Hans-Dieter Sill, 30.03.2021

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Kritik an Hegel

Inhalt

Generelle Kritiken der Hegelschen Theorien

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)

Sir Karl Raimund Popper (1902 – 1994)

Herbert Schnädelbach (*1936)

Kritik an dem Bezug zur Empirie und Realität

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854)

Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872)

Kritik an Hegels Erziehungsauffassung

Max Stirner (1806 – 1856)

Kritik an idealistischen Momenten bei Hegel durch Marx

Karl Marx (1818-1883)

Wagenknecht zu Marx und Hegel

Henrich zu Marx und Hegel

Literaturverzeichnis

Generelle Kritiken der Hegelschen Theorien

Hegel’s Philosophie hat zu erheblichen Kontroversen unter Philosophen geführt. „Für den einen ist die Hegelsche Logik Nonsens, der in den Giftschrank gehört, weil sie die Köpfe junger Leute oft auf immer für jeden klaren Gedanken verdirbt. Ein anständiger Mensch sollte eine Denkdisziplin sich aneignen, die ihn immunisiert gegen die Einbildung, man könne dieses Buch verstehen.“ (Spaemann 1983, S. 25) Viele grundlegende Kritiken kommen von nicht gerade unbedeutenden Philosophen. Eine Darstellung ihre Ansichten und eine Auseinandersetzung mit ihnen gehört zum Ganzen der Hegelschen Theorien. Sie vertiefen und schärfen seine Ansichten.

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)

Schopenhauer, der den pejorativen Begriff „Hegelei“ für eine unverständliche, mystifizierende Sprache erfand, die den Eindruck von gedanklicher Tiefe, Komplexität und Wichtigkeit erzeugen soll, tatsächlich aber weitgehend inhaltsleer ist, damit auch wenn dann nur minimalen, meist überhaupt keinen Erkenntnisgewinn ermöglicht, sagte: „Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, … hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt.“ (nach Weischedel 1997, S. 109)

Um die völlige Ablehnung von Hegel durch Schopenhauer in Ansätzen zu verstehen sollen einige Fakten aus einem Leben und Elemente seine philosophischen Theorien angegeben werden (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Schopenhauer, Version vom 10. November 2022).

Leben, Wirkungen

  • Er wurde als Sohn eines reichen Kaufmanns in Danzig geboren, der ihn zwang eine Kaufmannslehre zu beginnen. Die Pedanterie und der Ordnungssinn eines Kaufmanns prägten auch seine spätere Tätigkeit. Sein langer Kampf gegen Setzfehler passte zu seiner väterlichen Prägung vom penibel kalkulierenden Kaufmann und zu dem Bewusstsein, eine bedeutende Schrift verfasst zu haben.
  • Nach dem Unfall Tod seines Vaters brach er die Lehre ab und begann ein Studium der Philosophie.
  • Er brauchte in seinem Leben nur wenig arbeiten, da er vom Vermögen seines Vaters leben konnte.
  • Schopenhauers Tagesablauf war strukturiert: morgens die Arbeit am Schreibtisch, Flötespielen regelmäßig vor dem Mittagessen. Die Mahlzeiten soll Schopenhauer nach der Überlieferung seiner Biographen stets in Gasthäusern eingenommen haben, bevor er einen zweistündigen Spaziergang mit einem Pudel machte, den er ein Leben lang hatte. Er war ein Misanthrop.
  • Mit 21 verliebte er sich unglücklich in eine 32-jährige Schauspielerin und Opernsängerin. Mit 33 begann er ein Verhältnis mit einer 19-jährigen Opernsängerin, die sich aber dann von ihm trennte. Mit 43 interessierte er sich noch mal für ein 17-jähriges Mädchen. Er blieb bis zum Lebensende allein. Schopenhauer zufolge sind über sexuelle Leidenschaft hinausgehende Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen nicht möglich.
  • Schopenhauers Theorien hatte Einfluss auf zahlreiche Philosophen und Künstler, wie Richard Wagner, Wilhelm Busch, Thomas Hardy, Friedrich Nietzsche, Henri Bergson, Thomas Mann, Bruno Frank, Hermann Hesse, Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Samuel Beckett, Thomas Bernhard, Stanisław Lem, Arno Schmidt, August Macke, Jorge Luis Borges und Michel Houellebecq, Leo Tolstoi
  • Ferdinand Tönnies’ Willenstheorie als Axiomatik der Soziologie in Gemeinschaft und Gesellschaft (1887) weist starke Einflüsse Schopenhauers auf. Max Scheler bezeichnete Schopenhauer im Jahr 1906 als Auslöser der Lebensphilosophie: „[Er ist] Vorgänger des Pragmatismus – nicht als Philosophie, sondern als Methodologie der Wissenschaft. […] insofern er den Intellekt als eine bloße Waffe des blinden Lebenswillens im Kampf ums Dasein ansieht […], ist er der Vorgänger Bergsons.“
  • Max Horkheimers Denken war stark von Schopenhauers Pessimismus beeinflusst:
  • Die Rezeption und Verbreitung des Buddhismus in Deutschland – so schon in den Schriften Richard Wagners – lässt sich auch auf Schopenhauers Wirken zurückführen. Der Philosoph sah in dieser Religion einen Gegenentwurf zur abendländischen Metaphysik und deutete deren Erkenntnisstreben als Mittel, die geistige Isolierung des Individuums zu durchbrechen. Schopenhauer fand zahlreiche Verbindungen zwischen seiner eigenen Philosophie und der buddhistischen Lehre, etwa den Atheismus.
  • Die Psychoanalyse Sigmund Freuds setzt unmittelbar bei Schopenhauers Lehre vom Willen und seiner Negierung an, indem sie die Schäden untersucht, die durch (willentliche oder unfreiwillige) Triebunterdrückung entstehen. Freuds Ansatz kann als Versuch der Re-Rationalisierung des menschlichen Lebens eingeordnet werden, da er eine Methode zur Analyse des schopenhauerschen Begriffs des Willens erarbeitet, mit dem Ziel, diesen kontrollierbar zu machen. „Wo ES war, soll ICH werden.“
  • Daneben knüpfte Carl Gustav Jung, Hauptvertreter der Analytischen Psychologie, mit seinem Konzept des kollektiven Unbewussten an Schopenhauer an.

Ansichten, Ideen

  • Schopenhauer verfasste drastische Polemiken gegen Hegel, Schelling, Fichte und den zunächst verehrten Schleiermacher.
  • Schopenhauer bevorzugte einen aufgeklärten monarchischen Absolutismus, weil sich nur so die Menschen zügeln und regieren ließen. Er sprach von einem „monarchischen Instinkt im Menschen“. Republiken hingegen seien „widernatürlich, künstlich gemacht und aus der Reflexion entsprungen […] überall muß Ein Wille der leitende seyn.“
  • Ähnlich wie George Berkeley vertritt Schopenhauer die Auffassung, dass sich die Frage nach einer von ihrer Wahrnehmung unabhängig gegebenen Außenwelt nicht stelle.
  • Schopenhauer widersprach der Überzeugung Kants, dass das Ding an sich jenseits aller Erfahrung liegt und deshalb nicht erkannt werden könne. Kants Ding an sich war für ihn zwar auch unerkennbar, jedoch nicht unerfahrbar. Durch eine Selbstbeobachtung unserer Person können wir uns dessen gewiss werden, was wir letzten Endes sind: Wir erfahren in uns den Willen. Er ist das Ding an sich und damit nicht nur die Triebfeder allen Handelns von Mensch und Tier, sondern auch die metaphysische Erklärung der Naturgesetze. Die Welt ist letztlich blinder, vernunftloser Wille. Schopenhauer ist somit der klassische Philosoph und Hauptvertreter des metaphysischen Voluntarismus.
  • Schopenhauer begründete ein System des empirischen und metaphysischen Pessimismus. Der blinde, vernunftlose Weltwille ist für ihn die absolute Urkraft und somit das Wesen der Welt. Die Welt – als Erzeugnis dieses grundlosen Willens – ist durch und durch schlecht, etwas, das nicht sein sollte, eine Schuld.
  • Die Welt ist ein „Jammertal“, voller Leiden. Alles Glück ist Illusion, alle Lust nur negativ. Der rastlos strebende Wille wird durch nichts endgültig befriedigt. „Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist also Leiden, solange es nicht befriedigt ist. Keine Befriedigung aber ist dauernd, vielmehr ist sie stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das Streben sehen wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend. Solange also immer als Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.“
  • Die Basis allen Wollens ist Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz. Das Leben „schwingt also, gleich einem Pendel, hin und her zwischen dem Schmerz und der Langeweile“. Schon seiner Anlage nach ist das Menschenleben keiner wahren Glückseligkeit fähig. Jede Lebensgeschichte ist eine Leidensgeschichte, eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle.
  • Moralphilosophisch formuliert Schopenhauer im Unterschied zu Kant eine Mitleidsethik. Der einzige Grund, uneigennützig zu handeln, ist die Erkenntnis des Eigenen im Anderen – das ist Mitleid (wobei der Begriff anders als der heutige Sprachgebrauch ein Mitempfinden bedeutet).
  • Im Gegenüber, im anderen Menschen, erkennt nun der Mensch (der individuierte Willen) denselben Willen. Der durch den Willen zur absoluten Bejahung des individuierten Willens strebende Mensch (Egoismus) erkennt nun in seinem Gegenüber, dass nur die absolute Verneinung des Willens des Gegenübers einer absoluten Bejahung des eigenen Willens entspricht. So bemerkt der vom blinden Willen getriebene Mensch, dass in allen anderen Lebewesen derselbe blinde Wille haust und sie ebenso leiden lässt wie ihn. Durch das Mitleid wird der Egoismus überwunden, der Mensch identifiziert sich mit dem Anderen durch die Einsicht in das Leiden der Welt. Nur dadurch kann der Wille, die treibende Kraft nach Schopenhauer, sich selbst am Leben erhalten.

Bemerkungen:

  • In der gleichen Art wie Schopenhauer sich über Hegel geäußert hat könnte man sagen, dass er als Krämerseele, Frauenfeind, Misanthrop, Pessimist und Verächter demokratischer Regierungsformen nicht in der Lage ist, dialektisch zu denken und diese Gedanken in geeigneter Weise auszudrücken.
  • Dies zeigt sich auch in seiner Theorie, in der nur immer eine Seite eines Ganzen betrachtet wird. In dem Verhältnis von Wollen und Können beschränkte er sich auf das Wollen und im Verhältnis von Glück und Unglück oder Lust und Leid auf das Negative dieser Verhältnisse.
  • Schopenhauers Philosophie basiert auf der realen Bedeutung des Willens bzw. der Motivation für das Leben eines Menschen und damit auch einer Gemeinschaft die in solchen Wendungen wie der Wille kann Berge versetzen, ein starker Willen, Willenskraft und anderen zum Ausdruck kommt. Außer Acht lässt er offensichtlich, dass zur Durchsetzung des Willens auch reale Möglichkeiten zu seiner Befriedigung vorhanden sein müssen.
  • Dass so viele Philosophen und Künstler von der Lehre Schopenhauers beeindruckt waren, hängt möglicherweise damit zusammen, dass seine Thematisierung des Willens eines Menschen eine persönliche Bedeutung für jeden hat. Auch der Grundzug seiner pessimistischen Haltung könnte aus dem persönlichen Befinden der Betreffenden resultieren.
  • Er thematisiert auch die häufig anzutreffende Grundhaltung, dass die Welt insgesamt schlecht ist und das Leben oft durch leidvolle Erfahrungen geprägt wird.
  • Zutreffend ist auch die Erkenntnis, dass Ausgangspunkt des Wollens immer ein Mangel, ein unbefriedigtes Bedürfnis ist und dass jede Befriedigung wieder Ausgangspunkt eines neuen Strebens ist.
  • Seine Mitleidsethik entspricht dem Streben nach Empathie gegenüber anderen Menschen und ist eine akzeptable Grundlage moralischen Handelns.

Sir Karl Raimund Popper (1902 – 1994)

Nach Popper habe Hegel durch den Versuch durch unverständliche Sprache tatsächlich fehlende inhaltliche Substanz vorzutäuschen, in der Philosophiegeschichte eine neue Epoche eingeleitet, die nicht auf Gedankenaustausch und Argumentation, sondern auf Beeindruckung und Einschüchterung ausgerichtet gewesen sei. Dieser ‚Jargon‘ habe zunächst intellektuelle und dann auch moralische Verantwortungslosigkeit nach sich gezogen. (Popper 2003) Popper versucht auch Verbindungen dieses Denkens zu Zentralismus, Etatismus und Nationalismus und Faschismus aufzuzeigen. Die geistesgeschichtlichen Wurzeln des letzteren sieht er vor allem in einer Kombination hegelianischer Geschichtsphilosophie mit den neomalthusianischen Biologismen des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere denen Ernst Haeckels. Popper bringt das philosophische Fundament der faschistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts auf die Formel „Hegel plus Haeckel“ (Popper 2003, S. 73). Habermas stellt in seinem Hauptvertrag auf dem Hegel-Kongress 1981 fest, dass Popper Hegel als Feind der offenen Gesellschaft entlarvt hat. (Habermas 1983, S. 42)

Um die völlige Ablehnung von Hegel durch Popper in Ansätzen zu verstehen sollen einige Fakten aus einem Leben und Elemente seine philosophischen Theorien angegeben werden (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper, Version vom 7. Oktober 2022)

Leben

  • Popper entstammt einer österreichisch Intellektuellenfamilie mit jüdischen Wurzeln. Er besuchte bereits mit 16 Jahren Vorlesungen in Mathematik, Geschichte, Psychologie, Theoretischer Physik und Philosophie.
  • Popper war in den zwanziger Jahren in Wien politisch aktiv, er engagierte sich – zunächst vor allem an pädagogischen Fragen interessiert –in der sozialistischen Jugendbewegung und in der Wiener Schulreformbewegung. Er war zeitweise Mitglied der kommunistischen Partei.
  • Popper hatte Kontakt zum Wiener Kreis, wodurch er zu weiteren Beschäftigung mit der Philosophie angeregt wurde. 1928 wurde Popper beim Psychologen und Sprachtheoretiker Karl Bühler mit der Dissertation „Die Methodenfrage der Denkpsychologie“ promoviert.
  • 1929 erwarb er die Lehrberechtigung für die Hauptschule in den Fächern Mathematik und Physik und war dann bis 1935 als Hauptschullehrer tätig.
  • Aufgrund der politischen Situation in Österreich nahmen Popper 1937 das Angebot einer Dozentur an der University of Canterbury in Christchurch (Neuseeland) an und ging mit seiner Frau ins Exil.
  • 1944 erhielt Popper – vor allem durch Unterstützung von Friedrich von Hayek – das Angebot für eine Professur in London, welches er annahm. 1949 wurde er Professor für „Logik und wissenschaftliche Methodenlehre“ an der Universität London.
  • Er war Gründungsmitglied der 1947 von Friedrich August von Hayek gegründeten Mont Pèlerin Society. Die Gesellschaft verfolgt das Ziel, zukünftige Generationen von wirtschaftsliberalen Ideen zu überzeugen. Sie ist bis heute ein zentraler Knotenpunkt neoliberaler Netzwerke. Popper vertrat im Unterschied zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft eine humanitär orientierte Einstellung und betonte, er halte es für Nonsens, das Prinzip freier Märkte zum Götzen zu erheben.
  • Auch nach seiner Emeritierung 1969 war er wissenschaftlich und politisch bis an sein Lebensende aktiv. Bereits 1965 wurde er für sein Lebenswerk zum Ritter geschlagen. Popper erhielt eine große Anzahl von Auszeichnungen, Medaillen und Preisen sowie von Ehrendoktorwürden.

Ansichten, Ideen

  • Popper legte seine Ansichten zur Wissenschaftstheorie umfassend in seinem Werk Logik der Forschung dar, das 1934 zuerst auf Deutsch erschien. Popper schlägt darin vor, dass Theorien frei erfunden werden dürfen. Im Nachhinein sollen dann Experimente erfolgen, deren Ergebnisse als Basissätze konventionell festgelegt werden. Durch diese Basissätze können dann die Theorien widerlegt (falsifiziert) werden, wenn die Folgerungen, die aus ihnen deduziert werden, sich im Experiment nicht bestätigen. In einem evolutionsartigen Selektionsprozess setzen sich so diejenigen Theorien durch, deren Widerlegung misslingt. Er fordert für Theorien Widerspruchsfreiheit als „oberste axiomatische Grundforderung“ (Popper 1989, S. 59).
  • Poppers bekanntestes Werk ist das in alle Weltsprachen übersetzte „The Open Society and Its Enemies“ von 1945. Darin rechnet er detailliert mit den Gedankensystemen von Platon, Hegel und Marx ab, die seiner Meinung nach totalitäre Systeme theoretisch begründet und praktisch befördert haben. Als positives Gegenbild zu diesen „geschlossenen Gesellschaften“ entwirft er eine „offene Gesellschaft“, die nicht am Reißbrett geplant, sondern sich pluralistisch in einem fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen evolutionär fortentwickeln soll. Der Begriff „Offene Gesellschaft“ ist in die politische Sprache eingegangen.

Seine wissenschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Ansichten werden auch in seiner Schrift „Was ist Dialektik?“ von 1940 deutlich (Popper 1993), in der er auch seine fundamentale Kritik an Hegel deutlich artikuliert und begründet. Die folgenden Ausführungen basieren auf einer eigenen Analyse dieser Schrift.

Er erläutert zunächst die Trial-and-error-Methode, die er als wissenschaftliche Methode bezeichnet, mit der Theorien auf ihre Tauglichkeit überprüft werden können und die die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens beschreibt. Das dialektische Denken wird seiner Meinung nach durch die Triade Thesis, Antithesis und Synthesis charakterisiert.  Er erläutert dann an Beispielen, dass diese Vorgehensweise im Wesentlichen als wissenschaftliche Erkenntnismethode ungeeignet ist.

Dann setzte sich mit dem Problem des Umgangs mit Widersprüchen durch Dialektiker auseinander, die nach seiner Meinung zu den schwerwiegendsten Missverständnissen und Verwechslungen führen. Er vertritt die Ansicht, dass in der Dialektik das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten nicht als gültig angesehen wird. Nach seiner Meinung müsste man „jedwede Art wissenschaftlicher Tätigkeit aufgeben …, wenn man bereit wäre, Widersprüche zu akzeptieren: es würde den völligen Zusammenbruch der Wissenschaft bedeuten …“ (Popper 1993, S. 269).

Durch Hegel und seine Schule würde eine weitergehende Theorie der Dialektik aufgestellt, „die übertrieben und gefährlicher Weise irreführend ist.“ (Popper 1993, S. 277) Er begründet dies mit der Behauptung, dass Hegel eine Identitätsphilosophie vertritt, in der die Identität von Vernunft und Wirklichkeit angenommen wird. Damit würde es dem Philosophen gestattet werden, „aus dem reinen Denken eine Theorie der Welt zu konstruieren und zu behaupten, dass dies eine wahre Theorie der wirklichen Welt sein müsse.“ (Popper 1993, S. 279)

Popper behauptet weiter, dass Hegel unter dialektischem Schließen ein Schließen versteht, dass das Gesetz vom Widerspruch verwirft und dadurch nicht in der Lage ist, ein Beispiel für solches Schließen auf einem Gebiet der Wissenschaft anzuführen. Popper ist der Ansicht, dass die Hegelsche Philosophie „die übelste [aller] absurden und unglaublichen philosophischen Theorien darstellt.“ (Popper 1993, S. 283)

 Bemerkungen:

  • Es ist nicht zutreffend, dass dialektisches Denken durch die Triade Thesis, Antithesis und Synthesis charakterisiert werden kann. Die Idee dieser Triade wurde von Hegel mehrfach als unsinnig dargestellt.
  • Poppers erkenntnistheoretische Grundidee, das Falsifikationsprinzip bzw. die Trial-and-error-Methode, ist höchst problematisch. Es bleibt die Frage offen, wie man zu den Theorien kommt, die dann zu widerlegen wären. Der Gedanke, dass man eine Theorie widerlegen kann, lässt außer Acht, dass fast jede Theorie durchaus bewahrenswerte Elemente enthält.
  • Es stimmt weiterhin nicht, dass Hegel ein Anhänger der Identitätsphilosophie ist. Hegel hat diesen Begriff, den er polemisch verstand, selber gebildet, um damit die Auffassungen von Schelling zu problematisieren, die sich an der Idee einer einzigen unendlichen und absoluten Substanz von Spinoza orientierten. Die von Hegel vertretenen Auffassungen zur Identität gegensätzlicher Momente beinhalten nicht die Vorstellung, dass diese als gleich angesehen werden können. Hegel hat sich mit der Verunglimpfung der spekulativen Philosophie in seiner Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie 1827 auf den Seiten IX-XVI sehr kritisch am Beispiel der angeblichen Gleichsetzung von Gut und Böse auseinandergesetzt. Die Kritiker erfassen nicht, dass in der Identität der Unterschied bereits angelegt ist. Er schreibt: „Lessing sagte zu seiner Zeit: die Leute gehen mit Spinoza wie mit einem toten Hunde um; man kann nicht sagen, daß in neuerer Zeit mit dem Spinozismus und dann überhaupt mit spekulativer Philosophie besser umgegangen werde, wenn man sieht, daß diejenigen, welche davon referieren und urteilen, sich nicht einmal bemühen, die Fakta richtig zu fassen und sie richtig anzugeben und zu erzählen. Es wäre dies das Minimum von Gerechtigkeit, ich und ein solches doch könnte sie auf allen Fall fordern.“ Diese Aussage trifft auch für Popper zu.
  • Popper erfasst nicht den Unterschied zwischen logischen und dialektischen Widersprüchen. Seine ganze langatmige Auseinandersetzung mit dem Problem der Widersprüche in der Dialektik besteht ausschließlich in formallogischen Betrachtungen. Er beweist mit logischen Mitteln umständlich die triviale Tatsache, dass formal nicht gleichzeitig eine Aussage und ihre Negation war sein können. Die dialektische Einheit gegensätzlicher Momente ist eine inhaltliche Betrachtung, die sich nicht mit Mitteln der formalen Logik formalisierten lässt. Popper unterstellt Hegel in Unkenntnis dessen eigener Aussagen, dass er gegen die Gesetze der formalen Logik verstößt. Dieses prinzipielle Unverständnis scheint mir für viele Naturwissenschaftler und insbesondere Mathematiker typisch zu sein.
  • Im Vergleich mit den tiefsinnigen und anspruchsvollen Texten von Hegel liest sich die Schrift von Popper streckenweise wie ein Schüleraufsatz. Man gewinnt den Eindruck, dass er nicht in der Lage ist, das theoretische Niveau der Texte von Hegel zu erfassen oder gar zu erreichen.
  • Es trifft allerdings zu, dass Hegels gesellschaftspolitische Vorstellungen einen reaktionären Charakter haben. Die ideale Staatsform ist für ihn die konstitutionelle Monarchie. Er hält darüber hinaus den Krieg nicht für ein „absolutes Übel“, sondern erkennt darin ein „sittliches Moment“. Damit kann er tatsächlich als Feind einer offenen Gesellschaft bezeichnet werden.

Herbert Schnädelbach (*1936)

Herbert Schnädelbach studierte Philosophie, Soziologie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaften und wurde mit einer Dissertation zu Hegels Theorie der subjektiven Freiheit in Philosophie promoviert. Die Beschäftigung mit Hegel ist ein Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeit geblieben. Er hat über Hegel mehrere Bücher geschrieben (1999 Georg Wilhelm Friedrich Hegel zur Einführung. 2000 Hegels Philosophie – Kommentare zu den Hauptwerken. (Hrsg.) 3 Bände) und zahlreiche Beiträge publiziert. Zwischen 1988 und 1990 war Schnädelbach Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland. Er organisierte 1990 deren XV. Kongress „Philosophie der Gegenwart – Gegenwart der Philosophie“. 1993 wurde er auf den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen und war maßgeblich am Neuaufbau des Instituts für Philosophie beteiligt. Er beschäftigte sich weiterhin mit analytischer Sprachphilosophie, Diskurs- und Rationalitätstheorien. Er formuliert als zentrale These, dass „die“ Philosophie ein Gespräch sei, sie analysiere Diskurse (bzw. Gespräche) nach typologischen Differenzen, (Reflexions-)Methoden, in Bezug auf Sachprobleme und mit einer formalen (nicht bloß hermeneutischen bzw. sprachlichen) Auszeichnung diskursiv-normativer Geltungsansprüche. (https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Schnädelbach, Version vom 12. August 2022)

Als ausgewiesener Kenner der Hegelschen Werke ist es umso erstaunlicher, dass Schnädelbach zu dem Schluss kommt, Hegel und der deutsche Idealismus wäre ein „philosophisches Unglück“ und sein Fazit lautet: „Vergesst Hegel!“ (Stekeler-Weithofer 2000). Er wandte sich gegen universitäre Beschäftigungen mit Hegel, solange diese nur der „Ahnenpflege“ und nicht auch der Gegenwart dienten. Nur noch der kritische Umgang mit Hegel (wie man es nicht machen solle) sei zu rechtfertigen und lehrreich (Schnädelbach 2003, S. 73).

Schnädelbach sieht das grundlegende Problem bei Hegel darin, dass er ein „holistisches Bewusstseinskonzept“ entwickelt, das „die Erfahrung des Bewusstseins von vornherein in das Licht der spekulativen Grundfigur rückt, ohne überzeugende Begründung dafür, dass dies möglich und legitim sei. … Hegels Holismus des Bewusstseins bedeutet ja, dass in Wahrheit alles schon immer im Bewusstsein ist, dass nichts Neues in es hinein kommt“ (Schnädelbach 2017, S. 157).

Schnädelbach hält Hegels „spekulative Grundfigur“ (Schnädelbach 2017, S. 14) einer Einheit von Einheit und Vielheit bzw. vom Ganzen und seinen Teilen für letztlich unverständlich. „Damit ist von Dialektik die Rede, denn das wahre Eine als die Einheit seiner selbst und des Verschiedenen, als Identität und Nichtidentität – das läuft auf die Antinomie einer Vereinigung des Wahren und Falschen am Orte der Wahrheit hinaus, die Kant als den Index des Falschen, Hegel aber als den spekulativen Mittag des Lebens ansah“ (Schnädelbach 2003, S. 69).

Seine Abwendung von Hegel verbindet er mit einer Zuwendung zu den Weltauffassungen von Schopenhauer. „Schopenhauer war der erste Philosoph, der mit dem Ernst machte, woran Hegels grandioser Versuch einer rationalen Synthese von Vernunft, Natur und Geschichte gescheitert war: der Endlichkeit unserer Vernunft. … Wir können nun nicht mehr wie Hegel davon ausgehen, dass unsere subjektive Vernunft ein Widerschein oder gar eine Gestalt des ewigen lógos sei; vielmehr spricht alles dafür, dass das Wesen der Welt – sofern wir uns überhaupt noch getrauen, danach zu fragen – durch und durch irrational ist und unsere Vernunft, mit der wir das zu denken versuchen, gewissermaßen ein metaphysischer Ausnahmefall. Dieses irrationale Wesen der Welt dachte Schopenhauer als blinden, ziellos drängenden Willen, und Nietzsche, die Vertreter der Lebensphilosophie und selbst Heidegger sind dem auf ihre Weise gefolgt. Unsere metaphysikgeschichtliche Situation steht im Zeichen Schopenhauers und nicht Hegels. … Warum also sollte man nach Schopenhauer sich noch dazu entschließen, wie Hegel zu philosophieren? Musste jetzt nicht der Mut der Wahrheit einer anderen Wahrheit gelten, nämlich der Einsicht in das undurchdringliche irrationale Wesen der Welt? … Hegels System ist ein intellektueller Traum, aus dem die Philosophie erwachen musste, als sie erwachsen wurde“ (Schnädelbach 2017, 165/166)

Stekeler-Weithofer stellt in seiner Replik auf Schnädelbach zusammenfassend fest: „Daß wir Schnädelbachs Hegel, den widersprüchlichen und anmaßenden, theologischen, fortschritts- und demokratiekritischen vergessen sollten, dem stimme ich mit vollem Herzen zu. Zu vergessen ist allerdings zugleich die These, daß der Hegel Schnädelbachs oder der irgend eines anderen Lesers der wahre Hegel sei“ (Stekeler-Weithofer 2000).

Bemerkungen:

  • Schnädelbach versteht offensichtlich nicht, wie Hegel den Terminus „Bewusstsein“ verwendet. Mit den Gestalten des Bewusstseins beschreibt Hegel die schrittweise Annäherung an das Absolute, die vollständige Erkenntnis aller Zusammenhänge. Diese Zusammenhänge in der Realität existieren natürlich bereits vor ihrer Erkenntnis durch das Bewusstsein. D. h. aber nicht, dass sie schon immer im Bewusstsein vorhanden sind. Es geht um das Verhältnis von Erkenntnisstand und Erkenntnisziel. Ohne den Glauben, dass das „Absolute“ im obigen Sinne existiert, ist kein Erkenntnisfortschritt möglich.
  • Hegels Diktum der Einheit von Identität und Nichtidentität, des Positiven und Negativen, eines Begriffs und seiner Negation kann mit den Mitteln der formalen Logik nicht bewertet werden. Beide Teile des Ganzen sind gleichberechtigt, man kann nicht sagen, dass das eine wahr und das andere falsch ist, es sich also um eine Antinomie handelt.
  • Die wenigen Zitate zeigen, dass Schnädelbach nicht in der Lage ist, die anspruchsvollen Gedanken von Hegel zu erfassen. Dies könnte mit seinem eigentlichen wissenschaftlichen Hintergrund und damit Hauptform des Denkens zusammenhängen, der analytischen Sprachphilosophie. Dem entspricht auch seine zentrale These, die Philosophie als ein fortlaufendes Gespräch aufzufassen. In einem Gespräch strebt man nach Ausgleich, gegenseitigem Verständnis und Harmonie. Unverständnis und Disharmonie, die nach Hegel ebenso dazugehören, sind Störfaktoren. Man klammert sie einfach aus und es sich wieder im Reinen.
  • Erschreckend ist der Ausweg, den Schnädelbach vorschlägt, nämlich eine Orientierung an der destruktiven Vorstellung von Schopenhauer, dass die Welt durch und durch irrational ist und man dies zu akzeptieren habe. Das wäre dann das Ende der Philosophie als einer zukunftsorientierten Wissenschaft. Sie bleibt dann ein ewiges Gespräch über die nicht zu verstehende Welt.
  • Man kann wohl davon ausgehen, dass Schnädelbach nur deutlich ausspricht, was viele andere heutige Philosophen denken.

Kritik an dem Bezug zur Empirie und Realität

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854)

Nach Horstmann (1986) ist bekannt, dass Schelling keineswegs der Meinung gewesen ist, Hegels Philosophie könne als attraktive Alternative oder gar als Verbesserung bzw. Überwindung seiner eigenen philosophischen Anstrengungen angesehen werden. Schelling war der Überzeugung, Hegel habe grundlegende Ideen von ihm übernommen und diese dann ohne angemessenes Verständnis ihrer sie auszeichnen Kraft und Funktion im Rahmen seines eigenen Systems verunstaltet (Horstmann 1986, S. 290).

Horstmann setzt sich in seinem Beitrag ausführlich mit der von Schelling in seinen späteren Jahren geäußerten Kritik an Hegel auseinander, dass sich seine Philosophie auf das reine Denken zurückzieht und zum einzigen unmittelbaren Gegenstand den reinen Begriff habe. Dadurch ist sie nur eine Theorie des Denkens aber keine Theorie der Wirklichkeit. Dabei weist er nach, dass Schelling grundlegende Gedanken von Hegel nicht erfasst hat, verfälscht darstellt und sogar Hegel fehlerhaft zitiert, womit teilweise Hegels Gedankengänge auf den Kopf gestellt werden. Als kompliziert erweist sich nach Horstmann zu untersuchen, wie Hegel den Begriff der Realität in sein Konzept der Idee integriert hat. Das Konzept der Idee ist zentral für die Hegelsche Philosophie. Dieses Konzept hat er gerade in Auseinandersetzung mit den Schellingschen Ansätzen entwickelt. Die Idee enthält die Objektivität als eines ihrer Elemente und damit ist die Kritik von Schelling gegenstandslos.

Als ein Problem bei Hegel sieht Horstmann an, dass er den Zusammenhang zwischen seiner Theorie der Logik und der Naturphilosophie nicht ausreichend bearbeitet hat.

Die Hintergründe für die Kritik von Schelling bleiben für Horstmann unklar. Hegel hat die Konzeption seiner logischen Idee sehr oft und ausführlich erläutert und Schelling spielte in dem Diskussionskontext, aus dem das Hegelsche System entstand, persönlich eine entscheidende Rolle, sodass man Missverständnisse ausschließen müsste. Eine Ursache könnte darin bestehen, dass Schelling in seinen Ausführungen die Begriffe „Wirklichkeit“, „Realität“, „Objektivität“ und „Natur“ im Großen und Ganzen als synonym ansieht, sodass seine Kritik nie vollends verständlich wird.

Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872)

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Adolf_Trendelenburg, Version vom 10. September 2022

Trendelenburg ist als prominenter Kritiker Hegels bekannt. Gegen Hegel betonte Trendelenburg, dass alle philosophische Erkenntnis die Erfahrung zum Ausgangspunkt nehmen muss. Entsprechend ist jedes Systemdenken durch „Logische Untersuchungen“, so der Titel seines systematischen Hauptwerkes, zu ersetzen, in denen die Erfahrung erforscht wird, indem das Allgemeine aus dem Besonderen gewonnen wird. Trendelenburg wehrte sich gegen die Konstruktion eines Systems, dessen Richtigkeit sich in der Praxis erst erweisen muss. Als richtiger Ausgangspunkt galt ihm vielmehr die Natur und die Praxis der Einzelwissenschaften, die in der Logik und Metaphysik auf einen Nenner, zur Einheit, zu bringen sind.

Die zentrale Kategorie in der systematischen Philosophie Trendelenburgs ist die der Bewegung, in der das Sein und das Denken durch Sinnlichkeit und Verstand vermittelt sind. Erkenntnis kann nur entstehen, wenn eine äußere Bewegung durch eine innere konstruierende Bewegung nachvollzogen und in Deckung gebracht wird, nicht im Sinne einer Identität als Abbild, aber doch als Entsprechung. Aus dieser Überlegung und der Auffassung, dass das Werden stets auf Anschauung beruht und seinen Grund deshalb nicht in den rein abstrakten Begriffen des Seins und des Nichts haben kann, kritisierte Trendelenburg die vermeintlich reine Begrifflichkeit der Hegelschen Dialektik. „Die Dialektik hatte zu beweisen, dass das in sich geschlossene Denken die Wirklichkeit ergreife. Aber der Beweis fehlt. Denn allenthalben hat es sich künstlich geöffnet, um von außen aufzunehmen, was ihm von innen mangelt. Das geschlossene Auge sieht nur Phantasien.“ (Trendelenburg 1870, S. 109) Über die Wirklichkeit kann man nicht nur in reinen Begriffen reden, man braucht die Anschauung. „Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben sollte, den Hungertod.“ (Trendelenburg 1870, S. 109)

Bemerkungen:

  • Die erste Stufe (die erste Gestalt des Bewusstseins) bei Hegel ist die sinnliche Gewissheit. In dieser Stufe der Erkenntnis wird von realen Objekten ausgegangen. Die Kritik von Trendelenburg ist also nicht zutreffend. Die Vorstellung der Gewinnung von Theorien durch Verallgemeinerung aus einzelnen Erscheinungen oder Erfahrungen ist eine verkürzte Form der Erkenntnisgewinnung, die nur zu Hypothesen führt.
  • Die Begriffe Sein und Nichts bei Hegel stellen die Grundbegriffe seiner Ontologie dar. Im Sinne seines axiomatischen Aufbaus der ontologischen Kategorien und Zusammenhänge haben sie zunächst keinen Inhalt. Hegel betont, dass man sich an dieser Stelle des Aufbaus seiner Begriffswelt von jeglicher Anschauung lösen sollte.

Kritik an Hegels Erziehungsauffassung

Max Stirner (1806 – 1856)

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Stirner, Version vom 20.September 2022

Schon in seiner Schrift Das unwahre Princip unserer Erziehung (1842) erklärte Stirner die Frage der Erziehung als „so wichtig, als es eine unserer sozialen nur irgend sein kann, ja sie ist die wichtigste.“ (Stirner 1986, S. 75) Denn er war der Auffassung, „dass eine Gesellschaft nicht neu werden kann, solange diejenigen, welche sie ausmachen und konstituieren, die alten bleiben.“ (Stirner und Meyer 2011, S. 231) Stirner sieht um sich herum „nichts als unterwürfige Menschen“, und dies in allen Schichten: „Was sind unsere geistreichen und gebildeten Subjekte grösstenteils? Hohnlächelnde Sklavenbesitzer und selber – Sklaven.“ (Stirner 1986, 90 f.) Seine Zukunftsvision ist der „freie“, „persönliche“, „ganze“, „wahre“, „vernünftige“, „prinzipielle“ oder auch „selbstschöpferische“ Mensch. Im Einzigen (1844) wird er ihn den Eigner nennen.

Hier zeigt Stirner sich am deutlichsten und substantiellsten als Antipode Hegels, der gelehrt hat, Erziehung müsse in erster Linie „Zucht [sein], welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen… Das Vernünftige muss als seine eigenste Subjektivität ihm erscheinen… Die Sittlichkeit muss als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein…“ (Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 174, 175, Hegel 1970, S. 326–329).

Stirner sieht genau darin das Übel, dass „der moralische Einfluss das Hauptingredienz unserer Erziehung“ ist, (Stirner und Meyer 2011, S. 332) eben jenes „unwahre Prinzip“, das zu eliminieren wäre. „Der moralische Einfluss nimmt da seinen Anfang, wo die Demütigung beginnt, ja er ist nichts anderes, als diese Demütigung selbst, die Brechung und Beugung des Mutes zur Demut herab.“ (Stirner und Meyer 2011, S. 88) Das Übel bestehe demnach darin, „dass unsere ganze Erziehung darauf ausgeht, Gefühle in Uns zu erzeugen, d. h. sie Uns einzugeben, statt die Erzeugung derselben Uns zu überlassen, wie sie auch ausfallen mögen.“ Die letzteren wären „eigene“, wären Gefühle, deren „Eigner“ ich bin. Die ersteren wären mir, obwohl zunächst fremd, durch die Art ihrer Einprägung bald „heilig“; ich wäre nicht ihr Eigner, sondern sie wären sozusagen die Eigner meiner, ich von ihnen „besessen“. (Stirner und Meyer 2011, 70 f.)

Stirner entwickelt keine Erziehungslehre; er gibt nur das seiner Auffassung nach entscheidende Kriterium für eine solche, wenn sie wirklich das Leben des Individuums und der Gesellschaft verbessern, d. h. „das große Unternehmen der Aufklärer“ weiterführen soll. Er antizipiert damit zugleich eine Kritik am späteren Historischen Materialismus, der das Entstehen des Neuen Menschen allein aufgrund historischer Gesetzmäßigkeiten erwartet: „Eine [politische] Revolution führt gewiss das Ende [der alten Zustände] nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung [zum „Eigner“] vollbracht ist!“ (Stirner und Meyer 2011, S. 356)

Bemerkungen:

  • Die Kritik von Stirner an den Auffassungen zur Erziehung von Hegel ist voll berechtigt. Es ist erstaunlich, dass Hegel, der auch als Lehrer gearbeitet hat, nicht in der Lage ist, seine dialektischen Betrachtungen auch auf die Entwicklung von Menschen anzuwenden.
  • Das Verhältnis von Veränderung des Menschen und Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen ist allerdings komplizierter, als es von Stirner dargestellt wird.

Kritik an idealistischen Momenten bei Hegel durch Marx

Karl Marx (1818-1883)

Wagenknecht zu Marx und Hegel

Marx hat sich insbesondere in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten zu Hegel geäußert (Marx 1956a). Nach Wagenknecht (1997) besteht der Hauptvorwurf von Marx an die spekulative Methode von Hegel darin, dass sie 1. ausschließlich in der reinen Sphäre des Denkens, der Abstraktion verbleibe, zugleich jedoch den Anspruch erhebe, aus dieser in „nirgends in die Wirklichkeit hinausschauenden Arbeit des Denkens“ Aussagen über wirkliches und konkret Seiendes ableiten zu können; und dass sie 2. – wie die „Phänomenologie“ das Wesen des Menschen als Selbstbewusstsein – das Wesen der Dinge überhaupt als bloßes Gedankenwesen fasse, d. h. genau genommen: aus ihren reinen Denkbewegungen nicht nur Aussagen über Wirklichkeit abzuleiten suche, sondern diese Denkbewegungen mit den wesentlichen Seinsbewegungen identifiziere (Wagenknecht 1997, S. 23).

Henrich zu Marx und Hegel

Henrich hat in seinem Vortrag „Karl Marx als Schüler Hegels“ während der Universitätstage der Freien Universität Berlin im Januar 1961 (in Henrich 1988, S. 188–208) versucht, die gesamte Entwicklung der Erkenntnisse von Marx in Bezug auf Hegel darzustellen.

Er setzt sich auch mit der Formulierung auseinander, dass Marx eine Umkehrung der Theorie von Hegel vollzogen hat, ihn vom Kopf auf die Beine gestellt hätte. „Die Rede von der Umkehrung der hegelschen Philosophie, eine Rede, die selbst die Sprache Hegel spricht, darf nicht viel mehr gelten als für ein Bild und die Anzeige eines Problems. In ihr ist noch nicht zu erkennen, ob überhaupt und wie sich Hegel als einer solchen Umkehrung zugänglich erweist und welche Züge seine Lehre annimmt, wenn sie auf verkehrter Grundlage aufruft.“ (S. 189) Henrich betont, dass „Hegel umkehren für Marx nicht heißt sein Prinzip aufzugeben. Das Gegenteil ist der Fall und die Umkehrung ist selbst eine Folge davon, dass im Ungenügen an Hegel doch dessen Grundgedanke festgehalten worden ist: Das Prinzip einer wissenschaftlichen Erkenntnis der Einheit von Denken und Sein.“ (S. 206)

Er bezieht sich dann auf die beiden Interpretationen von Marx in der östlichen Philosophie (Schriften des jungen Marx nur zur Selbstverständigung und Befreiung von Resten idealistischer Begrifflichkeiten) und in der westlichen Philosophie (Marxens eigentliche Motive müsste in den Manuskripten seiner ersten Entwicklungsphase aufgesucht werden). Dagegen wendete ein: „Gerade die Theorien bedeutender Köpfe von der Konsequenz, die auch Karl Marx eignet, lassen sich stets nur dann durchsichtig machen, wenn man zu keinem Zeitpunkt absieht von dem Ausgang, den sie genommen haben.“ (S. 192) Mit Ausgang meint er dabei nicht das Ende, sondern den Anfangspunkt der Überlegungen. Marx ist aus seiner Sicht nur als Schüler von Hegel zu interpretieren. Damit schließt er sich übrigens der Aussage von Lenin an, dass man das Kapital von Marx und besonders das erste Kapitel nicht vollständig begreifen kann, ohne die ganze Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben. Schülerschaft heißt nicht, dass Marx im Grunde nur ein Nachfolger oder Adept von Hegel gewesen ist. „Der Schüler eignet sich die Meinung des Lehrers nicht an, indem er sich in ihr bewegen und sie imitieren lernt. Ein Lehrer ist uns der, der Antwort gibt auf unsere eigenen Fragen und der uns befähigt, sie besser zu stellen. Ohne ihn hätten wir nicht so gefragt, wie wir es nun tun. Der gute Schüler stellt aber Fragen die der Lehrer selbst sich nicht vorgelegt hat. … Der gute Schüler ist gegen den Lehrer er selbst aber nichts ohne ihn.“ (S. 193) Henrich leitet daraus die These ab, dass es zwar eine Wandlung im Entwicklungsgang von Karl Marx gibt, aber dass sein Weg in ungebrochene Kontinuität derselbe geblieben ist, dass jede Wandlung und ihr Resultat als die Konsequenz seines Beginns verstanden werden müssen. Marx steht am Beginn seines Weges vor der Aufgabe, zwei Gedanke miteinander zu verbinden. „Die Einsicht in das Ungenügen der nur theoretischen Form von Hegels Philosophie mit der Einsicht, dennoch Philosophie und Welt, Begriff und Wirklichkeit in einer Einheit von jener Struktur zu denken, die zum ersten Male von Hegel entwickelt worden ist.“ (Seite 195)

In seiner Entwicklung habe Marx immer zweierlei ins Spiel gebracht: „Zum einen das Prinzip der Einheit von Wirklichkeit und Begriff, zum anderen alle die Gedanken, welche er zuvor schon aus anderer Quelle aufgenommen und gegen Hegel zur Geltung gebracht hatte.“ (Seite 196)

Henrich unterscheidet vier Phasen der Entwicklung des Denkens von Marx in Bezug auf Hegel.

  1. Marx bewegte sich zunächst im Umkreis der kritischen Philosophie von Bruno Bauer. Bruno Bauer wollte als Schüler Hegels seine Philosophie vollenden indem sie als Tat dazu beiträgt, dass die Welt vernünftig werde. Die angemessene Form solcher Tat ist für Bauer die Kritik. Für sich allein genommen führt aber die Kritik zu einem Widerspruch mit Hegels Prinzip, dass das Wahre das Ganze ist. Bauer hat sich als schlechte Schüler Hegels erwiesen durch sein völlig kritikloses Verhalten zu Methode des Kritisierens.
  2. Feuerbach gab Marx die Mittel in die Hand die Position Bruno Bauers mit konkreteren Ergebnissen zu verlassen. Nach Feuerbach reduziert sich die Wirklichkeit auf den Begriff des Menschen. Marx hat diese anthropologische Theorie begeistert begrüßt, stellte sie aber gegen Hegels Einheitsgedanken. Er sagte Feuerbach besitze keinen umfassenden Begriff von Wirklichkeit, so kann er die Bedingung der Entzweiung zwischen Begriff und Welt nicht aufdecken. Und er erkennt nicht das tätig kritische Wesen des Menschen, deshalb kann er die Bedingungen nicht angeben, unter denen die Entzweiung des Menschen mit seinem wahren Wesen in der Tat aufgehoben werden kann. Er sagt in seinen Thesen über Feuerbach: „Das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum“ (Marx 1956b, S. 6) Feuerbach erfasse die Wirklichkeit nicht als praktische menschliche Tätigkeit. Er bringt gegen Feuerbach Hegels Gedanken zu Geltung, es müsse sich eine Erkenntnis der Identität von Begriff und Wirklichkeit erreichen lassen. Nach Henrich hält Marx damit an dem Identitätsprinzip von Hegel fest und will auch den Gedanken der kritischen Philosophie von Bauer weiterführen.
  3. Mit der dritten Phase beginnt die zweite Stufe der Entwicklung von Marx Erkenntnis. „Der dritte Schritt führt Marx dazu, die Philosophie der Tat mit einem humanitären Sozialismus zu verbinden.“ (S. 200) Er wird hierbei beeinflusst von seinen Erfahrungen aus der politischen Tätigkeit bei der Rheinischen Zeitung und den Schriften von Moses Heß. Marx erscheint jetzt, dass das Gesetz des Privateigentums die Ursache für die Entzweiung des Lebens in reinen Begriff und unvernünftige Wirklichkeit ist. Die politische Bewegung des Sozialismus aber ist ihre Überwindung, die einzige wirkliche Philosophie der Tat. Die Position von Hess trägt aber noch pluralistische Züge, da die Entfremdung des Menschen von der Seite ihrer Unmenschlichkeit her auffasst.
  4. Die vierte Stufe der Entwicklung beginnt bei Marx nach der Lektüre früherer Arbeiten von Friedrich Engels. Damit kommt er zu seiner ökonomischen Geschichtsauffassung. Sie gilt ihm hinfort als die Lösung seines Problems das wahre Prinzip Hegels mit der Notwendigkeit der Aufhebung seines Systems zu verbinden. Der historische Materialismus ist deshalb nur als Resultat des Weges zu begreifen, aus dem er hervortrat. Die politische Ökonomie diente ihm dazu, Lösung des Rätsels zu sein, warum Begriff und Wirklichkeit sich entzweien. (S. 201)

Bemerkungen zu Henrich:

  • Henrich geht indirekt davon aus, dass Marx (und Engels, den er selten erwähnt) von Anfang an Hegel richtig verstanden hat. Er stellt zum Beispiel nicht heraus, dass Marx und Engels in der „Heiligen Familie“ von 1845 schreiben: „Hegel macht den Menschen zum Menschen des Selbstbewußtseins, statt das Selbstbewußtsein zum Selbstbewußtsein des Menschen, des wirklichen, daher auch in einer wirklichen, gegenständlichen Welt lebenden und von ihr bedingten Menschen zu machen. Er stellt die Welt auf den Kopf und kann daher auch im Kopf alle Schranken auflösen, wodurch sie natürlich für die schlechte Sinnlichkeit, für den wirklichen Menschen bestehen bleiben. … Die ganze „Phänomenologie“ will beweisen, daß das Selbstbewußtsein die einzige und alle Realität ist“ (Engels und Marx 1956, S. 204)
  • Es ist auch zu bezweifeln, ob Marx die anthropologischen Auffassungen von Feuerbach in seine Theorie tatsächlich übernommen hat. Der Mensch als sinnliches Wesen spielt im Marxismus aus meiner Sicht kaum eine Rolle.
  • Nach den Ausführungen von Henrich könnte man meinen, dass die Grundidee von Hegel das Prinzip der Identität von Bewusstsein und Sein bzw. von Begriff und Wirklichkeit ist. Um dieses Prinzip zu verwirklichen muss ein solcher Begriff, also eine solche Theorie gefunden werden, die der aktuellen bzw. anzustrebenden Wirklichkeit entspricht. Dies halte ich nicht für einen wirklich neuen Gedanken und eine zu starke Vereinfachung der Hegelschen Dialektik.

Literaturverzeichnis

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Marx, Karl (1956a): Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. Ergänzungsband – Schriften bis 1844 Erster Teil. In: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Bd. 40. Hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus. Berlin: Dietz, S. 465–588.

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Stirner, Max (1986): Parerga, Kritiken, Repliken. Nürnberg: LSR-Verlag (LSR-Quellen, 5).

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Trendelenburg, Friedrich Adolf (1870): Logische Untersuchungen. 3., verm. Aufl. Leipzig: Hirzel.

Wagenknecht, Sahra (1997): Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx oder das Problem einer dialektisch materialistischen Wissenschaftsmethode. Bonn: Pahl-Rugenstein.

Weischedel, Wilhelm (1997): Die philosophische Hintertreppe. Die großen Philosophen in Alltag und Denken. Ungekürzte Ausg., 27. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch-Verl. (DTV, 30020).

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