachlichen Bedeutung der Wörter „bewusst“ und „Bewusstsein“ hat ergeben, dass es enge Beziehungen zwischen den Bedeutungen beider Wörter gibt. So können Bedeutungen des Wortes „Bewusstsein“ im alltagssprachlichen Sinne durch Formulierungen mit „bewusst“ ersetzt werden. In philosophischen Texten kann unter Verwendung des Wortes „bewusst“ vieles ausgedrückt werden, was ansonsten mit dem Wort „Bewusstsein“ beschrieben wird. Die angegebenen alltagssprachlichen Bedeutungen des Wortes „bewusst“, sollten deshalb auch für seine Verwendung in der Philosophie gelten.

Zur Verwendung von Wortkombinationen mit dem Stammwort „Bewusstsein“

Es gibt Kombinationen mit dem Wort „Bewusstsein“ als Stammwort, die in der Alltagssprache und in Wissenschaften sinnvoll verwendet werden. Zu diesen Wortkombination gehören[1]:

  • Selbstbewusstsein als eine Persönlichkeitseigenschaft in der Bedeutung von selbstbewusst, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit
  • Pflichtbewusstsein lässt sich als das Bewusstsein beschreiben, seine Pflichten erfüllen zu müssen beziehungsweise zu wollen.
  • Verantwortungsbewusstsein: Verantwortungsgefühl ist eine soziale Emotion. Dabei nimmt der betroffene Mensch instinktiv, intuitiv oder anderweitig unbewusst an ihn gerichtete Anforderungen wahr. Dieses Gefühl geht bei intellektuell und analytisch ausgerichteten Menschen in eine bewusste Wahrnehmung, das Verantwortungsbewusstsein über.
  • Problembewusstsein ist das Wissen um das Vorhandensein eines Problems.
  • Gruppenbewusstsein ist die Fähigkeit, über sich selbst, die eigene Stellung im Sozialverband und über die Zugehörigkeit zum Kreis der Gruppenmitglieder nachzudenken.,
  • Kollektivbewusstsein: Der Begriff wurde von E. Durkheim geprägt und besagt jene geistige Einheit eines sozialen Systems – wie Gesellschaft, Gruppe oder Kollektiv –, die das System identitätsstiftend zusammenhält/konstituiert und sich in Sprache und Schrift, Moral und Recht, Brauch und Gewohnheit, Tradition und Institution, Wissen und Gewissen, aber auch kollektiven Handlungsweisen wie Riten und Zeremonien manifestiert und objektiviert.
  • Standesbewusstsein: nach standesbewusst: in seiner Verhaltensweise bestimmt durch die bewusste Zugehörigkeit zu einem Stand
  • Klassenbewusstsein ist die spezifische Vorstellung einer Klasse über ihre grundlegenden Interessen und ihre Rolle in der Gesellschaft sowie ihre materiellen Existenzbedingungen.
  • Nationalbewusstsein ist das Bewusstsein eines Einzelnen oder einer Gruppe, einer bestimmten Nation anzugehören.
  • Geschichtsbewusstsein ist das Bewusstsein von der Geschichtlichkeit jeder menschlichen Existenz, menschlicher Kulturen und Institutionen und menschlicher Erkenntnis
  • Rechtsbewusstsein ist die politisch-moralische Erkenntnis darüber, was Recht oder Unrecht unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen ist.
  • Unrechtsbewusstsein: Unter Unrechtsbewusstsein wird in der deutschen Strafrechtsdogmatik das Bewusstsein verstanden, dass mit einem bestimmten Handeln Unrecht getan wird.
  • Umweltbewusstsein ist die Einsicht eines Menschen in die Tatsache, dass Menschen die natürliche Umwelt – und damit die Lebensgrundlage der Menschen – durch ihr Tun und Lassen bzw. durch Eingriffe in die Umwelt schädigen oder ihr natürliches Gleichgewicht gefährden.
  • Kulturbewusstsein wird durch Reflexion über Zusammenhänge zwischen Kultur, Bildung und Identität – sowohl auf individueller als auch kollektiver Ebene – erreicht.

Bei der Mehrzahl der Erklärungen (10 von 14) der Wortkombinationen wird das Stammwort „Bewusstsein“ nicht verwendet. Die Termini beschreiben einzelne oder auch ein Komplex von habituellen Verhaltensweisen und psychischen Dispositionen wie Kenntnisse, Einsichten, Vorstellungen, Fähigkeiten, Überzeugungen, die sich auf Bereiche der gesellschaftlichen Realität beziehen. Auch in den Fällen, in denen zur Erklärung das Wort „Bewusstsein“ verwendet wird, lässt sich die Bedeutung auch ohne dieses Wort beschreiben.

Vorschläge zur Einordnung des Unbewussten

Obwohl es aus der Hirnforschung klare Hinweise gibt, dass bewusste und unbewusste Prozesse als untrennbarer Gegensatz zu betrachten sind und dies auch ein Paradigma ihres Forschungsansatzes ist, werden unbewusste Zustände und Prozesse sowohl in der Philosophie als auch in der Psychologie nur am Rande behandelt. Nur in einem Lehrbuch der Psychologie (BW) werden bestimmte Formen des Unbewussten unterschieden und auch von Graden des Bewusstseins gesprochen. In allen Quellen, die sich mit dem Unbewussten beschäftigen, wird auf die Theorie von Freud verwiesen, obwohl sie in vielen Fragen überholt ist und es eine Reihe von Weiterentwicklungen gibt. Eine Idee von Freud, die er mit dem Bild eines Eisbergs illustriert hat, war, die Begriffe zu verwenden „bewusst“ (über der Wasseroberfläche), „vorbewusst“ (kurz unter der Wasseroberfläche) und „unbewusst“ (der weitaus größere tiefer liegende Teil des Eisbergs). In dieser Verwendung werden, wie auch mit seiner Visualisierung verdeutlicht werden soll, die beschriebenen Zustände als relativ konstant angesehen.

Ein möglicher Zugang zu Explikation des Begriffspaares bewusst-unbewusst, der in der gesichteten Literatur nicht erkennbar enthalten ist, wäre ihre Einordnung als ein Parameter psychischer Dispositionen. Unter psychischen Dispositionen (bei Kossakowski et al. 1988 „psychische Eigenschaften“ genannt) werden nach Brezinka (1990) hypothetische Kausalfaktoren bzw. theoretische Konstrukte wie etwa Kenntnisse, Haltungen, Einstellungen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Interessen, u. a. verstanden, mit denen man das Verhalten von Personen beschreiben oder erklären kann. Dabei handelt es sich um habituelle mentale Zustände, die sich im Laufe der ontogenetischen Entwicklung meist im Ergebnis von Lernprozessen herausgebildet haben. Ein Qualitätsparameter dieser Zustände ist ihre Verfügbarkeit durch die jeweilige Person. Man kann verschiedene Grade der Verfügbarkeit unterscheiden.

  • Unmittelbar Verfügbares: Dazu gehören die Fähigkeit, sich in der Alltagssprache auszudrücken, elementare Rechenfertigkeiten, grundlegende motorische Fähigkeiten, die aktuellen Wahrnehmungen und andere.
  • Mittelbar Verfügbares: Aktuell Nichtverfügbares kann verfügbar werden, u. a. durch
    • durch gezielte geistige oder körperliche Anstrengungen, insbesondere unter Nutzung heuristischen Hilfsmittel (Fragen an sich selbst, „Eselsbrücken“ u. a.)
    • spontane oder gezielte Prozesse der Erinnerung,
  • Nichtverfügbares: Dazu gehören Prozesse im vegetativen Nervensystem, aber auch unbewusst ablaufende Denkprozesse.

Die Begriffe „Verfügbares“ und „Nichtverfügbares“ bilden ein Paar graduierbar-polarer Lexeme (Antonymie). Man kann Verfügbares auch als Bewusstes und Nichtverfügbares als Unbewusstes bezeichnen und im obigen Sinne explizieren.

Dieser kognitionspsychologische Zugang ermöglicht auch einen Bezug zu kreativen Prozessen, auf die auch in der Literatur hingewiesen wird: „Und neben den Aspekt des Unbewussten als Bewusstseinsschranke tritt der Aspekt des Unbewussten als Quelle von Kreativität in den Vordergrund, nicht zuletzt auch der kognitiven. Diese Konzeption hat über die Psychoanalyse hinaus allgemeine epistemologische Bedeutung, insbes. in den Humanwissenschaften. Sie liefert ein exemplarisches Modell für die wissenschaftliche Aneignung des Unbewussten und zwar nicht bloß als Forschungsgegenstand, sondern auch als Moment der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wo eine solche Aneignung versucht wird, erscheint  […] das Unbewusste zum einen als zu überwindende Grenze der Erkenntnis, zum anderen aber als unverzichtbare Quelle neuer Erkenntnisse“ (Sandkühler et al. 2010, S. 2826).

Der französische Mathematiker Jacques Hadamard (1865-1963) hat 1949 in einer von Psychologen damals viel beachteten Publikationen (Hadamard 1975) eine Theorie der Erkenntnisgewinnung veröffentlicht, die auf Analysen von eigenen Erkenntnisprozessen und von Selbstberichten von Helmholtz,  Newton, Poincaré u. a. beruht. Danach verläuft der Prozess der Gewinnung neuer Erkenntnisse modellhaft in folgenden vier Phasen:

  • Präparation (Vorbereitung)
  • Inkubation (Ausbrütung)
  • Illumination (Erleuchtung, Inspiration)
  • Verifikation (Überprüfung, Einordnung)

In der Phase der Präparation wird das Problem erkannt, die Bearbeitung in Angriff genommen, aber erfolglos abgebrochen. Das spontane Auftreten der Lösung (die Illumination) und das damit verbundene Gefühl ihrer Wahrheit erklärt sich Hadamard durch eine Phase der vorhergehenden im Unterbewusstsein ablaufenden geistigen Prozesse (Inkubation), zu denen aber keiner der Wissenschaftler einen Zugang hatte. Mit der vollständigen Darstellung und abschließende Überprüfung der Lösung wird der Prozess abgeschlossen.

Möglichkeiten zur Formulierung von Aussagen zum Bewusstsein in der philosophischen Literatur ohne dieses Wort

Aus der vorgeschlagenen Beschränkung der Bedeutung des Begriffs „Bewusstsein“ auf den Aspekt der Wachheit und der aktuellen Verfügbarkeit von mentalen Objekten ergeben sich nur wenige Konsequenzen für seine Verwendung in der psychologische und fast keine in der neurowissenschaftlichen Literatur.

In vielen philosophischen Arbeiten, insbesondere in der Literatur von Hegel, spielt das Wort „Bewusstsein“ eine zentrale Rolle. An Beispielen für entsprechende Aussagen aus Publikationen von Hegel sollen Möglichkeiten für Formulierungen mit dem gleichen Inhalt ohne das Wort „Bewusstsein“ zu verwenden, dargestellt werden.

Auf dieser Grundlage sollen nun einige Formulierungen mit dem Wort „Bewusstsein“ ohne dieses Wort ausgedrückt werden.

„Das Bewusstsein ist ‚erscheinendes Wissen‘ in dem gedoppelten Sinne, dass es einerseits … niemals unmittelbar absolutes Wissen ist und vielmehr immer auch ein Moment des Scheins … enthält, wie dass es andererseits sich selbst als Erscheinung (also anderem Wissen) zeigendes Wissen ist“ (Hoffmann 2015, S. 208). Die gleichen Zusammenhänge können auch in folgender Weise ausgedrückt werden: Die aktuellen Kenntnisse eines Menschen oder das aktuelle Wissen können niemals als absolut gültig angesehen werden und haben immer auch ein Moment der Äußerlichkeit. Das aktuelle Wissen ist nach seiner Verinnerlichung eine Grundlage für Denkvorgänge eines Menschen und kann bei ihm zu darüberhinausgehenden Erkenntnissen führen.

„Denn das Bewußtsein ist einerseits Bewußtsein des Gegenstandes, andererseits Bewußtsein seiner selbst; Bewußtsein dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtsein seines Wissens davon. Indem beide für dasselbe sind, ist es selbst ihre Vergleichung; es wird für dasselbe, ob sein Wissen von dem Gegenstande diesem entspricht oder nicht. … Allein gerade darin, daß es überhaupt von einem Gegenstande weiß, ist schon der Unterschied vorhanden, daß ihm etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewußtsein ist. Auf dieser Unterscheidung, welche vorhanden ist, beruht die Prüfung. Entspricht sich in dieser Vergleichung beides nicht, so scheint das Bewußtsein sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstande gemäß zu machen; aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst, denn das vorhandene Wissen war wesentlich ein Wissen von dem Gegenstande; mit dem Wissen wird auch er ein anderer, denn er gehörte wesentlich diesem Wissen an“ (Hegel 1970, S. 77–78).

Hegel betrachtet das Problem der Bestimmung der Wahrheit des Wissens, also der Kenntnisse eines Menschen und fragt nach dem Maßstab für diese Überprüfung, die er als Vergleichung bezeichnet. Das Zitat kann in folgender Weise umformuliert werden: „Im Gedächtnis eines Menschen ist zum einen das Ergebnis der Verinnerlichung eines Untersuchungsgegenstandes enthalten. Dabei kann es sich um entäußertes Mentales, wie etwa eine philosophische Theorie, oder ein anderes nichtmentales Objekt, wie eine bestimmte Pflanze, handeln. Weiterhin enthält das Gedächtnis die Kenntnisse und Vorstellungen zum Wesen des Gegenstandes und der Mensch ist sich dieser Kenntnis und Vorstellungen bewusst. Der Mensch kann nun auf der Grundlage der Gesamtheit seiner Kenntnisse durch entsprechende Überlegungen überprüfen, ob seine Auffassungen vom Wesen des Gegenstandes seiner Verinnerlichung entsprechen. Ist das nicht der Fall, muss er seine Auffassungen zum Wesen des Gegenstandes ändern. Damit ändert sich auch die Verinnerlichung des Gegenstandes, die als ein Moment sein Wesen enthält.“ Diese Überlegungen von Hegel setzen voraus, dass das Ergebnis der Verinnerlichung die wesentlichen Momente des Gegenstandes enthält. Dies wird in den meisten Fällen einer wissenschaftlichen Forschung nicht der Fall sein. Der Gegenstand als nichtmentales Objekt muss immer wieder erneut untersucht werden, um das System der Verinnerlichung anzureichern oder zu korrigieren. So besteht die gedankliche Auseinandersetzung mit einer philosophischen Theorie darin, diese immer wieder erneut zu befragen und mit anderen Theorien zu vergleichen. Aber der Grundgedanke Hegels, dass der eigentliche Erkenntnisprozess sich auf der mentalen Ebene im Wechselverhältnis der angegebenen Momente des Gedanklichen vollzieht, erfasst das wesentliche Moment der Erkenntnisgewinnung.

Literaturverzeichnis

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Becker-Carus, Christian; Wendt, Mike (2017): Allgemeine Psychologie. Eine Einführung. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Berlin: Springer (Lehrbuch).

Blackmore, Susan (2019): Das schwierigste Problem. In: Spektrum der Wissenschaft Kompakt, S. 32–39. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/pdf/spektrum-kompakt-bewusstsein/1682388, zuletzt geprüft am 19.01.2022.

Brezinka, Wolfgang (1990): Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft. Analyse, Kritik, Vorschläge. 5., verb. Aufl., 24. – 26. Tsd. München: E. Reinhardt (Gesammelte Schriften). Online verfügbar unter http://ebooks.ciando.com/book/index.cfm/bok_id/12118.

Carruthers, Peter (2019): Es gibt kein bewusstes Denken. In: Spektrum der Wissenschaft Kompakt, S. 48–52. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/pdf/spektrum-kompakt-bewusstsein/1682388, zuletzt geprüft am 19.01.2022.

Dorsch, Friedrich; Wirtz, Markus Antonius; Strohmer, Janina (Hg.) (2014): Dorsch – Lexikon der Psychologie. 17., vollst. überarb. Aufl. Bern: Huber. Online verfügbar unter https://dorsch.hogrefe.com/.

Engel, Andreas K. (2019): Das Netz des Bewusstseins. In: Spektrum der Wissenschaft Kompakt, S. 13–22. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/pdf/spektrum-kompakt-bewusstsein/1682388, zuletzt geprüft am 19.01.2022.

Hadamard, Jacques (1975): An essay on the psychology of invention in the mathematical field. Unaltered and unabridged reprint of the enlarged (1949) ed. New York, NY: Dover Publ.

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[1] Die Erklärungen der Wörter stammen aus einschlägigen Internetquellen und sollen nur auf gebräuchliche Bedeutungen hinweisen.