Hans-Dieter Sill, 28.03.2021

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Alleinsein und Zusammensein mit anderen Menschen

Allgemeines

Mit anderen Menschen zusammen zu sein und allein zu sein, sind zwei Prozesse, die nicht gleichzeitig eintreten können. Das Zusammensein mit anderen Menschen beinhaltet, dass mit diesen auch kommunikative oder körperliche Kontakte bestehen. Man kann auch in einem Restaurant alleine sein, wenn man keinerlei Kontakte zu anderen Menschen in dem Restaurant hat, außer mit dem Kellner, der die Bestellungen aufnimmt und das Essen bringt.

Die Gedanken, die ein Mensch in einem dieser beiden Prozesse hat, können sich aber auch auf den jeweils anderen Prozess beziehen. Wenn ich allein bin und über mich nachdenke, kann ich auch Gedanken zu meinen Beziehungen zu anderen Menschen haben. Wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, kann ich auch daran denken, wie es ist, wenn ich jetzt alleine wäre.

Der Prozess des Übergangs vom Prozess des Alleinseins zum Prozess des Zusammeneins mit anderen Menschen beinhaltet die Aufnahme oder Reaktivierung von Kontakten zu anderen Menschen.

Der Übergang vom Zusammensein mit anderen Menschen zum Alleinsein kann sich in verschiedenen Formen gestalten. Man kann sich von den anderen Menschen abkapseln oder aus einer Gemeinschaft mit anderen Menschen ausgeschlossen werden. Es ist auch möglich, dass eine Beziehung aus objektiven Gründen beendet wird, wie etwa beim Verlassen der räumlichen Umgebung, bei einer beruflichen Veränderung oder bei der Scheidung einer Ehe.

Eheliche Gemeinschaft

Ein Spezialfall des Wechselverhältnisses von Alleinsein und Zusammensein ist die Beziehung zwischen zwei Menschen in einer ehelichen Gemeinschaft. Die Gestaltung dieses Verhältnisses ist ein Faktor der Qualität der Beziehungen in der Ehe. In einer guten Ehe sollte es ein ausgewogenes und bewusst gestaltetes Verhältnis zwischen Alleinsein und Zusammensein geben.

Alleinsein heißt in diesem Fall, dass beide räumlich getrennt voneinander sind oder dass sich einer bei Anwesenheit des anderen völlig in sich zurückzieht.

Zusammensein bedeutet, dass beide miteinander sprechen, stumme oder körperliche Kontakte miteinander haben. Auch bei einer räumlichen Trennung können sie zusammen sein, indem die Kommunikation über telefonische oder elektronische Medien erfolgt.

Alleinsein bedingt ein harmonisches Zusammensein. Jeder Partner braucht die Möglichkeit, auch einmal nur für sich zu sein, ungestört seine eigenen Überlegungen anzustellen, seinen eigenen Interessen nachzugehen oder sich auch alleine zu waschen, zu pflegen oder alleine auf der Toilette zu sitzen.

Man ist in der Ehe auch allein, wenn man mit anderen Menschen außer seinem Ehepartner etwa im beruflichen Alltag, bei sportlichen Veranstaltungen oder in Vereinen zusammen ist. Reichhaltige Formen dieses Alleinseins in der Ehe sind eine gute Bedingung für das Zusammensein. Jeder kann aus diesen individuellen Bereichen seines Lebens das gemeinsame Leben befruchten.

Man kann auch alleine in der Beziehung sein, selbst wenn der Partner anwesend ist. Dies ist etwa auf einem Betriebsfest der Fall, wenn man nur mit den Kollegen beschäftigt ist und der Partner alleine sitzt und nur mit anderen spricht. Aber auch, wenn man nur zu zweit mit dem Partner in einem Raum ist, kann man alleine sein. Man ist mit seinen Gedanken für sich, während der Partner redet. Dies kann ein längerer Prozess des Nichtzuhörens, der Abkapselung sein, aber auch sich nur kurzzeitig einstellen, um für sich Gedanken zu Problemen zu entwickeln.

Im Schlaf ist man ebenfalls für sich, auch wenn der Partner neben einem schläft. Es besteht aber immer ein potentielles Zusammensein, man ist sensibel für Geräusche und Bewegungen des Partners.

Im Prozess des Alleinseins können Gedanken zum Zusammensein mit dem Partner entstehen. Man erinnert sich an bisherige Phasen des Zusammenseins oder denkt über künftiges Zusammensein nach. Alleinsein und Zusammensein können also gedanklich gleichzeitig in enger Wechselbeziehung ablaufen.

Der Übergang vom Alleinsein zum Zusammensein ist zum einen durch die Motivation mit dem Partner zusammen zu sein gekennzeichnet. In der Stärke dieser Motivation drückt sich die Tiefe des Verhältnisses aus. Zu den Bedingungen des Übergangsprozesses gehört, dass entsprechende Möglichkeiten des Zusammenseins vorhanden sind bzw. geschaffen werden. So ist etwa ein geregelter entsprechender Tagesablauf eine günstige äußere Bedingung, indem man z. B. die Mahlzeiten nach Möglichkeit zusammen einnimmt oder sich jeden Abend zu einem gemeinsamen Gespräch trifft.

Ein vielfältiges, anregendes, vertrauliches und gelegentlich auch intimes Zusammensein ist eine notwendige Bedingung für das Alleinsein. Man geht gestärkt und motiviert in die Phase des Alleinseins, in der eigenen Wohnung, im Beruf oder anderen sozialen Communities. Man hat das Gefühl, dass immer der andere einem den Rücken stärkt. Die Gedanken an den anderen erfüllen den einen mit Freude und Befriedigung und motivieren zu den Tätigkeiten in der Phase des Alleinseins.

In der Phase des Zusammenseins können auch Gedanken oder Gespräche zum Alleinsein der Partner entstehen. Man plant gemeinsam die nächste Phase des jeweiligen Alleinseins. Man kann auch in Gedanken schon beim Alleinsein sein. Dies muss kein Zeichen einer gestörten Beziehung sein, sondern Bestandsteil von Überlegungen zur nächsten Phase und des Übergangs in diese Phase. Diese Überlegungen können dann auch in der Phase des Zusammenseins zur Wirkung kommen.

Der Übergang vom Prozess des Zusammenseins zum Alleinsein kann motiviert sein durch das Streben nach Alleinsein. Motive können das Streben nach selbstständiger schöpferischer Tätigkeit sein. Der Prozess kann aber auch durch äußere Faktoren bestimmt werden, wie etwa der Beginn der beruflichen Tätigkeit oder einer Tätigkeit in Gesellschaften und Vereinen oder der Notwendigkeit, schlafen zu gehen.

Konsequenzen für Forschungen

Mit den Betrachtungen zum Verhältnis von Zusammensein und Alleinsein können zielgerichtet Forschungen in Angriff genommen werden. Es könnte zum Beispiel folgende Fragen durch empirische Untersuchungen beantwortet werden:

  • Wie ist das Verhältnis von Alleinsein und Zusammensein in Ehen?
  • Gibt es Zusammenhänge zur Einschätzung der Ehe als glücklich oder weniger glücklich?
  • Ändert sich das Verhältnis im Lauf einer Ehe?
  • Gibt es Zusammenhänge zwischen der Art und der Häufigkeit des Verhältnisses und dem Scheitern einer Ehe?
  • Wie gestalten Paare den Übergang zwischen den beiden Prozessen?
  • Wie häufig und in welcher Richtung denken Partner in einem Prozess an den anderen Prozess? Gibt es Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit und der Richtung des Denkens mit anderen Parametern des Eheverlaufs?
  • Welche Motive gibt es beim Übergang zwischen den Phasen?